Tengu: Japanische Vogelmenschen
Auf dieser Seite werden tengu [tengu (jap.) 天狗 wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen] als prominente Vertreter der japanischen Dämonen und Fabelwesen (yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster]) vorgestellt. Sie kombinieren wie die meisten yōkai Merkmale von Mensch und Tier (Vogel), doch unterscheiden sie sich von anderen Gestalten der unsichtbaren Welt — beispielsweise oni [oni (jap.) 鬼 Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister] oder kappa [kappa (jap.) 河童 Flussgeist, wtl. „Flussjunge“] — durch ihren engen Bezug zum buddhistischen Klerus: ehemals galten sie als transformierte sündhafte Mönche, heute als gespenstische Doubles der japanischen Bergasketen. In ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen veranschaulichen die tengu den klassischen japanischen Umgang mit Geistererscheinungen in seiner gesamten Bandbreite: Von gefürchteten Monstern zu Verehrungsgestalten in Tempeln und Schreinen.
Wada Yoshio, 2002 (mit freundlicher Genehmigung).
Wortbedeutung
Tengu bedeutet wörtlich „Himmelshund“, doch mit Hunden haben diese geflügelten Wesen wenig zu tun. Die Bezeichnung leitet sich vom chinesischen Stern oder Sternbild tiangou [tiangou (chin.) 天狗 wtl. Himmelshund; mythol. Gestalt der chin. Kosmologie, Namensgeber des japanischen tengu] ab, ein „Himmelshund“, dem auch unerklärliche Himmelserscheinungen wie z.B. Kometen oder Sonnenfinsternisse zugeschrieben wurden. Solche bedrohlichen Himmelsereignisse galten als böse Omen, die Kriege oder sonstige Unruhen erwarten ließen. In dieser Bedeutung findet sich der Begriff tengu schon im japanischen Nihon shoki [Nihon shoki (jap.) 日本書紀 Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)] (720). Tengu mit den heute bekannten Charakteristika treten allerdings erst Ende der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit in Erscheinung. Wie sich die Transformation des chinesischen Himmelshundes in diese spezifisch japanische Gestalt vollzog, ist weitgehend unklar. Zweifellos haben auch Mythen- und Sagenmotive, die ursprünglich nichts mit dem chinesischen tiangou zu tun hatten, zu seiner Entstehung beigetragen.1
Äußerliche Merkmale
Japanische tengu treten in zwei Hauptvarianten auf: Langnasen und Vogelmenschen. Beide besitzen einen menschlichen Körper mit Flügeln und können daher auch fliegen bzw. sich augenblicklich von einem Ort zum anderen „beamen“. Für gewöhnlich tragen auch beide Arten von tengu die traditionelle Tracht der Bergasketen (yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō]), mit denen sie eine gemeinsame Begabung für magische Künste verbindet (s. Yamabushi). Ähnlich wie die yamabushi sind tengu immer eher unheimlich, dabei aber nicht notwendigerweise böse oder arglistig.
Der typische tengu wird heute mit einer langen Nase dargestellt, tengu mit Vogelschnabel sind seltener. Langnasen-tengu werden manchmal als Groß-tengu (daitengu [daitengu (jap.) 大天狗 wtl. Groß-tengu; tengu in Menschengestalt mit langer Nase]) bezeichnet, Vogelmenschen hingegen als Krähen-tengu (karasu tengu [karasu tengu (jap.) 烏天狗 tengu in Krähen-(bzw. Vogel-)Gestalt]). Langnasen-tengu scheinen demnach eine höhere Kaste innerhalb der tengu-Gesellschaft zu bilden. Die Verwandtschaft der beiden Gruppen zeigt sich u.a. darin, dass alle tengu aus Eiern schlüpfen, möglicherweise nehmen sie erst nach und nach menschlichere Züge an. Viele tengu sind mit Schwertern bewaffnet oder benützen einen Fächer aus Vogelfedern (ha-uchiwa [ha-uchiwa (jap.) 羽団扇 Fächer aus Vogelfedern, häufiges Attribut von tengu]), der ihnen magische Fähigkeiten verleiht. Die meisten tragen außerdem eine runde, schwarze Miniaturmütze (tokin [tokin (jap.) 頭襟 Kopfbedeckung der yamabushi; in die Stirn gerückte, mit Bändern fixierte, schwarzlackierte Miniaturmütze]), die charakteristische Kopfbedeckung der Bergasketen.
1916. National Diet Library, Tokyo.
Die lange Nase des tengu ist zumeist mit einem roten Gesicht verbunden, was die Vermutung nahelegt, dass es sich bei den tengu um zu Sagenfiguren transformierte Europäer handeln könnte. Doch gab es den langnasigen tengu bereits vor der intensiven Kontaktnahme Japans mit europäischen Händlern und Missionaren Mitte des 16. Jahrhunderts. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass eine mythologische Figur dem Langnasen-tengu Pate stand, nämlich der Gott Sarutahiko [Sarutahiko (jap.) 猿田彦 Mythologische Gottheit in tengu-ähnlicher Gestalt].
Sarutahiko
In den alten Mythen ist Sarutahiko [Sarutahiko (jap.) 猿田彦 Mythologische Gottheit in tengu-ähnlicher Gestalt] ein wilder Geselle, der dem Tross des vom Himmel herabsteigenden Enkels der Sonnengottheit (Ninigi [Ninigi (jap.) 瓊瓊杵 mytholog. Gottheit, Enkel Amaterasus]) als eine Art Bergführer dient (vgl. Die Götter der Erde (Zeitalter der Götter, Teil 2)). Er ist laut Beschreibung des Nihon shoki von hünenhafter Gestalt und hat eine sieben-Hand-lange Nase. Auf rezenten Abbildungen (z.B. Abb. unten) wird er meist in tengu-Gestalt dargestellt. Auch in Schreinfesten zu Ehren Sarutahikos wird er durch Tänzer mit tengu-Masken repräsentiert.
kuusounomori.sakura, jp.
Werk von Totoya Hokkei (1780–1850). Edo-Zeit, 1820er Jahre. Museum of Fine Arts, Boston.
2012. Balbo42, flickr, 2012.
Durch seine mythologische Rolle als wegekundiger Führer bot sich Sarutahiko überdies als Identifikationsfigur für die zahlreichen lokalen „Wegegötter“ (dōsojin [dōsojin (jap.) 道祖神 Wegegott, auch sae no kami; volksrel. Figuren, manchmal in phallischer Form]) an, die es vor allem in vormoderner Zeit gab. Diese Wegegötter stehen wiederum häufig im Zentrum von Phalluskulten, was vielleicht Assoziationen mit Sarutahikos langer Nase begünstigte (s.u.).
Vogelartige tengu
Werk von Kaihō Yūtoku. Späte Edo-Zeit, 19. Jh. Saichō to Tendai no kokuhō (Saichō und die Nationalschätze des Tendai Buddhismus). Tōykō 2006 (Ausstellungskatalog), Abb. 234.
Sarutahiko ist jedoch nicht der Ahnvater der tengu, denn historisch betrachtet ist die Figur des Krähen-tengu die ältere. Die Figur oben links, Atago Tarō-bō [Atago Tarō-bō (jap.) 愛宕太郎坊 Gottheit des Atagoyama, eines Zentrums der Bergasketen (yamabushi) bei Kyōto, in tengu-Gestalt], ist als Gottheit in Gestalt eines Vogelmenschen schon seit dem 13. Jahrhundert bekannt (s.u.). Tengu waren also zunächst schlicht Dämonen mit Vogelgesicht, was auch ihre Flügel und Flugkünste erklärt. Insofern könnte die lange Nase der tengu auch aus dem Schnabel entstanden sein, mit dem die frühesten tengu-Gestalten ausgestattet sind. Figuren, bei denen sich Nase und Schnabel noch nicht klar ausdifferenziert haben, lassen sich z.B. in der berühmten „Nachtparade der Hundert Geister“ (hyakki yakō [hyakki yakō (jap.) 百鬼夜行 Nächtliche Parade der Hundert Geister (hyakki). Berühmtes Sujet für die Darstellung von Geistern und Gespenstern aller Art.]) ausmachen, eine Bildrolle aus dem frühen 16. Jahrhundert. Dies war auch die Zeit, in der die zuvor eher vogelartig imaginierten tengu mit der Figur des yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō] verschmolzen.2
Edo-Zeit. Waseda University Library.
Edo-Zeit. Waseda University Library.
Indisch-buddhistische Vorbilder
Wann und wie bürgerte sich nun die Idee eines vogelartigen Dämons in Japan ein? Wie bei so vielen Geisterwesen, führt uns auch diese Frage letztlich auf den Buddhismus bzw. die komplexe Götterwelt Indiens zurück. Dort gibt es die Gestalt des Vogelmenschen Garuda [Garuḍa (skt.) गरुड Vogelmensch (jap. karura 迦楼羅)], der unter anderem als Reittier des Gottes Vishnu [Viṣṇu (skt.) विष्णु indische (vedische) Gottheit; gilt im Vishnuismus als Manifestation des höchsten Seins] fungiert. Garudas sind halb göttliche, halb tierische Wesen mit großen Zauberkräften, ähnlich den Schlangen (in Indien als naga [nāga (skt.) नाग „Schlange, Kobra“, indische Schlangengottheit (jap. naka 那伽)]-Gottheiten verehrt), mit denen sie eine erbitterte Feindschaft verbindet. Der Buddhismus integrierte die Gardudas (wie fast alle indischen Götter und Geister) in sein Pantheon und machte sie auf diese Weise auch in Ostasien bekannt.
Nara-Zeit. Kōfuku-ji.
Werk von Kei-Schule (?). Kamakura-Zeit. Sanjūsangen-dō.
Die ältesten japanischen Darstellungen Garudas stammen aus der Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō]-Zeit (8. Jh.). In der berühmten Sanjūsangen-dō [Sanjūsangen-dō (jap.) 三十三間堂 33 Klafter Halle; Kannon-Tempelhalle in Kyōto; offizieller buddhistischer Tempelname: Rengeō-in] in Kyōto gibt es eine Figurengruppe von 28 buddhistischen Beschützern aus der Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]-Zeit, zu denen auch ein Flöte-spielender Garuda (jap. karura [karura (jap.) 迦楼羅 Vogelmensch; von skt. garuda]) zählt. Er galt wohl zu dieser Zeit nicht als tengu, mag aber den tengu als visuelles Vorbild gedient haben.
Gigaku-Masken
Noch ältere Garuda-Figuren tauchen in der ältesten Theaterkunst Japans, dem höfischen gigaku [gigaku (jap.) 伎楽 Masken/Tanz-Theater, das im 7. Jh. aus China über Korea nach Japan gelangte], auf. Gigaku etablierte sich Hand in Hand mit dem Buddhismus bereits im sechsten Jahrhundert am japanischen Hof, wird aber seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr praktiziert. Daher geben uns nur noch Masken, die bis ins siebente Jahrhundert zurückreichen, über diese Theaterform Auskunft. Die Masken stellen zumeist Geisterwesen wie etwa Garuda dar, oder aber exotische „Barbaren“ aus Indien, Persien oder den (damals) sagenhaften Bergen Kunglun im Norden Chinas. Viele dieser Masken fallen besonders durch ihre großen Nasen auf.
Nara-Zeit, 8. Jh. Musee Guimet, Paris.
Asuka-Zeit, 7. Jh. e-Museum.
Asuka-Zeit, 7. Jh. e-Museum.
Somit finden wir im gigaku sowohl für den Krähen-tengu als auch für den Langnasen-tengu visuelle Prototypen. Wie, wann und warum sich diese Masken mit der Figur des tengu verbunden haben, liegt aber weitgehend im Dunkeln und kann am ehesten anhand von tengu-Legenden rekonstruiert werden.
Tengu und Mönche
Muromachi-Zeit, 1354. Saichō to Tendai no kokuhō (Saichō und die Nationalschätze des Tendai Buddhismus). Tōykō 2006 (Ausstellungskatalog), Abb. 221.
Tengu gehören nicht allein ins Reich der Märchen und Sagen, sondern spielen auch in religiösen Lehrerzählungen (setsuwa [setsuwa (jap.) 説話 Lehrerzählung, didaktische Anekdote; meist von buddh. Mönchen in Form umfangreicher Sammlungen kompiliert]) eine wichtige Rolle. Hier werden sie allerdings zunächst negativ dargestellt. Die frühesten tengu-Legenden aus dem Konjaku monogatari [Konjaku monogatari (jap.) 今昔物語 „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext] handeln zumeist von buddhistischen Mönchen, die vom rechten Weg abkommen um schließlich zu tengu zu werden, oder von tengu, die versuchen Mönche vom richtigen Weg abzubringen. In anderen Quellen, etwa dem Tengu zōshi [Tengu zōshi (jap.) 天狗草紙 fragmentarisch erhaltene Bildrolle aus der Kamakura-Zeit (1296), in deren Mittelpunkt als tengu dargestellte, unmoralische Mönche stehen] (1296), erscheint die Existenz eines tengu als karmische Konsequenz übermäßiger klerikaler Arroganz.3
Klerikale Arroganz
Im japanischen Mittelalter war die Anwendung von Gewalt und/oder schadhafter Magie durch religiöse Institutionen ein allgegenwärtiges Thema (s. z.B. Rituelle Verwünschungen). Zumeist richtete sich die klösterliche Gewalt gegen Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Ein beispielhafter Konflikt, der sich über Jahrhunderte hinzog, entspann sich etwa zwischen den Mönchen des Tempelberges Hiei-zan [Hiei-zan (jap.) 比叡山 Klosterberg Hiei bei Kyōto, traditionelles Zentrum des Tendai Buddhismus] und dem Tempel Mii-dera [Mii-dera (jap.) 三井寺 Tendai-Tempel am Biwa-See in Shiga-ken; wtl. Drei-Quellen-Tempel] (oder Onjō-ji [Onjō-ji (jap.) 園城寺 auch Mii-dera 三井寺; Tendai-Tempel am Biwa-See, unweit des Hiei-zan; Haupttempel der sogenannten Tempel-Fraktion (jimon 寺門) des Tendai Buddhismus]). Beide gehörten der Tendai [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai]-Schule an, doch nur Hiei besaß eine Ordinationsplattform, d.h. die Möglichkeit, Mönche zu weihen.4 Mii-dera versuchte mehrmals, mit Unterstützung weltlicher Autoritäten eine eigene Plattform zu etablieren, die entsprechenden Tempelhallen wurden aber jedes Mal von Hiei-Mönchssoldaten gestürmt und niedergebrannt.
Kamakura-Zeit, 1296. Cultural Heritage Online.
Geschichten rund um diesen Konflikt fanden in diverse mittelalterliche Werke Eingang, u.a. ins Tengu zōshi [Tengu zōshi (jap.) 天狗草紙 fragmentarisch erhaltene Bildrolle aus der Kamakura-Zeit (1296), in deren Mittelpunkt als tengu dargestellte, unmoralische Mönche stehen] (Buch der tengu), ein Set aus sieben aufwändig illustrierten Querbildrollen aus dem Jahr 1296, das laut Haruko Wakabayashi [Wakabayashi, Haruko (west.) Japanisch-amerikanische Japanologin mit Schwerpunkt auf dem japanischen Mittelalter] in enger Verbindung mit den Konflikten zwischen Hiei-zan und Mii-dera steht. In einer Episode wird erklärt, dass alle Oberhäupter der führenden buddhistischen Schulen im Grunde „Himmelsdämonen“ seien, die man geläufig als tengu [tengu (jap.) 天狗 wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen] bezeichnet. Aufgrund ihrer Arroganz und ihres Hochmuts seien sie zu Dämonen geworden. Das Tengu zōshi argumentiert jedoch auch, dass sich Mönche durch aufrichtige buddhistische Praxis aus dem Status eines tengu befreien können.5
Das Kriegerepos Taiheiki [Taiheiki (jap.) 太平記 Historisches Epos aus dem späten 14. Jh., behandelt den Konflikt zwischen Nördlichem und Südlichem Kaiserhof] berichtet von tengu im Umfeld des ambitionierten, aber letztlich erfolglosen Tennō Go-Daigo [Go-Daigo (jap.) 後醍醐 1288–1339 (r. 1318–1339); Tennō der späten Kamakura-Zeit, der versuchte, die pol. Autorität des Kaiserhofes wieder herzustellen.]. Nachdem sein Versuch, die Macht des Kaiserhauses durch einen Militärputsch wieder an sich zu reißen, gescheitert ist, stiften drei Mönche aus seinem Gefolge, die sich nach ihrem Tod in tengu verwandelten, weitere Verwirrung und Unruhe.6 Tengu werden in diesem Zusammenhang als grollende Totengeister (onryō [onryō (jap.) 怨霊 Rachegeist]) von buddhistischen Mönchen gedeutet.
In jedem Fall reflektieren tengu in diesen Legenden ein negatives Bild des Klerus und bilden so eine inner-buddhistische Projektionsfläche für Kritik aus den eigenen Reihen. Es scheint, dass dass sich führende Mönche vor allem in der Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]-Zeit wechselseitig bezichtigten arrogante und ignorante „tengu“ zu sein.
Tengu, Bergasketen und Kriegskünste
Werk von Utagawa Kuniyoshi. Edo-Zeit. Egenolf Gallery.
Im weiteren Verlauf des japanischen Mittelalters wurden die tengu mehr und mehr mit den bereits erwähnten yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō] assoziiert, bis sie schließlich in der Edo-Zeit sogar in der Tracht der yamabushi — erkennbar an der charakteristischen Kopfbedeckung — dargestellt wurden. Durch die Assoziation mit den yamabushi rückte offenbar die Vorstellung von tengu als Totengeister von hochrangigen Klerikern in den Hintergrund. Dagegen können yamabushi-artige tengu auch positive Züge annehmen, vor allem dann, wenn sie analog zu den Bergasketen als tüchtige Kämpfer und Meister der Kriegskünste auftreten.
Werk von Ōoka Shunboku. Edo-Zeit. Internet Archive, Smithonian Libraries and Archives.
Der bekannteste und vielleicht sogar früheste Fall eines Schwertkunstmeisters in tengu-Gestalt ist ein Geist namens Sōjōbō [Sōjōbō (jap.) 僧正坊 wtl. in etwa „Erzabt“; der buddhistische Titel ist aber in erster Line als Eigennamen eines tengu-Königs bekannt; Minamoto no Yoshitsune soll von diesem tengu die Kunst des Schwertkampfes erlernt haben], der in der Nähe des Tempels Kurama-dera [Kurama-dera (jap.) 鞍馬寺 Tempel im Norden Kyōtos, wo unter anderem Bishamon-ten, der Hüter des Nordens, als Beschützer der Hauptstadt verehrt wurde.] im Norden Kyōtos gehaust haben soll. Von ihm soll einer der berühmtesten japanischen Helden, Minamoto no Yoshitsune [Minamoto no Yoshitsune (jap.) 源義経 1159–1189; japanischer Feldherr und Halbbruder von Minamoto no Yoritomo], in seiner Jugend die Kunst des Schwertkampfes erlernt haben. Das Motiv taucht bereits in einem Nō-Stück aus der Muromachi [Muromachi (jap.) 室町 Stadtteil in Kyōto; Sitz des Ashikaga Shōgunats 1336–1573 (= Muromachi-Zeit)]-Zeit auf und wurde später mannigfach ausgebaut. Zahlreiche ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit] stellen dar, wie sich Yoshitsune mit einem Holzschwert bewaffnet gegen eine Reihe von Krähen-tengu durchsetzt, während der langnasige Sōjōbō befriedigt die Leistungen seines menschlichen Schülers beobachtet. Der Name Sōjōbō bedeutet übrigens wörtlich nichts anderes als „Abt-Mönch“ und es mag sein, dass eine Art yamabushi den historischen Kern dieser Legende bildet. Auch die angeblich älteste bildliche Darstellung eines Langnasen-tengu stellt Sōjōbō dar (Abb. links). Sie soll einer Traumvision des Hofmalers Kanō Motonobu [Kanō Motonobu (jap.) 狩野元信 1476–1559; Hofmaler und Mitbegründer der bekannten Kanō-Schule] entsprungen sein.7 Das Sōjōbō-Yoshitsune Motiv mag somit sowohl ein Grund für das Aufkommen des Langnasen-tengu als auch für den positiven Image-Wandel der tengu in der Edo-Zeit gewesen sein.
Werk von Utagawa Hiroshige. Edo-Zeit. Colbase.
Tengu-artige Gottheiten
Immer wieder stößt man in Tempeln und Schreinen auf tengu-Abbildungen. Im Allgemeinen handelt es sich bei derartigen religiösen Gebäuden um Kultstätten des Shugendō [Shugendō (jap.) 修験道 gemischt-rel. Bergkult, Orden der yamabushi], des spezifischen Kults der yamabushi. Die yamabushi wurden also nicht nur mit tengu assoziiert, sie verehrten und verehren ihrerseits auch Gottheiten in tengu-Gestalt. Die Gottheit Tarō-bō [Atago Tarō-bō (jap.) 愛宕太郎坊 Gottheit des Atagoyama, eines Zentrums der Bergasketen (yamabushi) bei Kyōto, in tengu-Gestalt] aus dem Atagoyama [Atagoyama (jap.) 愛宕山 Berg im Nordwesten von Kyōto]-Gebirge im Nordwesten Kyōtos ist wahrscheinlich der älteste Vertreter dieser Klasse von tengu-artigen Berggottheiten.
Izuna Gongen, Akiha Gongen
Der Takao-san [Takao-san (jap.) 高尾山 Berg Takao, rel. Zentrum im Westen Tōkyōs], ein Berg am westlichen Stadtrand Tōkyōs, ist ein weiteres traditionelles Zentrum des Shugendō. Es gibt hier sowohl einen Tempel als auch einen Schrein, in dem die Gottheit Izuna Gongen [Izuna Gongen (jap.) 飯縄権現 Gottheit in tengu-Gestalt] verehrt wird. Ähnlich verhält es sich mit Akiha Gongen [Akiha Gongen (jap.) 秋葉権現 Gottheit des Berges Akiha, ein Shugendō-Zentrum im heutigen Shizuoka; hat die Gestalt eines tengu], der Gottheit eines weiteren Shugendō-Berges in der Präfektur Shizuoka. Ebenso wie Berg Atago wurden und werden beide unter anderem um Schutz vor Feuer angebetet.
Bildquelle: Sakigake ichimonji, 2012.
17. Jh. Online Archive of California.
Izuna und Akiha Gongen erscheinen beide in Gestalt eines karasu tengu (oder Garuda), der auf einem weißen Fuchs reitet. Schwert, Schild und Flammennimbus erinnern an Fudō Myōō [Fudō Myōō (jap.) 不動明王 prominentester japanischer myōō (Mantra-König), wtl. „der Unbewegliche“], der ja tatsächlich auch im Shugendō eine zentrale Rolle spielt. Zudem deutet das fuchsartige Reittier auf eine Verbindung mit Inari/Dakini hin.8 Verschiedene esoterische Gottheiten wurden also mit der Gestalt des tengu zu neuen Gottheiten verschmolzen. Viele dieser Shugendō-Götter standen im Übrigen mit Schulen der Kriegskünste und magischen Kampftechniken in Verbindung, die wiederum von den yamabushi betrieben wurden.
Glücksbringer
Talismane mit tengu, beispielsweise ema [ema (jap.) 絵馬 Votivbild; wtl. Bild-Pferd], findet man in Japan vor allem in Schreinen und Tempeln, die mit den yamabushi in Verbindung stehen, sowie in Schreinen, die Sarutahiko geweiht sind. In diesem Kontext sind auch tengu-Masken häufig anzutreffen.
SkylineGTR, flickr 2011.
1929. Jake Davies, 2008 (mit freundlicher Genehmigung).
Takao Daisuke, Flickr, 2004.
Tengu-Motive
Phallische tengu
An den unten abgebildeten Beispielen ist zu erkennen, dass die phallische Form der tengu-Nase durchaus sexuelle Assoziationen weckte. Derartige Assoziationen wurden allerdings im vormodernen Japan nicht unbedingt als „obszön“ empfunden. Ähnlich wie im Fall des Glücksgottes Fukurokuju [Fukurokuju (jap.) 福禄寿 Glücksgott, Gott des Langen Lebens] mit seinem phallisch verlängerten Schädel wird der Phallus eher als Symbol der Fruchtbarkeit oder allgemein des Glücks verstanden. Aufgrund dieser Logik waren Phallus-Kulte und phallische religiöse Symbolismen im vormodernen Japan weit verbreitet (s. Phallus-Kulte: Fruchtbarkeitsriten, Volksbräuche und shunga).
20. Jh. Vladimir Vyskocil, flickr, 2013 (mit freundlicher Genehmigung).
万屋満載, 2009.
Edo-Zeit. Wikimedia Commons.
Tengu in Edo-zeitlichen ukiyo-e und Buchdrucken
Wie bereits erwähnt, sind tengu-Legenden ein beliebtes Sujet der ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit]-Künstler. In der Blütezeit des Genres im 19. Jahrhundert begegnen wir sowohl Krähen- als auch Langnasen-tengu, nicht selten in parodistischer Weise dargestellt.
Werk von Katsushika Hokusai (1760-1849). Edo-Zeit, 19. Jh. Internet Archive.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit. Minneapolis Institute of Art.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi. Edo-Zeit, 1866. Bayerische Staatsbibliothek, MDZ.
Werk von Kawanabe Kyōsai (1831–1889). Edo-Zeit, 1863. Art Gallery of New South Wales.
Darüber hinaus gab es in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit auch quasi-wissenschaftliche, enzyklopädische Abbildungen von tengu, die beweisen, dass ihre Existenz allgemein für real gehalten wurde.
Frühe Meiji-Zeit, 1881. The British Museum.
Kagawa Kenritsu Toshokan.
Zusammenfassung
Japanische tengu sind das Produkt einer kreativen Vermischung von Figuren mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Im japanischen Altertum gab es eine wohl eher unspezifische Vorstellung von einem unheilvollen „Himmelshund“. Der Begriff verknüpfte sich mit dem durch den Buddhismus bekannt gewordenen Vogelmenschen Garuda, wodurch es zu einer konkreten Vorstellung von vogelartigen tengu-Dämonen kam. Diese wurden im frühen Mittelalter vor allem mit Mönchen assoziiert, die vom rechten Weg abgekommen waren. Doch etablierte sich rasch eine relativ große Bandbreite zwischen absolut bösen tengu und tengu mit sympathischen oder bewunderswerten Zügen. Ein positives Image der tengu wurde durch die Assoziation mit Bergasketen gestärkt, wobei deren Orden (Shugendō [Shugendō (jap.) 修験道 gemischt-rel. Bergkult, Orden der yamabushi]) vielleicht sogar von ihnen selbst mit tengu-gestaltigen Gottheiten verknüpft wurde. Ein frühes Beispiel dafür findet sich im Tengu zōshi von 1296, wo die Gott des Berges Atagoyama [Atagoyama (jap.) 愛宕山 Berg im Nordwesten von Kyōto] (bei Kyōto) unter dem Namen Atago Tarō-bō [Atago Tarō-bō (jap.) 愛宕太郎坊 Gottheit des Atagoyama, eines Zentrums der Bergasketen (yamabushi) bei Kyōto, in tengu-Gestalt] als Krähen-tengu auftritt. Er gilt heute, wie viele tengu-Gottheiten, als Beschützergottheit vor Feuersbrünsten.
Andere Zentren der yamabushi folgten offenbar dem Muster, wonach ein Chef-tengu mit dem Mönchstitel -bō umgeben von einem Gefolge niederrangiger tengu das spirituelle Zentrum des jeweiligen Bergkultes darstellte. Sōjōbō, der tengu-Meister des Berges kuramayama [[[glossar:kuramayama|]] () ] war möglicherweise der erste dieser tengu-Halbgötter, den man in menschlicher Gestalt mit langer Nase imaginierte. Er wurde unter anderem im Nō-Theater als Meister der Schwertkunst gefeiert. Wie bei den Krähen-tengu mag das visuelle Vorbild dieser Gestalt den gigaku-Masken, also dem ältesten japanischen Theater, entstammen. Zu einer Assoziation mit dem langnasigen Gott Sarutahiko aus der einheimischen Mythologie kam es hingegen wohl erst, als sich die Figur des Langnasen-tengu etabliert hatte. Zweifellos ging damit auch eine zunehmend positive Bewertung der tengu Hand in Hand. Das spätmittelalterliche Aufkommen des Langnasen-tengu überschnitt sich mit den ersten Handelsbeziehungen zu Europa im Zeitalter der Entdeckungen. Somit mögen Europäer dem bereits in gigaku-Masken angelegten Bild europider „Barbaren“ einen letzten Schliff bei der Ausgestaltung des heute gängigen tengu-Bildes verliehen haben.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Der Name Himmelhund wurde allerdings schon in China mit seltenen Tieren verknüpft. Die chinesische Enzyklopädie Shanhaijing aus der Han-Zeit kennt etwa einen tiangou, dessen Gestalt einem Marderhund (jap. tanuki) ähnle. In einer illustrierten Fassung aus der Ming-Zeit erscheint dieser als ein nicht weiter auffallendes, eher katzenartiges Raubtier (vgl. National Diet Library, Shanhaijing und Shinma seiyō meijiten [2025/6/8]).
- ↑ Nagura 2020, S. 72–73.
- ↑ Für einen unterhaltsamen Überblick über die mittelalterlichen tengu-Legenden, s. Pauly 2009.
- ↑ S. dazu auch Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult.
- ↑ Abe 2002, S. 215–220; Wakabayashi 2002, S. 55–56; Wakabayashi 2012.
- ↑ Hosokawa 2002, S. 206–209.
- ↑ Kagawa 2022.
- ↑ Das Reittier wird in diesem Fall aber nicht als Fuchs, sondern als izuna ausgegeben, eine Bezeichnung, die heute Wiesel bezeichnet, aber je nach Region auch Dachse, tanuki oder Füchse bezeichnen kann. Der Name Izuna Gongen geht aber wahrscheinlich nicht auf das izuna-Tier, sondern auf eine Wildpflanze gleichen Namens zurück, die als Nahrung der Tengu galt (Wikipedia [ja.]).
Internetquellen
- Tengu (en.)
Ausführliche Darstellung auf Wikipedia. - Tengu, the Slayer of Vanity, Mark Schumacher (en.)
Tengu - Seite von A-Z Dictionary of Japanese Buddhist Statuary. - Izuna Gongen, Itō Satoshi (en.)
Artikel zu Izuna Gongen in der Encyclodedia of Shinto. - “Tengu”: The Birdlike Demons that Became Almost Divine, Kagawa Masanobu, Nippon.com, 2022.
Literatur
Bilder
- ^ Riesen-tengu am Eingang der Tempelanlage von Kurama im Norden Kyōtos, wo sich u.a. ein traditionelles Zentrum des tengu-Glaubens befindet.
Wada Yoshio, 2002 (mit freundlicher Genehmigung). - ^ Dieser tengu ist mit einem typischen Emblem ausgestattet: Einem magischen Fächer aus Vogelfedern (ha-uchiwa). Außerdem trägt er das Gewand eines Bergasketen (yamabushi) mit der typischen Kopfbedeckung tokin.
20. Jh. Takada Yoshikazu, Flickr, 2018. - ^ Titelblatt von Tengu-ron, einem Werk des buddhistischen Philosophen Inoue Enryō (1858-1919), der sich die Bekämpfung des volkstümlichen Glaubens an yōkai, darunter auch tengu, zum Ziel setzte.
1916. National Diet Library, Tokyo. - ^ Maske des tengu-artigen Gottes Sarutahiko bei einer religiösen Tanzperformance (kagura).
kuusounomori.sakura, jp. - ^ Der mythologische Gott Sarutahiko mit tengu-ähnlicher Nase und dem Gewand eines yamabushi. Das Bild erschien in einer Serie von Illustrationen zu Amaterasus Austritt aus der Höhle (daher auch Hahn und Henne), obwohl Sarutahiko im ursprünglichen Mythos damit gar nichts zu tun hat. Siehe auch Ame no Uzume.
Werk von Totoya Hokkei (1780–1850). Edo-Zeit, 1820er Jahre. Museum of Fine Arts, Boston. - ^ Die mythologische Gottheit Sarutahiko wird üblicherweise als hühnenhafter tengu mit wildem, weißen Haar dargestellt. Hier eine Szene eines bekannten Schreinfestes in Shimokitazawa, Tokao.
2012. Balbo42, flickr, 2012. - ^ Tengu in der Kleidung eines Kriegermönchs, auf einem Wildschwein reitend.
Der dargestellte tengu ist Atago Tarō-bō, ein berühmter tengu, der auf dem Berg Atagoyama im Westen Kyōtos zuhause ist. Er wird dort mit Jizō Bosatsu assoziiert, was den charakteristischen Pilgerstab in seiner Hand erklärt. Der Sage nach hält sich dieser tengu häufig auf der „tengu-Kiefer“ (tengu no matsu) des Tempel Sairin-ji auf, von dem dieses Bild stammt. Wie Berg Atago selbst ist der Tempel eng mit dem Shugendō, dem Glauben der yamabushi, verbunden. Atago Tarō-bō wurde und wird hier als Beschützer vor Brandkatastrophen angebetet.
Werk von Kaihō Yūtoku. Späte Edo-Zeit, 19. Jh. Saichō to Tendai no kokuhō (Saichō und die Nationalschätze des Tendai Buddhismus). Tōykō 2006 (Ausstellungskatalog), Abb. 234. - ^ Krähen-Tengu (karasu tengu) in modernem Design.
Bildquelle: thetengu.com, offline. - ^ Geist in Gestalt eines tengu, mit Flügeln und langer Nase. Er trägt einen überdimensionalen Pilgerstab, sowie eine Mundorgel (shō) als Kopfbedeckung. Die Abbildung entstammt einer ziemlich detailgetreuen Kopie der „Parade der Hundert Geister“ (hyakki yakō) aus dem 16. Jahrhundert, in der religiöse Gebrauchs- bzw. Zeremonialgegenstände zum Leben erwachen. Es könnte dies die Zeit und der Kontext sein, worin sich die Standarddarstellung der langnasigen tengu etablierte.
Edo-Zeit. Waseda University Library. - ^ Gruppe von Monstern aus der „Parade der Hundert Geister“ (hyakki yakō). Ein Geist hat die Gestalt eines tengu, mit Flügeln und schnabelartiger Nase. Er trägt ein Bündel von buddhistischen Sutren-Rollen als Kopfbedeckung. Die Darstellung get auf ein Original aus dem 16. Jh. zurück.
Edo-Zeit. Waseda University Library. - ^ Älteste japanische Statue eines karura (Skt. Garuda), eine Vogelmensch, der mit dem Buddhismus aus Indien nach Japan importiert wurde. Im Hinduismus dient Garuda als Reittier des Gottes Vishnu. Die Statue besteht aus Lehm, der außen durch Lack gehärtet und modelliert ist (eine typisch Nara-zeitliche Technik).
Nara-Zeit. Kōfuku-ji. - ^ Statue des Königs der karura, ein indischer Vogelmensch (Garuda), der hier als einer von 28 Beschützern des Buddhismus abgebildet ist. Die Gruppe ist zusammen mit tausend Kannon-Statuen Teil des Figurenensembles der Sanjūsangen-dō in Kyōto und wurde Anfang des japanischen Mittelalters angefertigt. Die Figur weist große Ähnlichkeiten mit den ebenfalls zu dieser Zeit erstmals abgebildeten karasu tengu auf und dürfte deren Darstellung wohl inspiriert haben.
Werk von Kei-Schule (?). Kamakura-Zeit. Sanjūsangen-dō. - ^ Der Vogelmensch Garuda (jap. karura) als Maske des höfischen gigaku-Theaters. Teil einer Sammlung von 31 Masken aus der Asuka-Zeit. Die Figur hält eine Wunsch-Perle (nyoi no tama) im Schnabel.
Asuka-Zeit, 7. Jh. e-Museum, bildbearbeitet. - ^ Die Maske des Vogelmenschen Garuda (jap. karura) repräsentiert eine Figur des höfischen gigaku-Theaters, das bereits in der Nara-Zeit existierte. Laut Inschrift wurde diese Maske bei der Inauguration des Großen Buddha in Nara (752) verwendet.
Nara-Zeit, 8. Jh. Musee Guimet, Paris. - ^ Gigaku-Maske eines Dämonen aus den Kunlun Bergen in Nord-China (jap. konron) am Rande der zivilisierten Welt, wovon die Maske ihren Namen hat. Es handelt sich um eine von 31 Masken gigaku-Masken aus dem 7. Jahrhundert, die bis heute im ältesten Schatzhaus Japans überdauert hat. Die Figur des Konron repräsentiert einen Bösewicht, der sich an die weibliche Hauptfigur heranmacht. Die Maske selbst könnte eine Inspirationsquelle für die späteren tengu-Maske darstellen.
Asuka-Zeit, 7. Jh. e-Museum. - ^ Maske eines „Straßenfegers“ (chidō 治道), eine von 31 bekannten gigaku-Masken aus dem 7. Jahrhundert. Die Maske trägt eindeutig europide exotische Züge, insbesondere eine überlange Nase und ein rötliches Gesicht. Beide Merkmale zeichnen auch spätere tengu-Masken aus. Es soll sich bei chidō um eine positiv besetzte priesterliche Figur gehandelt haben.
Asuka-Zeit, 7. Jh. e-Museum. - ^ Gefangennahme und Züchtigung des Zegaibō, eines tengu aus China, durch Tempelknaben auf Berg Hiei. Illustration einer mittelalterlichen Legende, die von einem chinesischen tengu erzählt, der im Jahr 966 Japan besucht, um sich hier mit den wunderkräftigsten Mönchen auf Berg Hiei zu messen. Er erleidet dabei drei mal hintereinander herbe Demütigungen. Schließlich erbarmen sich japanische tengu ihres Kollegen, pflegen ihn gesund und schicken ihn zurück nach China.
Muromachi-Zeit, 1354. Saichō to Tendai no kokuhō (Saichō und die Nationalschätze des Tendai Buddhismus). Tōykō 2006 (Ausstellungskatalog), Abb. 221. - ^ Das Tengu zōshi, ein aus mehreren illustrierten Bildrollen zusammengesetztes Werk, bringt in seinen Lehrerzählungen die Existenz als tengu mit den typischen Verfehlungen des Mönchsstandes, vor allem Arroganz und Hochmut, in Zusammenhang. In dieser Szene sind Mönche aus verschiedenen Schulen des mittelalterlichen Buddhismus durch ihre Schnäbel als tengu zu erkennen. Sie beschließen, sich wieder der Lehre des Buddha zuzuwenden, um ihren tengu-Status zu überwinden. Die folgenden Szenen der Bildrolle zeigen, wie tengu Tempel errichten, um im letzten Bild als Menschen aufzutreten (Wakabayashi 2002, S. 55–56).
Kamakura-Zeit, 1296. Cultural Heritage Online.
- ^ Tengu-Meister Sōjōbō beobachtet die Fortschritte seines Schützlings Ushiwakamaru (Minamoto no Yoshitsune), der sich in der Schwertkunst (Holzschwert) mit jungen Krähen-tengu misst. Der berühmte Feldherr Yoshitsune (1159–1189) war Halbwaise und verbrachte seine Kindheit im Tempel Kurama nördlich von Kyōto, in dessen Nähe der tengu Sōjōbō gehaust haben und Yoshitsune (bzw. Ushiwakamaro, wie er als Kind hieß) in der Kunst des Schwertkampfs zur Perfektion gebracht haben soll. Yoshitsune ist einer der beliebtesten Helden Japans. Das Motiv seines Schwerttrainings bei den tengu wurde von den ukiyo-e-Künstlern der Edo Zeit häufig dargestellt.
Werk von Utagawa Kuniyoshi. Edo-Zeit. Egenolf Gallery. - ^ Langnasen-tengu in der Kleidung eines yamabushi, laut eingeschriebener Beschreibung mit weißem Haar, dunkelrotem Gesicht und hellroter Kleidung. Im Unterschied zu späteren Darstellungen besitzt der tengu hier schwach angedeutete Raubtierzähne und trägt unter seinem Mönchsgewand eine deutlich erkennbare Rüstung. Das Bild ist Teil einer Anthologie berühmter Kunstwerke. Wie in der Erklärung zu diesem Druck angemerkt, handelt es sich um die Reproduktion eines (mittlerweile verschollenen) Portraits des tengu-Meisters Sōjōbō durch Kanō Motonobu (1476–1559), auf der Grundlage einer Traumvision. Das Original wäre somit die älteste bekannte Darstellung eines Langnasen-tengu.
Werk von Ōoka Shunboku. Edo-Zeit. Internet Archive, Smithonian Libraries and Archives. - ^ Der minderjährige Minamoto no Yoshitsune lernt die Kunst des Schwertkampfes bei den tengu.
Werk von Utagawa Hiroshige. Edo-Zeit. Colbase. - ^ Talisman (o-fuda) des Tempels Takao-san in Gestalt des Izuna Gongen, eine Gottheit der Bergasketen (yamabushi).
Bildquelle: Sakigake ichimonji, 2012. - ^ Eine Feuer-Gottheit des Shugendō, Akiha Gongen, mit dem Schwert und dem Seil des Fudō Myōō ausgestattet und auf einem Fuchs oder Wiesel reitend. Eine ganz ähnliche Gestalt ist Izuna Gongen.
17. Jh. Online Archive of California. - ^ Neben einer Maske sind auf diesem ema auch die für tengu typischen einstegigen geta-Sandalen zu erkennen.
SkylineGTR, flickr 2011. - ^ Dieser tengu befindet sich im Gebälk eines Schreins.
1929. Jake Davies, 2008 (mit freundlicher Genehmigung). - ^ Der Inschrift ist zu entnehmen, dass dieses Bild von einer gewissen Ebara Isshin Bruderschaft anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens gestiftet wurde. Es handelt sich dabei um eine Laiengruppe (kō 講), möglicherweise Shugendō-Adepten, die gemeinsam das tengu-Zentrum auf Berg Takao regelmäßig besuchen.
Takao Daisuke, Flickr, 2004. - ^ Moderne Statue mit tengu-Maske in einem verschwiegenen Onsen.
20. Jh. Vladimir Vyskocil, flickr, 2013 (mit freundlicher Genehmigung). - ^ Tengu mit Phallusnase. Der Schrein ist auf Frauenkrankheiten und Kinderwünsche spezialisiert. (Siehe dazu auch Phalluskulte.)
万屋満載, 2009. - ^ Erotische Darstellung (shunga) eines lesbischen Paars. Die tengu-Maske dient als Dildo.
Edo-Zeit. Wikimedia Commons. - ^ Ein karasu tengu und ein langnasiger tengu beim Transport.
Werk von Katsushika Hokusai (1760-1849). Edo-Zeit, 19. Jh. Internet Archive. - ^ Iga no Tsubone, eine unerschrockene Hofdame des Tennō Go-Daigo, besänftigt den tengu-Geist eines ehemaligen Vasallen des Tennō, der ungerechtfertigterweise zu Tode kam.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit. Minneapolis Institute of Art. - ^ Der Held Minamoto (Kiso) Yoshinaka (1154–84), beim Kampf mit mehreren tengu.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi. Edo-Zeit, 1866. Bayerische Staatsbibliothek, MDZ. - ^ Tengu-Party nahe dem Schreintempel von Berg Akiba. Ein hochrangiger Langnasen-tengu wird von Krähen-tengu bedient und unterhalten. Auf diesem Berg in der Präfektur Shizuoka wird auch die Gottheit Akiba Gongen in tengu-Gestalt verehrt.
Werk von Kawanabe Kyōsai (1831–1889). Edo-Zeit, 1863. Art Gallery of New South Wales. - ^ Die Darstellung dieses tengu basiert auf einer Vorlage des Gelehrten und Malers Toriyama Sekien (1712–1788) aus dem Jahr 1776.
Frühe Meiji-Zeit, 1881. The British Museum. - ^ Darstellung einer Legende des Konpira Schreins, Shikoku. Dass tengu in der Lage sind, nicht nur sich selbst, sondern auch andere blitzartig verschwinden zu lassen und an einen anderen Ort zu transportieren, dürfte mit ein Grund für den Ausdruck kamikakushi 神隠し, „übernatürliches Verschwinden“, sein, der wtl. „von den kami [hier eher Geister, Dämonen] versteckt“ bedeutet. Diesen Ausdruck gebrauchte man früher vor allem in Zusammenhang mit entsprechenden tengu-Legenden (Nihon kokugo daijiten).
Kagawa Kenritsu Toshokan.
Glossar
- Akiha Gongen 秋葉権現 ^ Gottheit des Berges Akiha, ein Shugendō-Zentrum im heutigen Shizuoka; hat die Gestalt eines tengu
- Atago Tarō-bō 愛宕太郎坊 ^ Gottheit des Atagoyama, eines Zentrums der Bergasketen (yamabushi) bei Kyōto, in tengu-Gestalt
- Fukurokuju 福禄寿 ^ Glücksgott, Gott des Langen Lebens
- hi no yōjin 火の用心 ^ „Bewahrt das Feuer“; Ruf von Nachtwächtern, etc.
- hyakki yakō 百鬼夜行 ^ Nächtliche Parade der Hundert Geister (hyakki). Berühmtes Sujet für die Darstellung von Geistern und Gespenstern aller Art.
- Kanō Motonobu 狩野元信 ^ 1476–1559; Hofmaler und Mitbegründer der bekannten Kanō-Schule
- Konjaku monogatari 今昔物語 ^ „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext
- Kurama-dera 鞍馬寺 ^ Tempel im Norden Kyōtos, wo unter anderem Bishamon-ten, der Hüter des Nordens, als Beschützer der Hauptstadt verehrt wurde.
- Minamoto no Yoshitsune 源義経 ^ 1159–1189; japanischer Feldherr und Halbbruder von Minamoto no Yoritomo
- Nihon shoki 日本書紀 ^ Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)
- Sanjūsangen-dō 三十三間堂 ^ 33 Klafter Halle; Kannon-Tempelhalle in Kyōto; offizieller buddhistischer Tempelname: Rengeō-in
- Sanshaku-bō 三尺坊 ^ Wtl. Drei-Fuß-Mönch; alternativer Namen von Akiha Gongen, Gottheit in tengu-Gestalt
- Sōjōbō 僧正坊 ^ wtl. in etwa „Erzabt“; der buddhistische Titel ist aber in erster Line als Eigennamen eines tengu-Königs bekannt; Minamoto no Yoshitsune soll von diesem tengu die Kunst des Schwertkampfes erlernt haben
- Tengu zōshi 天狗草紙 ^ fragmentarisch erhaltene Bildrolle aus der Kamakura-Zeit (1296), in deren Mittelpunkt als tengu dargestellte, unmoralische Mönche stehen
- Wakabayashi, Haruko (west.) ^ Japanisch-amerikanische Japanologin mit Schwerpunkt auf dem japanischen Mittelalter
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
„Tengu: Japanische Vogelmenschen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001