Batō Kannon: Kannon mit dem Pferdekopf
Im esoterischen Buddhismus, der vor allem während des japanischen Mittelalters großen Einfluss besaß, konnte selbst der ansonsten so milde Bodhisattva Kannon die erschreckenden Züge eines myōō annehmen. Diese Figur wird in Japan als Batō Kannon, „Pferdekopf-Kannon“, manchmal auch als Batō Myōō bezeichnet. Neben den Standardattributen zornvoller esoterischer Figuren (drei Gesichter, zahlreiche Arme, Raubtierzähne, magische Waffen) lässt sich Batō Kannon zumeist anhand eines kleinen Pferdekopfes identifizieren, der oberhalb des mittleren Gesichts als Kopfputz angebracht ist.


© Museum of Fine Arts, Boston


© Ryukoku University Library


© Shimotsuke Original Online News, über Internet Archive


© Tōkyō Geijutsu Daigaku Bijutsukan


© The Tale of Genji, 2006
Hayagriva
Kannon mit dem Pferdekopf lässt sich — wie so oft — auf eine indische Urform zurückführen: Unter den Manifestationen des Gottes Vishnu gibt es ebenfalls eine mit Pferdekopf, genannt Hayagriva. Zugleich existiert auch ein pferdeköpfiger Dämon namens Hayagriva, der von Vishnu zu Fall gebracht wird.1 In jedem Fall ist dieser Pferdekopf eng mit der Tradition des Vishnuismus verbunden.
Aber erst im esoterischen Buddhismus erhielt die Figur die Standardattribute einer zornvollen Gottheit, die heute vor allem in Tibet und der Mongolei, aber auch in Japan zu finden ist. In der geläufigsten Form besitzt der buddhistische Hayagriva drei Gesichter, sechs Arme und einen (bzw. in Tibet drei) Pferdeköpfe als Kopfputz (s. dazu auch ähnliche Beispiele von Vajrapani und Mahakala). Der früheste Text, in dem diese Form des Bodhisattva Avalokiteshvara beschrieben wird, ist das esoterische Dharani-Sutra, das nur in einer chinesischen Fassung aus dem Jahr 654 bekannt ist. Diesem Text zufolge erhoffte man sich von Batō Kannon besonderen Schutz vor giftigen Schlangen und Insekten oder vor Krankheiten.


© Himalayan Art
Batō Kannon und die Pferde
Sowohl in Japan, als auch in Tibet und der Mongolei wird Kannon mit dem Pferdekopf auch um den Schutz von Pferden und anderen Nutztieren angebetet. Dies scheint aber nicht die ursprüngliche Aufgabe Batō Kannons gewesen zu sein. Als eine der sechs Kannon-Manifestationen, die in der späten Heian-Zeit mit den Sechs Bereichen der Wiedergeburt (rokudō) in Übereinstimmung gebracht wurden, ist Batō Kannon vielmehr für alle Wesen, die als Tiere wiedergeboren werden, zuständig. Erst als der besondere Glaube an diese sechs Manifestationen seinen Höhepunkt überschritten hatte, scheinen sich Pferdezüchter und Transportunternehmer die Figur der Kannon mit dem Pferdekopf als Schutzpatron auserkoren zu haben.
Heute ist Batō Kannon in Japan weitgehend in Vergessenheit geraten und wird nur noch in wenigen großen Tempeln verehrt. Doch findet man ihn immer wieder in Form einfacher Steinskulpturen aus der Edo-Zeit, die mündlichen Lokaltraditionen zufolge damals die Bitten von Reisenden um eine sichere Fahrt entgegennahmen oder als Gedenkstätten besonders verdienstvoller Pferde errichtet wurden. Obwohl auf diesen Steinskulpturen noch Elemente der esoterischen Ikonographie erkennbar sind, haben sie meist alle schreckenerregenden Züge verloren. Bisweilen tritt Batō Kannon auch als einfache menschliche Figur mit einem Pferdekopf auf.


© Sarashina Renesansu (j.)




© Japanese Buddhist Statuary, Mark Schumacher, 1999


© Bushū chiiki isan tankyūkai
Die Ikonographie der Steinskulpturen lässt sich auch an den o-fuda (Talismanen) diverser Tempel erkennen, in denen Batō Kannon verehrt wird:


© Benedetta Lomi, CJRS Newsletter 1/2007


© Benedetta Lomi, CJRS Newsletter 1/2007


© Benedetta Lomi, CJRS Newsletter 1/2007


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Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Zu den vielfältigen Möglichkeiten, wie die Figur des Hayagriva in Indien u.a. von philosophischen Schulen „wiederverwertet“ wurde, siehe Freschi.
Internetquellen
- Batou Kannon (en.)
Eintrag auf Japanese Architecture and Art Net Users System (JAANUS).
Literatur
Bilder
Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:
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Im oberen Teil des Kopfes des Batō Kannon ist undeutlich ein Pferd zu erkennen. Heian-Zeit, 12. Jh.
© Museum of Fine Arts, Boston - ^
Kannon in Form eines esoterischen myōō mit Pferdekopf (Batō Kannon). Die Abbildung stammt aus einer Edo-zeitl. Kopie des ältesten japanischen Handbuchs der buddhistischen Ikonographie (Zuzōshō 図像抄, „Abriss von Skizzen [buddhistischer] Statuen“, 12. Jh.). Edo-Zeit
© Ryukoku University Library - ^
Achtarmiger Batō Kannon des Tempels Rinnō-ji in Nikkō, während der Restaurierungsarbeiten im Jahr 2015. Die Teile der Statue wurden einzeln behandelt und hier erneut wieder zusammengesetzt. Die Statue ist Teil einer Dreiergruppe, bestehend aus Amida, Senju Kannon und eben Batō Kannon. Edo-Zeit, 1565
© Shimotsuke Original Online News, über Internet Archive - ^
Heian-zeitliche Darstellung des Batō Kannon. Heian-Zeit
© Tōkyō Geijutsu Daigaku Bijutsukan - ^
Batō Kannon mit weißem Pferdekopf und drei zornvollen Gesichtern. Station 29 der „Westlichen Kannon Pilgerroute“. Diese Staue ist ein „Geheimer Budda“ (hibutsu) und wird nur alle 77 Jahre einmal hergezeigt. Der Tempel selbst beruft sich auf eine Gründungslegende, laut der Kannon mit dem Pferdekopf hier in der Nara-Zeit erschienen sein soll. Edo-Zeit
© The Tale of Genji, 2006 - ^
Im Unterschied zu japanischen Darstellungen (vgl. Batō Kannon) besitzt dieser Hayagriva drei Pferdeköpfe als Kopfputz. Tibet, 16. Jh.
© Himalayan Art
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Der hinduistische Gott Vishnu in einer Manifestation mit Pferdekopf. Sambor Prei Kuk, Kambodscha, 10. Jh.
© Bernhard Scheid, 2015 - ^
Volkstümliche Darstellung des Batō Kannon (Kannon mit Pferdekopf).
© Sarashina Renesansu (j.) - ^
Steinstatue des Batō Kannon. Meiji-Zeit, 1897
- ^
Steinstatue des Batō Kannon. 1850
© Japanese Buddhist Statuary, Mark Schumacher, 1999 - ^
Seltene Darstellung des Batō Kannon als Pferd in Mönchstracht. Edo-Zeit, 1823
© Bushū chiiki isan tankyūkai
Glossar
Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite:
- Avalokiteśvara (skt.) अवलोकितेश्वर ^ „Herr, der [die Welt] unten wahrnimmt“ (jap. Kannon 観音 oder Kanzeon 観世音), Bodhisattva
- Dhāraṇīsamuccayasūtra (skt.) धारणीसमुच्चयसूत्र ^ esoterisches Sutra, chin. Fassung aus 654 (jap. Darani-kyō 陀羅尼經 oder Darani-jikkyō 陀羅尼集經)
- Kannon 観音 ^ auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt
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„Batō Kannon: Kannon mit dem Pferdekopf.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001