Ise und Izumo
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Die Schreine von Ise [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū] und Izumo [Izumo Taisha (jap.) 出雲大社 Großschrein von Izumo (Präfektur Shimane)] sind die re·prä·sen·ta·tiv·sten und histo·risch bedeu·tendsten Schrein·anlagen Japans. Ihre Gott·heiten spielen bereits in den alten my·tho·lo·gischen Chroniken Kojiki [Kojiki (jap.) 古事記 „Aufzeichnung alter Begebenheiten“; älteste jap. Chronik (712)] und Nihon shoki [Nihon shoki (jap.) 日本書紀 Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)] die wichtig·sten Rollen (s.a. Kap. My·then). In·ter·es·santer·weise liegen beide religiösen Zentren an relativ abge·legenen Orten. Das war bereits zur Zeit ihrer Errichtung so. Ihre Stand·orte gehor·chen einem kul·tu·rellen Muster, wonach beson·ders bedeu·tungs·volle Sakral·bauten und weltliche Zentren einen ge·wis·sen Respekts·abstand von ein·ander ein·halten sollten.
Die doppelte Schreinanlage von Ise
Ise besteht aus zwei Schrein·anlagen mit archi·tek·tonisch fast identischen Haupt·gebäuden, dem Inneren und dem Äußeren Schrein. Der Innere Schrein (Naikū [Naikū (jap.) 内宮 Innerer Schrein von Ise, Amaterasu geweiht]) ist Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise], der Sonnen·gottheit und Ahn·herrin des Tennō-Geschlechts geweiht. In ihm ist ein angeblich aus my·tho·lo·gischer Zeit stammender Spiegel aufbewahrt, der als Haupt·heiligtum (shintai [shintai (jap.) 神体 heiliges Objekt eines Shintō-Schreins; wtl. „Gottkörper“]) dient. Die genaue Form dieses Spiegels ist unbekannt, da ihn selbst Priester nicht zu Gesicht bekommen. Auch darf niemand das Haupt·gebäude betreten. (Das gilt im übrigen grundsätzlich für alle Schreine.) Im Äußeren Schrein (Gekū [Gekū (jap.) 外宮 Äußerer Schrein von Ise, der Göttin Toyouke geweiht]), der einige Kilo·meter vom Inneren entfernt ist, residiert Toyouke [Toyouke (jap.) 豊受 Nahrungsgottheit des Äußeren Schreins von Ise], eine Nah·rungs·gottheit, die wohl ursprünglich als Dienerin der Ama·terasu angesehen wurde. Dieser Schrein ist zwar nicht ganz so heilig, das meiste, was für den Inneren Schrein gilt, gilt aber auch für den Äußeren.
Bernhard Scheid, 2013.
Vorlage:Sidebox3 Die Ise Schreine sind Vorbild für einen eigenen Baustil (shinmei-zukuri [shinmei-zukuri (jap.) 神明造 Baustil der Schreine von Ise bzw. Stil der torii von Ise; auch shinmei torii]). Ihre architektonische Grund·struktur ähnelt einem Speicher. Die hohen Grund·pfeiler etwa dienten zum Schutz vor Tieren und Nässe. Diese Grund·struktur wirkt schlicht und archaisch, auch wenn einzelne Elemente reiche Metall·verzierungen tragen. Der shinmei zukuri-Stil unter·scheidet sich aber nicht nur durch seine Schlicht·heit von anderen Schrein·bauten, sondern auch durch die charakteristische Form der weit aus dem Dach ragenden Dach·sparren (chigi [chigi (jap.) 千木 ornamentale Dachsparren]) und der Querhölzer (katsuogi [katsuogi (jap.) 鰹木 ornamentale Querhölzer auf dem Schreindach; wörtlich „Bonito-Holz“, abgeleitet von der Form eines beliebten Speisefisches (katsuo = Bonito-Fisch)]) auf dem Giebel. (Mehr dazu...)
Shintō jiten (1994), S. 174.
Die Ise Schreine sind unter anderem dafür bekannt, dass sie alle zwanzig Jahre neu errichtet werden. Der Neu·bau betrifft sämtliche religiösen Gebäude beider Schrein·anlagen (inkl. Haupt·hallen und diverser Zweig·schreine), ist also ein sehr aufwendiges Unter·nehmen. Es erklärt, warum die Schrein·gebäude von Ise auf vielen Fotos un·er·wartet neu erscheinen. Was dabei jedoch exakt erhalten bleibt, sind Baustil und Bauart der Gebäude. Von der tra·di·tio·nellen Zimmer·manns·kunst darf kein Deut abgewichen werden.
Der charakteristische Baustil der Ise Schreine findet sich in ganz Japan an Schreinen, die lose mit Ise in Beziehung stehen. Diese Schreine werden meist als Shinmei-Schreine bezeichnet, wobei shinmei [shinmei (jap.) 神明 generelle Bezeichnung für Schreingottheiten (kami); als Schreinnamen (Shinmei-sha) allerdings nur für Zweigschreine von Ise verwendet; s.a. shinmei-zukuri] für Ise steht.
Der Großschrein von Izumo
Bildquelle: unbekannt.
Auch der Hauptschrein von Izumo dient letztlich einfach als Speicher für ein Heilgtum, seine Bauart unter·scheidet sich aber deutlich vom Ise-Stil. Man nimmt an, dass er architektonisch der frühen japanischen Palast·architektur entspricht, die wiederum aus archäo·lo·gischen Zeugnissen, vor allem in Gestalt der tönernen Grab·bei·gaben (haniwa [haniwa (jap.) 埴輪 frühgeschichtliche Grabbeigaben aus Ton, meist in Form einfacher Skulpturen]), rekonstruiert werden kann. Das Haupt·ge·bäude ist für einen Schrein unge·wöhnlich hoch. Alte Quellen beschreiben den Izumo Schrein größer als die Halle des Großen Buddha in Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō]. Die heute sichtbaren Gebäude stammen aus der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit und sind kleiner als die ur·sprüng·lichen, folgen aber wahr·scheinlich dem originalen Bau·plan. Markant ist unter anderem die über·dachte Treppe, die zum Schrein hinauf·führt.
Shintō jiten, 1994, S. 174.
Vorlage:Sidebox3 Ein Cha·rak·teris·tikum für den Schreinstil von Izumo sind die besonders massigen shimenawa [shimenawa (jap.) 注連縄 shintōistisches „Götter-Seil“; geschlagene Taue aus Reisstroh.]. Sie sind in der Region rund um den Izumo Schrein häufig zu finden, in der Anlage von Izumo selbst schmücken sie allerdings nur die Seiten·gebäude. Das Bild rechts unten zeigt das hoch aufragende Haupt·gebäude umschlossen vom Inneren Schrein·areal. Normaler·weise ist es Besuchern nicht gestattet, dieses innere Areal zu betreten. Der Izumo Schrein steht mit einem eigenen Sagen·kreis in Verbindung. In den Mythen gilt seine Haupt·gott·heit Ōkuninushi [Ōkuninushi (jap.) 大国主 mythol. Gottheit; wtl. Großer Meister des Landes] als Herrscher der Erde (= Japan), bevor die Abkömmlinge der Sonnen·gott·heit (= die Ahnen des Tennō) vom Himmel he·rab·steigen und die Erde erobern. In historischer Zeit ist der Izumo Schrein — wahr·schein·lich wegen seiner Ent·fernung von der Haupts·stadt — von diversen anderen Schreinen an Bedeutung über·flügelt worden. Dennoch gibt es einen verbreiteten Glauben, dass sich sämtliche Götter Japans jedes Jahr im Oktober (bzw. im 10. Monat) im Izumo Schrein zu·sammen·finden. Dieser Monat hat daher den Bei·namen „Monat ohne Götter“ (Kannazuki [Kannazuki (jap.) 神無月 „Monat ohne Götter“; volkstümlicher Beiname des 10. Monats, in dem sich die Götter Japans alle nach Izumo begeben sollen]). Nur in Izumo heißt er „Monat der anwesenden Götter“ (Kamiaritsuki [Kamiaritsuki (jap.) 神有月 Monat der anwesenden Götter (Oktober in Izumo)]).
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
- Konzept
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„Bekannte Schreine.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001