Yamabushi
Yamabushi, wtl. „die in den Bergen schlafen“, bilden eine locker organisierte Konföderation von Mönchen und Laienbrüdern mit speziellen synkretistischen Riten. Manche ihrer Praktiken lassen sich höchstwahrscheinlich auf einheimische, vor-buddhistische Bergkulte zurückführen, die meisten sind aber stark vom esoterischen Buddhismus (mikkyō) beeinflusst. Äußerlich erkennt man die Bergasketen an ihrer eigenwilligen Mönchstracht, bei der als erstes die charakteristische, in die Stirn gerückte Kopfbedeckung ins Auge fällt. Darüber hinaus tragen viele eine buddhistische Stola (kesa) mit dicken Bommeln und ein Muschelhorn, das einen dumpfen, klagenden Ton von sich gibt.


© Frantisek Staud, 1999, über Internet Archive


© Frantisek Staud, 1999, über Internet Archive
Shugendō


© Princeton University Art Museum
Der Orden der yamabushi nennt sich Shugendō und führt sich auf En no Gyōja, einen legendenumwobenen Asketen und Magier aus der Asuka- und frühen Nara-Zeit (um 700) zurück. Organisierte Bergasketen tauchen allerdings erst in der Heian-Zeit in den Quellen auf und dürften mit dem damaligen Pilgerwesen auf der Halbinsel Kii, südlich von Nara zusammenhängen. Erst nach und nach breitete sich der Orden in ganz Japan aus. Manche yamabushi-Gruppen schlossen sich formal dem Shingon-, andere dem Tendai-Buddhismus an. In jedem Fall war der Einfluss esoterisch-buddhistischer Riten, vor allem aber der Feuerkulte des Fudō Myōō beträchtlich. Da die yamabushi aber auch Schreine für einheimische Berggottheiten unterhielten, entstand eine untrennbare Mischung aus Buddha- und kami-Kulten.
Unter dem Einfluss des Staatsshintō wurde die Tradition des Shugendō in der Meiji-Zeit (1868–1912) verboten, lebt allerdings in jüngerer Zeit in zahlreichen ehemaligen Zentren des Bergasketentums — auf der Halbinsel Kii in Kumano und Yoshino (Kinpusen-ji), auf Berg Takao bei Tōkyō oder auf Berg Haguro in Nord-Japan — erneut wieder auf.
Asketische und magische Riten
Die Riten der yamabushi haben zumeist einen ausgeprägt körperlichen, oft beinahe sportlichen Aspekt: es geht um die Überwindung von Angst, Schmerzen und physischer Erschöpfung, also in erster Linie um die Auslotung körperlicher Grenzen. Goma-Riten, bei denen zu Ehren des Fudō Myōō ein Feuer entzündet und ein bloßfüßiger Gang durch die glühende Asche veranstaltet wird, zählen zu den typischen Aktivitäten der yamabushi, aber auch das Beten unter eiskalten Wasserfällen (takigyō).


© Wada Yoshio, 2006/2/18


© Wada Yoshio, 2004


© Détail des religions, 2014
Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass den yamabushi, ähnlich wie den indischen Yogis, in früherer Zeit magische oder paranormale Fähigkeiten nachgesagt wurden, z.B. die Kunst des Fliegens. Sie waren eng mit den tengu assoziiert, jenen unheimlichen Kobolden, die ihrerseits meist in der Ordenstracht der yamabushi dargestellt werden. Die grundsätzlich ambivalente Haltung gegenüber den tengu, die in Sagen und Legenden sowohl als unheilvolle Bösewichte als auch als tapfere Schwertmeister auftreten, scheint zugleich die traditionelle Haltung gegenüber den yamabushi auszudrücken: sie waren einerseits wegen ihrer magischen Fähigkeiten gefürchtet, konnten andererseits aber als Bergführer und in kriegerischen Zeiten als Elitekämpfer durchaus von Nutzen sein.


© Wada Yoshio, 2002
Heute haben viele yamabushi Veranstaltungen einen exotisch-touristischen Aspekt, in entlegeneren Gegenden werden aber auch traditionelle, mit echter körperlicher Herausforderung verbundene Riten erneut wiederbelebt. Auch in Europa haben sich unter den zahlreichen asiatischen Kampfsportarten Richtungen etabliert, die mit dem Shugendō in Verbindung stehen.
Shamanismus


© H. Johnson, 2005
Yamabushi werden auch mit dem Shamanismus in Verbindung gebracht und waren vor allem in vormoderner Zeit auf Gebieten wie Geisteraustreibung oder Wettervorhersage tätig, die man im weitesten Sinne als „shamanistisch“ bezeichnen könnte. Der größte Teil dessen, was man mit Shamanismus verbindet, nämlich die Kommunikation mit der Welt der Geister, wurde und wird in Japan jedoch von Frauen übernommen. Noch heute gibt es organisierte Geisterbeschwörerinnen, die sich itako nennen und vor allem in Nord-Japan zu finden sind. In der Regel handelt es sich um sehbehinderte Frauen. Die Edo-zeitlichen Vorfahrinnen der itako kooperierten eng mit den yamabushi, nicht selten waren sie auch verheiratet.
Verweise
Verwandte Themen
Internetquellen
- Shiozawa seppu matsuri Wada Yoshio (jap.)
Dokumentation eines winterlichen Wasserfall-Rituals der yamabushi am Fuße des Makihata-yama in den japanischen Alpen. Auf der Website des Fotografen und Amateurvolkskundlers Wada Yoshio finden sich noch etliche weitere Dokumentationen von Shugendō-Riten. - Shugendo Mark Schumacher
Besonders umfangreiche Seite aus Marks umfangreichen Online-Lexikon.
Literatur
Bilder
Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:
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Ein älterer Yamabushi in sitzender Position, Mibu-tera, Kyōto.
© Frantisek Staud, 1999, über Internet Archive - ^
Eine lange Prozession von yamabushi im Mibu-dera, Kyōto.
© Frantisek Staud, 1999, über Internet Archive - ^
Bergasket (yamabushi) beim takigyō unter einem Wasserfall im winterlichen Niigata, tief in den japanischen Alpen.
© Wada Yoshio, 2006/2/18 - ^
Nachdem die Flammen großteils verlöscht sind, bahnen sich die erfahrenen Mönche mit Hilfe von Salz einen Weg durch die Glut (hiwatari). Die Schuhe haben sie natürlich abgelegt.
© Wada Yoshio, 2004
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Initiationsritus der yamabushi, bei dem der Initiand, kopfüber über einem Abgrund schwebend, Fragen beantworten muss, um seine Willenskraft zu demonstrieren.
© Détail des religions, 2014 - ^
Vor dem Kinpusen-ji in Yoshino, einem religiösen Zentrum in den Bergen südlich von Nara, das u.a. auch für den Shugendō (den Glauben der yamabushi) bedeutend ist. (Der yamabushi im Vordergrund rechts ist im übrigen ein Westler!)
© Wada Yoshio, 2002 - ^
Yamabushi in Begleitung eines Shingon-Mönchs sammeln für die Opfer des Tōhoku-Erdbebens 2011 im Stadtzentrum von Kyoto. 2011
© Andy Heather
Glossar
Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite:
- Kumano 熊野 ^ Region im Süden der Halbinsel Kii (Wakayama-ken), bekannt für ihre alten Pilgerzentren (s. Kumano Sanzan)
- Shingon-shū 真言宗 ^ Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan
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Diese Seite:
„Yamabushi.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001