Mythen/Jenseits

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Jenseitsvorstellungen

Die meisten greifbaren Vorstellungen des japanischen Jenseits sind vom Buddhismus geprägt. Das hängt u.a. mit dem bereits erwähnten „arbeitsteiligen“ Verhältnis von Buddhismus und Shinto zusammen, nach dem die Götter des Shinto vorrangig für positive und diesseitige Bereiche, die buddhistischen Heilsgestalten dagegen für Zeiten der Not und für das Jenseits zuständig sind (s. Grundbegriffe, Shinto). In der modernen japanischen Gesellschaft ist es natürlich kaum möglich, verbindliche, von der gesamten Bevölkerung geteilte Auffassungen über das Jenseits aufzuspüren. Neben buddhistischen und volksreligiösen Vorstellungen mischen sich auch christliche Ideen und science fiction Motive in die Jenseitsbilder der modernen Japaner. Die traditionellen Motive, auf die ich mich hier beschränke, entsprechen vor allem der vormodernen japanischen Gesellschaft, doch bilden sie auch für Neue Religionen ein unerschöpfliches Reservoir. Darüber hinaus erhalten viele Motive des Jenseitsglaubens in der Welt der Manga und Anime wieder neue Aktualität.

Die Sechs Bereiche der Wiedergeburt

Philosophisch gesehen gibt es im Buddhismus nur ein absolutes Jenseits - das Nirvana, das in der vollständigen Auslöschung alles Diesseitigen besteht. Alles andere, auch die Wege der Totenseelen von einer Wiedergeburt zur nächsten, gehört zum Diesseits (Samsara = Kreislauf der Wiedergeburten) und führt letztlich zu neuen, leidvollen Existenzen (s. Grundbegriffe, Buddhismus). In der Praxis haben sich im Buddhismus jedoch Jenseitsvorstellungen etabliert, die erstaunlich stark an bekannte christliche Vorstellungen erinnern: Es gibt ein Paradies (

gokuraku 極楽 (jap.)

wtl. höchstes Glück; Paradies; identisch mit dem Reinen Land (jōdo)

Pantheon, Konzept

Der Begriff „gokuraku“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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) und es gibt eine Hölle (

jigoku 地獄 (jap.)

wtl. „[unter]irdischer Kerker“, buddhistische Hölle

Pantheon, Konzept

Der Begriff „jigoku“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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). Dazwischen liegen die sogenannten Sechs Wege (

rokudō 六道 (jap.)

wtl. die Sechs Wege = Bereiche der Wiedergeburt

Konzept

Der Begriff „rokudō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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), das sind sechs Existenzformen, in die man hineingeboren werden kann, je nachdem, ob man in vergangenen Leben gutes oder schlechtes Karma angehäuft hat. Diese Existenzformen sind:

  1. Götter (Devas), die im Buddhismus sterblich sind
  2. Menschen
  3. Kriegergeister (jap.
ashura 阿修羅 (jap.)

kämpfende Geister, eine von sechs Formen der Wiedergeburt; skt. asura; auch shura

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von skt. asura)
  1. Hungergeister (jap.
gaki 餓鬼 (jap.)

Hungergeist; skt. preta

Geist

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, skt. preta)

  1. Tiere
  2. Hölle, die sich wiederum in diverse Einzelhöllen unterteilt

Über diesen Sechs Wegen gibt es noch Vier Stufen der Buddhaschaft, sodass man das buddhistische Jenseits manchmal auch in Zehn Welten (

jukkai 十界 (jap.)

Zehn Welten des buddhistischen Jenseits; auch jikkai ausgesprochen

Konzept

Der Begriff „jukkai“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) unterteilt findet.

Wie anhand der Sanskrittermini zu erkennen, stammen die Bereiche der Wiedergeburt aus dem indischen Buddhismus und reflektieren dort gängige religiöse Vorstellungen. Diese haben sich in Japan unterschiedlich stark eingeheimatet. Von den Kriegergeistern ist relativ wenig zu hören und zu sehen, es ist auch nicht ganz klar, ob sie in der Hierarchie der Wiedergeburten über oder unter den Menschen stehen. Die Möglichkeit, als Gott wiedergeboren zu werden, existiert in erster Linie in der Theorie. Diese besagt übrigens, dass es schwieriger sei als Gott ins Nirvana einzugehen, denn als Mensch. Die Hungergeister sind hingegen auf alten Darstellungen häufig zu finden, und die Hölle ist mindest ebenso detailliert beschrieben wie in den Bildern des Hieronymus Bosch. Ihr gilt auf historischen Abbildungen des Jenseits zumeist das Hauptaugenmerk.

Die buddhistische Totenwelt

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Im Augenblick des Todes gibt es nach gängigen buddhistischen Vorstellungen zunächst zwei Möglichkeiten: Die erste besteht darin, direkt ins Nirvana, beziehungsweise ins sog. Reine Land einzugehen und damit aus dem Zyklus der Wiedergeburten auszutreten. Dieser Fall ist zwar eher unwahrscheinlich, die meisten Richtungen des japanischen Buddhismus erachten ihn aber prinzipiell für jeden, Mönch oder Laien, als möglich. (S. dazu Paradiese)

Die Mehrheit der Verstorbenen wird jedoch „wiedergeboren“, d.h. sie muss sich erneut den Leiden der irdischen Existenz aussetzen. Zunächst muss aber geprüft werden in welchen Bereich der Wiedergeburt der Verstorbene nun kommen soll. Dies wird nach einer weit verbreiteten Vorstellung von einem eigenen Gerichtshof entschieden. Oberster Richter, bzw. König der Unterwelt, ist

Enma 閻魔 (jap.)

skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen

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(skt. Yama).

Enma, Richter der Unterwelt

Enma 閻魔 (jap.)

skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen

Der Begriff „Enma“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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, dem zumeist von zehn weiteren Richtern und diversen furchteinflößenden Schergen assistiert wird, repräsentiert, wenn man so will, den Gesetzes- und Polizeiapparat im buddhistischen Universum. Er besitzt einen Spiegel, der ihm über die Taten des „Angeklagten“ Auskunft gibt, oder er befragt zwei Geister, die jeden Sterblichen auf seinem Lebensweg begleiten und Protokolle seiner guten und schlechten Taten anlegen. Enma ist nicht böse, aber er ist streng. Versucht man, ihn mit den buddhistischen Grund-Dogmen zu erklären, so könnte man in ihm die unerbittliche Konsequenz des Karma erblicken.

Die Einzelheiten der Vorstellungen von seinem Gerichtshof und den zehn Richtern sind in China entwickelt worden, und auch auf japanischen Abbildungen tragen die Richter meist ein chinesisches Gewand, bzw. die charakteristische chinesische Kappe mit zwei seitwärts abstehenden „Ohren“.

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Bildquelle: Wladimir Zwalf, Buddhism Art and Faith.
London: British Museum, 1985, S. 82

Die Abbildung oben zeigt ein Detail aus dem chinesischen „Sutra der Zehn Richter“, in dem der Gerichtshof im buddhistischen Jenseits in vielen Einzelheiten gemäß der Tang-zeitlichen chinesischen Rechtspraxis dargestellt wird. Das Bild entstammt einer Schriftrolle aus dem zehnten Jahrhundert, die in den Höhlentempeln von Dunhuang gefunden wurde.

Japanische Darstellungen aus späterer Zeit stimmen in zahlreichen Details mit dem chinesischen Vorbild überein, vor allem die Kleidung bleibt chinesisch. Darüber hinaus tendieren sie dazu, Enma immer stärker zu exotisieren. Sein strafender Aspekt wird dadurch verstärkt, dass er die Gesichtszüge indischer Wächtergötter bekommt.

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Ōkuninushi heilt den Hasen von Inaba, dem Meeresungeheuer (wani) das Fell abgezogen haben. Hokusai interpretiert Ōkuninushi als Daikoku und die wani als Krokodile.
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston.

Gerichtshof des Enma (zum Vergrößern anklicken).

Im Buddhismus gibt es neben dem strafenden König der Unterwelt auch die Vorstellung, dass Enma und

Jizō 地蔵 (jap.)

wtl. Schatzhaus/Mutterleib der Erde; skr. Kṣitigarbha; populäre Bodhisattva Figur

Buddha

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im Grunde identisch, bzw. lediglich unterschiedliche Manifestationen ein und desselben Bodhisattva seien. Wir begegnen hier wieder der typischen Doppelnatur buddhistischer Gestalten, die sowohl milde, als auch schreckenerregende Züge in sich vereinigen können.

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Enma-ten (oben) und Enma-ō (unten)
Washington, Freer Gallery

Die obige Darstellung aus der

Kamakura 鎌倉 (jap.)

Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)

Ort, Epoche

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Geographische Lage

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Geographische Lage von Kamakura; s.a. Geo-Glossar

-Zeit verdeutlicht, dass man sich auch bemühte, die Doppelnatur des Enma durch die beiden Titel Enma-ō (wtl. König Enma) und Enma-ten (wtl. Gott Enma) zu unterscheiden. Enma-ō ist in der üblichen furchterregenden Gestalt, assistiert von zwei Gerichtsdienern am unteren Bildrand zu sehen, darüber schwebt Enma-ten in Bodhisattva-ähnlicher Erscheinung auf einem Büffel.

Datsueba

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Eine weitere Gestalt, die über das Schicksal der Totenseele entscheidet, ist die

Datsueba 奪衣婆 (jap.)

wtl. die Alte, die die Kleider wegnimmt; Dämonin des Totenreichs

Geist

Der Begriff „Datsueba“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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, die „Alte, die den Toten das Gewand auszieht“. Sie sitzt am Ufer der „Drei Furten“ (Sanzu), die auf dem Weg zur Totenwelt überschritten werden müssen. Wenn die Toten diese Furten durchschritten haben, zieht sie ihnen ihre nassen Kleider aus und hängt sie neben sich an einen Baum, der als eine Art Waage fungiert. Je tiefer die Äste durch das Gewand der Toten herabgebogen werden, umso schwerer die Sünden und umso schrecklicher die Foltern, die den Verstorbenen erwarten.

Die Vorstellung der Datsueba dürfte in Japan entstanden sein. Sie findet sich jedenfalls nicht in chinesischen Unterweltdarstellungen, während sie in Japan ab der Kamakura-Zeit ein gängiges Motiv des Jenseitsglaubens darstellt.

Außerbuddhistische Vorstellungen

Neben buddhistischen Vorstellungen findet sich in japanischen Geschichten und Legenden auch die taoistische Insel der Unsterblichkeit, die irgendwo weit draußen auf dem Meer zu finden sein soll. Dieser Glaube hat in vielen volksreligiösen Bräuchen Eingang gefunden. Auch das Schatzschiff der Sieben Glücksgötter und der Palast des Drachenkönigs stehen wohl irgendwie mit diesem überseeischen Paradies in Verbindung.

In den alten Mythen begegnen wir vor allem dem Schattenreich

Yomi 黄泉 (jap.)

mytholog. Unterwelt; geschrieben mit den Zeichen „Gelbe Quellen“, eine chinesische Bezeichnung für die Unterwelt

Pantheon, Konzept

Der Begriff „Yomi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

, das

Izanami 伊耶那美/伊奘冉 (jap.)

Göttermutter, Göttin der Unterwelt (mi hier weibliche Endung); Schwester und Frau des Izanagi

Der Begriff „Izanami“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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nach ihrem Tod beherrscht. Ähnlich wie bei den Griechen und Römern gibt es im japanischen Mythos zwar die strahlende Welt der Götter, doch ist diese den gewöhnlichen Sterblichen unzugänglich. Inwieweit im vorbuddhistischen Japan auch positive Jenseitsvorstellungen vorhanden waren, wurde schon innerhalb der Kokugaku-Schule im achzehnten und neunzehnten Jahrhundert heftig diskutiert.

Motoori Norinaga 本居宣長 (jap.)

1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)

Gelehrte Person

Der Begriff „Motoori Norinaga“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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(1730–1801) wies daraufhin, dass die Mythen nur ein pessimistisches Jenseits kennen. Demgegenüber suchte

Hirata Atsutane 平田篤胤 (jap.)

1776–1843; kokugaku-Gelehrter

Gelehrte Person

Der Begriff „Hirata Atsutane“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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(1776–1843) nach positiven Jenseitsbildern im Volksglauben und vertrat die Ansicht, dass diese den ursprünglichen Shinto widerspiegeln würden. Heute neigen viele Gelehrte eher zu Norinagas Auffassung und sehen in Atsutanes Position einen propagandistischen Versuch, den Shinto gegenüber dem Buddhismus aufzuwerten. Wahrscheinlich gab es aber auch hier, ebenso wie in anderen Bereichen, starke regionale Unterschiede innerhalb der vorbuddhistischen Religion.
Religion in JapanMythen
Diese Seite:

„Jenseitsvorstellungen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001