Kamidana: Der shintōistische Hausschrein
Der kamidana ist ein Hausschrein für die kami, die hier zumeist in Form von Papierschildchen oder Talismanen, o-fuda, vertreten sind. Kamidana bedeutet „Götterregal“ und tatsächlich wird der Hausschrein zumeist auf einem erhöhten Regalbrett (tana) aufgebaut. Es handelt sich, wenn man möchte, um das shintōistische Gegenstück zum buddhistischen Ahnenschrein (butsudan), das allerdings nicht in Konkurrenz, sondern komplementär funktioniert, d.h. dass beide in einem Haushalt Platz finden. Der shintoistische Hausschrein ist nicht ganz so weit verbreitet wie buddhistische Hausaltäre, in ländlicheren Gebieten, wo die Leute mehr Platz haben und überhaupt mehr für Religion und Tradition tun, ist er jedoch meist ebenso häufig anzutreffen.
Schematische Darstellung
Oft findet man das hier abgebildete Schema: In der Mitte ein o-fuda von Amaterasu, bzw. Ise, links die Gottheit (bzw. der Schrein), mit der einen eine ganz besondere, persönliche Überzeugung verbindet, rechts die Gottheit des lokalen Schreins (ujigami). Kamidana dienen dem Gedenken an diese Gottheiten. Ihnen zu Ehren stellt man Opfergaben vor den Schrein, dem hier abgebildeten Vorschlag entsprechend Wasser, Reis und Salz. Darüber hinaus können kamidana mit einem Götterseil (shimenawa) oder mit Zickzackpapier (gohei) geschmückt werden. Manche stellen auch einen kleinen runden Spiegel vor ihren Miniaturschrein.





Miniatur-Laterne, Miniaturvasen, Spiegel, gohei-Zickzack Papier (aus Metall)
Kamidana und Butsudan
Kamidana begannen sich in der Edo-Zeit zu etablieren, als immer mehr Prediger aus Ise durch die Lande zogen und bedruckte Zettel (o-fuda) mit den Namen der Ise-Gottheiten in der Bevölkerung verteilten. Um diese einfachen Heiligtümer aufzubewahren benützte man zunächst ein schlichtes Brett, eben ein kamidana, das langsam immer aufwendiger gestaltet wurde. Ebenso wie im Fall der butsudan kam es aber erst ab der Meiji-Zeit (1868–1912) zu einer landesweiten Verbreitung und Standardisierung. Zu dieser Zeit wurde die Bildung von Gläubigengemeinden (ujiko) um lokale Schreine stark forciert. Es gab und gibt auch Versuche, rund um die kamidana eine shintōistische Form der Ahnenverehrung zu entwickeln. Dem steht allerdings der weit verbreitete Brauch entgegen, bei einem Todesfall den shintōistischen Hausaltar mit weißen Tüchern zu verhängen, damit die kami nicht mit der Unreinheit (kegare) des Todes konfrontiert werden. Dieses Tabu ist ein Indiz dafür, dass das Begräbnis und davon abgeleitet der gesamte Bereich des Totenkults seit langem als Domäne des Buddhismus angesehen wird. Dieser Gepflogenheit entsprechend ist der butsudan bei weitem beliebter, wenn es um das Gedenken an die Toten und die Ahnen geht. Da dies, wie schon gesagt, der wichtigste Bereich häuslicher Religion ist, wird dem butsudan meist mehr Bedeutung beigemessen als dem kamidana.
Der Gebrauch von butsudan und kamidana kann auch als ein Indiz herangezogen werden, ob und wie sehr sich moderne Japaner zu den traditionellen Religionen Japans hingezogen fühlen. Jüngeren quantitativen Untersuchungen zufolge besitzen 40 bis 50% aller japanischer Haushalte einen Hausschrein. Nur 35% dieser kamidana werden von ihren Besitzern täglich mit Riten bedacht, die große Mehrheit widmet sich dem Hausschrein nur an einigen hohen Feiertagen, während er für etwa 13% einen Ziergegenstand ohne rituelle Bedeutung darstellt. Die Aufmerksamkeit gegenüber den buddhistischen Altären liegt im Vergleich dazu signifikant höher: 60 bis 80% aller Haushalte besitzen demnach einen butsudan, 56% aller butsudan werden mindestens einmal täglich rituell bedacht, und nur knapp 2% erfahren keine rituelle Zuwendung.1
Verweise
Fußnoten
- ↑ S. dazu Roemer 2012.
Literatur
Bilder
Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:
Glossar
Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite:
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Tengu
- Oni und kappa
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Inquisition
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Denken
- 八 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Bilder, Glossare
Diese Seite:
„Kamidana: Der shintōistische Hausschrein.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001