Westliche Astrologie im vormodernen Japan
In der Edo-zeitlichen buddhistischen Bildenzyklopädie Butsuzō zui findet man im Abschnitt „Himmelskunde“ u.a. zwölf Figuren, die hier als „Zwölf Paläste“ (jūni-kyū) bezeichnet und ansonsten nicht weiter kommentiert werden.


© Ehime University Library
Mit ein bisschen Phantasie lassen sich darin die im Westen bekannten Sternzeichen erkennen, auch wenn sich die beigefügten Zahlen nicht nach der hierzulande bekannten Abfolge richten. Da in Japan ja sowohl für Horoskope als auch zur Einteilung der Zeit ein anderes Set von zwölf Zeichen (jūni shi) herangezogen wurde, stellt sich die Frage, wie es zu dieser Edo-zeitlichen Abbildung kam.
Stern-Mandalas


© Tōji no mikkyō zuzō (Bildwerke des Tōji Tempels; Ausstellungskatalog), 1999, Abb. 12
Das obige Beispiel stammt aus einem astrologischen Lehrbuch der späten Heian-Zeit (12. Jh.). Die Zeichnung ist ähnlich einem mandala in diverse konzentrische Bereiche gegliedert, die jeweils auf bestimmte Erscheinungen am Sternenhimmel Bezug nehmen. In einem schmalen Band, dem von außen gesehen zweiten Rahmen, lassen sich wieder die zwölf Sternzeichen – diesmal in richtiger Abfolge — erkennen. In der rechten unteren Ecke beginnend sind dies (gegen den Uhrzeiger):
- Fisch, Widder, Stier, Zwillinge (hier ein Ehepaar), Krebs, Löwe, Jungfrau(en), Waage, Skorpion, Schütze (Bogen), Steinbock (makara), und Wassermann (Krug).
Die prominenteren Figuren, die jeweils mit Kreisen umgeben sind, stellen die „Neun Planeten“ (jap. kuyōsei) dar, die kleinen Figuren im innersten Bereich repräsentieren die 28 „Stationen“ (shuku oder suku), also die chinesischen Sternbilder. In der Mitte ist Manjushri (jap. Monju Bosatsu), Bodhisattva der Weisheit, auf seinem Löwen zu sehen, darunter der Planet Saturn (jap. Doyōsei). Während die chinesischen Sternbilder jeweils durch eine mehr oder weniger bekannte buddhistische Gestalt repräsentiert sind (Saturn etwa hat die Gestalt des Königs der Unterwelt, Enma), haben die „westlichen Sternzeichen“ ihre hierzulande bekannte Form zum Großteil behalten.


© Museum of Fine Arts, Boston
Diese Abbildung nennt sich Sternen Mandala und zeigt ein ähnliches Schema. In der Mitte sieht man den buddhistischen Weltenberg Sumeru (jap. Shumisen), auf dem Buddha mit dem Rad der Lehre in Händen trohnt. Den Sanduhr-förmigen Weltenberg umgibt ein Ozean (in dessen südlichem Teil die bekannte Welt einen eigenen Kontinent namens Jambudvipa, jap. Enbudai, bildet, der hier aber nicht abgebildet ist). Rund um den Weltenberg scharen sich die Neun Planeten sowie die sieben Sterne des Großen Wagens (hokuto). In einem weiteren Kreis finden sich wieder die Sternzeichen der westlichen Astrologie. Im äußersten Bereich sind schließlich die 28 chinesischen Sternbilder zu sehen.
Sukuyōdō
Die obigen Darstellungen und die entsprechenden Methoden der buddhistischen Astrologie werden als sukuyō-dō, Weg der Sternbilder und Planeten, bezeichnet und gehen auf ein apokryphes Sutra der Sternbilder (Sukuyō-kyō) zurück. Der volle Titel lautet in etwa „Sutra der von guten und schlechten Tage gemäß den Sternbildern, wie sie von Bodhisattva Manjushri und diversen Weisen erklärt wurden.“ Manjushri ist also nicht zufällig auf dem Bild aus der Heian-Zeit abgebildet. Er wurde offenbar als der Entdecker astrologischer Geheimnisse angesehen.
Das Sutra selbst lässt sich bis zum großen Übersetzer Amoghavajra (705–774) zurückverfolgen. Dieser übertrug v.a. Texte des esoterischen Buddhismus aus dem Sanskrit ins Chinesische. In manchen Fällen, so auch in diesem, ist allerdings unklar, ob tatsächlich ein entsprechendes Sanskrit-Original existierte oder ob es sich nicht um Amoghavajras eigene Schriften handelt.
Zu Amoghavajras „Enkelschülern“ zählte auch Kūkai, der das Sutra der Sternbilder in Japan bekannt machte. Der darauf beruhende Weg der Sternbilder wurde in der Folge vor allem in esoterisch-buddhistischen Kreisen und ihrer aristokratischen Klientel gepflegt, geriet aber mit dem Niedergang des Hofes im japanischen Mittelalter weitgehend in Vergessenheit.
Verweise
Verwandte Themen
Internetquellen
- Butsuzō zui, Ehime University Library
Digitalisierte Ausgabe einer Edo-zeitlichen Bildenzyklopädie buddhistischer (und tlw. nicht-buddhistischer) Gestalten, auf der auch die entsprechenden Darstellungen in Siebold's Japanbeschreibungen [über Internet Archive, 2010/8] beruhen. - Hotoke-sama no sekai (jap.)
Ähnliche Enzyklopädie in moderner Ausführung. Teil der buddhistischen Website Tobi Fudō. Siehe dort u.a. Nijū-kyū, Ku-yōsei und Nijūhachi-shuku. - 文殊師利菩薩及諸仙所説吉凶時日善惡宿曜經, University of Tokyo
Originaltext des Sutras der Sternbilder in der digitalisierten Version des Taishō Kanons.
Bilder
Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:
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Abbildung der westlichen Tierkreiszeichen in der Bildenzyklopädie Butsuzō zui aus der Edo-Zeit. Edo-Zeit
© Ehime University Library - ^
Abgebildet sind die 12 Tierkreiszeichen (jūni shi) und die „Neun Planeten“ (kuyōsei), die kleinen Figuren im inneren Bereich stellen die chinesischen Sternbilder dar. In der Mitte befindet sich Bodhisattva.
© Tōji no mikkyō zuzō (Bildwerke des Tōji Tempels; Ausstellungskatalog), 1999, Abb. 12
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In der Mitte thront Buddha auf dem Weltenberg Shumisen, um den Berg herum sind die Neun Planeten sowie die Sterne des Großen Wagens zu sehen. Außerhalb befinden sich die westlichen Sternzeichen und die chinesischen Sternbilder. Edo-Zeit
© Museum of Fine Arts, Boston
Glossar
Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite:
- Amoghavajra (skt.) अमोघवज्र ^ 705–774; buddh. Mönch aus Samarkand, Autor und Übersetzer zahlreicher Schriften des esoterischen Buddhismus aus dem Sanskrit ins Chinesische; chin. Bukong Jingang (jap. Fukū Kongō 不空金剛)
- Enbudai 閻浮提 ^ skt. Jambudvipa. Kontinent der irdischen Welt in der trad. indischen Kosmologie. Im Buddhismus Kontinent südlich des Weltenbergs Sumeru
- Jambudvīpa (skt.) जम्बूद्वीप ^ „Rosenapfelland“ (jap. Enbudai 閻浮提), in der trad. indischen Kosmologie: Kontinent der irdischen Welt südlich des Weltenbergs Sumeru
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„Westliche Astrologie im vormodernen Japan.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001