Die En no Gyōja Legende
Werk von Keishun. Kamakura-Zeit, 1286. Nara National Museum.
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En no Ozuno [En no Ozuno (jap.) 役小角 Asket des Altertums, auch En no Ozunu; besser bekannt als En no Gyōja], der später den Bei·na·men En no Gyōja [En no Gyōja (jap.) 役行者 Legendärer Begründer des Shugendō (um 700); auch: En no Ozunu/Ozuno] (En, der Asket) erhielt, galt zu Leb·zeiten (um 700) wohl noch nicht als der über jeden Zweifel erha·bene Heilige und Or·dens·grün·der, als der er später von den Berg·aske·ten (yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō]) ver·ehrt wurde. In frühen Berich·ten wird er oft als ubasoku, dh. als nicht offi·ziell ge·weih·ter bzw. selbst·er·nann·ter bud·dhis·tischer Mönch be·zeich·net. Das bedeu·tet, dass er zu Leb·zeiten ledig·lich eine Außen·seiter·posi·tion inner·halb der bud·dhis·tischen Mönchs·schaft inne hatte.1
Eines der weni·gen histo·risch ver·brief·ten Ele·mente aus der Bio·gra·phie des En no Gyōja ist seine Ver·ban·nung. Sie könnte letztlich auf den Um·stand zurück·zu·füh·ren sein, dass man von der·arti·gen selbst·er·nann·ten „heiligen Män·nern“, die sich der Kon·trolle der Obrig·kei·ten ent·zie·hen, un·heil·volle Ein·flüs·se auf die Unter·tanen des jungen Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels]-Staates befürchtete.
En taucht erstmals in der zweiten offiziellen Reichs·chronik Shoku Nihongi [Shoku Nihongi (jap.) 続日本紀 2. offizielle Reichschronik (797), Nachfolger des Nihon shoki (Nihongi), daher der Name „Fortsetzung des Nihongi“] (797) auf und wird dort als E no Kimi Ozunu bezeichnet. Er lebt in der Zeit des Monmu Tennō [Monmu Tennō (jap.) 文武天皇 683–707; 42. Tennō Japans (r. 697–707), Enkel des Tenmu Tennō] (r. 697–707) als Ein·siedler auf Berg Katsuragi [Katsuragi-san (jap.) 葛城山 Heiliger Berg der yamabushi, südwestl. von Nara; auch Yamato Katsuragi-san] im Süd·westen des Nara Beckens und ist für seine magi·schen Fähig·keiten bekannt. Ein Hof·beamter und Mediziner nimmt eine Zeit lang bei ihm Un·ter·richt, schließ·lich klagt er aber seinen Meister an, ver·schwöre·rische Umtriebe zu planen, worauf En in die Ver·ban·nung nach Izu geschickt wird. Soweit die Fakten, die heute als glaub·würdig einge·stuft werden. Das Shoku nihongi fügt aller·dings noch hinzu, dass En Götter und Dämonen durch magi·sche Sprüche dazu brachte, für ihn Wasser und Feuer·holz einzu·holen, und sie durch Bann·sprüche fesselte, wenn sie ihm nicht gehorchten.
Fast zeitgleich mit dem Shoku Nihongi berichtet die bud·dhis·tische Le·gen·den·samm·lung Nihon ryōiki [Nihon ryōiki (jap.) 日本霊異記 „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)] (frühes 9. Jh.) von E no Ubasoku. Hier wird genauer auf die magischen Fähig·keiten des Asketen einge·gangen, die zwar stark an dao·istische Legen·den erinnern, in diesem Text aber seiner Kenn·tnis bes·timm·ter magischer Formeln aus dem Bud·dhis·mus zuge·schrie·ben werden.2 Aus diesen Anfängen entstand im Laufe der Jahr·hunderte eine kom·plexe Erzäh·lung mit viel·fachen Varianten, die folgende Haupt·motive3 beinhaltet:
- En lebt auf dem Berg Katsuragi und durchstreift von dort aus das Bergland von Yoshino und Ōmine (die späteren Zentren der yamabushi).
- Auf Berg Katsuragi hat En eine magische Be·geg·nung mit einem Skelett, das einen vajra [vajra (skt.) वज्र „Donnerkeil“, Ritualinstrument und Symbol des tantristischen/esoterischen Buddhismus (jap. kongō 金剛)] fest umklammert hält und sich als Ens eigener Leich·nam aus einer früheren Existenz heraus·stellt. Miroku [Miroku (jap.) 弥勒 Bodhisattva Maitreya, „Buddha der Zukunft“] (Maitreya [Maitreya (skt.) मैत्रेय „Der Freundliche, der Liebevolle“, Buddha der Zukunft (jap. Miroku 弥勒)]), der Buddha der Zukunft, offenbart En das „Mantra des Pfauen-Königs (Kujaku Myōō)“, um den Vajra aus der Um·klamme·rung des Skeletts zu lösen. Neben·bei erlernt En damit auch die Kunst des Fliegens.
- En entdeckt den Berg Kinpusen [Kinpusen (jap.) 金峯山 Heiliger Gipfel in den Bergen von Yoshino, südl. von Nara] (Goldgipfel), der eigentlich ein Teil des Geier·berges (Grdhrakuta [Gṛdhrakūṭa (skt.) गृध्रकूट „Geiergipfel“, indischer Berg bei Rajagrha (Rajgir), auf dem Buddha predigte (jap. Ryōjusen 霊鷲山)]) in Indien ist, wo Buddha Shakyamuni [Śākyamuni (skt.) शाक्यमुनि „Der Weise des Shakya-Klans“, buddhistischer Name des historischen Buddha (Gautama Siddhartha) (jap. Shaka 釈迦 oder Shakamuni 釈迦牟尼)] einst das Lotos Sutra predigte, der aber im Jahr 552(!) nach Japan geflogen kam. Auf dem Kinpusen offenbart sich En der furcht·ein·flößende Zaō Gongen [Zaō Gongen (jap.) 蔵王権現 synkretistische Gottheit der yamabushi] (neben Fudō Myōō [Fudō Myōō (jap.) 不動明王 prominentester japanischer myōō (Mantra-König), wtl. „der Unbewegliche“] einer der Haupt·gott·heiten des Shugendō), den En als persönlichen Schutz·gott annimmt.
- En plant mit Hilfe einer lokalen Gott·heit seines Heimat·berges Katsuragi — Hitokoto·nushi (wtl. Herr oder Herrin4 des einen Wortes) — eine Brücke vom Katsuragi-Gipfel zum Kinpusen zu bauen. Die Gottheit verweigert ihm allerdings den Ge·hor·sam, worauf En sie mithilfe magischer Sprüche fesselt und tief in einem Berg·tal ein·kerkert. Es gelingt der Gott·heit aller·dings, En no Gyōja zu verleumden, indem sie sich durch ein Medium am Hof des Tennō Gehör verschafft.
- En wird daraufhin nach Izu, einer Halb·insel nahe des Berges Fuji, verbannt (nachdem seine Mutter in Geisel·haft genommen wurde, um seiner hab·haft zu werden). Nach einer Reihe von Wundern wird klar, dass die Ver·ban·nung zu Unrecht erfolgte, doch En hat nun mit Japan nichts mehr am Hut und fliegt nach Korea.
- In Korea gibt sich En einem Mönch, der zu Studien·zwecken nach China reist, zu erkennen, indem er ihn auf Japanisch anspricht.
- Schließlich erhält En vom großen indischen Mönch Nagarjuna [Nāgārjuna (skt.) नागार्जुन 2.–3.Jh. u.Z.; legendenumwobener buddhistischer Denker, der als richtungsweisender Philosoph des Mahayana-Buddhismus angesehen wird und Konzepte wie „Leerheit“ oder „Zwei Wahrheiten“ systematisierte (jap. Ryūju 龍樹)] das Wasser der Reinen Erkenntnis und ver·wan·delt sich in ein himm·lisches Wesen. Er tritt nur noch vereinzelt in Japan auf, wenn jemand versucht, seinen Ge·gen·spieler Hitokotonushi von den magischen Bann·sprüchen zu befreien, mit denen En ihn fesselte.
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit, 1834. Chester Beatty Library.
Verweise
Fußnoten
- ↑ Im übrigen deutet vieles in Ens frühen Hei·li·gen·legenden darauf hin, dass er eher als Heiliger im Sinne eines daoistischen Un·sterb·lichen denn als erleuchteter Buddhist angesehen werden muss.
- ↑ Für eine genaue Auseinander·setzung mit dieser Geschichte s. Nihon Ryo-Wiki, Erzählung I-28
- ↑ Zusammengefasst nach En no gyōja Nara ehon in der Übersetzung von Royall Tyler (Tyler 1987)
- ↑ Laut Kennan (1999, S. 347) wird Hitokotonushi in späteren Legenden als weibliche Gott·heit ausgewiesen. Auch sonst sind japanische Berg·gott·heiten üblicherweise weiblich.
Internetquellen
- Die Pfauenkönigs-Mantra-Weise übend..., Hermann Bohner
Übersetzung und Materialien der Gyōja-Legende aus dem Nihon Ryōiki, Buch 1, Erzählung 28 (unter Verwendung Bohners Studie aus dem Jahr 1934, für das Internet aufbereitet von Adi Meyerhofer). [Über Internet Archive, 2010/8] - Shugendō Mark Schumacher
Umfangreiche Hintergrundinformationen und Links zu weiteren Quellen.
Literatur
Bilder
- ^ Statue des En no Gyōja aus dem 13. Jahrhundert.
Werk von Keishun. Kamakura-Zeit, 1286. Nara National Museum.
- ^ Abbildung von En no Gyōja. Im Hintergrund ist undeutlich der Fuji-san in den Wolken zu erkennen.
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit, 1834. Chester Beatty Library.
Glossar
- Gṛdhrakūṭa (skt.) गृध्रकूट ^ „Geiergipfel“, indischer Berg bei Rajagrha (Rajgir), auf dem Buddha predigte (jap. Ryōjusen 霊鷲山)
- Kujaku Myōō 孔雀明王 ^ Pfauen-Weisheitskönig; myōō mit milden, Bodhisattva-ähnlichen Zügen, der auf einem Pfau reitend dargestellt wird; abgeleitet von einer weiblichen indischen Gottheit namens Mahāmāyūrī
- Nihon ryōiki 日本霊異記 ^ „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)
- Saddharma puṇḍarīka sūtra (skt.) सद्धर्मपुण्डरीकसूत्र ^ „Sutra vom weißen Lotos des wunderbaren Dharma“, Lotos Sutra (jap. Myōhō renge kyō 妙法蓮華経 oder Hoke-kyō 法華経)
- Śākyamuni (skt.) शाक्यमुनि ^ „Der Weise des Shakya-Klans“, buddhistischer Name des historischen Buddha (Gautama Siddhartha) (jap. Shaka 釈迦 oder Shakamuni 釈迦牟尼)
- Shoku Nihongi 続日本紀 ^ 2. offizielle Reichschronik (797), Nachfolger des Nihon shoki (Nihongi), daher der Name „Fortsetzung des Nihongi“
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
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- Totengeister
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- Imaginäre Tiere
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- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
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- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
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„Die En no Gyōja Legende.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001