Geschichte/Neue Religionen

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Neue Religionen

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Eine in Japans religiöser Landschaft nicht zu übersehende Entwicklung der letzten 150 Jahre ist das Aufkommen sogenannter Neuer Religionen. Heute zählen etwa 300 Sekten dazu. Der Ausdruck „Neue Religionen“ (

shinshūkyō 新宗教 (jap.)

wtl. neue Religion oder Neureligion, wobei die ältesten der sog. Neureligionen im 19. Jh. entstanden

Der Begriff „shinshūkyō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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) ist selbst bereits in die Jahre gekommen und bezeichnet daher nicht unbedingt die allerneuesten Trends. Die ältesten „Neuen Religionen“ entstanden in der

bakumatsu 幕末 (jap.)

Ende des Tokugawa-Shōgunats, 1853–1867; wtl. Ende der Zeltregierung (bakufu)

Geschichte

Der Begriff „bakumatsu“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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(also der späten

Edo 江戸 (jap.)

Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);

Ort, Epoche

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Geographische Lage

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-) Zeit. Da man sie meist weder dem Buddhismus noch dem Shinto eindeutig zuordnen kann, hat sich der unbestimmte Begriff „Neue Religion“ als praktisch erwiesen. Viele Neue Religionen besitzen auch Elemente aus dem Christentum und neuerdings auch aus dem indischen und tibetischen Buddhismus. Einige bekennen sich zu einem monotheistischen Gottesbegriff: Der Eine Gott ist der Schöpfer aller Dinge, alle Menschen sind seine Kinder. Christliche Einflüsse sind dabei unverkennbar. Die Sekte

Seichō-no-ie 生長の家 (jap.)

wtl. „Haus des Wachstums“, eine Neureligion, gegründet 1930

Schulrichtung

Der Begriff „Seichō-no-ie“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

(Haus des heiligen Lebens) zählt z.B. das Johannes Evangelium zu seinen heiligen Büchern. Andere identifizieren die einzige Gottheit mit der Sonnengöttin

Amaterasu 天照 (jap.)

Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise

Der Begriff „Amaterasu“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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und wollen alle Religionen der Welt durch die Sonnenverehrung vereinigen.

Bei aller Vielfalt haben die meisten Neuen Religionen ein Merkmal, das sie von den traditionellen Formen abhebt, nämlich die starke Einbeziehung der Laien. Viele sind überhaupt als Laienbewegungen bereits existierender Richtungen entstanden. Regelmäßige Gottesdienste, wie sie im Christentum zwar gebräuchlich, im traditionellen Buddhismus aber ungewöhnlich sind, zählen ebenso zu den Kennzeichen Neuer Religionen wie von allen Gläubigen befolgte tägliche Rituale und Gebete. Auch die Gründer der Neuen Religionen sind in der Regel charismatische Laien, nicht selten Frauen. Diesen Gründerfiguren wird ein messianischer Charakter zugesprochen, sie gelten als Mittler und Verkünder einer Heilslehre, die von nun an die Menschheit retten soll.

Nicht nur auf dem Gebiet des Zeremoniells, auch ökonomisch ist der Beitrag der einzelnen Gläubigen zu den neuen Religionsgemeinschaften meist überproportional hoch. Einzelne Sekten verfügen daher über beachtliche ökonomische Resourcen, was sich in Form von spektakulären Tempelbauten, aber auch im Besitz von Museen und Bildungsinstitutionen äußern kann. Einige Religionsgründer neueren Typs, wie etwa Fukami Tōshu von WorldMate, versuchen erst gar nicht, den Verdacht der Geschäftemacherei von sich zu weisen, sondern erklären ökonomischen Erfolg zum Beweis ihrer spirituellen Fähigkeiten.

Beispiele

Sōka gakkai

Die vielleicht einflussreichste Neugründung ist die buddhistische

Sōka Gakkai 創価学会 (jap.)

wtl. in etwa „Organisation zum Studium vermehrter Werte“; neu-religiöse buddhistische Laienorganisation, gegr. 1930

Schulrichtung

Der Begriff „Sōka Gakkai“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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(„Wertvermehrungs Gesellschaft“), die 1930 als Laienbewegung der Nichiren Schule gegründet wurde. Die Sōka Gakkai zählt heute innerhalb Japans angeblich zehn Millionen Anhänger, ist aber auch im Ausland missionarisch tätig und soll etwa eine Million nicht-japanische Mitglieder haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand aus der Sōka Gakkai eine eigene politische Partei, die

Kōmeitō 公明党 (jap.)

„Partei der öffentlichen Sauberkeit“, buddhistisch orientierte politische Parlamentspartei

Institution

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(Partei der „öffentlichen Sauberkeit“, gegr. 1964, 1998 Neugründung als „New Kōmeitō“). Sie ist tendenziell konservativ ausgerichtet, setzt sich aber ebenso wie die Sōka Gakkai besonders für die Erhaltung von Frieden und „Humanität“ ein. Auch haben beide, Sōka Gakkai und Kōmeitō, eine traditionell kritische Haltung gegenüber jeder Form des Staatsshinto. Heute besteht zwischen der Neuen Kōmeitō und der Sōka gakkai nur mehr ein loser Zusammenhang, dennoch taucht die gegenseitige Beeinflussung von Religion und Politik, die von der japanischen Verfassung besonders streng geahndet wird, immer wieder in Diskussionen rund um die Sōka Gakkai auf. In den letzten Jahren ist es zu einem Zerwürfnis zwischen Sōka Gakkai und anderen Fraktionen des Nichiren Buddhismus gekommen, was aber nichts daran ändert, dass die Lehren Nichirens und des  Lotos Sutras nach wie vor im Zentrum der Sōka Gakkai stehen.

Tenri-kyō

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Unter den alten Neuen Religionen möchte ich als Beispiel die Tenri Sekte (

Tenri-kyō 天理教 (jap.)

„Schule des Himmlischen Prinzips“; neureligiöse Gruppierung, gegr. 1838

Schulrichtung

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Bilder

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) anführen. Sie wurde 1838 von der damals 41jährigen Nakayama Miki nach einer göttlichen Offenbarung gegründet. Ihre Anhänger sehen in Nakayama einen lebendigen Schrein, in den sich die höchste Gottheit eingenistet hat und durch den sie spricht. Nakayama wird von den Gläubigen ehrfürchtig als oyasama (ehrwürdige Mutter) bezeichnet. In ihrer Lehre finden sich bekannte Motive aus Shinto und Buddhismus wieder, allgemein wird Tenri-kyō allerdings zu den Shinto-artigen Neuen Religionen gezählt. Wichtig ist vor allem eine klösterlich anmutende Abfolge von rituellen Gesängen, die auch von Laienanhängern über den ganzen Tag verteilt regelmäßig praktiziert werden. Gläubige sind weiters dazu angehalten, ihre Zugehörigkeit durch eine Art Uniform zum Ausdruck zu bringen. Schließlich legt Tenri-kyō besonderen Wert auf Sauberkeit, nicht nur innerlich sondern auch im wörtlichen Sinn. Um das Zentrum der Sekte, ein riesiges Holzbauwerk im Stil buddhistischer Tempel unweit von

Nara 奈良 (jap.)

Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō

Ort, Geschichte

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Geographische Lage

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, ist mittlerweile die Stadt Tenri entstanden, die u.a. auch über eine eigene Universität verfügt. Die Universität zieht aufgrund ihrer reichhaltigen Bibliothek auch Wissenschaftler außerhalb der Tenri-kyō an. Die Betonung der Bildung in der Tenri-kyō steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu der sehr einfach und beinahe naiv anmutenden Struktur der Religion.

Wie auch in anderen „shinto-artigen“ Neuen Religionen, steht der Tenno nicht im Zentrum der Verehrung. Wenn die Tenri-kyō sich auch eindeutig als japanische Religion versteht, hat sie im Ausland eine erfolgreiche Missionstätigkeit entwickelt. Insgesamt hat sich die Tenri-kyō weitgehend in das traditionelle Bild von Religion eingefügt und hat für die meisten Japaner kaum einen sonderbaren oder verdächtigen Anstrich. Ausländer wie ich fühlen sich angesichts der gleich angezogenen, gleichermaßen freundlichen und gleichermaßen auf Sauberkeit bedachten Gläubigenmassen in Tenri allerdings doch unwillkürlich an Brave New World erinnert.

Aum Sekte (heute Aleph)

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Zu den bekanntesten „Neu-Neuen Religionen“ (shin shinshūkyō) zählt zweifellos die Aum-Sekte (jap.

Ōmu Shinri-kyō オーム真理教 (jap.)

Aum Sekte, wtl. „Lehre vom Wahren Prinzip des [Mantras] Om“; neureligiöse Bewegung

Schulrichtung

Der Begriff „Ōmu Shinri-kyō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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Bilder

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) von Asahara Shōkō, die 1995 durch einen Giftgasanschlag in der Tokyoter U-Bahn weltweit Aufsehen erregte. Diese Sekte orientierte sich zunächst stark an westlich-esoterischen Bewegungen und nahm über diesen Umweg auch Elemente aus dem indischen und tibetischen Buddhismus auf. Es gelang ihr, die für manche Neuen Religionen typische Selbstausbeutung ihrer Anhänger soweit zu instrumentalisieren, dass sie trotz vergleichsweise geringer Anhängerschaft in den Besitz beachtlicher Reichtümer gelangte. Während einfache Mitglieder durch strenge Askese (z.B. Schlafentzug) oder Drogen weitgehend willenlos gemacht wurden, bildete sich innerhalb der Sekte eine paramilitärische Kaderschmiede, zu der auch begabte Wissenschaftler zählten. Nach ersten Missionserfolgen versuchte sich Asahara Anfang der 90er Jahre auch in Japans Politik. Als er bei Wahlen scheiterte, entwickelte er mit seinem Führungsstab terroristische Strategien, um die Gesellschaft in seinem Sinne zu beeinflussen. 1995, nach dem Giftgasanschlag tauchte Asahara unter, konnte aber festgenommen werden. Auch die Aum-Sekte missioniert kräftig im Ausland, v.a. in Russland soll es zahlreiche Anhänger geben. Heute ist die Sekte nach wie vor unter dem Namen „Aleph“ aktiv.

Ende des Kapitels "Geschichte"

Religion in JapanGeschichte
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„Neue Religionen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001