Ordnungssysteme im buddhistischen Pantheon
Orientierungen in der verwirrenden Vielfalt buddhistischer Figuren und Motive zu finden ist nicht leicht, doch liefert der Buddhismus selbst zu diesem Zweck verschiedene Kategorien und visuelle Codes, die auf dieser Seite behandelt werden. Zunächst werden traditionelle Gruppierungen von Buddha-Figuren vorgestellt; dann folgen Handgesten, durch die sich einzelne spezifische Buddha-Figuren identifizieren lassen; und schließlich werden Aussehen und Funktion von Mandalas erläutert.
Gruppierungen
In der buddhistischen Kunst Japans gibt es vier hierarchisch angeordnete Kategorien von verehrten buddhistischen Wesen: nyorai [nyorai (jap.) 如来 Buddha-Titel; skt. tathagata] (Buddha), bosatsu [bosatsu (jap.) 菩薩 Bodhisattva, buddhistische Heilsgestalt] (Bodhisattva), myōō [myōō (jap.) 明王 wtl. Licht-König, auch „Mantra-König“ oder „Weisheits-König“; meist zornvoll dargestellte Schutzgottheit; skt. vidyaraja] (Vidyaraja) und tenbu [tenbu (jap.) 天部 Gruppe der indischen bzw. aus Indien übernommene Gottheiten im japanischen Buddhismus (skt. deva)] (Deva). Will man die visuellen Unterschiede zwischen diesen Gruppen auf einen Punkt bringen, so könnte man sagen, dass mildtätige, aber in sich gekehrt Figuren an der Spitze stehen, und dass die Figuren zunehmend aktiver und nicht selten sogar aggressiv wirken, je weiter unten sie in der Hierarchie angesiedelt sind.
Nyorai oder Buddha-Gruppe
Edo-Zeit, 1702. Ryukoku University Library.
Nyorai [nyorai (jap.) 如来 Buddha-Titel; skt. tathagata] ist ein Ehrentitel eines Buddhas, die Übersetzung von skt. tathagata [tathāgata (skt.) तथागत „Der so Gekommene“, Ehrentitel eines Buddhas (jap. nyorai 如来)]. Buddhas sind streng genommen keine Götter, stehen aber an der Spitze des Pantheons und werden daher ähnlich wie Götter dargestellt. Trotz der verschiedenen Namen sind die meisten Buddhas äußerlich (und wohl auch innerlich) beinahe identisch. Ihre ikonographischen Merkmale sind ein einfaches Mönchsgewand, entspannte Körperhaltung, entspannte Gesichtszüge, kein (oder kaum) Schmuck. Buddhas sitzen häufig im Meditations- oder Lotos-Sitz, zumeist auf einer stilisierten Lotos-Blüte, es gibt aber auch stehende Buddha-Statuen, die dann meistens von zwei Bodhisattvas flankiert sind. Die Darstellung des Körpers ist im Allgemeinen schlicht und realistisch. Ostasiatische Buddhas neigen mitunter ein wenig zur Fülle, man darf sie allerdings nicht mit dem dickbäuchigen „Lucky Buddha“ verwechseln. Dieser ist eine spezielle Figur namens Hotei [Hotei (jap.) 布袋 Glücksgott; Manifestation von Bodhisattva Maitreya; chin. Budai], die im Kontext der Sieben Glücksgötter genauer besprochen wird.
In den buddhistischen Schriften werden allen Buddhas 32 Merkmale zugesprochen, durch die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen unterscheiden. In den bildlichen Darstellungen sind davon zwar meist nicht alle berücksichtigt, was aber fast immer zu sehen ist, sind der Schädelauswuchs (Sitz besonderer spiritueller Fähigkeiten); das Stirnmal (eigentlich eine weiße leuchtende Haarlocke zwischen den Augenbrauen, meist als kleine Erhebung dargestellt); oder die lang gedehnten Ohrläppchen.
Nur wenige Buddhas besitzen individuelle Merkmale. Daher lassen sie sich oft nur durch unterschiedliche Handzeichen (mudra [mudrā (skt.) मुद्रा „Siegel“, Gebetsgeste (jap. inzō 印相)]) unterscheiden (s.u.). In diesem Kapitel wird auf die Buddhas Amida, Dainichi und Shaka genauer eingegangen. Besonders im japanischen Altertum war neben diesen auch Yakushi Nyorai [Yakushi Nyorai (jap.) 薬師如来 Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru], der „heilende Buddha“ oder „Buddha der Medizin“ von großer Bedeutung.
Bosatsu oder Bodhisattva-Gruppe
Werk von Ingen. Kamakura-Zeit, 14. Jh. Kūkai mandara: Kōbō Daishi to Kōya-san (Katalog), Reihōkan 2006, S. 116, Abb. 41-1.
Das Wort bosatsu [bosatsu (jap.) 菩薩 Bodhisattva, buddhistische Heilsgestalt] geht auf den Sanskritbegriff Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)] zurück und bedeutet „Erleuchteter“. Bodhisattvas sind eine Schöpfung des Mahayana [Mahāyāna (skt.) महायान „Großes Fahrzeug“, buddhistische Richtung (jap. daijō bukkyō 大乗)] Buddhismus und verkörpern nach dieser Lehre die unmittelbare Vorstufe zur Existenz als Buddha. Funktionell sind sie in mancher Hinsicht mit christlichen Heiligen zu vergleichen. Mit ihrer Hilfe versuchte der Mahayana Buddhismus — im Gegensatz zu den ältesten buddhistischen Schulrichtungen — den Weg zur Buddhawerdung auch für die buddhistischen Laien gangbar und attraktiv erscheinen zu lassen.
Bodhisattvas sind zwar vollkommen erleuchtet, aber noch nicht ins Nirvana [Nirvāṇa (skt.) निर्वाण „Erloschen, ausgelöscht“, Ort der Erlösung von allem Leid, absolutes Jenseits (jap. Nehan 涅槃)] eingegangen, und stehen somit gleichsam mit einem Bein im Diesseits. Sie sind leichter zugänglich als die weltabgewandten Buddhas. Voll von mildem Verständnis für menschliche Schwächen sind sie jederzeit bereit, den Gläubigen bei der Überwindung schlechten Karmas [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. gō 業)] zur Seite zu stehen.
Zu den bekanntesten japanischen Bodhisattvas zählen Kannon Bosatsu [Kannon Bosatsu (jap.) 観音菩薩 Bodhisattva Avalokiteshvara, wtl. „der den Klang der Welt erhört“; „Bodhisattva des Mitleids“; s.a. Kannon, Guanyin;], Jizō Bosatsu [Jizō Bosatsu (jap.) 地蔵菩薩 Bodhisattva (Bosatsu); skr. Kṣitigarbha, „Speicher oder Mutterleib der Erde“ (vgl. Jizō)], Seishi Bosatsu [Seishi Bosatsu (jap.) 勢至菩薩 Bodhisattva Mahasthamaprapta; Begleiter Amidas] und Fugen Bosatsu [Fugen Bosatsu (jap.) 普賢菩薩 Bodhisattva Samantabhadra; Begleiter des Shaka Nyorai]. Oft wirken sie prächtiger als Buddhas, auch können sie vier, sechs oder gar „tausend“ Arme besitzen und sind mit zahlreichen Schmuckstücken und Gegenständen ausgestattet. Ähnlich den christlichen Heiligen kann ein Bodhisattva die Hauptverehrungsfigur eines Tempels (honzon [honzon (jap.) 本尊 Hauptheiligtum eines Tempels]) darstellen. Daher sind Bodhisattvas im allgemeinen Bewusstsein der Japaner ebenso bekannt und oft sogar populärer als so mancher Buddha. Wenn sie aber mit Buddhas zusammen dargestellt sind, wird allein durch die Größenunterschiede klar, wer höher steht. In diesem Kapitel wird auf Kannon und Jizō genauer eingegangen.
Myōō oder Vidyārāja-Gruppe
Edo-Zeit, 1702. Ryūgoku University Library.
Myōō [myōō (jap.) 明王 wtl. Licht-König, auch „Mantra-König“ oder „Weisheits-König“; meist zornvoll dargestellte Schutzgottheit; skt. vidyaraja] (skt. vidyaraja [vidyārāja (skt.) विद्याराज „Mantra-König, Weisheits-König“, Kategorie zornvoller Schutzgottheiten im Buddhismus (jap. myōō 明王)]), die sogenannten „Weisheits-Könige“, tragen im Unterschied zu Buddhas und Bodhisattvas fast immer grimmige Züge und Waffen. Der in Japan bekannteste Weisheits-König ist Fudō Myōō [Fudō Myōō (jap.) 不動明王 prominentester japanischer myōō (Mantra-König), wtl. „der Unbewegliche“], man trifft aber auch immer wieder auf Aizen Myōō [Aizen Myōō (jap.) 愛染明王 wtl. Mantra-König der Liebe; einer der bekanntesten myōō Japans], oder die Gruppe der Fünf Großen Myōō. Obwohl manche myōō durchaus an christliche Teufel und Dämonen erinnern, darf man nicht den Fehler begehen, sie als böse oder sündhaft anzusehen. Sie bilden mit den Buddhas ein System, das milde und strenge Wege kennt, um die Lebewesen auf den rechten Weg zu führen.
Myōō spielen vor allem im esoterischen Buddhismus (mikkyō [mikkyō (jap.) 密教 esoterischer Buddhismus, Tantrismus; wtl. geheime Lehre; Gegenstück zu kengyō; in Japan vor allem durch den Shingon, aber auch durch Teile des Tendai Buddhismus vertreten]) eine wichtige Rolle. Sie gelten hier streng genommen nicht als eigene Gestalten, sondern als zornvolle, furchteinflößende Erscheinungsformen von Buddhas und Bodhisattvas. Da diese Erscheinungsformen allerdings unter Namen bekannt sind, die keine Rückschlüsse auf den eigentlichen Buddha oder Bodhisattva zulassen, bilden sie ikonographisch und rituell eine eigene Figurengruppe. Buddhistisch ausgedrückt: der unerleuchtete Laie nimmt sie als individuelle Figuren war, der Eingeweihte erkennt sie als Aspekte eines Buddhas. Mehr dazu auf der Seite Fudō Myōō &Co.
Tenbu oder Deva-Gruppe
Werk von Sugawara Mitsushige. Kamakura-Zeit. Metropolitan Museum of Art.
Die Angehörigen dieser Gruppe sind ursprünglich indische Götter (deva [deva (skt.) देव „Gottheit“, oberste Klasse indischer Götter (jap. -ten 天 oder tenbu 天部)]), die der Buddhismus als Beschützer des Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. hō 法)] in sein Pantheon aufnahm und als solche nach Ostasien brachte. Der Begriff „deva“ wurde in China meist mit tian (jap. -ten [-ten (jap.) 天 wtl. Himmel; Göttertitel für eine eine aus Indien übernommene Gottheit (skt. deva)]), wtl. „Himmel“, übersetzt, daher spricht man auch von der „Himmels-Gruppe“ (tenbu [tenbu (jap.) 天部 Gruppe der indischen bzw. aus Indien übernommene Gottheiten im japanischen Buddhismus (skt. deva)]). Manche devas werden aber auch, gleich den myōō, als „König“ (ō) bezeichnet. Zu den bekanntesten zählen Enma-ten [Enma (jap.) 閻魔 skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen], Bishamon-ten [Bishamon-ten (jap.) 毘沙門天 Himmelswächter des Nordens, Glücksgott; abgeleitet von einem indischen Gott des Reichtums, Vaishravana] oder die niō [niō (jap.) 仁王 Wächterfigur, Torwächter].
Tenbu haben meistens etwas Männlich-Soldatisches und erfüllen Wächterfunktionen (z.B. Wächter des Tempeltores). Ikonographisch ist die Grenze zwischen diesen Wächtern und den myōō fließend. Im Unterschied zu den oben besprochenen Gruppen gibt es unter den tenbu aber auch weibliche Figuren, wie z.B. Benzaiten [Benzaiten (jap.) 弁才天/弁財天 Glücksgöttin im Ensemble der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); Gottheit des Wassers, der Musik und der Beredsamkeit; skt. Sarasvati; auch: Benten], die mit sehr femininen Zügen ausgestattet sind. Manche tenbu sind darüber hinaus im Laufe der Geschichte in Japan zu populären Glücksgöttern (fukujin [fukujin (jap.) 福神 Glücksgottheit; Gottheit, die für spezifische Formen des irdischen Glücks (Reichtum, Gesundheit, Kinder, ...) angebetet wird; s.a. Shichi Fukujin]) mutiert und haben dabei ihre schreckenerregenden Züge verloren. Mehr dazu auf der Seite Wächtergötter und andere gestrenge Herren.
Handgesten
Eine mudra [mudrā (skt.) मुद्रा „Siegel“, Gebetsgeste (jap. inzō 印相)] (jap. inzō [inzō (jap.) 印相 Handzeichen, skt. Mudrā] oder -in) ist ein Handzeichen oder eine Geste mit konkreter symbolischer Bedeutung. Zumeist verweist eine mudra auf eine bestimmte Tätigkeit eines Buddhas (Predigt, Meditation, etc.). In der buddhistischen Plastik unterstützen mudras die Aussagekraft einer Figur und sind ein oft unverzichtbares Merkmal, um Buddhastatuen ikonographisch zu unterscheiden. Doch nicht nur Statuen formen mudras, auch Mönche und Gläubige verwenden sie im täglichen Ritual oder Gebet. Selbst die alltägliche Geste des Händefaltens gilt als eine mudra (gasshō-in [gasshō-in (jap.) 合掌印 Mudrā des Händefaltens]). Besonders bedeutsam sind mudras im esoterischen Buddhismus (mikkyō [mikkyō (jap.) 密教 esoterischer Buddhismus, Tantrismus; wtl. geheime Lehre; Gegenstück zu kengyō; in Japan vor allem durch den Shingon, aber auch durch Teile des Tendai Buddhismus vertreten]), wo sie mit speziellen Gebetsformeln (mantra [mantra (skt.) मन्त्र Gebetsformel (jap. shingon 真言)]) und Mandalas (s.u.) kombiniert werden, um bestimmte buddhistische Gestalten zu visualisieren, bzw. mit ihnen zu verschmelzen.
Bekannte mudras
Späte Heian-Zeit, 12. Jh. Museum of Fine Arts, Boston (Denman Waldo Ross Collection).
Mudra der Furchtlosigkeit und der Erfüllung, semui-in [semui-in (jap.) 施無畏印 Mudra der Furchtlosigkeit], segan-in [segan-in (jap.) 施願印 Mudra der Schwurerfüllung]: Die Rechte wehrt Böses ab/beschützt Gutes, die Linke gibt, was erbeten wurde; typische Geste des historischen Buddha, Shaka Nyorai [Shaka Nyorai (jap.) 釈迦如来 jap. Name des historischen Buddha, Shakyamuni].
Mudra des Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. hō 法)]-Rad-Drehens, tenbōrin-in [tenbōrin-in (jap.) 転法輪印 Mudrā des Dharma-Rad-Drehens; Symbol für eine Predigt]: Geste des Predigens. Symbolisiert die erste Lehrrede des historischen Buddha (= Ingangsetzen des „Rads der Lehre“). In Japan dennoch meist eine kennzeichnende Geste des Amida [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)] Buddha.
Kamakura-Zeit, 1252?. Jenny Huang, flickr 2006.
Meditations-mudra, jōin [jōin (jap.) 定印 mudrā der Meditation]: Beide Hände im Schoß gefaltet (hier mit der für Amida typischen Stellung der Zeigefinger). Kennzeichnet den sitzenden Amida oder den Dainichi der Mutterschoßwelt (Taizōkai [Taizōkai (jap.) 胎蔵界 Mutterschoß-Welt; Welt der sichtbaren Dinge des Dainichi Nyorai; s.a. Kongōkai]).
Werk von Unkei (1150–1223). Bildquelle: unbekannt.
Weisheitsfaust-mudra, chiken-in [chiken-in (jap.) 智拳印 Mudrā der Weisheitsfaust]: Geste des Dainichi der Vajra-Welt (Kongōkai [Kongōkai (jap.) 金剛界 Vajra-Welt, Diamant-Welt; Welt der absoluten Erkenntnis des Dainichi Nyorai; s.a. Taizōkai]). Symbolisiert einen vajra [vajra (skt.) वज्र „Donnerkeil“, Ritualinstrument und Symbol des tantristischen/esoterischen Buddhismus (jap. kongō 金剛)] („Donnerkeil“) und damit die diamantene Härte und Klarheit, die mit diesem Ritualinstrument assoziiert wird.
12. Jh. Bildquelle: Wakasa Obama dejitaru bunkazai, über Internet Archive.
Abwehr von Unheil, gōzanze-in [gōzanze-in (jap.) 降三世印 Mudrā des zornvollen Gōzanze Myōō]:
Geste des Gōzanze Myōō [Gōzanze Myōō (jap.) 降三世明王 skt. Trailokyavijaya, einer der Fünf Großen Myōō], einem der Fünf Großen Myōō. In seiner Komplexität typisch für kriegerische, „zornvolle“ Figuren (s.o.).
Mandalas
Mandalas sind Teil des religiösen Erbes Indiens und keineswegs eine buddhistische Erfindung. Über den Buddhismus haben sie sich allerdings auch in allen umliegenden asiatischen Kulturen verbreitet hat. Ein mandala [maṇḍala (skt.) मण्डल „Kreis“, schematische Darstellung der kosmischen Ordnung (jap. mandara 曼荼羅)] (jap. mandara [mandara (jap.) 曼荼羅 Repräsentation eines religiösen Kosmos; japanische Aussprache von skt. mandala]) ist im wesentlichen eine schematische Darstellung der kosmischen Ordnung. Die klassischen Mandalas besitzen meist eine geometrische Struktur, die den vier Himmelsrichtungen entspricht. Man findet sie unter anderem im tibetischen Buddhismus, wo Mönche im Verlauf einer spektakulären Zeremonie kunstvolle Mandalas mit buntem Sand auf den Boden malen, um sie nach Beendigung der Zeremonie wieder zu verwischen. Dieser Ritus wird in Japan nicht praktiziert, doch spielen Mandalas, wie bereits erwähnt, eine zentrale Rolle im esoterischen Buddhismus. Sie dienen hier der meditative Visualisierung eines Buddhas oder anderer buddhistischer Wesenheiten.
Vajra-Welt und Mutterschoß-Welt
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: Wikimedia Commons, bildbearbeitet.
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: Wikimedia Commons, bildbearbeitet.
Die rituelle Verwendung von Mandalas lässt sich in Japan bis zu Kūkai [Kūkai (jap.) 空海 774–835, Gründer des Shingon Buddhismus; Eigennamen Saeki Mao, Ehrennamen Kōbō Daishi], dem Begründer des Shingon [Shingon-shū (jap.) 真言宗 Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan] Buddhismus, zurückverfolgen. Kūkai stellte zwei Mandalas in den Mittelpunkt seiner Lehre, die bis heute alle anderen an Bedeutung übertreffen: Das Kongōkai mandara [Kongōkai mandara (jap.) 金剛界曼陀羅 Vajra-Welt-Mandala, Diamant-Welt-Mandala; Mandala des Buddha Dainichi in seiner „Vajra-Welt“ (Kongōkai)] (Vajra [vajra (skt.) वज्र „Donnerkeil“, Ritualinstrument und Symbol des tantristischen/esoterischen Buddhismus (jap. kongō 金剛)]-Welt-Mandala) und das Taizōkai mandara [Taizōkai mandara (jap.) 胎蔵界曼陀羅 Mutterschoß-Welt-Mandala; Mandala des Buddha Dainichi in seiner „Mutterschoß-Welt“ (Taizōkai)] (Mutterschoß-Welt Mandala). In beiden nimmt Dainichi Nyorai [Dainichi Nyorai (jap.) 大日如来 Buddha Vairocana, der „kosmische Buddha“; wtl. „Großes Licht“ oder „Große Sonne“] (Buddha Vairocana [Vairocana (skt.) वैरोचन „Sonne, sonnenhaft“, Buddha-Name (jap. Birushana/Rushana 毘盧舎那/盧舎那 oder Dainichi 大日)]), der Hauptbuddha des Shingon Buddhismus, die zentrale Position ein, aber jeweils in einer anderen Haltung, was zwei unterschiedliche, aber einander entsprechende Aspekte dieses Buddhas symbolisiert.
Die beiden Mandalas bilden also ein Paar und werden daher auch „Mandalas der beiden Welten“ — Ryōgai mandara [Ryōgai mandara (jap.) 両界曼荼羅 wtl. Mandalas der beiden Welten; Doppelset von Mandalas im Shingon Buddhismus] oder Ryōbu mandara [Ryōbu mandara (jap.) 両部曼荼羅 „zweiteiliges Mandala“; andere Bezeichnung für das Ryōgai mandara] — genannt. Laut Shingon-Lehre repräsentieren die beiden Welten Vajra und Mutterschoß die abstrakte und die konkret erfahrbare Daseinsform des Dainichi. Auch andere duale (ryōbu [ryōbu (jap.) 両部 zweiteilig, dual; v.a. im Shingon Buddhismus ein häufig gebrauchter Terminus für duale Systeme oder Aspekte]) Begriffspaare wie Weisheit/Mitgefühl oder Prinzip/Realität werden mit den beiden Mandalas verknüpft.
Varianten
Kamakura-Zeit, 13. Jh. Nara National Museum.
Nicht alle Mandalas sind so streng geometrisch gegliedert, wie die beiden oben abgebildeten. Das in Japan ebenfalls weithin bekannte Taima mandara [Taima mandara (jap.) 当麻曼陀羅 Darstellung von Amidas Reinem Land] ist beispielsweise ein vergleichsweise „realistisches“ Abbild des Reinen Landes von Buddha Amida [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)], eine Art Paradies, das als prunkvoller Palast erscheint.
Kamakura-Zeit, 14. Jh. Bildquelle: Victor Harris, Shintō (Tōkyō: Seikandō bunko, 2001), S. 167.
In Japan hat man den Begriff mandara darüber hinaus auch auf die eigene Landschaft bezogen. Es gibt daher verschiedene Mandalas, die vergleichsweise realistisch ein bestimmtes lokales Heiligtum — einen Tempel oder Schrein — inmitten einer heiligen Landschaft darstellen, die von zahlreichen Buddhas, Göttern und Dämonen des einheimischen Pantheons bevölkert ist. Das lokale Heiligtum wird auf diese Weise als Zentrum eines spirituellen Kosmos dargestellt, in dem sowohl Figuren aus dem Diesseits, als auch aus dem Jenseits (z.B. aus den sogenannten sechs Bereichen der Wiedergeburt) vertreten sind. Diese Mandalas erfreuten sich vor allem im Zusammenhang mit dem Pilgerwesen besonderer Beliebtheit, denn sie dienten als eine Art Guidebook und Werbemittel in einem. Einerseits stellten sie die charakteristischen Merkmale der Bauwerke und Statuen zur Schau, andererseits wurden sie aber auch verwendet, um der allgemeinen Bevölkerung eine Vorstellung von der buddhistischen Hölle und dem buddhistischen Paradies zu vermitteln und sie dazu anzuhalten, sich durch eine Pilgerfahrt um eine möglichst günstige Wiedergeburt zu bemühen. Berühmte Beispiele sind um das Pilgerzentrum Kumano [Kumano (jap.) 熊野 Region im Süden der Halbinsel Kii (Wakayama-ken), bekannt für ihre alten Pilgerzentren (s. Kumano Sanzan)] (Präfektur Wakayama) oder um den Kasuga Schrein [Kasuga Taisha (jap.) 春日大社 Kasuga Schrein, Nara; ehemals Ahnenschrein der Fujiwara] in Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō] entstanden. (Siehe dazu auch Kasuga Taisha: Der Schrein der Zehntausend Laternen und Paradiese und Reine Länder.)
Verweise
Verwandte Themen
- Shintō-Götter (Hauptseite)
Internetquellen
- darumamuseumgallery.blogspot.com , Gabriele Greve
Diese Blogsite enthält unglaublich viele Informationen zur japanischen Ikonographie in Englisch und Deutsch, u.a. die online Fassungen von zwei Büchern der Autorin. - Explanations of Mudras, (dt. und en.)
Tibetische Mudras erklärt vom Dharmapala Thangka Centre.
Literatur
Bilder
- ^ Handgeste (Mudra) des Yakushi Nyorai.
unbekannt. - ^ Buddha Amida Nyorai in seiner klassischen Haltung, sitzend und mit der mudra der Meditation. Die Abbildung geht auf das älteste japanische Handbuch der buddhistischen Ikonographie zurück. Das Werk ist unter den Titeln Zuzōshō („Abriss von Skizzen [buddhistischer] Statuen“) oder Jikkan-shō („Abriss in zehn Bänden“) bekannt und wird wahlweise Byōdōbō Yōgon (1075–1151) oder Shōjōbō Ejū (1060–1144) zugeschrieben. In jedem Fall gehörte der Autor der Shingon-Schule an. Die Details der Darstellungen haben sich seit der ersten Abfassung des Werkes bemerkenswert wenig geändert. Die vorliegende Abbildung entstammt der Abschrift einer Abschrift des originalen Zuzōshō und wurde laut Kolophon 1702 (Genroku 15) angefertigt.
Edo-Zeit, 1702. Ryukoku University Library. - ^ Bodhisattva Kannon auf einem Felsen sitzend und mit sechs Armen, ein Wunscherfüllungsjuwel (nyoi no tama) zur Brust haltend. Die Abbildung geht auf eine relativ frühe Kopie des Jikkanshō 十巻抄 („Abriss in zehn Bänden“) zurück. Dieses älteste japanische Handbuch der buddhistischen Ikonographie stammt aus dem 11. Jahrhundert ist auch unter dem Titel Zuzōshō 図像抄 („Abriss von Skizzen [buddhistischer] Statuen“) bekannt. Hier handelt es sich um eine Kopie durch Ingen 印玄, einen Mönch des Ninna-ji in Kyōto.
Werk von Ingen. Kamakura-Zeit, 14. Jh. Kūkai mandara: Kōbō Daishi to Kōya-san (Katalog), Reihōkan 2006, S. 116, Abb. 41-1. - ^ Fudō Myōō mit Schwert und Flammen-Nimbus. Kopie des verlorenen Zuzōshō (1239).
Edo-Zeit, 1702. Ryūgoku University Library. - ^ Bishamon-ten in klassischer Form, mit Pagode und Dreizack, auf einem Dämon stehend. Darstellung aus einer illustrierten Fassung des 25. Kapitels des Lotos Sutra (Hoke-kyō), in dem es um die Vorzüge von Bodhisattva Kannon geht. Obwohl Bishamon-ten zumeist als eigenständige Figur bzw. als Anführer der Vier Himmlischen Könige (Shi-Tennō) auftritt, verrät das Lotos Sutra, dass auch Kannon imstande ist, die Form des Bishamon anzunehmen. Die Identitäten der buddhistischen Wesenheiten sind daher äußerst fließend.
Werk von Sugawara Mitsushige. Kamakura-Zeit. Metropolitan Museum of Art. - ^ Der historische Buddha Shaka Nyorai (skt. Shakyamuni) mit der für ihn typischen mudra „Fürchtet euch nicht“ — semui-in, segan-in.
Späte Heian-Zeit, 12. Jh. Museum of Fine Arts, Boston (Denman Waldo Ross Collection). - ^ Mudra des Dharma-Rad-Drehens, tenbōrin-in, des Amida Buddha.
Bildquelle: unbekannt.
- ^ Die mudra der Mediation (jōin) mit den für Amida (skt. Amitabha) charakteristischen abgewinkelten Zeigefingern. Die „Schwimmhaut“ zwischen Daumen und Zeigefinger ist kein künstlerischer Missgriff, sondern entspricht den 32 Merkmalen eines Buddha.
Kamakura-Zeit, 1252?. Jenny Huang, flickr 2006. - ^ Geste des Dainichi Nyorai im Kongōkai-Mandala. s.a. Gesamtbild.
Werk von Unkei (1150–1223). Bildquelle: unbekannt. - ^ Gōzanze Myōō — skt. Trailokyavijaya, der „Bezwinger der Drei Welten“ — ist eine Erscheinungsform des Vajrapani, der im esoterischen Buddhismus zumeist als zornvolle Gottheit dargestellt wird. Hier mit der mudra gōzanze-in.
12. Jh. Bildquelle: Wakasa Obama dejitaru bunkazai, über Internet Archive. - ^ Der Hauptbuddha dieses Kongōkai mandara, Dainichi mit der Weisheits-mudra, befindet sich im mittleren, oberen Feld. Dieses mandala ist einer Hauptstadt mit dem Palast im Norden nachempfunden (s.a. ten Grotenhuis 1999, Japanese Mandalas, plate 6).
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: Wikimedia Commons, bildbearbeitet. - ^ Der Hauptbuddha dieses Mutterschoß-Welt Mandalas (Taizōkai mandara) ist Dainichi mit der Meditations-mudra. Er befindet sich im Zentrum des Bildes. Dieses mandala ist einem Palast nachempfunden (s.a. ten Grotenhuis 1999, Japanese Mandalas, plate 8).
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: Wikimedia Commons, bildbearbeitet. - ^ Das Taima mandara stellt das Reine Land des Buddha Amida als weitläufigen Palast dar. Im Zentrum thront der Buddha, flankiert von Seishi Bosatsu und Kannon Bosatsu sowie einer Unzahl weiterer Bodhisattvas und anderer buddhistischer Wesen. Die kleinen Figuren im Vordergrund repräsentieren die Seelen von Verstorbenen, die dank ihres Glaubens an Amida Eingang in dieses Paradies gefunden haben.
Kamakura-Zeit, 13. Jh. Nara National Museum. - ^ Schreinmandala (mandara) des Kasuga Taisha.
Kamakura-Zeit, 14. Jh. Bildquelle: Victor Harris, Shintō (Tōkyō: Seikandō bunko, 2001), S. 167.
Glossar
- Benzaiten 弁才天/弁財天 ^ Glücksgöttin im Ensemble der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); Gottheit des Wassers, der Musik und der Beredsamkeit; skt. Sarasvati; auch: Benten
- Bishamon-ten 毘沙門天 ^ Himmelswächter des Nordens, Glücksgott; abgeleitet von einem indischen Gott des Reichtums, Vaishravana
- Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व ^ „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
- Dainichi Nyorai 大日如来 ^ Buddha Vairocana, der „kosmische Buddha“; wtl. „Großes Licht“ oder „Große Sonne“
- fukujin 福神 ^ Glücksgottheit; Gottheit, die für spezifische Formen des irdischen Glücks (Reichtum, Gesundheit, Kinder, ...) angebetet wird; s.a. Shichi Fukujin
- gōzanze-in 降三世印 ^ Mudrā des zornvollen Gōzanze Myōō
- Jizō Bosatsu 地蔵菩薩 ^ Bodhisattva (Bosatsu); skr. Kṣitigarbha, „Speicher oder Mutterleib der Erde“ (vgl. Jizō)
- Kannon Bosatsu 観音菩薩 ^ Bodhisattva Avalokiteshvara, wtl. „der den Klang der Welt erhört“; „Bodhisattva des Mitleids“; s.a. Kannon, Guanyin;
- Kongōkai 金剛界 ^ Vajra-Welt, Diamant-Welt; Welt der absoluten Erkenntnis des Dainichi Nyorai; s.a. Taizōkai
- Kongōkai mandara 金剛界曼陀羅 ^ Vajra-Welt-Mandala, Diamant-Welt-Mandala; Mandala des Buddha Dainichi in seiner „Vajra-Welt“ (Kongōkai)
- Kumano 熊野 ^ Region im Süden der Halbinsel Kii (Wakayama-ken), bekannt für ihre alten Pilgerzentren (s. Kumano Sanzan)
- Ryōgai mandara 両界曼荼羅 ^ wtl. Mandalas der beiden Welten; Doppelset von Mandalas im Shingon Buddhismus
- Shingon-shū 真言宗 ^ Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan
- Taizōkai mandara 胎蔵界曼陀羅 ^ Mutterschoß-Welt-Mandala; Mandala des Buddha Dainichi in seiner „Mutterschoß-Welt“ (Taizōkai)
- tenbōrin-in 転法輪印 ^ Mudrā des Dharma-Rad-Drehens; Symbol für eine Predigt
- Yakushi Nyorai 薬師如来 ^ Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
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„Ordnungssysteme im buddhistischen Pantheon.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001