Tanuki-Morphologie
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Tanuki [tanuki (jap.) 狸 Tanuki; Marderhund] sind in Japan weit verbreitete Tiere, die zoologisch eng mit den Füchsen verwandt sind und nach japanischer Auffassung auch ähnliche magische Begabungen besitzen wie diese. Während die Füchse aber elegant und schlau oder gar heimtückisch agieren, sind die tanuki eher derbe, draufgängerische Gesellen. Füchse sind eher weiblich konnotiert, tanuki dagegen männlich. Eines ihrer Charakteristika sind denn auch ihre übergroßen Hoden (natürlich ein Glückssymbol).
Nette Kumpel
Ihr Strohhut kennzeichnet die tanuki als Reisende bzw. als Vagabunden. Manchmal sieht man überlebensgroße tanuki-Figuren vor Restaurants oder Geschäften stehen. Meist haben sie eine Flasche Sake [Sake (jap.) 酒 Reiswein] in der Hand und animieren, ähnlich wie die Winkende Katze (maneki neko [maneki neko (jap.) 招き猫 winkende Katze, Winkekatze; Glücksbringer, besonders für geschäftlichen Erfolg]), zum Mittrinken. In der anderen Hand haben sie einen mysteriösen Zettel. Es ist ein Schuldschein, den der tanuki im Austausch für Sake ausstellt, den er allerdings nie bezahlt.
Diese niedlich-humorvolle Ikonographie des tanuki [tanuki (jap.) 狸 Tanuki; Marderhund] ist allerdings eine moderne Erfindung, die auf den Töpfermeister Fujiwara Tetsuzō [Fujiwara Tetsuzō (jap.) 藤原銕造 1876–1966; Töpfermeister in Shigaraki] (1877–1967) zurückgehen soll. Seine Werkstatt in Shigaraki, einem berühmten Zentrum für keramisches Kunsthandwerk unweit von Kyōto, stellt auch heute noch die meisten tanuki-Figuren her.
Bildquelle: H. Minagawa, über Internet Archive.
Kintama
Einem weit verbreiteten Glauben zufolge geht die besondere magische Kraft der tanuki von ihren besonders großen Hoden (kintama [kintama (jap.) 金玉 wtl. Goldbälle; Hoden]) aus. Diese treten daher auf den meisten Abbildungen prominent in Erscheinung.
Tanuki können ihre Hoden sogar vergrößern und zu allerlei Werkzeugen umfunktionieren. Dies inspirierte ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit]-Künstler der Edo-Zeit wie etwa Utagawa Kuniyoshi [Utagawa Kuniyoshi (jap.) 歌川国芳 1798–1861; Maler und Zeichner. Bekannter Verteter des ukiyo-e-Farbholzschnitts] oder Tsukioka Yoshitoshi [Tsukioka Yoshitoshi (jap.) 月岡芳年 1839–1892; Maler; ukiyo-e-Küstler] zu den unglaublichsten Phantasien:
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit, 1881. Museum of Fine Arts, Boston.
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1798–1861). Edo-Zeit, 1843–44. Museum of Arts, Boston.
In diesen Darstellungen der Edo-Zeit sind die Tanuki — ähnlich den realen Tieren — von Füchsen kaum zu unterscheiden. Sie werden zwar witzig, aber noch nicht so treuherzig sympathisch dargestellt wie in den modernen Keramik-Figuren.
Vom Untier zum Glücksbringer
In alten Legenden, etwa in der Geschichten-Sammlung Konjaku monogatari [Konjaku monogatari (jap.) 今昔物語 „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext] aus der späten Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit, treten die an sich sehr scheuen tanuki hauptsächlich als böse yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster]-artige Untiere in Erscheinung. Einen tanuki zu erlegen stellt eine Heldentat dar, da dieser mit übernatürlichen Kräften ausgestattet ist.
Werk von Nabeta Gyokuei, Toriyama Sekien (Vorlage). Meiji-Zeit, 1881. Nichibunken, Kyōto.
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861). Edo-Zeit, 1825–30. National Museum of Asian Art, Arthur M. Sackler Gallery.
Das Märchen Kachi-kachi yama [Kachi-kachi yama (jap.) かちかち山 wtl. Knisterknister-Berg; jap. Volksmärchen, in dem ein tanuki den Bösewicht abgibt] verdeutlicht diesen Aspekt: Hier tritt ein tanuki auf, der eine Bauersfrau tötet, kocht und verzehrt. Er lässt sich jedoch von einem Hasen übertölpeln, der die Untat mit allerhand Tricks rächt. U.a. zündet er ein Bündel Holz an, das der tanuki transportiert, sodass sich dieser arg verbrennt. Schließlich ertrinkt der tanuki, nachdem ihn der Hase dazu gebracht hat, in einem Boot aus Schlamm aufs Wasser hinaus zu rudern.
Werk von Torii Kiyonaga (1752–1815). Edo-Zeit, 1776. Museum of Fine Arts, Boston.
Werk von Utagawa Kunisada. Edo-Zeit, 1840. The British Museum.
Parallel zu den bösen tanuki später entstanden wohl bereits im späten Mittelalter positivere Bilder, etwa in der bekannten Legende vom Teekessel (Bunbuku chagama [Bunbuku chagama (jap.) 分福茶釜 Märchen über einen tanuki der die Gestalt eines Teekessels annimmt, um sich von seinem Retter aus Dank verkaufen zu lassen]), der eigentlich ein verwandelter tanuki ist. Der tanuki hat die Gestalt dieses Teekessels aus Dankbarkeit oder Mitleid für einen armen alten Mann angenommen, damit dieser den Kessel verkaufen kann. Er muss aber jedes Mal Qualen erleiden, wenn der Kessel zum Teekochen verwendet wird. Das Bild des gutmütigen, glücksbringenden tanuki scheint von dieser Geschichte ihren Ausgangspunkt zu nehmen.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit. National Diet Library, Tōkyō.
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Bildquelle: unbekannt.
Dass tanuki gerne tanzen und singen war schon in der Edo-Zeit bekannt und wurde in einem modernen Anime neuerlich bekräftigt:
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1798–1861). Edo-Zeit, 1846. Bildquelle: Ukiyoe-Karikaturen, Japanologie Wien.
Werk von Takahata Isao. 1994. Wallpaper Abyss.
Selten aber doch entstehen in der Shigaraki-Werkstatt auch weibliche tanuki, die ebenso lebensfroh sind wie ihre männlichen Partner:
Werk von Fujiwara Tetsuzō (Rian) (1876–1966). Frühes 20. Jh. tatami-antiques.com.
Reale Tanuki
Tanuki werden oft fälschlich als Dachse oder Waschbären bezeichnet. Sie sind jedoch zoologisch gesehen sogenannte Marderhunde (Nyctereutes procyonoides), eine Unterart der Füchse. Marderhunde sind scheue, nachtaktive Waldtiere, die v.a. im östlichen Sibirien, im nordöstlichen China, in Korea und in Japan beheimatet sind. Wie die Füchse oder Dachse sind sie Allesfresser und leben in Erdhöhlen, ähneln den Dachsen aber insofern mehr als den Füchsen, als sie eher sammeln als gezielt jagen. Dies bedingt auch eine eher gemächliche Art der Fortbewegung. In der Edo-zeitlichen Nauturwissenschaft wurden Dachs und tanuki daher als Verwandte dargestellt.
Edo-Zeit. Digital Archive, Kyushu University Museum (offline).
Das Fell des tanuki ist auch im Pelzhandel begehrt, wird dort jedoch zumeist als „Seefuchs“ bezeichnet. Seit tanuki bzw. Marderhunde von Pelztierzüchtern in der Ukraine angesiedelt wurden, breiten sie sich in ganz Osteuropa aus und sind sogar in Deutschland anzutreffen.1
Wikimedia Commons, 663highland, 2006.
Verweise
Verwandte Themen
- Verwandlungskünster (Hauptseite)
- Füchse (Sidepage)
- Komainu (Bilderseite)
Fußnoten
- ↑ Wikipedia, Marderhund
Bilder
- ^ Tanuki mit Sakeflasche und Schuldschein.
Subrime, flickr 2005. - ^ Tanuki als harmloser Säufer vor einem japanischen Souvenirladen. Einzig seine übergroßen Hoden (kintama) widersprechen dem niedlichen Bild, das diese Figur vermittelt.
20. Jh. skasuga, flickr 2005. - ^ Tanuki im Dress der Baseball-Mannschaft Hanshin Tigers
Bildquelle: H. Minagawa, über Internet Archive. - ^ Die meisten modernen tanuki entstammen dem Töpferei-Zentrum Shigaraki unweit von Kyōto.
akaitori, flickr 2005. - ^ Niedlicher tanuki, wie er sich im heutigen Japan als Standarddarstellung eingebürgert hat.
Bildquelle: H. Minagawa, über Internet Archive. - ^ Statue eines tanuki aus Stein
mumblemurmur, flickr 2005. - ^ Der „Marderhund“ tanuki hier in einem japanischen Vorgarten mit einem Schild „Irasshaimase!“ (Willkommen).
manganite, flickr 2006. - ^ Tanuki kämpfen mit ihren Hoden (kintama) gegen die Modernisierung der Meiji-Zeit. Der eingeschriebene Text lautet: „Asabu Hiroo-no-hara: senkintan erschrecken vor großen Hoden 千金丹 大きん玉に おどろく.“ Das Bild ist die Illustration eines Wortspiels: kintan ist ein Wunderheilmittel und senkintan 千金丹 waren um 1880 in Mode gekommene Arzneien aus Shikoku bzw. die sie feilbietenden Händler. Sie benutzten, wie auf dem Bild dargestellt, westlichen Schirme mit der Aufschrift „Senkintan“ als Markenzeichen. Da kintan aber auch als kintama („Goldbälle“ = Hoden) verstanden werden kann, fühlen sich die tanuki verständlicherweise herausgefordert und attackieren die fahrenden Händler mit ihren viel eindrucksvolleren „Goldbällen“. Die Szene basiert offenbar auf einer damals geläufigen Anekdote, die sich in Hiroo-no-hara in der Gegend des heutigen Shibuya, damals noch am Stadtrand Tōkyōs, abgespielt haben soll.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit, 1881. Museum of Fine Arts, Boston. - ^ Hodenkranker tanuki mit Arzt und Pflegerin.
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1798–1861). Edo-Zeit, 1843–44. Museum of Arts, Boston. - ^ Tanuki und Mond
Werk von Nabeta Gyokuei, Toriyama Sekien (Vorlage). Meiji-Zeit, 1881. Nichibunken, Kyōto. - ^ Der jugendliche Takeda Shingen (1521–1573; Kindheitsnamen: Katsuchiyomaru), einer der berühmtesten japanischen Feldherren, erprobt seine Kräfte in einem Kampf mit einem feindseligen tanuki.
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861). Edo-Zeit, 1825–30. National Museum of Asian Art, Arthur M. Sackler Gallery.
- ^ Zwei Szenen aus dem Märchen Kachi-kachi yama, in dem ein Hase einen tanuki übertölpelt. Detail aus einem neunteiligen Set von Märchenillustrationen.
Werk von Torii Kiyonaga (1752–1815). Edo-Zeit, 1776. Museum of Fine Arts, Boston. - ^ Szene aus dem Märchen Kachi-kachi yama, von Kabuki-Schauspielern dargestellt. Ein Hase rächt die Untat eines tanuki, indem er das Bündel Holz, das der tanuki trägt, anzündet. Das Märchen wurde 1840 im Kabuki-Theater auf die Bühne gebracht. Die Szene wird hier mit dem Element „Feuer“ aus der Lehre der Fünf Wandlungsphasen (gogyō) assoziiert.
Werk von Utagawa Kunisada. Edo-Zeit, 1840. The British Museum. - ^ Illustration einer berühmten tanuki-Legende von Tsukioka Yoshitoshi.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit. National Diet Library, Tōkyō. - ^ Tanuki mit Teekessel. Illustration zum Märchen Bunbuku chagama.
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Bildquelle: unbekannt. - ^ Tanuki in Gestalt von sechs unsterblichen Dichtern der Heian-Zeit
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1798–1861). Edo-Zeit, 1846. Bildquelle: Ukiyoe-Karikaturen, Japanologie Wien. - ^ Tanuki im Anime-Film Die Schlacht der Tanuki in der Ära Heisei (Heisei tanuki gassen ponpoko).
Werk von Takahata Isao. 1994. Wallpaper Abyss. - ^ Shigaraki-Keramik einer weiblichen tanuki in lasziv-entspannter Pose.
Werk von Fujiwara Tetsuzō (Rian) (1876–1966). Frühes 20. Jh. tatami-antiques.com. - ^ Abbildungen aus dem Edo-zeitlichen Bildlexikon Kinmōzui. Der tanuki ist auf der linken Seite (Mitte) zusammen mit mujina und midanuki abgebildet. Die letzteren Begriffe gelten heute als variante Namen des japanischen Dachses (anaguma), in diesem Lexikon werden sie aber als unterschiedliche Verwandte des tanuki angeführt.
Edo-Zeit. Digital Archive, Kyushu University Museum (offline). - ^ Originale tanuki, sie werden auch als „Marderhunde“ bezeichnet.
Wikimedia Commons, 663highland, 2006. - ^ Schlafloser tanuki während der Winterruhe.
Mother Nature Network, Stanislav Duben, 2014. - ^ Abbildung eines chinesischen tanuki (hier racoon-faced dog) aus einer frühen Bildenzyklopädie der asiatischen Fauna, gesammelt von einem britischen Kolonialverwalter.
Werk von Benjamin Waterhouse Hawkins (1807–1894). Bildquelle: unbekannt.
Glossar
- Bunbuku chagama 分福茶釜 ^ Märchen über einen tanuki der die Gestalt eines Teekessels annimmt, um sich von seinem Retter aus Dank verkaufen zu lassen
- Fujiwara Tetsuzō 藤原銕造 ^ 1876–1966; Töpfermeister in Shigaraki
- Kachi-kachi yama かちかち山 ^ wtl. Knisterknister-Berg; jap. Volksmärchen, in dem ein tanuki den Bösewicht abgibt
- Konjaku monogatari 今昔物語 ^ „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext
- maneki neko 招き猫 ^ winkende Katze, Winkekatze; Glücksbringer, besonders für geschäftlichen Erfolg
- Shigaraki-chō 信楽町 ^ Kleinstadt in der Nähe von Kyōto, bekannt für keramisches Kunsthandwerk
- Utagawa Kuniyoshi 歌川国芳 ^ 1798–1861; Maler und Zeichner. Bekannter Verteter des ukiyo-e-Farbholzschnitts
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
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- Saichō
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- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
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- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
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