Höllen und Hungergeister
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Höllen·bilder existierten in Japan wohl schon im frühen Buddhismus, konkret ausgestaltet wurden sie aber erst ab der späten Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit. Sie ent·wickel·ten sich be·zeich·nen·der·weise Hand in Hand mit den Paradies·vor·stellungen des Reinen Landes. Diese Jenseits·darstellun·gen lassen wenig Zweifel, dass die meisten Ver·stor·be·nen, die nicht zur Er·leuch·tung fanden bzw. in Amidas [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)] Reines Land erret·tet wurden, mit schreck·li·chen Tor·tu·ren zu rech·nen hat·ten. Oft werden sie schon wäh·rend der Befra·gung vor dem Ge·richts·hof Enmas [Enma (jap.) 閻魔 skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen] ge·fol·tert, um schließ·lich in einer der Höllen zu landen, wo sie von ge·hörn·ten Dämo·nen auf jede er·denk·liche Weise gequält werden.
Späte Edo-Zeit, 19. Jh. The British Museum.
Ähnlich wie etwa auf den Bil·dern des Hieronymus Bosch [Bosch, Hieronymus (west.) 1450–1516; niederländischer Maler, bekannt für seine apokalyptischen Höllendarstellungen] gibt es auch im Buddhismus spe·zielle Höllen·be·reiche für spe·zielle Sünden. Für laster·hafte Männer gibt es einen Dor·nen·baum, auf dem eine schöne Frau sitzt. Wer zu ihr hin·auf·klet·tern will, wird auf den Dornen auf·ge·spießt. Für Frauen gibt es wiederum den Blut·see (chi no ike [chi no ike (jap.) 血の池 Blutsee; für Frauen vorbehaltener Bereich der buddhistischen Hölle]). Dass verstorbene Frauen in diesem Blutsee ziellos umherschwimmen müssen, steht expli·zit mit der durch Menstrua·tion ver·ur·sach·ten „Verun·rei·ni·gung“ in Zu·sam·men·hang. Andere Sünder werden zwischen Felsen zer·malmt, mit glü·hen·den Zangen trak·tiert, von wilden Tieren und Monstern an·ge·fal·len und in großen Kes·seln gegart. (Siehe dazu auch Osore-zan, der „Angstberg“.)
O-bon und die Hungergeister
Vorlage:Sidebox3 Gebete und Rituale können dazu beitragen, Ver·stor·bene von den Höllenqua·len zu befreien. In der Tat wurde und wird ein be·deu·ten·der Teil buddhis·tischer Zeremo·nien zu diesem Zweck ab·ge·hal·ten. Bei·spiel·haft ist die Geschichte des Mönchs Mokuren [Mokuren (jap.) 目連 Schüler des Buddha; skt. Maudgalyayana; errettet seine Mutter aus der Hölle], (skt. Maudgalyayana [Maudgalyāyana (skt.) मौद्गल्यायन Schüler des Buddha; mit übersinnlichen Fähigkeiten begabt, war es ihm möglich, die Unterwelt zu besuchen; in ostasiatischen Versionen seiner Legende errettet er dort seine Mutter (jap. Mokuren 目連)]), ein Schü·ler des Buddha [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)], der durch seine Exer·zi·tien und Ge·bete die Ret·tung seiner Mutter aus der Hölle er·wirkte. Später wurde die Legende der·ge·stalt aus·ge·baut, dass Moku·ren per·sön·lich auf der Suche nach seiner Mutter die Hölle durch·querte.
Diese Legende bildet den Ursprung des Bon Fests, das heute zu Ehren der Ahnen mitte August ge·feiert wird. Bon ist die Abkür·zung von urabon [urabon (jap.) 盂蘭盆 Ursprünglicher (buddhistischer) Name des Bon-Fests, abgeleitet von ullambana], ab·ge·lei·tet von skt. ullambana [ullambana (skt.) उल्लम्बन „Herab hängend“, Name eines (apokryphen) Sutras (jap. urabon 盂蘭盆)], was „herab hän·gen“ bedeu·tet. Dieser Begriff soll auf die Tor·tu·ren der Hölle bezo·gen sein. Seinem ur·sprüng·li·chen Sinn nach ist O-bon also eine re·ligiöse Zere·monie, um die Ahnen von den Qualen der Hölle, bzw. aus einem der niede·ren Be·reiche der Wieder·ge·burt zu befreien.
In China und Taiwan, wo das Urabon (Chin. yulanpen) Fest ursprünglich entstand, ist es auch als Fest der Hungri·gen Geis·ter be·kannt (nach einer Version wurde Mokurens Mutter näm·lich zu einem Hunger·geist). Auch in Japan brachte man in frühe·rer Zeit zum Bon-Fest Nah·rungs·opfer für die Hun·ger·geis·ter (gaki [gaki (jap.) 餓鬼 Hungergeist; skt. preta]) dar. Die Vor·stel·lung der Hun·ger·geis·ter wurde offen·bar zu·sam·men mit der Hölle Ende der Heian-Zeit popu·lär. Illus·trierte Bild·rol·len (Gaki zōshi [Gaki zōshi (jap.) 餓鬼草紙 Illustrierte Querbildrollen der Hungergeister]) erläu·tern, was man sich unter Hun·ger·geis·tern vor·zu·stel·len hat. Diese spin·del·dür·ren Wesen mit den auf·ge·quol·le·nen Bäu·chen sind zugleich Mit·leid und Ekel erre·gend. Sie ernäh·ren sich von Kot, Urin und Lei·chen·teilen, sind aber bestän·dig hungrig und durs·tig, und werden außerdem von ande·ren Geis·tern drang·sa·liert. Sie ver·kör·pern die Exis·tenz·form, in die man hin·ein·gebo·ren wird, wenn man gierig war. Dass man gerade diesen Geistern ein be·son·de·res Fest be·rei·tete, hängt viel·leicht damit zu·sam·men, dass Gier eine so uni·ver·selle mensch·liche Eigen·schaft ist. Dem·nach kann es leicht sein, dass man selbst einmal als Hun·ger·geist wie·der·gebo·ren wird. Ande·rer·seits wirken die Dar·stel·lun·gen der gaki so, als würden diese die Un·rein·heit per·soni·fi·zieren. In den Zere·mo·nien für das See·len·heil der gaki könnte also auch das Motiv mit·schwin·gen, sich selbst von Unrein·heit zu befreien, indem man die gaki zum Ver·schwin·den bringt.
Verweise
Verwandte Themen
Internetquellen
- Gaki zōshi, National Institutes for Cultural Heritage
Mehrsprachig dokumentierte Präsentation einer Bildrolle zum Thema Hungergeister. Teil der Bild-Datenbank von „nationalen Kulturschätzen“ E-kokuhō. - Nihon zenkoku Sai-no-kawara meguri (jap.)
Verschiedene Sai-no-kawara Kultstätten in ganz Japan.
Bilder
- ^ Nach einer Vorlage aus dem 13. Jahrhundert. Verschiedene Bereiche der Hölle (jigoku), in denen tierartige Folterknechte die Seelen der Toten mit allen erdenklichen Foltern und Torturen drangsalieren.
Späte Edo-Zeit, 19. Jh. The British Museum.
Glossar
- Bosch, Hieronymus (west.) ^ 1450–1516; niederländischer Maler, bekannt für seine apokalyptischen Höllendarstellungen
- chi no ike 血の池 ^ Blutsee; für Frauen vorbehaltener Bereich der buddhistischen Hölle
- Gaki zōshi 餓鬼草紙 ^ Illustrierte Querbildrollen der Hungergeister
- Go-Shirakawa Tennō 後白河天皇 ^ 1127–1192; 77. Kaiser von Japan (r. 1155–1158); stellte vor allem als Exkaiser im Mönchsstand ein wichtiges politisches Gegengewicht zu den Diktatoren Taira no Kiyomori und Minamoto no Yoritomo dar
- Jigoku zōshi 地獄草紙 ^ Bildrollen der Hölle; im zwölften Jh. angefertigte Illustrationen von verschiedenen Bereichen der Hölle (jigoku), heute in zwei fragmentarischen Varianten bekannt
- Kasuga gongen kenki 春日権現験記 ^ illustrierte Chronik des Kasuga Taisha, des Ahnenschreins der Adelsfamilie Fujiwara, aus der Kamakura-Zeit (1309); das Original im Besitz des Kaiserhauses ist unzugänglich, existiert aber in Kopien aus dem 19. und 20. Jh.
- Katsushika Hokusai 葛飾北斎 ^ 1760–1849; Maler und Zeichner. Bekanntester Verteter des ukiyo-e-Farbholzschnitts
- Kitano tenjin engi emaki 北野天神縁起絵巻 ^ Sammelbegriff für eine Reihe von illustrierten Herkunftslegenden (engi) des Kitano Tenman-gū, die ab dem 13. Jh. in leicht unterschiedlichen Varianten hergestellt wurden
- Nihon ryōiki 日本霊異記 ^ „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)
- Qishi jing (chin.) 起世経 ^ chinesisches sutra aus dem 6. Jh., wtl. „Sutra von der Entstehung einer [besseren] Welt“; jap. Kise-kyō
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„Höllen und Höllenbilder.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001