Unterhändler des Imaginären Regenmachen im vormodernen Japan
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Auf einer Klippe über dem Meer hat sich eine kleine Gruppe von Menschen versammelt. Alle Aufmerksamkeit ist auf einen Mönch in rotem Gewand gerichtet, der sich mit geschlossenen Augen auf sein Gebet konzentriert. Heftiger Regen hat eingesetzt und ein Diener schützt den Betenden mit einem großen Schirm. Alle Umstehenden scheinen in großer Erregung. Der Regen legt sich wie ein Vorhang aus schwarzen Schnüren vor die dargestellte Szene. Lediglich das Gesicht des betenden Mönchs bleibt ausgespart – ein heller Ruhepol inmitten der entfesselten Elemente.1
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861). Edo-Zeit. The British Museum.
Der hier beschriebene Farbholzschnitt von Utagawa Kuniyoshi [Utagawa Kuniyoshi (jap.) 歌川国芳 1798–1861; Maler und Zeichner. Bekannter Verteter des ukiyo-e-Farbholzschnitts] stellt eine Szene dar, die zu den legendären Wundertaten des berühmten Mönchs Nichiren [Nichiren (jap.) 日蓮 1222–1282; Begründer des Nichiren Buddhismus] (1222–1282) zählt: Nach einer langen Dürreperiode im Sommer 1271 gelang es Nichiren durch seine Gebete Regen zu erwirken. Kuniyoshis Holzschnitt zeigt den Moment, als diese Gebete in Form eines plötzlichen Wolkenbruchs Früchte tragen. Das Erstaunen der Gruppe um Nichiren ist umso größer, als zuvor bereits hochrangige Spezialisten mit wesentlich aufwendigeren rituellen Prozeduren versucht haben, die Dürre zu beenden. Nichiren genügen jedoch ein einfacher Opfertisch und eine Gebetskette, die er in den gefalteten Händen reibt. Sein Gebet besteht aus nichts anderem als der Anrufung des Lotos Sutras. Es ist, so suggerieren Bild und Legende, vor allem seinem aufrichtigen Glauben an diesen elementaren Text des Mahayana [Mahāyāna (skt.) महायान „Großes Fahrzeug“, buddhistische Richtung (jap. daijō bukkyō 大乗)]-Buddhismus zuzuschreiben, dass die höheren Mächte, die für Regen verantwortlich sind, Nichirens Bitten Gehör schenken.2
Diese Legende macht uns heutige Betrachter auf ein Thema aufmerksam, das bislang nur am Rande in Studien zur japanischen Religion behandelt wurde: Die Kunst des Regenmachens. Derartige magische Praktiken werden leicht als merkwürdiger „Aberglaube“ abgetan und keiner näheren Betrachtung für wert befunden, doch zweifellos war ein Künstler wie Kuniyoshi, der zur Bildungselite seiner Zeit zählte, fest von der Wirkung derartiger Riten überzeugt. Im vorliegenden Essay möchte ich daher anhand eines geschichtlichen Überblicks auf die kontinuierliche, nicht zuletzt politische Bedeutung von Regenriten in Japan aufmerksam machen und zugleich auf die unterschiedlichen rituellen Verfahren und ihre historischen Veränderungen eingehen.
Regenbitte und Regenabwehr
Grundsätzlich gab es zwei komplementäre Wetterriten, nämlich die Bitte um Regen (amagoi [amagoi (jap.) 雨乞い Regenmachen durch rituelles Gebet und Zauber; Regenbitte; s.a. shōu, kiu], kiu [kiu (jap.) 祈雨 Regenbitte; Ritus, um Regen zu erwirken; s.a. amagoi, shōu] 祈雨 oder shōu [shōu (jap.) 請雨 Regenbitte; Ritus, um Regen zu erwirken; s.a. amagoi, kiu] 請雨) und ihr Gegenstück, die Bitte um Sonnenschein (hiyorigoi [hiyorigoi (jap.) 日和乞い Gebet oder Ritus zum Erwirken von Sonnenschein] 日和乞い, himaneki [himaneki (jap.) 日招き wtl. Einladen der Sonne; Gebet um Sonnenschein] 日招き oder shiu [shiu (jap.) 止雨 Regenabwehr; Gebet oder Ritus, um Regen zu beenden; s.a. himaneki, hiyorigoi] 止雨). Das Regenbitten ist dabei in Kunst und Literatur — und auch im vorliegenden Essay — prominenter vertreten als die Regenabwehr, wohl aus dem einfachen Grund, weil bei der Bitte um Regen der Erfolg mit dem plötzlichen Einsetzen von Niederschlag besser im Gedächtnis behalten wird. Umgekehrt ist aber die Bitte um Sonnenschein auch heute noch fester Bestandteil jeder japanischen Kindheit, und zwar in Gestalt des Schönwetter-Mönchleins (teruteru bōzu [teruteru bōzu (jap.) 照る照る坊主 wtl. Schönwetter Mönchlein; Puppe, die Schönwetter bringen soll]), einer einfachen Puppe aus weißem Stoff, bestehend aus Kopf und Körper, die jedes Kind selbst herstellen kann und ans Fenster hängt, wenn es sich für den nächsten Tag schönes Wetter wünscht. Auch gibt es den Ausdruck „Regenmensch“ (ame no hito [ame no hito (jap.) 雨の人 „Regenmensch“; jemand, der immer Schlechtwetter mitbringt]) für Mitschüler oder Freunde, die immer schlechtes Wetter mitbringen, wenn sie an einem Ausflug teilnehmen, und auch das Gegenteil, „Schönwettermensch“ (hare no hito [hare no hito (jap.) 晴れの人 „Schönwettermensch“; jemand, der immer Schönwetter mitbringt]). Diese spielerischen Kinderbräuche stehen in engem Verhältnis zu alten Riten, die bis heute Teil des traditionellen landwirtschaftlichen Brauchtums geblieben sind. Hingegen sind staatlich organisierte Wetterriten heute vollkommen verschwunden oder haben sich bis zur Unkenntlichkeit in den Wetterbericht der öffentlichen Medien transformiert.
Regenriten in der Frühzeit
Es bedarf kaum der Erklärung, dass eine Landwirtschaft wie die japanische, die zum überwiegenden Teil auf die intensive Bewässerung von Reisfeldern, den Nassfeld-Reisbau, abgestimmt ist, in besonderem Maße auf regelmäßige Niederschläge angewiesen ist. Außergewöhnliche Wetterereignisse wie Dürre oder Überschwemmungen bedrohten daher in der vormodernen japanischen Gesellschaft rasch die Existenzgrundlage. Solche Ereignisse wurden zumeist Wassergottheiten zugeschrieben, die man sich als drachen- oder schlangenartige Wesen vorstellte. Eine ungefähre Vorstellung solcher Schlangengottheiten lässt sich bereits in den frühesten Legenden gewinnen, in denen lokale Gottheiten eine Rolle spielen.
Das Hitachi fudoki [Hitachi fudoki (jap.) 常陸風土記 „Aufzeichnungen von Luft und Erde aus Hitachi“; auch Hitachi no kuni fudoki, 713; Chronik kultureller Bräuche der historischen Provinz Hitachi 常陸, heutige Präf. Ibaraki] (eine Lokalchronik, die Anfang des achten Jahrhunderts verfasst wurde) berichtet von einem Provinzverwalter aus der Hauptstadt namens Matachi, der die Provinz im sechsten Jahrhundert für die Landwirtschaft erschloss. Als er nahe einer Bezirksgarnison eine schilfbewachsene Ebene trocken legen ließ, um Reisfelder anzulegen, erschienen die Götter des Tals (yatsu no kami) als gehörnte Schlangen, um sich gegen die Urbarmachung ihres Territoriums zur Wehr zu setzen. Während die Einheimischen vor diesen Schlangen flohen, setzte sich Matachi zur Wehr.
Erzürnt legte Matachi seine Rüstung an, nahm seine Hellebarde und tötete mehrere yatsu no kami. Der Rest zog sich zum Fuß des [nächsten] Berges zurück. Dort schlug Matachi einen Pfosten in den Bewässerungsgraben, um sein Territorium zu markieren. Zu den yatsu no kami sagte er, dass den Göttern das Gebiet oberhalb dieser Grenze gehöre, während das Gebiet darunter für den Reisanbau seiner Leute bestimmt sei. ‚Überschreitet diese Grenze nicht und hegt keinen Groll, denn ich werde euch einen Schrein errichten und dort das Priesteramt vollziehen. Meine Nachkommen werden euch ehrerbietig Opfergaben darbringen.‘ Er errichtete daraufhin einen Schrein und die Verehrung der yatsu no kami setzte sich von Generation zu Generation fort.3
Das Nihon ryōiki [Nihon ryōiki (jap.) 日本霊異記 „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)], eine Quelle aus dem frühen neunten Jahrhundert, berichtet von einem Bauern, der bei Regen auf seinem Feld arbeitete, als er sich unversehens mit einem Donnergott konfrontiert sah. Dieser hatte die Gestalt eines menschlichen Kindes. Als der Bauer Anstalten machte, das Donner-Kind zu erschlagen, bat es um Mitleid und versprach Belohnung. Einige Zeit später wurde dem Bauern ein Sohn geboren, der bei der Geburt eine Schlange auf dem Kopf trug. Später wurde dieser Sohn unglaublich stark und begründete eine adelige Dynastie.4
Schon in diesen frühen Legenden begegnet uns die Vorstellung, dass lokale Gottheiten eine Schlangenform haben oder annehmen können und dass sie mit dem Wasser und/oder mit Gewittern in Verbindung stehen. Darüber hinaus offenbart sich in den genannten Legenden ein zweckrationales Verhältnis zwischen Menschen und kami: Lokale Götter und Menschen befinden sich auf Augenhöhe. Sie haben zwar unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten, können aber auch voneinander profitieren. Es kommt zum Tausch, der jedoch immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Schreine sind Orte, wo sich dieser Tausch vollzieht.
Staatliche Regenriten
Die ersten historisch verlässlichen Erwähnungen von staatlich sanktionierten Regenriten stammen aus dem 7. Jahrhundert, einer Zeit, in der die alten Bräuche nach und nach mit buddhistischen Alternativen konfrontiert wurden.
Im Sommer des ersten Regierungsjahres der Kaiserin Kyōgoku [Kōgyoku Tennō (jap.) 皇極天皇 594–661; weibliche Tennō, r. 642–645; herrschte ein weiteres Mal unter dem Namen Saimei, 655–661] (642) herrschte eine außergewöhnliche Dürre. In dieser Situation kamen die Minister des Hofes unter Führung des Soga no Emishi [Soga no Emishi (jap.) 蘇我蝦夷 587–645; Staatsmann (oberster Minister) in der Asuka-Zeit] (587–645) überein, dass man sich nicht mehr auf die Blutopfer von Pferden und Rindern der Dorfpriester (hafuri 祝部) verlassen sollte. Stattdessen sollten buddhistische Sutren öffentlich rezitiert werden. Allerdings blieb auch diese Maßnahme ohne Wirkung. Schlussendlich vollzog die Kaiserin in eigener Person einen Regenritus, der Erfolg hatte.5
In diesem kurzen Bericht begegnen uns drei alternative Regenrituale: Blutopfer durch lokale Priester, buddhistische Sutrenlesungen und ein Bittritus unbekannter Art, der vom Herrscher beziehungsweise der Herrscherin selbst vorgenommen wird. Man gewinnt den Eindruck, dass pro-buddhistische Kreise wie die Familie der Soga in dieser Zeit zwar nach Alternativen zu althergebrachten Formen des Regenmachens suchten, jedoch keine überzeugenden Mittel zur Hand hatten, sodass neben lokalen (möglicherweise schamanistischen) Opferriten auch die Riten eines sakralen Königtums, das das vorbuddhistische Japan gekennzeichnet hatte, zum Einsatz kamen.
Erst vier Jahrzehnte später stoßen wir in den Chroniken auf einen ausgewiesenen buddhistischen Experten des Regenmachens, ein Mönch namens Dōzō [Dōzō (jap.) 道蔵 koreanischer Mönch aus Baekje, spätes 6. Jh.; im Nihon shoki als Experte des Regenmachens erwähnt] 道蔵 aus Baekje (Korea), der am Hof des Kaisers Tenmu [Tenmu Tennō (jap.) 天武天皇 631?–686; 40. japanischer Kaiser; (r. 673–686)] beziehungsweise der Kaiserin Jitō [Jitō Tennō (jap.) 持統天皇 645–703, r. 686–697; 41. japanische Kaiserin] erfolgreiche Regenrituale durchführte.6
In der folgenden Nara- und Heian-Zeit (710–794, 794–1185) gewann der Buddhismus – von kleineren Rückschlägen abgesehen – kontinuierlich an Einfluss. Es wäre daher anzunehmen, dass sich buddhistische Regenriten schon damals allgemein durchsetzten, doch gerade auf diesem Gebiet kam den einheimischen Gottheiten bis Mitte der Heian-Zeit nach wie vor große Bedeutung zu. Rund um die jeweiligen Hauptstädte (Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō] und später Heian-kyō [Heian-kyō (jap.) 平安京 urspr. Name der Stadt Kyōto; wtl. Stadt des Friedens; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]/Kyoto) begann sich ein ganzes Netzwerk von kami-Kultstätten zu bilden, an denen regelmäßig Regenriten abgehalten wurden.7 Der kaiserliche Hof erließ dabei immer detailliertere Verordnungen, wie man sich durch besondere Opfergaben günstiger Wetterbedingungen zu versichern habe. Zwei Schreine galten in dieser Hinsicht als besonders einflussreich: der Kifune [[[glossar:kifune|]] () ]貴船-Schrein im Bergland nördlich von Kyoto und der Niukawakami [[[glossar:niukawakami|]] () ] 丹生川上-Schrein südöstlich der Nara-Region. Diese beiden Schreine, die jeweils Wasser- oder Gewittergöttern geweiht waren, markierten in etwa die Nord-Süd-Achse durch die damaligen japanischen Kernprovinzen. Ihnen sollte jedes Jahr – gleichsam prophylaktisch – ein schwarzes Pferd zugeführt werden, außer wenn es zu viel Regen gab. Dann sollte ein weißes Pferd für Wetterbesserung sorgen.8 Was aus den Pferden wurde, ist nicht ganz klar. Meist wurden sie offenbar nicht getötet, sondern gingen als heilige Tiere oder als Nutztiere in den materiellen Besitz der bedachten Institution über. Doch finden sich auch Hinweise auf die im Nihon shoki erwähnte Blutopfer-Praxis. In ihrer Studie zur religiösen Bedeutung des Pferdes berichtet die Mythenforscherin Nelly Naumann [Naumann, Nelly (west.) 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin] von japanischen Regenriten, bei denen der abgetrennte Kopf eines Pferdes oder Rindes in ein Gewässer geworfen wurde. Manches spricht dafür, dass damit ein ritueller Tabubruch begangen wurde, um die Gottheit zu reizen und so Regen herbeizuführen. Unter buddhistischem Einfluss wurden solche Blutopfer mit der Zeit aber durch Statuen oder Bilder substituiert.9
Buddhistische Riten für Schlangen und Drachen
Die frühesten dokumentierten Regenriten des Buddhismus finden sich in einem Bericht des chinesischen Pilgermönchs Faxian [Faxian (chin.) 法顯 früher chin. Pilgermönch (337?–422?), Autor eines Reiseberichts] (337–422), der Indien im frühen fünften Jahrhundert bereiste.10 Kurze Zeit später wurde ein kanonischer Text zum Regenmachen, das Große Wolken-Sutra (Mahāmegha sūtra, chin. Dayun jing [Dayun jing (chin.) 大雲經 Großes Wolken-Sutra; skt. Mahāmegha sūtra, jap. Daiun-kyō; die früheste Übersetzung ins Chinesische wurde von Dharmakṣema zwischen 414 and 421 angefertigt (DDB, s.v. Dafangdeng wuxiang jing 大方等無想經)] 大雲經, 大方等無想經), ins Chinesische übersetzt.11 Aus diesem Text geht klar hervor, dass man auch im indischen Buddhismus der Meinung war, Schlangen beziehungsweise Schlangengötter (naga [nāga (skt.) नाग „Schlange, Kobra“, indische Schlangengottheit (jap. naka 那伽)]s) würden über den Regen gebieten. Das Sutra enthält unter anderem magische Formeln (dharani [dhāraṇī (skt.) धारणी (magische) Gebetsformel, ähnlich wie, aber meist länger als Mantra (jap. darani 陀羅尼 oder ju 呪)]), die an die nāgas zu richten sind, um Regen zu erbitten.12
Nāgas stellen in Indien eine eigene Kategorie von Dämonen dar, die sowohl die Gestalt von Menschen als auch die von Schlangen annehmen können. In der buddhistischen Mythologie ist zum Beispiel von einem nāga-König Mucilinda [Mucilinda (skt.) मुचिलिन्द Name eines Drachens, der Buddha Shakyamuni während seiner Meditation vor Regen schützte] die Rede, der den historischen Buddha [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] während seiner Meditation unter dem bodhi [bodhi (skt.) बोधि „Erwachen, Erleuchtung“ (jap. bodai 菩提)]-Baum in Bodhgaya [Bodhgayā (skt.) बोध्गया „Ort der Erleuchtung“, Ort, an dem Buddha seine Erleuchtungserfahrung hatte (jap. Buddagaya 仏陀伽邪)] sieben Tage lang vor Wind und Regen schützte. Ähnliche Schlangenwesen existierten auch in China, wo der mythologische Kaiser Fuxi und seine Frau Nüwa als Schlangenmenschen aufgefasst wurden. Fast immer besteht auch eine enge Beziehung zum Wasser und zum Regen. Indo-buddhistische Regenriten ließen sich daher ohne größere Schwierigkeiten in einen ostasiatischen Kontext übertragen.
Schlangen, die zu Gottheiten erhöht wurden, erhielten in Ostasien zumeist das Aussehen eines chinesischen Drachens. Der Übergang zwischen der realen Schlange und dem imaginären Drachen war dabei fließend. Beiden wurde die Fähigkeit zugesprochen, menschliche Gestalt anzunehmen. Zwischen dem chinesischen Drachen als Sinnbild des Kaisers und den indischen nāgas, die aus buddhistischer Sicht eine besondere Kategorie unerleuchteter Wesen darstellen, bestand zwar sicher ursprünglich ein wesensmäßiger Unterschied, doch kam es in Bild und Legende sowohl in China als auch in Japan zu einer Nivellierung dieser Vorstellungen. Nāga-Könige, die im indo-buddhistischen Kontext oft das Aussehen von Kobras haben, wurden in China als Drachenkönige (longwang, japanisch ryūō [ryūō (jap.) 龍王 Drachenkönig; myth. Figur, meist mit Wasser oder mit dem Meer verbunden]) bezeichnet und in großen, oft staatlich finanzierten Riten um Regen gebeten.13
Eine der ersten permanenten Kultstätten für buddhistische Regenriten in Japan wurde Ende des achten Jahrhunderts im Tempel Murō-ji [Murō-ji (jap.) 室生寺 alter Shingon-Tempel südöstlich von Nara, ehem. bekannt für seine Regenriten (amagoi)] 室生寺 nordwestlich von Nara errichtet, wo sich einige eindrucksvolle Grotten befinden. In diesen Grotten wähnte man einen Drachen namens Zennyo Ryūō [Zennyo Ryūō (jap.) 善如龍王/善女龍王 Drachen- bzw. naga-König aus der buddhistischen Mythologie], den man als eine Wiedergeburt des indischen nāga-Königs aus dem Himalaya identifizierte. Zennyo Ryūō erhielt nun interessanterweise einen Schrein, also ein Gebäude nach dem Muster der kami-Kultstätten, wo aber buddhistische Mönche um Regen beteten. Man dachte sich den Drachenkönig also eher als kami denn als Buddha, was aber buddhistische Regenriten keineswegs ausschloss. In der Folge gelang es dem Buddhismus, seine Regenriten für nāga-Drachen als staatlich anerkannte Standardmaßnahmen in Zeiten von Wetterkatastrophen zu etablieren.
Regenmacher des Shingon-Buddhismus
Wie der Religionshistoriker Brian Ruppert in einem Aufsatz von 2002 klar herausgearbeitet hat, erwies sich der Shingon [Shingon-shū (jap.) 真言宗 Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan]-Buddhismus auf dem Gebiet des Regenbittens ab der mittleren Heian-Zeit als besonders erfolgreich. Shingon-Mönchen gelang es nämlich eine Kultstätte für die Abhaltung von Regenriten innerhalb des kaiserlichen Palastes zu monopolisieren. Im Zentrum dieser Riten stand ein großer künstlicher Teich, der Teil des Lustgartens Shinsen’en [Shinsen’en (jap.) 神泉苑 „Garten der göttlichen Quelle“, im Süden des ehem. Kaiserpalastes in Kyōto gelegen;] 神泉苑 (Garten der göttlichen Quelle) war und wohl schon lange für Regenriten gedient hatte. Unter dem Einfluss des Shingon-Buddhismus wurde dieser Teich zum Wohnort Zennyo Ryūōs erklärt, also des gleichen Drachenkönigs, der auch im erwähnten Murō-ji verehrt wurde. Die Tradition des Regenmachens im Kaiserpalast wurde rückblickend dem charismatischen Ordensgründer des Shingon-Buddhismus Kūkai [Kūkai (jap.) 空海 774–835, Gründer des Shingon Buddhismus; Eigennamen Saeki Mao, Ehrennamen Kōbō Daishi] (774–835) zugeschrieben, scheint sich aber erst im zehnten Jahrhundert fest mit dem Shingon-Buddhismus verbunden zu haben.14
Die Shingon-buddhistischen Regenriten im Kaiserpalast sind relativ gut dokumentiert, da führende Shingon-Mönche der späten Heian-Zeit eigene Regenbitt-Tagebücher führten, was Rückschlüsse auf die Bedeutung dieser Rituale zulässt. Offenbar waren sie zwar mit hohem Aufwand, aber mit erstaunlich geringem Risiko für den Ritualisten verbunden. War das Ritual erfolgreich, so standen dem beteiligten Mönch substanzielle materielle Zuwendungen sowie Rangerhöhungen in Aussicht, während Misserfolge nicht geahndet wurden. Dürreperioden boten daher insbesondere für Shingon-Mönche eine gute Gelegenheit für einen Karrieresprung.15
Nichirens Provokation
Die besondere Rolle des Shingon-Buddhismus auf dem Gebiet des Regenmachens findet sich indirekt auch in der eingangs erwähnten Legende des Nichiren bestätigt. Der historische Kern dieser Begebenheit lässt sich aus autobiografischen Notizen von Nichiren selbst einigermaßen verlässlich rekonstruieren. Eigenen Angaben zufolge stammte Nichiren aus einem Fischerdorf auf der Halbinsel Bōsō (südöstlich des heutigen Tokyo). Trotz seiner niederen Herkunft arbeitete er sich in den Rang eines angesehenen Gelehrtenmönchs hoch, machte sich unter seinen Mitbrüdern aber bald auch Feinde. Nichiren setzte sich nämlich nicht bloß für die Autorität des Lotos-Sutra ein, das ohnehin von den meisten buddhistischen Richtungen zu den wichtigsten Lehrtexten gezählt wurde, sondern formulierte ausgehend vom Lotos-Sutra auch eine Kritik am etablierten Klerus, die an dessen Existenzgrundlagen rüttelte. Auf diese Weise brüskierte er unter anderen den führenden Shingon-Mönch Ninshō Ryōkan [Ninshō Ryōkan (jap.) 忍性良観 1217–1303; Shingon-Abt in Kamakura]忍性良観 (1217–1303), der ebenso wie Nichiren vor allem in der Hauptstadt des 1185 gegründeten Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]-Shōgunats aktiv war und galt dort allgemein als besonders tugendhaft galt. Nichiren aber sah in ihm einen Heuchler und forderte ihn immer wieder heraus. Als Ryōkan während der Dürre von 1271 einen Regenritus abhalten sollte, schlug Nichiren ihm eine riskante Wette vor: Nichiren würde alle seine Lehren bezüglich des Lotos-Sutra widerrufen und Ryōkans Schüler werden, wenn dieser mit dem Regenritus Erfolg haben sollte. Andernfalls solle Ryōkan Nichirens Schüler werden. Als das Ritual auch nach zwei Wochen keinen Erfolg zeitigte (und Ryōkan nicht auf Nichirens Vorschlag einging), schickte Nichiren ihm folgende Nachricht:
Wie die Sage geht, sollen selbst solche Leute, die sich niemals um buddhistische Gebote scherten, wie die kokette Hofdichterin Izumi Shikibu [Izumi Shikibu (jap.) 和泉式部 978?–1033?; Hofdame und Dichterin der Heian-Zeit] oder der liebestrunkene Mönch Nōin [Nōin (jap.) 能因 988-1051?; buddhistischer Dichtermönch] allein durch die Wirkung ihrer Dichtkunst dem Himmel Regen entlockt haben. Wie aber kommt es dann, dass Ihr nicht imstande seid, selbst mit dem Beistand [noch so vieler Priester und Mönche] auch nur einen Regentropfen hervorzupressen?16
Die beiden genannten Dichter, auf die ich im Folgenden noch zu sprechen kommen werde, sind in der Tat sowohl für ihre Regenriten als auch für ihre Liebeseskapaden berühmt. Nichiren wertet dies als Beweis ihrer Lasterhaftigkeit, um schließlich seinem Intimfeind vorzuwerfen, noch weiter vom wahren Weg des Buddha entfernt zu sein als diese sündigen Wesen, weil er im Gegensatz zu ihnen beim Regenmachen versagte. Nichiren sieht das Regenmachen also nicht mehr als Ergebnis eines Tauschhandels zwischen Menschen und Göttern, sondern als moralischen Gradmesser. Es kommt nicht nur auf die Kenntnis magischer Praktiken an, man muss sich auch des Buddha-Weges als würdig erweisen, damit das Ritual funktioniert.
Dass Nichiren selbst Regen herbeibetete, scheint zwar eine fromme Legende aus späterer Zeit zu sein, doch zeigt sich, dass dieser Legende eine tiefere Bedeutung zukommt als auf den ersten Blick erkenntlich. Ob er nun Regenbitt-Riten verspottete oder selbst praktizierte, läuft beinahe auf dasselbe hinaus, nämlich dass er die Autorität des Shingon-Buddhismus auf dem Gebiet der Regenrituale infrage stellte.
Zen und die Kunst des Regenmachens
Dem westlichen Klischee vom asketischen, weltabgewandten Zen [Zen (jap.) 禅 chin. Chan, wtl. Meditation; Zen Buddhismus] zum Trotz konnten Zen-Mönche, ebenso wie ihre chinesischen Vorläufer des Chan [Chan (chin.) 禅 jap. Zen, wtl. Meditation; chin. Bez. des Zen Buddhismus]-Buddhismus, auf dem Gebiet des Regenmachens offenbar ähnliche Fertigkeiten aufweisen wie die Shingon-Mönche. So soll unter anderem der Kult der Sechzehn Arhats, der ursprünglich aus dem Chan [Chan (chin.) 禅 jap. Zen, wtl. Meditation; chin. Bez. des Zen Buddhismus] stammt und durch den Zen-Buddhismus auch in Japan Verbreitung fand, zur Bitte um Regen eingesetzt worden sein. Als einer der ersten Regenmacher des japanischen Zen vollzog Myōan Yōsai [Myōan Yōsai (jap.) 明菴榮西 1141–1215; Zen-Möch, Begründer des jap. Rinzai Zen. Auch Eisai.] (1141–1215) in offiziellem Auftrag ein berühmtes Regenritual in Kamakura. Als er zu den Drachengöttern betete, stieg, so die spätere Überlieferung, Licht aus seinen Händen und es begann sofort zu regnen.17 Interessanterweise ging Yōsai zwar als Begründer des japanischen Rinzai [Rinzai-shū (jap.) 臨濟宗 Rinzai-Schule des jap. Zen Buddhismus]-Zen in die japanische Religionsgeschichte ein, doch war er zunächst als Shingon-Mönch ausgebildet worden und praktizierte eine Mischung aus Shingon und Zen. Wir können also nicht sicher sein, in welcher dieser beiden Traditionen sein Regenritus tatsächlich stand.
Ein paar Generationen später stößt man jedoch auf eine kōan [kōan (jap.) 公案 Koan, paradoxes Zen-Rätsel]-Anekdote, die zum einen bestätigt, dass Zen für Regenriten in Kamakura herangezogen wurden, zum anderen aber auch eine interne Kritik an derartigen Tendenzen der Verweltlichung zum Ausdruck bringt:
Der chinesisch-stämmige Zen-Mönch Mugaku [Mugaku (jap.) 無学 1226–1286; aus China stammender Zen-Mönch der Kamakura-Zeit] 無学 (1226–1286) wurde während einer Dürre im Jahr 1284 vom Shōgunat beauftragt, ein Regenbitt-Ritual abzuhalten. Vor dem Tsurugaoka Hachiman [Tsurugaoka Hachiman-gū (jap.) 鶴岡八幡宮 repräsentativster Schrein des ehemaligen Shōgunats in Kamakura; Gründung durch die Familie Minamoto, die Hachiman als Ahnengottheit verehrten] Schrein, dem spirituellen Zentrum Kamakuras, errichtete man zu diesem Zweck einen großen Altar. Doch ein Schüler des Mugaku, der diese Art von Ritualismus als zu pompös empfand, sprang plötzlich auf den Altar, entblößte seinen „einäugigen Drachen“, urinierte auf den Altar und verkündete, dies sei die Art des Zen, Regen zu machen. Prompt wurde der Novize von Sicherheitskräften in Gewahrsam genommen, doch als er ins Gefängnis eskortiert wurde, kam es zum lang ersehnten Wolkenbruch. Darauf entschuldigte man sich höflich bei dem jungen Zen-Mönch und setzte ihn wieder auf freien Fuß.18
In der Edo-Zeit begegnet uns die Regen-Kompetenz des Chan/Zen in einer Legende über den chinesischen Chan-Exilanten Engelbert Kaempfer [Kaempfer, Engelbert (west.) 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung] (1651–1716), der Japan in den Jahren 1690 bis 1692 bereiste, berichtet. Yinyuan war wenige Jahrzehnte vor Kaempfers Besuch von China nach Japan ausgewandert und erhielt hier ein eigenes Kloster (den Manpuku-ji [Manpuku-ji (jap.) 萬福寺 Haupttempel des Ōbaku-Zen in Kyōto]), das zum Ausgangspunkt des sogenannten Ōbaku [Ōbaku-shū (jap.) 黄檗宗 Dritte Hauptrichtung des jap. Zen]-Zen wurde. Kaempfer berichtet jedoch lediglich von einem Regenritual, das Yinyuan auf Bitten der Bauern in der Nähe seines Klosters durchführte. Es blieb offenbar im kollektiven Gedächtnis, weil es die erhoffte Wirkung bei Weitem übertraf, sodass sogar kleinere Brücken in der nahen Hauptstadt Kyoto fortgespült wurden.19
隱元 (japanisch Ingen, 1592–1673), die der deutsche ArztDiese Beispiele mögen genügen um zu zeigen, dass sich der Buddhismus spätestens ab dem zehnten Jahrhundert in den staatlich organisierten Methoden des Regenmachens eine Art Monopol sichern konnte. Die Privilegien des Shingon-Buddhismus auf diesem Gebiet weiteten sich im japanischen Mittelalter (12.–16. Jahrhundert) auf andere buddhistische Richtungen wie den Zen-Buddhismus aus, doch die Erwartung, dass man mit buddhistischen Riten das Wetter beeinflussen könne, wurde bis zum Beginn der Moderne selbst von den Eliten des Landes nicht in Frage gestellt.
Regenmachende Dichterinnen
Die Bemerkungen Nichirens haben uns bereits beiläufig darauf hingewiesen, dass sich neben Mönchen und Priestern auch höfische Dichterinnen und Dichter in der Kunst des Regenmachens einen Namen machten. Wie Keller Kimborough in einem Aufsatz von 2005 herausgearbeitet hat, schrieben sich manche dieser Gedichte so tief ins kulturelle Gedächtnis ein, dass sie schließlich sogar als Zauberformeln bei Regenriten Verwendung fanden. Neben den bereits erwähnten Figuren Izumi Shikibu 泉式部 (978–1033) und Nōin Hōshi 能因法師 (998–1050) ist vor allem Ono no Komachi [Ono no Komachi (jap.) 小野小町 825?–900?; Heian-zeitliche Dichterin und Hofdame] 小野小町 (ca. 825– ca. 900) als Pionierin des poetischen Regenmachens zu nennen.
Komachi zählt als einzige Frau zu den Sechs kanonischen Genies (rokkasen [rokkasen (jap.) 六歌仙 die Sechs Dichter-Genies; der Ausdruck bezieht sich auf sechs Dichter aus der klassischen Gedichtanthologie Kokinshū (10. Jh.), nämlich Ōtomo no Kuronushi, Ono no Komachi, Ariwara no Narihira, Kisen, Henjō und Fun’ya no Yasuhide] 六歌仙) des Kokinshū [Kokinshū (jap.) 古今集 erste kaiserlich kommissionierte Anthologie der japanischen waka-Dichtung aus dem 10. Jh.; auch Kokin waka-shū] und verkörpert damit so etwas wie den Urtypus einer höfischen Dichterin. Ihre Biographie ist jedoch weitgehend unbekannt und beruht lediglich auf Anekdoten, die in ihrer persönlichen Anthologie festgehalten sind. Einer dieser Anekdoten zufolge erhielt sie anlässlich einer Dürre den offiziellen Auftrag, ein Gedicht mit der Bitte um Regen an die Götter zu richten. Das Gedicht lautet folgendermaßen:
Mächtige Götter / wenn ihr unsrer gewahr seid / erhebet euch schnell //
Die Schleusen des Himmelsflusses / geruht sie zu öffnen20
Das scheinbar einfach gestrickte Gedicht enthält einen gewissen Hintersinn durch die Tatsache, dass Himmelsfluss (ama no togawa 天の戸河) die Milchstraße bezeichnet. Da das Wort ama aber sowohl Himmel (天) als auch Regen (雨) bedeutet,21 kann ama no togawa auch als Regenfluss verstanden werden. Das Gedicht beschwört also die Himmelsgötter, deren Wohnort am Rande der Milchstraße imaginiert wird, sich ihrer wettergestaltenden Macht zu entsinnen, die ihnen schon kraft der Namensgleichheit von Regen und Himmel zukommt.
Die gleiche Argumentation, die auf dem Schlüsselbegriff des Himmelsflusses, der ebenso ein Regenfluss sein kann, aufbaut, machte sich auch Izumi Shikibu zunutze:
Ursprung der Sonne / diesem Namen entspricht es / dass die Sonne scheint
Doch was wird ohne Regen / aus dem Land unterm Himmel?22
„Ursprung der Sonne“ erhält eine Anspielung auf den Landesnamen Nihon 日本 (sino-japanisch für Sonnenursprung), während „Land unterm Himmel“ (ame ga shita) ebenso das Reich (tenka 天下, wörtlich [Land] unter dem Himmel) wie [das Land] unter dem Regen bedeuten kann. Die Dichterin konzediert also, dass in Japan dem Landesnamen entsprechend immer die Sonne scheinen müsste, wendet aber ein weiteres Wortspiel an, um aus dem Reich unter dem Himmel ein Regenreich zu machen.
Das Himmel=Regen-Schema kommt schließlich in einem zweiten berühmten Regengedicht von Izumi Shikibu zur Anwendung, wo die Dichterin die angesprochene Gottheit mit ihren eigenen Charakteristika regelrecht erpresst:
Oh, wie beschämend! / Der Pflaumenbaum an deinem Zaun / selbst der ist verdorrt! //
Ein Gott des Himmels bist du? / Wer wollte dich so nennen?23
Dieses Gedicht richtet sich an eine spezifische Gottheit, nämlich an Tenman Tenjin [Tenman Tenjin (jap.) 天満天神 Shintō-Gott, Apotheose des Sugawara no Michizane], die vergöttlichte Gestalt des Staatsmannes und Dichters Sugawara no Michizane [Sugawara no Michizane (jap.) 菅原道真 845–903, Heian-zeitl. Staatsmann und Gelehrter; posthum als Tenman Tenjin vergöttlicht, heute Gott der Gelehrsamkeit] (845–903), der im Kitano [Kitano Tenman-gū (jap.) 北野天満宮 Kitano Tenman Schrein (Kyōto); einer der beiden Hauptschreine des Sugawara no Michizane, gegr. 947]-Schrein im Westen Kyotos verehrt wird. Tenman Tenjin bedeutet wörtlich Himmelfüllende Himmelsgottheit. Obwohl er in der Heian-Zeit als ein zürnender Gewittergott imaginiert wurde, blieb unter anderem ein zartfühlendes Gedicht von ihm im Gedächtnis, in dem er seine Sehnsucht nach einem Pflaumenbaum ausdrückte. Pflaumenbäume gehören daher zum Inventar des Kitano-Schreins und die fünfblättrige Pflaumenblüte wurde sein Wappenzeichen. Diese Eigenheiten wurden nun von Izumi Shikibu gegen Tenjin gewendet. Einerseits erinnerte sie ihn an seine Liebe zum Pflaumenbaum, andererseits warf sie ihm vor, den Namen Tenjin, also ama no kami, Himmelsgott/Regengott, nicht verdient zu haben. In dieser Situation blieb Tenjin wohl nichts anderes übrig, als mit einem dreitägigen Regenguss zu antworten.
Verweise
Fußnoten
- ↑ Der vorliegende Artikel ist die überarbeitete Version meines Beitrags für einen Ausstellungskatalog der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, „Die Logik des Regens / Logical Rain“ (Ausstellung 2013–2014) von Wolfgang Scheppe, der allerdings nie veröffentlicht wurde.
- ↑ Kuniyoshis Bild entstammt einer Serie von zehn Illustrationen zu Nichirens Heiligenvita, Kōso goichidai ryakuzu 高祖御一代略図 (Das Leben unseres hohen Ahnen, in Bildern zusammengefasst), die ca. 1835/36 herausgebracht wurde. Das im Kontext der ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit] eher ungewöhnliche Sujet einer religiösen Märtyrerbiografie ist wohl dem Umstand geschuldet, dass sich die Nichiren-Schule unter den Künstlern der Holzschnittkunst und ihrer Klientel, dem städtischen Bürgertum (chōnin oder machishū), einer großen Anhängerschaft erfreute. Auch Katsushika Hokusai [Katsushika Hokusai (jap.) 葛飾北斎 1760–1849; Maler und Zeichner. Bekanntester Verteter des ukiyo-e-Farbholzschnitts] (1760–1849) war ein Anhänger Nichirens und illustrierte einige seiner Wundertaten, während sein Schüler Katsushika Isai 葛飾為斎 (1821–1880) eine illustrierte Biografie Nichirens in Buchform herausgab.
- ↑ Hitachi no kuni fudoki 常陸国風土記 (Chronik der Provinz Hitachi, um 713). Paraphrasiert und übersetzt nach Akimoto Kichirō 秋本 吉郎 (Hg.) Fudoki 風土記 (Nihon koten bungaku taikei 2). Tokyo: Iwanami Shoten, 1958, pp. 54–55; für eine Übersetzung ins Englische s. Michiko Yamaguchi Aoki (Übersetzung), Records of Wind and Earth. A Translation of Fudoki with Introduction and Commentaries, Ann Arbor 1997 (= Association for Asian Studies XII), p. 50.
- ↑ Nihon ryōiki, Erzählung 1/3, übersetzt in Nakamura 1997, S. 105–108.
- ↑ Nihon shoki 24 (Kyōgyoku 1/7/25), zusammengefasst nach Aston 1972, II, S. 174–75.
- ↑ Der erste Ritus fand im Siebenten Monat 683 (Nihon shoki 29, Tenmu 12/7/20) statt, der zweite im Siebenten Monat 688 (Nihon shoki 30, Jitō 2/7/20); Aston 1972, II, S. 360 und 388.
- ↑ Shintō daijiten 神道大辞典 (Große Shinto-Enzyklopädie), Tokyo 1994, Eintrag kiu shiu, S. 347–348.
- ↑ Naumann 1959, S. 190–192.
- ↑ Naumann 1959, S. 190–193 und 234.
- ↑ Ruppert 2002, S. 148.
- ↑ Die früheste Übersetzung ins Chinesische wurde von Dharmakṣema zwischen 414 and 421 angefertigt (DDB, s.v. 大方等無想經). S.a. Ruppert 2002, S. 148, Anm. 14.
- ↑ Schmidthausen 1997, S. 58–63; de Visser 1913, S. 25–28.
- ↑ Strickmann 2002, S. 64; siehe auch S. 102 für Beispiele chinesischer Drachen und Regenmagie aus dem 6. Jh.
- ↑ Kūkai soll, der Shingon-Tradition zufolge, bereits 824 ein erfolgreiches Regenritual im Shinsen’en abgehalten haben. Neuere Forschungen halten diese Behauptung jedoch für eine Fälschung, die dem Bedürfnis des Shingon-Buddhismus geschuldet ist, die Gründerfigur Kūkai zu einem Universalgenie hochzustilisieren. Laut Ruppert (2002, S. 155–57) führte Kūkai zwar wahrscheinlich Regenriten durch, aber nicht im Shinsen’en. Das erste dokumentierte Shingon-Regenritual in diesem Park fand erst 854 unter Leitung eines Schülers von Kūkai statt. Für eine Synopsis der verschiedenen Legenden vgl. de Visser 1913, S. 159–62. Für eine Beschreibung der Shingon-Rituale im Shinsen’en und ihre Verbindung zur Lehre von Yin und Yang (Onmyōdō [Onmyōdō (jap.) 陰陽道 Weg von Yin und Yang; Disziplin der Divination und der magischen Heilkunst; auch on’yōdō oder in’yōdō]) siehe Trenson 2013.
- ↑ Ruppert 2002, S. 165–68. Die Regenrituale im Kaiserpalast scheinen im Jahr 1273 ihr Ende gefunden zu haben (Trenson 2013, S. 116 und 131).
- ↑ Nichiren, Shimoyama goshōsoku 下山御消息 (Brief an Shimoyama), hier zit. nach der Übersetzung in Matsudo 2004, S. 144–45, mit leichten Modifikationen.
- ↑ Faure 1994, S. 277.
- ↑ Kōan (Anekdote) 56 in der Sammlung Shōnan kattō roku 湘南葛藤録 (Verschlingungen aus Süd-Sagami), zusammengefasst nach der englischen Übersetzung: Isshin’s Rainmaking, in: Leggett 2003, S. 141–43. Siehe auch Kraft 1992, S. 62.
- ↑ Wu 2015, S. 163–64.
- ↑ Chihayaburu / kami mo mimasaba / tachisawagi // ama no togawa no / higuchi aketamae; Gedicht 69 aus der Sammlung Komachi-shū (Sammlung der Komachi), zitiert nach Kimbourgh 2005, S. 15; Ü. Bernhard Scheid.
- ↑ Beide Ausdrücke können im klassischen Japanisch sowohl ama als auch ame ausgesprochen werden. Je nach Wortsinn werden natürlich unterschiedliche chinesische Schriftzeichen verwendet. Im modernen Japanisch hat sich ame für Regen eingebürgert, während der Himmel zumeist sora genannt wird.
- ↑ Hi no moto no / na ni au tote ya / terasuran // furazaraba mata / ame ga shita ka wa (Ü. Bernhard Scheid; s.a. Kimbrough 2005, S. 5)
- ↑ Hazukashi ya / igaki no ume mo / karenikeri // ama no kami to wa / ikade iubeki (Ü. Bernhard Scheid; s.a. Kimbrough 2005, S. 13–14)
Bilder
- ^ Diese Episode aus dem Leben Nichirens erzählt von einer großen Dürre, die Kamakura im Jahr 1271 (damals Hauptstadt) heimgesucht hatte. Die Regierung befahl den wichtigsten Tempeln, Regenbitt-Zeremonien (amagoi) durchzuführen, doch nichts half, bis endlich Nichiren auf den Plan trat. Er rezitierte (wie immer) seine schlichte „Anrufung des Lotos Sutra“ (namu myōhō renge kyō) und siehe da, der Regen kam.
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861). Edo-Zeit. The British Museum.
Glossar
- Amagoi Komachi 雨乞小町 ^ „Komachis Bitte um Regen“; Motiv aus dem Leben der Dichterin Ono no Komachi in Nō, Kabuki oder ukiyo-e
- ame no hito 雨の人 ^ „Regenmensch“; jemand, der immer Schlechtwetter mitbringt
- Dayun jing (chin.) 大雲經 ^ Großes Wolken-Sutra; skt. Mahāmegha sūtra, jap. Daiun-kyō; die früheste Übersetzung ins Chinesische wurde von Dharmakṣema zwischen 414 and 421 angefertigt (DDB, s.v. Dafangdeng wuxiang jing 大方等無想經)
- Dōzō 道蔵 ^ koreanischer Mönch aus Baekje, spätes 6. Jh.; im Nihon shoki als Experte des Regenmachens erwähnt
- hare no hito 晴れの人 ^ „Schönwettermensch“; jemand, der immer Schönwetter mitbringt
- Hitachi fudoki 常陸風土記 ^ „Aufzeichnungen von Luft und Erde aus Hitachi“; auch Hitachi no kuni fudoki, 713; Chronik kultureller Bräuche der historischen Provinz Hitachi 常陸, heutige Präf. Ibaraki
- honji suijaku 本地垂迹 ^ wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas
- Izumi Shikibu 和泉式部 ^ 978?–1033?; Hofdame und Dichterin der Heian-Zeit
- Jitō Tennō 持統天皇 ^ 645–703, r. 686–697; 41. japanische Kaiserin
- Kaempfer, Engelbert (west.) ^ 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung
- Kifune Jinja 貴船神社 ^ alter Schrein für eine Wassergottheit im Norden Kyotos; Kifune bedeutet wörtlich „edles Schiff“
- Kimbrough, R. Keller (west.) ^ 1968–; Japanologe an der University of Colorado
- Kitano Tenman-gū 北野天満宮 ^ Kitano Tenman Schrein (Kyōto); einer der beiden Hauptschreine des Sugawara no Michizane, gegr. 947
- Kōgyoku Tennō 皇極天皇 ^ 594–661; weibliche Tennō, r. 642–645; herrschte ein weiteres Mal unter dem Namen Saimei, 655–661
- Mucilinda (skt.) मुचिलिन्द ^ Name eines Drachens, der Buddha Shakyamuni während seiner Meditation vor Regen schützte
- Mujū Ichien 無住一円 ^ 1226–1312; buddh. Mönch und Autor essayistischer und anekdotischer Werke
- Nana Komachi 七小町 ^ „Sieben Komachi“; Gruppe von sieben Motiven aus dem Leben der Dichterin Ono no Komachi
- Naumann, Nelly (west.) ^ 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin
- Nihon/Nippon 日本 ^ Japan; wtl. Sonnenursprungs[land]
- Nihon ryōiki 日本霊異記 ^ „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)
- Niukawakami Jinja 丹生川上神社 ^ alter Schrein für eine Wassergottheit im Süden von Nara;
- Ono no Komachi 小野小町 ^ 825?–900?; Heian-zeitliche Dichterin und Hofdame
- Rinzai-shū 臨濟宗 ^ Rinzai-Schule des jap. Zen Buddhismus
- rokkasen 六歌仙 ^ die Sechs Dichter-Genies; der Ausdruck bezieht sich auf sechs Dichter aus der klassischen Gedichtanthologie Kokinshū (10. Jh.), nämlich Ōtomo no Kuronushi, Ono no Komachi, Ariwara no Narihira, Kisen, Henjō und Fun’ya no Yasuhide
- Ruppert, Brian (west.) ^ Japanologe und Religionshistoriker, Universität Kanagawa, Yokohama
- Shingon-shū 真言宗 ^ Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan
- Shinsen’en 神泉苑 ^ „Garten der göttlichen Quelle“, im Süden des ehem. Kaiserpalastes in Kyōto gelegen;
- Soga no uji 蘇我氏 ^ Soga-Klan, die ersten Förderer des jap. Buddhismus
- Sotoba Komachi 卒都婆小町 ^ „Komachi am Grab“; Motiv aus dem Leben der Dichterin Ono no Komachi, dramatisiert in Nō, Kabuki oder ukiyo-e
- Sugawara no Michizane 菅原道真 ^ 845–903, Heian-zeitl. Staatsmann und Gelehrter; posthum als Tenman Tenjin vergöttlicht, heute Gott der Gelehrsamkeit
- Tenmu Tennō 天武天皇 ^ 631?–686; 40. japanischer Kaiser; (r. 673–686)
- teruteru bōzu 照る照る坊主 ^ wtl. Schönwetter Mönchlein; Puppe, die Schönwetter bringen soll
- Tsurugaoka Hachiman-gū 鶴岡八幡宮 ^ repräsentativster Schrein des ehemaligen Shōgunats in Kamakura; Gründung durch die Familie Minamoto, die Hachiman als Ahnengottheit verehrten
- Utagawa Kuniyoshi 歌川国芳 ^ 1798–1861; Maler und Zeichner. Bekannter Verteter des ukiyo-e-Farbholzschnitts
- Yamata no Orochi 八岐大蛇 ^ Mythologische Schlange (Drache) mit acht Köpfen; wtl. „achtfach gegabelte Schlange“; wird von Susanoo besiegt
- yatsu no kami 夜刀の神 ^ wtl. Götter des Tals; gehörnte Schlangengötter in der Regionalchronik Hitachi fudoki
Kenneth Kraft, Eloquent Zen. Daitō and Early Japanese Zen, Honolulu 1992 Trevor Leggett, Samurai Zen. The Warrior Koans (1985), London 2003 Bernard Faure, The Rhetoric of Immediacy. A Cultural Critique of Chan/Zen Buddhism, Princeton 1994 Kyoko Nakamura, Miraculous Stories from the Japanese Buddhist Tradition. The Nihon ryōiki of the Monk Kyōkai, Cambridge 1997 [1973] Brian Ruppert, Buddhist Rainmaking in Early Japan. The Dragon King and the Ritual Careers of Esoteric Monks, in: History of Religions 42 (2002), Heft 2 Lambert Schmidthausen, Maitrī and Magic. Aspects of the Buddhist Attitude Toward the Dangerous in Nature, Wien 1997 Marinus Willem de Visser, The Dragon in China and Japan, Amsterdam 1913, pp. 25–28. Michel Strickmann, Chinese Magical Medicine, hrsg. von Bernard Faure, Stanford 2002 Steven Trenson, Shingon Divination Board Rituals and Rainmaking, in: Bernard Faure, Nobumi Iyanaga, The Way of Yin and Yang: Divinatory Techniques and Religious Practices (=Cahiers d’Extrême-Asie 21), Paris 2013
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Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
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- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
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„Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001