Himmelskunde und Himmelsdeutung
Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Grundbegriffe/Yin_und_Yang/Himmelskunde.
Die Beobachtung des nächtlichen Sternenhimmels spielte in allen frühen Hochkulturen eine wichtige Rolle und kann als Beginn der heutigen Naturwissenschaften angesehen werden: Sowohl in Babylon als auch in Ägypten oder China führten höfische Astronome Beobachtungen durch, hielten sie in Listen fest, berechneten regelmäßige Vorkommnisse und verzeichneten ungewöhnliche Ereignisse. Aus diesen Daten erstellten sie Kalender, also Systeme zur Einteilung und Messung der Zeit. Ein weiterer Bereich der angewandten Himmelskunde war die Astrologie, also die Ableitung von Prognosen irdischer Geschehnisse aus den Beobachtungen des Himmels. Beziehungen des Sternenkosmos und der menschlichen Gesellschaft wurden in China ganz besonders betont. Dabei galt die Aufmerksamkeit weniger dem individuellen Schicksal einzelner Personen (in der Art, wie heute Astrologie betrieben wird), sondern dem Schicksal der ganzen Gesellschaft, bzw. ihrer Herrschaft. Dies stand mit der Grundannahme in Beziehung, dass es der Herrscher selbst sei, der durch die regelmäßige Abhaltung bestimmter Riten die Ordnung der Welt und des Kosmos aufrecht erhalte. Den kaiserlichen Riten wurde daher nicht nur eine staatserhaltende, sondern sogar eine welterhaltende Funktion zugesprochen. Welche Riten zu welchen Zeiten Anwendung fanden, unterlag astronomischen und astrologischen Berechnungen. Die Himmelskunde (jap. tenmon [tenmon (jap.) 天文 Himmelskunde, proto-wissenschaftliche Astronomie]), die Astronomie und Astrologie gemeinsam umfasste, hatte daher in China und den benachbarten ostasiatischen Kulturen einen hohen politischen Stellenwert und diente sowohl zur Legitimation politischer Herrschaft als auch zur konkreten politischen Entscheidungsfindung.
Astronomische Voraussetzungen
Der nächtliche Sternenhimmel erscheint dem menschlichen Betrachter als ein komplexes Muster, das Nacht für Nacht ein beinahe identisches Erscheinungsbild zeigt. Es sind zwar bei genauerer Beobachtung Bewegungen am Himmel festzustellen, doch sind diese zumeist zyklischer Art, d.h. sie wiederholen sich in bestimmten Abständen: ähnlich wie die Sonne wandern auch die Sterne während einer Nacht über den ganzen Himmel; der Mond nimmt innerhalb von 28 Tagen zu und ab; und selbst die Planeten, deren Lage sich gegenüber der Masse von Fixsternen verändert, folgen festgelegten Bahnen.
Aus der Sicht eines irdischen Betrachters rotiert das gleichbleibende Bild der Sterne innerhalb von 24 Stunden um einen Fixpunkt: Auf der nördlichen Hemisphäre um den sogenannten Himmelsnordpol, auf der Südhalbkugel um den Himmelssüdpol. Heute weiß man, dass die scheinbare Rotation des Sternenhimmels durch die Drehung der Erde um die eigene Achse hervorgerufen wird. Die Himmelspole liegen genau dort, wo die verlängerte Erdachse das „Himmelsgewölbe“ durchstoßen würde. Gegenwärtig ist dieser Punkt auf der nördlichen Halbkugel mehr oder weniger identisch mit dem hellsten Stern im Sternbild des Kleinen Wagens (dem äußersten Stern an der Deichsel), der daher auch als Polarstern bezeichnet wird. In Folge der sogenannten Präzession (einer sehr langsamen, kreiselartigen Verschiebung der Erdachse) lag der Himmelsnordpol allerdings vor etwa 2000 Jahren in der Nähe des Kochab, einem Stern am anderen Ende des Kleinen Wagens.
Sternbilder und Deutungen
Im alten China und in der Folge auch in Japan, sah man den Himmelsnordpol, als Zentrum des gesamten Universums an. Er wurde als das „Große Äußerste“ (taiji [taiji (chin.) 太極 Urmaterie, wtl. das Große Äußerste]) bezeichnet, aus dem sich alle Materie bildete. Mitunter wurde er auch als Palast gedeutet, um den die anderen Sterne gleichsam als Untertanen ihre ewig gleichen Kreise drehen. Insofern lag es nahe, den Kaiser mit dem Himmelsnordpol zu identifizieren. Bezeichnungen wie „Sohn des Himmels“ (tian zi, China) oder „Himmelsherrscher“ (Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels], Japan) leiten sich von diesem Symbolismus ab.
Besonders helle Sterne wurden sowohl in der europäischen Antike als auch in China zu bestimmten Konstellationen zusammengefasst, die meist mit mythologischen Motiven in Beziehung gebracht wurden. Man spricht auch von „Sternbildern“. Das charakteristischste und am deutlichsten erkennbare Sternbild der nördlichen Hemisphäre ist der Große Wagen. Er besteht aus sieben verhältnismäßig hellen Sternen und befindet sich nicht allzu weit vom Himmelsnordpol entfernt. Daher wird das Sternbild auch mit dem Norden selbst gleichgesetzt. In Ostasien wird das Sternbild als Nördlicher Schöpflöffel (hokuto [hokuto (jap.) 北斗 Sternbild des Großen Wagens (chin. Nördlicher Schöpflöffel)]) bezeichnet. Ähnlich wie der Polarstern selbst wurde auch das Sternbild des Nördlichen Schöpflöffels mit bestimmten Gottheiten assoziiert und in den Mittelpunkt eigener Kulte gestellt. Neben Sonne und Mond stellt das Sternbild das wichtigste dem Himmel entnommene Symbol dar, das sowohl in der religiösen als auch in der politischen Ikonographie (Symbol des Herrschers) zur Anwendung kommt.
- ^ Die Tierkreiszeichen des chinesischen Kalenderwesens.
Meiji-Zeit, 1875. Waseda University Library.
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
- Konzept
- Autor
- Impressum
- Glossare
- Fachbegriffe-Glossar
- Bilder-Glossar
- Künstler-Glossar
- Geo-Glossar
- Ressourcen
- Literatur
- Links
- Bildquellen
- Suche
- Suche
- Feedback
- Anmelden
„Himmelskunde und Himmelsdeutung.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001