Shintō: Versuch einer Begriffsbestimmung
Das Wort shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] bedeutet wörtlich „Weg der Götter“ und wird landläufig als Selbstbezeichnung der einheimischen Religion Japans angegeben. Auf den ersten Blick scheint diese Definition unproblematisch. Was einen ein wenig stutzig machen könnte, ist lediglich, dass „shintō“ offenbar ein Wort chinesischen Ursprungs ist und dass es sich keineswegs um ein häufig gebrauchtes Vokabel handelt. Wer ein modernes japanisches Textverarbeitungsprogramm benützt und die Silben „shin-tou“ eintippt, erhält als Kanji-Schreibung meist homophone Begriffe wie „shintō [shintō (jap.) 新党 Neue Partei (Homonym von Shinto)], Neue Partei“ oder „shintō [shintō (jap.) 浸透 Osmose (Homonym von Shinto)], Osmose“ vorgeschlagen, bevor die Zeichen 神 (Gottheit) und 道 (Weg) erscheinen. Shintō im religiösen Sinn ist tatsächlich im Alltagsjapanisch kaum gebräuchlich. Selbst hinsichtlich der Aussprache (shintō oder shindō) sind sich moderne Japaner nicht immer sicher. Woher kommt diese erstaunliche Zurückhaltung gegenüber einem Wort, das mitunter als Inbegriff des Japanischen schlechthin dargestellt wird?
Salvador Busquets Artigas, flickr (SBA73), 2008 (mit freundlicher Genehmigung).
Generelle Merkmale
For the whole Sintos Religion is so mean and simple, that besides a heap of fabulous and romantick stories of their Gods, Demi-gods and Heroes, inconsistent with reason and common sense, their Divines have nothing, neither in their sacred Books, nor by Tradition, wherewithal to satisfy the Inquiries of curious persons, about the nature and essence of their Gods, about their power and government, about the future state of our Soul, and such other essential points.
Engelbert Kaempfer, 16921
Das obige Zitat aus einem der frühesten Reiseberichte über Japan von Engelbert Kaempfer [Kaempfer, Engelbert (west.) 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung] lässt erkennen, dass Shintō bereits im 17. Jahrhundert die meisten ausländischen Beobachter ratlos zurückließ, da sie sich mit der scheinbaren Einfachheit der Religion nicht zurecht fanden. In der neueren Einführungsliteratur wird Shintō daher gerne mit der japanischen Urreligion gleichgesetzt. Oft wird zugleich der Eindruck vermittelt, es handle sich um einen besonders archaischen Glauben, der in Japan — im Gegensatz zu anderen Urreligionen — auf mirakulöse Weise in die Moderne hinüber gerettet worden wäre. Dies verleitet wiederum zu dem Trugschluss, Shintō habe in vorbuddhistischer Zeit bereits genau so ausgesehen wie heute. Bei näherer Betrachtung stößt man allerdings rasch auf Widersprüche in diesem Modell und es stellt sich heraus, dass vieles, was uns heute als typisch shintōistisch erscheint, eigentlich buddhistische Wurzeln hat oder erst in jüngerer Zeit bewusst archaisiert wurde. Was sind nun die Elemente, an denen man so etwas wie eine Identität des Shintō festmachen könnte?
Schreine (jinja)
Die Shintō-Religion besitzt eine große Zahl klar definierter Orte, an denen sie praktiziert wird, nämlich die Shintō-Schreine (jinja [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)]). Schreine stellen quasi die räumliche Basis des Shintō dar. Wie im Kapitel Bauten genauer erörtert, handelt es sich bei „Schreinen“ um Orte, an denen die dort verehrten Gottheiten „wohnen“. Wenn man einen Schrein aufsucht, begibt man sich also in die unmittelbare Nähe einer Gottheit. Hier richtet man zumeist Gebete und Opfergaben an eine oder mehrere Gottheiten, um im Austausch dafür bestimmte Vorteile zu erhalten. Obwohl die genauen Funktionen von Schreinen verschieden sein können und auch großen historischen Veränderungen unterworfen waren, sind einzelne bauliche Merkmale von Schreinen über lange Zeit erstaunlich konstant geblieben. Es ist diese Konstanz in den äußeren Formen, die den Eindruck erweckt, Shintō sei insgesamt ein unveränderliches, geschichtsloses Phänomen.
Torii
Die markantesten baulichen Merkmale eines Shintō-Schreins sind frei stehende symbolische Durchgänge bestehend aus zwei einfachen Pfosten und zwei Querbalken, die torii [torii (jap.) 鳥居 Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami] genannt werden. Sie sind heute vor allen Schreinen zu finden und eignen sich daher auch als Emblem der Shintō-Religion allgemein. Ob dies allerdings schon in vorbuddhistischer Zeit so war oder ob torii vielleicht erst mit dem Buddhismus [bukkyō (jap.) 仏教 Lehre des Buddha, Buddhismus] nach Japan kamen, ist fraglich. In früheren Zeiten muss es jedenfalls auch buddhistische Tempel gegeben haben, die man durch torii betrat. Einer der ältesten buddhistischen Tempel Japans, der Shitennō-ji [Shitennō-ji (jap.) 四天王寺 buddh. Tempel im heutigen Ōsaka; zählt zusammen mit dem Asuka-dera zu den beiden ältesten Tempeln Japans (Gründung 593)] in Osaka, zählt heute noch dazu. Spätestens ab der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit waren aber Schreine anhand von torii zu identifizieren (mehr dazu im Kapitel Bauten, Torii).
Kami
Schon vor Übernahme des Buddhismus nannten die Japaner ihre Götter und Geister kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]. Der Begriff kami hielt sich durch alle Phasen der japanischen Religionsgeschichte, auch wenn sich damit die unterschiedlichsten religiösen Phänomene bezeichnen lassen. Die Mythen sprechen häufig von yaoyorozu [yaoyorozu (jap.) 八百万 altjap. für „acht Millionen“ bzw. unendlich viele] no kami, wtl. acht Millionen Götter, was aber genauso als Ausdruck einer unvorstellbar großen Zahl aufgefasst wird.
Japanische Shintō-Schreine sind zumeist namentlich bekannten Gottheiten geweiht, die teils den alten Mythen entstammen, oft aber auch durch den Buddhismus nach Japan kamen oder aus historischen, später vergöttlichten Persönlichkeiten entstanden sind. Das bekannteste Beispiel einer mythologischen Gottheit ist Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise] mit dem Hauptschrein in Ise [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū]. Die meisten der Sieben Glücksgötter entstammen dagegen dem Buddhismus oder leiten sich von anderen nicht-japanischen Vorbildern her. Berühmte Beispiele für die Vergöttlichung einer historischen Persönlichkeit sind Tokugawa Ieyasu [Tokugawa Ieyasu (jap.) 徳川家康 1543–1616; Begründer des Tokugawa Shogunats; Reichseiniger], der im bekannten Tōshō-gū [Tōshō-gū (jap.) 東照宮 Tōshō Schrein, Mausoleum des Tokugawa Ieyasu in Nikkō, Präf. Tochigi] Schrein in Nikkō [Nikkō (jap.) 日光 Tempel-Schreinanlage im Norden der Kantō-Ebene, Präf. Tochigi; beherbergt u.a. den Tōshō-gū Schrein] verehrt wird, oder Meiji Tennō [Meiji Tennō (jap.) 明治天皇 1852–1912; 122. japanischer Kaiser (r. 1867–1912); Namensgeber und politische Symbolfigur der Meiji-Zeit; Eigenname: Mutsuhito], für den nach seinem Tod der Meiji Schrein [Meiji Jingū (jap.) 明治神宮 Schrein des Meiji Tennō in Tōkyō, err. 1920] in Tōkyō errichtet wurde.
Laut einer klassischen Definition des Shintō-Gelehrten Motoori Norinaga [Motoori Norinaga (jap.) 本居宣長 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)] kann alles, was in irgendeiner Weise außergewöhnlich und ehrfurchtgebietend ist, kami genannt werden, unabhängig davon, ob es sich um etwas Gutes oder Schlechtes, Erhabenes oder Abstoßendes handelt. Neben eindrucksvollen Naturerscheinungen wie Bergen, Bäumen oder Flüssen können auch Menschen oder Tiere als kami bezeichnet werden. Motooris Zitat lautet in wörtlicher Übersetzung:
Werk von Yoshikawa Yoshinobu. Edo-Zeit, 1790. Motoori Norinaga Museum.
Was man unter kami versteht, sind zum einen die Gottheiten von Himmel und Erde, wie wir sie in den alten Klassikern finden, und zum anderen die Seelengeister (mitama [mitama (jap.) 御魂/御霊 „Eherenwerter Geist“; Seelengeist der kami; s.a. aramitama, nigimitama]), die in den verschiedenen Schreinen verehrt werden. Ferner können natürlich auch Menschen, ebenso wie Tiere, Pflanzen, das Meer und die Berge als kami bezeichnet werden, sofern sie eine seltene, ungewöhnliche oder überlegene Kraft besitzen, die Ehrfurcht (kashikoki) hervorruft. „Überlegen“ (suguretaru) bezieht sich dabei nicht nur auf Vornehmes, Gutes und Tugendhaftes, denn auch ungewöhnlich Böses und Absonderliches kann Ehrfurcht hervorrufen und kami genannt werden.2
Motoori schließt daraus, dass natürlich auch der herrschende Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] und seine Vorfahren kami sind. Im Unterschied zu christlichen Gottesvorstellungen wird diese Göttlichkeit aber nicht aus einem Prinzip (z.B. Allmacht), sondern aus einer Wirkung (ehrfurchtgebietend) abgeleitet. Kami werden also gleichsam empirisch begründet, nämlich aufgrund von besonderen – ansonsten unerklärlichen – Effekten auf die konkrete Lebenswelt der Menschen. Motoori – und mit ihm viele andere Shintōisten – argumentiert also nicht, dass man aus diesen oder jenen Gründen an die kami glauben muss, sondern setzt den Glauben an schicksalsbestimmende Kräfte als gegeben voraus und nennt diese Kräfte „kami“.3
Als allgemeine Charakteristika des kami-Begriffs können somit ihre zahlenmäßige Unbegrenztheit, ihre Vielgestaltigkeit sowie ihr unberechenbarer Einfluss auf das Leben der Menschen festgehalten werden. Diese flexible, moralisch unbestimmte Auffassung von Göttlichkeit hat sich in der japanischen Religion bis heute erhalten. So konnten und können selbst Gegenstände als Gottheiten angesehen und verehrt werden (in erster Linie Schwerter und Spiegel, aber auch unbedeutende und alltägliche Dinge). Zugleich werden auch ausländische Götter und der christliche Gott mit dem Begriff kami bezeichnet. Da es im Japanischen keinen Plural gibt, ist es ohne Weiteres möglich monotheistische und polytheistische Vorstellungen in einem Begriff zu vereinen. Der Begriff kami ist also sehr viel weiter als „Gott“ oder „Gottheit“, schließt diese Vorstellungen aber mit ein.
Dank seiner Vielgestaltigkeit ist es also kaum möglich, den Begriff kami in das Korsett einer bestimmten konfessionellen Religion zu pressen. Und dennoch ist der kami Begiff vielleicht das einzige indigene religiöse Konzept, das sich einer vollkommenen Verschmelzung mit dem Buddhismus entzogen hat. Selbst buddhistische Mönche akzeptierten die kami stets als naturgegebene Realität und versuchten lediglich, sie aus buddhistischer Sicht zu erklären. In den meisten religiösen Zentren, egal ob ursprünglich buddhistisch oder nicht, wurden und werden sowohl Buddhas als auch kami verehrt, es handelt sich also im Grunde um gemischt-religiöse „Tempel-Schrein Anlagen“ (jingūji [jingūji (jap.) 神宮寺 an einen Schrein angeschlossener Tempel, Tempel-Schrein Komplex]). Trotz dieser räumlichen Nähe blieb eine gewisse kultische Trennung aufrecht, d.h. buddhistische und einheimische Gottheiten wurden mit jeweils eigenen Riten bedacht und oft auch von jeweils eigenen Priestern betreut.
Shen/shin
In den meisten Komposita, in denen das Zeichen für kami 神 vorkommt, wird die sino-japanische Lesung shin (oder jin) verwendet, etwa in shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] oder jinja [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)]. Die chinesischen Konnotationen des Schriftzeichens sind jedoch mit den oben besprochene Bedeutungen von kami nicht unbedingt identisch und haben wohl ihrerseits dazu beigetragen, den kami-Begriff zu erweitern.
Im chinesischen Kontext lässt sich das Zeichen 神 — auf Chinesisch shen [shen (chin.) 神 Geist (sowohl im Sinne von „Gespenst” als auch von „geistiger Kraft“); jap. shin oder kami] gelesen — am besten mit „Geist“ übersetzen und besitzt in der Tat einen ähnlich großen Bedeutungsumfang wie der deutsche Begriff. D.h. shen kann ebenso ein Gespenst bezeichnen wie den Geist im Unterschied zum Körper oder zur Materie. Es ist zunächst einmal eine unsichtbare Macht (oder unsichtbare Mächte), die wir sowohl außerhalb von uns als auch in uns selbst am Werke finden. In diesem letzteren Sinne lässt sich shen z.B. heute noch im japanischen Kompositum seishin [seishin (jap.) 精神 Geist, Psyche, Mentalität; wtl. „Fein-Geist“] 精神 — „Geist“, „Psyche“, wtl. „Fein-Geist“ — wiederfinden. Frühe buddhistische Autoren in China verstanden unter dem Begriff shen hingegen den „reinen Geist“ im Gegensatz zum Alltagsbewusstsein shi [shi (chin.) 識 Bewusstsein (im Buddhismus zu alltägliches, getrübtes Bewusstsein abgewertet); jap. shiki, skt. vijñāna] 識 (jap. shiki, skt. vijñāna).4 Ähnlich verwendeten auch shintō-buddhistische Theologen des japanischen Mittelalters das Konzept shin 神 (kami) im Sinne von „Geist“, „Bewusstsein“ und setzten es mit seinem japanischen Homonym shin [shin (jap.) 心 Herz, Seele, Bewusstsein; kokoro] 心 („Herz“, „Bewusstsein“) gleich.
Shen/shin kann also auch das Göttliche bezeichnen, das jedem individuellen Bewusstsein innewohnt, es stellt sozusagen einen Idealzustand des Geistes dar, den der Mensch erreichen kann, wenn er alle „Trübungen“ seines Bewusstseins beseitigt. Dieser Idealzustand wurde in China auch durch Komposita wie shenming [shenming (chin.) 神明 „Geist-hell“; s. jap. shinmei] 神明 (Geist-hell) oder mingshen 明神 (hell-Geist), also „erleuchtetes Bewusstsein“, ausgedrückt. Interessanterweise wurden diese beiden Begriffe in Japan zu kami-Titeln, wobei Myōjin [Myōjin (jap.) 明神 Titel für eine Schreingottheit (kami), z.B. Kanda Myōjin] 明神 auf verschiedene Schreingötter angewendet werden kann, während shinmei [shinmei (jap.) 神明 generelle Bezeichnung für Schreingottheiten (kami); als Schreinnamen (Shinmei-sha) allerdings nur für Zweigschreine von Ise verwendet; s.a. shinmei-zukuri] 神明 meist spezifisch für Ise [Ise (jap.) 伊勢 vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū] steht. Die buddhistischen Konnotationen dieser Begriffe sind in Japan weitgehend in Vergessenheit geraten, haben aber bei der ursprünglichen Prägung dieser Göttertitel mit Sicherheit eine Rolle gespielt. Kami können daher aus buddhistischer Sicht auch den Zustand der buddhistischen Erleuchtung repräsentieren.
Kegare
Shintō wird häufig als Religion ohne moralisch verbindliche Vorschriften charakterisiert. Tatsächlich gibt es im Shintō nichts, was etwa den fünf Laiengeboten des Buddhismus, oder den Zehn Geboten der Juden und Christen entspricht. Es gibt jedoch ein Merkmal, das sich durch alle dokumentierten Phasen der kami-Religion zieht und das auch heute noch prägend für viele Bereiche der japanischen Gesellschaft ist, nämlich eine sehr ausgeprägte Vorstellung von ritueller Reinheit bzw. — negativ ausgedrückt — die Angst vor ritueller Verunreinigung (kegare [kegare (jap.) 穢れ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande]). Eine solche Verunreinigung zieht den Unwillen der kami nach sich und ist daher die Ursache negativer Konsequenzen nicht nur für den einzelnen, sondern für die gesamte Gemeinschaft.
Der Tod und alles, was damit zu tun hat, wird als Hauptquelle der Verunreinigung angesehen. Einheimische kami sollen daher möglichst nicht mit Zeichen des Todes, ebenso wenig aber auch mit Blut und mit Krankheiten konfrontiert werden. Ein heute noch gängiger Nachhall dieser alten Auffassung besteht im allgemeinen Brauch, auf den traditionellen Neujahrsbesuch bei einem Shintō-Schrein zu verzichten, wenn im vergangenen Jahr ein Todesfall in der Familie eingetreten ist.
Interessanterweise sind Shintō-Priester [kannushi (jap.) 神主 Shintō-Priester; wtl. „Meister der Götter“] ganz besonders dazu angehalten, Tabu-Regeln zu befolgen und müssen sich daher vor der Verunreinigung durch Krankheit und Tod besonders in Acht nehmen. Diese Tabuisierung des Todes kann jedoch meiner Meinung nach nicht von Anfang an Teil des kami-Glaubens gewesen sein. Sie kann erst in Kraft getreten sein, als andere Religionen sich für diesen religiös essenziellen Bereich zuständig fühlten. Tatsächlich nimmt der japanische Buddhismus gerade auf dem Gebiet des Jenseitsglaubens und des Begräbniskults eine beherrschende Stellung ein. Das Todestabu des Shintō ist daher meiner Meinung nach das Produkt einer historischen Arbeitsteilung, nach der Buddhas tendenziell für den Tod und das Jenseits, kami für das Leben und das Diesseits zuständig sind.5
Was die Vorstellung von kegare von anderen ethischen Verhaltenskodices, etwa der Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. gō 業)]-Lehre unterscheidet, ist die Tatsache, dass den kami kein moralisches Urteilsvermögen, sondern eher eine spontan-naturgesetzliche Reaktionsweise, eine Art unwillkürlicher Unmutsäußerung unterstellt wird, die nicht lange nach den genauen Umständen und Ursachen fragt. Dabei spielt es nur eine sekundäre Rolle, ob die Verunreinigung durch willentliche Übertretung (Verletzung religiöser Tabus) oder unwillkürlich (Krankheit, Tod, Menstruation, Geburt) herbeigeführt wurde. Üblicherweise können zwar unwillkürliche Verletzungen des Reinheitsgebots durch asketische Praktiken (Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, ...) oder durch bestimmte Reinigungszeremonien (misogi [misogi (jap.) 禊 Purifikation, Reinigungsritus, rituelle Waschung] oder harae [harae (jap.) 祓 Purifikation, Weihezeremonie, Exorzismus]) gesühnt werden, um die Gefahr einer göttlichen Vergeltung — z.B. in Form von Krankheit oder unzeitgemäßem Tod — abzuwehren. In Einzelfällen genügt dies aber nicht und somit können auch unabsichtliche Tabuübertretungen als Ursache göttlicher Strafen erkannt und entsprechend geahndet werden (z.B. durch Ausschluss aus der Gemeinschaft).
Aus der Sicht einer westlich-aufklärerischen Perspektive wirken viele aus alter Zeit überlieferten Taburegeln ungerecht. Im modernen Japan spielen sie denn auch meist nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn es aber um den Tod geht, hat man doch den Eindruck, dass die generelle Scheu vor kegare nach wie vor einen wichtigen Platz in der kulturellen Befindlichkeit Japans einnimmt.
Trennung von Shintō und Buddhismus
Shintō und Buddhismus ergänzen sich also, sie stehen in einem arbeitsteiligen Verhältnis zueinander. Dieses Verhältnis ist aber keineswegs ausgewogen. Über weite Strecken der japanischen Religionsgeschichte scheinen die kami lediglich für religiöse Hilfsdienste zuständig gewesen zu sein. Gleichzeitig waren sie der allgemeinen Bevölkerung näher als die Buddhas, ähnlich wie Polizisten der allgemeinen Bevölkerung näher sind als Richter.
Shintō und Buddhismus lassen sich daher gar nicht so leicht als gleichwertige Religionen gegenüber stellen. Nachdem sich der Buddhismus dank der massiven Förderung durch den antiken japanischen Staat als Quasi-Staatsreligion durchgesetzt hatte, musste der kami-Glauben erst eine Reihe von Transformationen durchlaufen, bevor er allgemein als vergleichbar und zugleich als gegensätzlich zum Buddhismus aufgefasst wurde. Erst in diesem Prozess beginnen sich die Umrisse von „Shintō“ als eigenständiger Religion langsam abzuzeichnen (s. den Essay „Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘“).
Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen nicht weiter als ins japanische Mittelalter zurück. Im dreizehnten Jahrhundert entstanden erste theologische Theorien, die die traditionelle Hierarchie von kami und Buddhas umkehrten, im fünfzehnten Jahrhundert gaben sich solche Theologien die Selbstbezeichnung „Shintō“ (s. Shintō im Mittelalter).
In der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit (1600–1867) wurde der Buddhismus zu einem Werkzeug der staatlichen Verwaltung und der ideologischen Kontrolle (s. Inquisition unter buddhistischen Vorzeichen). Zugleich gab es die ersten Bestrebungen, kami-Schreine gegenüber buddhistischen Tempeln aufzuwerten und unter Intellektuellen wurde es allmählich üblich, „Shintō“ als generelle Bezeichnung der einheimischen Religion zu verwenden. In den allgemeinen Wortschatz ging dieser Begriff aber erst nach dem politischen Umbruch von 1868 ein, als man versuchte, Shintō als Nationalreligion zu etablieren. Dieses Vorhaben, das von einer Welle anti-buddhistischer Ausschreitungen begleitet war, markierte auch in rechtlicher Hinsicht einen deutlichen Einschnitt gegenüber den synkretistischen Glaubensformen der Vergangenheit: Bereits 1868 wurde ein Gesetz erlassen, das die allgemeine Praxis, Buddhas und kami am gleichen Ort zu verehren, verbot (shinbutsu bunri no rei [shinbutsu bunri no rei (jap.) 神仏分離令 Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)]). Viele buddhistische Tempel, aber auch manche Shintō-Schreine mussten daher abgerissen werden, viele religiöse Traditionen wurden vollkommen ausgelöscht.
Diese Politik wurde im Zuge einer allgemein anti-buddhistischen Stimmung zunächst von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt, stieß allerdings in der Praxis auf erhebliche Widerstände. Nach einer kurzen Phase der Begeisterung geriet die gewaltsame Trennung von Buddhas und kami daher ins Stocken und ist bis heute nur unvollständig vollzogen: Noch heute gibt es neben jedem großen buddhistischen Tempel auch einen kleinen Schrein für den shintōistischen Schutzgott des Tempels (etwa den Asakusa [Asakusa Jinja (jap.) 浅草神社 Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.] Schrein im Tempel Sensō-ji [Sensō-ji (jap.) 浅草寺 bekannter Tempel in Tōkyō; auch: Asakusa-dera] in Tōkyō) und noch heute werden ursprünglich buddhistische Gestalten (etwa Daikoku [Daikoku (jap.) 大黒 Gott des Reichtums und Stellvertreter der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); skt. Mahakala = „Großer Schwarzer“; auch Daikoku-ten] oder Benten [Benten (jap.) 弁天 Glücksgöttin; Kurzform von Benzaiten]) in Shintō-Schreinen verehrt.
Die Politik der Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit hatte aber dennoch zur Folge, dass Shintō als Identitätsmerkmal der japanischen Kultur anerkannt wurde und in dieser Form in den Brennpunkt religionsgeschichtlicher Debatten rückte. Weite Kreise innerhalb der japanischen Forschung und der frühen westlichen Japanologie tendierten von nun an dazu, Shintō als japanische Urreligion anzusehen, die allerdings lange Zeit hindurch vom Buddhismus „überlagert“ gewesen war. Erst in den letzten Jahren hat sich dieses Bild relativiert und man beginnt, in den Formen der Koexistenz von Buddhismus und kami-Glauben eine eigene Form der japanischen Religion zu erkennen, von der sich „Shintō“ erst nach und nach weg entwickelte. Eine eindeutige Definition von „Shintō“ ist allerdings auch von der neueren Forschung noch nicht entwickelt worden.
Shintō und Nationalismus
In den ersten Jahrzehnten nach der Meiji Restauration [Meiji Ishin (jap.) 明治維新 Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat] (1868) durchlief die japanische Religionspolitik eine Art trial-and-error-Phase, in der der Shintō — oder besser gesagt die japanischen kami-Schreine — einmal mehr einmal weniger im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit standen. Institutionen, die als ideologisches Zentrum staatlich organisierter Schreinkulte fungieren sollten, lösten sich in rascher Folge ab. Mit den ersten militärischen Erfolgen des modernen Japan (insbesondere nach dem Russo-Japanischen Krieg [Nichiro Sensō (jap.) 日露戦争 Russo-japanischer Krieg, Feb. 1904 – Sept. 1905, um Einfluss über Korea und die Mandschurei; gilt als erster Sieg einer asiat. Nation über eine europ. Großmacht] 1904–05) wurde Shintō stärker in den Dienst eines aggressiven Nationalismus gestellt, der die Annexion und Kolonialisierung umliegender asiatischer Länder rechtfertigen sollte. Der sich so entwickelnde Staatsshintō (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) kulminierte schließlich in der Zeit des sog. Ultranationalismus von den dreißiger Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg.
Mit der Niederlage Japans verlor der Staatsshintō sowohl seine rechtliche Basis als auch seine Glaubwürdigkeit, während der Begriff Shintō als Bezeichnung für die einheimische Religion nach wie vor in Verwendung blieb. Dies mag ein weiterer Grund für die eingangs erwähnte Tatsache sein, dass dem Begriff ein negativer Beigeschmack anhaftet und viele Japaner ihn vermeiden. Das gilt natürlich nicht für die Vertreter des Shintō selbst. Sie sind großteils bemüht, „Shintō“ von der Assoziation mit dem Staatsshintō rein zu waschen. Andererseits spielt die Ideologie des Staatsshintō in rechtsextremen Kreisen nach wie vor eine wichtige Rolle und auch die konservative Liberal Demokratische Partei [Jiyū Minshu-tō (jap.) 自由民主党 japanische Liberal Demokratische Partei (LDP)] (LDP), die seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen an der Regierung ist, kann sich nicht zu einer eindeutigen Ablehnung aller Reste des Staatsshintō durchringen. Das Thema Shintō spiegelt daher die Schwierigkeiten wider, die Japan als ganzes mit der Bewältigung seiner nationalistischen Vergangenheit hat. (Siehe dazu auch den Essay „Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘“.)
Im Westen ist der Begriff Shintō selbst zwar im Allgemeinen nicht mit dem Stigma des Nationalismus behaftet (dafür ist der Begriff einfach zu fremd und exotisch), aber die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema hat nach dem Zweiten Weltkrieg doch spürbar nachgelassen. Shintō wurde zu einer Art Tabuthema. Erst in jüngerer Zeit gibt es wieder Ansätze, sowohl den Staatsshintō als auch die Ursachen seiner Entstehung historisch aufzuarbeiten und in Relation zur gesamten Religionsgeschichte Japans zu stellen.
Kategorien von Shintō
Als sich Anfang der Meiji-Zeit herausstellte, dass sich die Idee von Shintō als Staatsreligion nicht ohne weiteres durchsetzen ließ, rückte die Meiji-Regierung von der Vorstellung ab, eine Staatsreligion nach dem Muster europäisch-christlicher Nationalstaaten zu installieren. Dennoch sollten die allgemeinen Bürgerpflichten sowie der Respekt gegenüber Staat und Tennō mithilfe des Shintō gefördert werden. Shintō wurde aus diesem Grund offiziell nicht als „Religion“, sondern als „Zeremonialsystem“ definiert. Dieses Zeremonialsystem war in erster Linie die Verehrung des Tennō ausgerichtet, seine Befolgung galt als patriotische Pflicht. Alle Shintō-Schreine hatten sich diesem Zweck unterzuordnen. Es wurde jedoch anerkannt, dass es auch einzelne Shintō-Sekten gab, die „religöse“ Anliegen im Sinne einer transzendenten Heilslehre ähnlich dem Buddhismus oder dem Christentum propagierten. Aus der Unterscheidung dieser beiden Arten von Shintō entwickelten sich die Kategorien Schrein Shintō (jinja shintō [jinja shintō (jap.) 神社神道 Schreinshintō; im Ggs. zu „Sektenshintō“ (kyōha shintō), ...]) und Sekten-Shintō (kyōha shintō [kyōha shintō (jap.) 教派神道 Sektenshintō; im Ggs. zu „Schreinshintō“ (jinja shintō)]), womit im wesentlichen Shintō-Richtungen gemeint waren, die zu dieser Zeit (19. Jh.) neu entstanden waren und heute zu den Neuen Religionen gerechnet werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Religionspolitik, die Shintō zwar nicht als Religion ansah, aber sehr wohl in den Dienst nationalistischer Propaganda stellte, insgesamt als „Staats-Shintō“ (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) bezeichnet. Zugleich wurde „Schrein-Shintō“ als Religion angesehen und aus dem Staatskult herausgelöst. Diese Trennung von Religion und Staat wurde nach einer entsprechenden Anweisung seitens der amerikanischen Besatzung sogar verfassungsmäßig besiegelt. Was unklar blieb und bis heute bleibt, ist die Verbindung des Schrein-Shintō mit dem Tennō. Um hier eine Trennlinie zu ziehen, wird gelegentlich der sog. „imperiale Shintō“ (kōshitsu shintō [kōshitsu shintō (jap.) 皇室神道 Imperialer Shintō, Shintō des kaiserlichen Hofes]) als eigene Kategorie von Shintō definiert, um die traditionellen kami-Kulte des kaiserlichen Hofes von sonstigen Schreinriten zu unterscheiden. Außerdem ist häufig von „Volksshintō“ (minzoku shintō [minzoku shintō (jap.) 民俗神道 Volksshintō, Shintō als Volksreligion] = lokales religiöses Brauchtum) als weiterer Kategorie die Rede.
Versucht man, diese Kategorien klar und historisch konsistent von einander abzugrenzen, stößt man auf unüberwindliche Schwierigkeiten. So lässt sich der „imperiale Shintō“ nicht klar vom „Schrein-Shintō“ trennen, da er selbst auf den Traditionen einzelner Schreine beruht. Allerdings ordnen sich nicht alle Schreine dem Anspruch des Tennō unter, Oberhaupt der Shintō Religion zu sein. Noch schwieriger wird die Situation beim Begriff „Volksshintō“: Sucht man in Japan außerhalb der etablierten Schreintraditionen nach volksreligiösem Brauchtum, findet man beispielsweise Besessenheitskulte, in denen Heiler mit der Hilfe von Medien Geister aus dem Jenseits sprechen lassen (Bsp. itako [itako (jap.) イタコ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子]). Solche Kulte werden heute aber weder von offiziellen Shintō-Organisationen, noch vom Buddhismus anerkannt. Die Heiler selbst bedienen sich im übrigen sowohl buddhistischer als auch shintōistischer Konzepte. Es gibt also tatsächlich starke volksreligiöse Traditionen in Japan, aber diese entziehen sich der eindeutigen Zuordnung zu Shintō oder Buddhismus. Um die Verwirrung perfekt zu machen, leben viele dieser Traditionen, beispielsweise Besessenheitskulte, im sogenannten „Sekten-Shintō“ weiter fort, der seinerseits zu den Neuen Religionen gezählt wird.
Die Versuche, Shintō in verschiedene Kategorien zu unterteilen und auf diese Weise schlüssig darzustellen, haben also bisher zu keinen befriedigenden Ergebnissen, sondern eher zurück in die ideologischen Fallstricke des Staatsshintō geführt. Moderne Religionshistoriker ziehen unterschiedliche Konsequenzen aus diesem konzeptionellen Wirrwarr. Manche vermeiden den Begriff „Shintō“ überhaupt, zumindest wenn es sich um historische Themen handelt. Nelly Naumann [Naumann, Nelly (west.) 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin], die sich als Expertin der japanischen Mythologie einen Namen gemacht hat, spricht beispielsweise in ihrem Hauptwerk lediglich von der „einheimischen Religion Japans“. Ich selbst sympathisiere mit diesem Ansatz und verwende am liebsten den Begriff kami-Glaube. Im Rahmen dieser Website wird der Begriff „Shintō“ jedoch der allgemeinen Verständlichkeit halber bisweilen auch dort verwendet, wo man ihn besser unter geistige Anführungsstriche setzen sollte.
Verweise
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Fußnoten
- ↑ Engelbert Kaempfer, der Japan in den Jahren 1690 bis 92 bereiste, hinterließ eine ausführliche Geschichte und Beschreibung von Japan, die erstmals 1727 auf Englisch in fünf Bänden erschien. Der vorliegende Auszug ist — mit geringfügigen Adaptionen — einer Online-Fassung des Originals (Buch 3, Kap. 2) von Wolfgang Michel entnommen.
- ↑ Motoori Norinaga, Kojikiden, Bd. 3. Übersetzt nach Matsumura Kazuo in Shintō jiten (1994), S. 37; für eine engl. Übersetzung siehe Concepts of Kami: Definitions and Typology (Encyclopedia of Shinto) [2011/10]).
- ↑ Norinaga nahm damit in gewisser Weise den Begriff des „Numinosen“ vorweg, den der einflussreiche protestantische Theologe Rudolf Otto (1869–1937) am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zum Ausgangspunkt jedes religiösen Gefühls erklärte (vgl. Otto 1917).
- ↑
Beispielsweise beim buddhistischen Philosophen Zong Bing 宗炳, 375–444. Der Buddhismushistoriker Michael Radich schreibt dazu:
- Zong Bing further explains the relation between vijñāna [Alltagsbewusstsein, B.S.] and the approach to awakening by the old analogy of a mirror obscured by dust, where vijñāna is the dust: just as a mirror can be obscured by a thin or a thick layer of dust, so spirit (shen 神) can be obscured by fine or coarse vijñāna, which “sticks” (fu 附) to spirit and obscures its original nature (like the “original brightness” [benming 本明] of the mirror). However, practicing (contemplation of) emptiness works to reduce the layer of obscuring vijñāna, and when it is eliminated entirely, “original spirit” (benshen 本神) is consummated (qiong 窮). The resulting state is nirvāṇa.
- Hong ming ji 弘明集, nach Radich 2014, S. 476.
- ↑ S. dazu Scheid 2004.
Internetquellen
- Encyclopedia of Shintō, Inoue Nobutaka (Hg.)
Englische Online Version des enzyklopädischen Wörterbuchs Shintō Jiten (1994). Ehrgeizigstes und vielversprechendstes Web Projekt der Kokugakuin Daigaku. - Web Versions of IJCC Publications, Kokugakuin Daigaku
Online Resources der gleichen Universität, vor allem einzelne Fachartikel in Englisch. - Jinja Honchō - The Association of Shintō Shrines (en., jap.)
Offizielle Website der 1946 gegründeten Dachorganisation japanischer Schreine. Vertritt das oben beschriebene, traditionelle Shintō-Bild.
Literatur
Empfehlenswerte, in erster Linie historisch ausgerichtete Gesamtdarstellungen sind:
Etwas ausführlicher und aus dem deutschsprachigen Sprachraum, aber nicht ganz so aktuell, ist die dreibändige Serie "Die einheimische Religion Japans" im Brill Verlag:
Spezifische Werke zur historischen Problematik des Begriffs „Shintō“ (alle in Engl.):
Berühmter Artikel eines führenden japanischen Religionshistorikers, der zum Anstoß einer Neuorientierung in der westlichen Shintō-Forschung wurde.
- Japanese Journal of Religious Studies 29/3–4, 2002. (Online.) [Sondernummer des JJRS.]
Ausführlich, aber für meinen Geschmack zu „essentialistisch“:
Nur für überzeugte Shintō-Anhänger empfehlenswert:
Zitierte Literatur:
Bilder
Glossar
- Asakusa Jinja 浅草神社 ^ Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.
- Daikoku 大黒 ^ Gott des Reichtums und Stellvertreter der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); skt. Mahakala = „Großer Schwarzer“; auch Daikoku-ten
- Jiyū Minshu-tō 自由民主党 ^ japanische Liberal Demokratische Partei (LDP)
- Kaempfer, Engelbert (west.) ^ 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung
- kokka shintō 国家神道 ^ Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK
- kōshitsu shintō 皇室神道 ^ Imperialer Shintō, Shintō des kaiserlichen Hofes
- Meiji Ishin 明治維新 ^ Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat
- Meiji Tennō 明治天皇 ^ 1852–1912; 122. japanischer Kaiser (r. 1867–1912); Namensgeber und politische Symbolfigur der Meiji-Zeit; Eigenname: Mutsuhito
- minzoku shintō 民俗神道 ^ Volksshintō, Shintō als Volksreligion
- Naumann, Nelly (west.) ^ 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin
- Nichiro Sensō 日露戦争 ^ Russo-japanischer Krieg, Feb. 1904 – Sept. 1905, um Einfluss über Korea und die Mandschurei; gilt als erster Sieg einer asiat. Nation über eine europ. Großmacht
- Nikkō 日光 ^ Tempel-Schreinanlage im Norden der Kantō-Ebene, Präf. Tochigi; beherbergt u.a. den Tōshō-gū Schrein
- shinbutsu bunri no rei 神仏分離令 ^ Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)
- shinmei 神明 ^ generelle Bezeichnung für Schreingottheiten (kami); als Schreinnamen (Shinmei-sha) allerdings nur für Zweigschreine von Ise verwendet; s.a. shinmei-zukuri
- Shitennō-ji 四天王寺 ^ buddh. Tempel im heutigen Ōsaka; zählt zusammen mit dem Asuka-dera zu den beiden ältesten Tempeln Japans (Gründung 593)
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
- Konzept
- Autor
- Impressum
- Glossare
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- Künstler-Glossar
- Geo-Glossar
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„Shintō: Versuch einer Begriffsbestimmung.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001