Dämonen und Kobolde
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Dem Arten- und Formenreichtum japanischer Dämonen sind im Grunde keine Grenzen gesetzt, doch gibt es einige sehr charakteristische Figuren, die auf dieser Seite näher vorgestellt werden sollen: oni [oni (jap.) 鬼 Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister], tengu [tengu (jap.) 天狗 wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen] und kappa [kappa (jap.) 河童 Flussgeist, wtl. „Flussjunge“]. Im Gegensatz zu den auf der vorangehenden Seite beschriebenen Totengeistern (yūrei [yūrei (jap.) 幽霊 Totengeist]) besteht ihre Gemeinsamkeit darin, dass sie menschliche und tierische Züge kombinieren. Die tierischen Deformationen deuten besondere Fähigkeiten an, durch die sie den Menschen überlegen sind. Sie sind daher gefährlich, aber im Unterschied zu Gottheiten nicht unbesiegbar. Die Charakteristika dieser Figuren existieren schon seit langer Zeit, doch zeichnet sich bei allen eine graduelle Verharmlosung ab, sodass sie heute sogar zu richtigen Sympathieträgern werden können.
Oni, die Menschenfresser
Vorlage:Sidebox3 Vorlage:Sidebox3 Vorlage:Sidebox3 Oni sind von menschenähnlicher Gestalt, tragen jedoch Hörner, raubtierartige Zähne und (zumeist nur drei) Krallen. Ihre Haut ist oft feuerrot. Diese Ikonographie dürfte bereits durch den frühen japanischen Buddhismus standardisiert worden sein, da oni u.a. als Folterknechte in der buddhistischen Hölle (jigoku [jigoku (jap.) 地獄 wtl. „[unter]irdischer Kerker“, buddhistische Hölle]) auftreten. Auch außerhalb der Hölle zählen sie zu den gefährlichsten aller japanischen Dämonen, denn es wird ihnen eine besondere Vorliebe für Menschenfleisch zugeschrieben. Die berühmteste dieser Menschenfresser-Geschichten handelt von einem oni namens Shuten Dōji [Shuten Dōji (jap.) 酒顛童子 wtl. etwa Sauf-Knabe; berüchtigter Dämon (oni) der Heian-Zeit], der von einem Krieger der Heian-Zeit, Minamoto no Yorimitsu [Minamoto no Yorimitsu (jap.) 源頼光 948–1021, auch Minamoto Raikō; Krieger aus der Dynastie der Minamoto; zusammen mit seinen vier Vasallen, die auch als Shi-Tennō bezeichnet werden, ist er Held zahlreicher Legenden], zur Strecke gebracht wird. (Mehr dazu...)
Heian-Zeit, 12. Jh. Museum of Fine Arts, Boston.
Abgesehen von den bösen und gefährlichen oni gibt es bereits im dreizehnten Jahrhundert Darstellungen, in denen die oni eher tölpelhaft als dämonisch wirken und in dieser Hinsicht stark an den Teufel in deutschen Märchen erinnern. Beispielhaft ist dafür die Geschichte des alten Holzsammlers, der an einem Gelage der oni teilnimmt und dabei seine entstellende Beule verliert (s. die Übersetzung der Geschichte). Auch in der Populärkultur der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit wurden oni oft karikaturhaft dargestellt und verloren dabei einen Teil ihrer furchteinflößenden Aura.
Schließlich gibt es einzelne oni-Gestalten, die es mit den Menschen eindeutig gut meinen. So soll der eminente Mönch Ryōgen [Ryōgen (jap.) 良源 912–985; 18. Abt (zasu) der Tendai-Schule; unter Namen wie Jie Daishi, Ganzan Daishi, Tsuno Daishi oder Mame Daishi auch als Schutzheiliger populär] (912–985) — einer der wichtigsten Patriarchen des Tendai Buddhismus [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai] — das Aussehen eines Dämons angenommen haben um einen Seuchengott in einer ähnlichen Gestalt zu bekämpfen. Als guter oni erhielt Ryōgen den Spitznamen Tsuno Daishi [Tsuno Daishi (jap.) 角大師 wtl. „gehörnter Großmeister“; Beinamen des Mönchs Ryōgen in seiner Gestalt als Dämon], „Großmeister Horn“, und wird als solcher heute noch auf Talismanen (o-fuda [o-fuda (jap.) お札 Amulett oder Talisman in Gestalt eines symbolischen Zeichens, meist aus Papier; auch shinsatsu; das Zeichen 札 kann auch „Geldschein“ bedeuten, wird dann aber sinojap. satsu ausgesprochen;]) abgebildet. (S. den Essay Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult.)
Tengu, die Vogelmenschen
Vorlage:Sidebox3 Tengu [tengu (jap.) 天狗 wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen] sind menschenähnliche Figuren, die entweder Vogelgesichter und Flügel haben oder durch eine überlange Nase charakterisiert sind. Beide Arten von Tengu können fliegen bzw. sich augenblicklich von einem Ort zum anderen „beamen“. Die Herkunft ihrer Ikonographie ist ebenso rätselhaft wie ihr Name, der wtl. „Himmelshund“ bedeutet. Die Bezeichnung stammt aus der chinesischen Himmelskunde, doch lässt sich die tengu-Figur selbst nicht nach China zurückverfolgen. Dagegen besitzen die tengu, ähnlich wie die oni, einen starken Bezug zum Buddhismus: ehemals galten sie nämlich als transformierte sündhafte Mönche. Heute ist diese Erklärung zwar kaum noch präsent, doch werden sie eng mit dem synkretistischen Orden der Bergasketen (yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō]) assoziiert. Sie tragen das charakteristische Gewand von yamabushi und werden in vielen yamabushi-Tempeln als Gottheiten verehrt. Insofern veranschaulichen sie den klassischen japanischen Umgang mit Geistererscheinungen in seiner gesamten Bandbreite: Von gefürchteten Monstern zu Verehrungsgestalten in Tempeln und Schreinen (mehr dazu...).
Werk von Kano Osanobu (Kopist) (1796–1846). 1817. E-Museum.
Kappa, die Flussgeister
Vorlage:Sidebox3 Kappa [kappa (jap.) 河童 Flussgeist, wtl. „Flussjunge“] sind Kobolde, die aus einer Kombination von Affe und Schildkröte entstanden zu sein scheinen und an den Ufern von Gewässern hausen. Auf vielen Abbildungen tragen sie eine Art Schildkrötenpanzer auf dem Rücken. In der modernen Manga [Manga (jap.) 漫画 wtl. „zehntausend Bilder“; ehemals eine Art von Infotainment, heute japanische Comics]-Kultur werden sie oft niedlich und putzig (jap. kawaii [kawaii (jap.) かわいい „süß“, „niedlich“; Kanji (nicht in Gebrauch): 可愛い (vgl. kawaii bunka)]) dargestellt. Auf älteren Darstellungen wirken kappa jedoch meist ziemlich grob und unheimlich. Man sagte ihnen nach, dass sie heimtückisch seien und insbesondere Kinder gerne ins Wasser zögen, um sie zu ertränken. Trotz dieser unheimlichen Vorliebe wurden und werden kappa auch in ländlichen Schreinen oder Volksfesten verehrt. Um sie günstig zu stimmen und die von ihnen ausgehenden Gefahren abzuwehren, wird ihnen dabei ihre Lieblingsspeise, Gurken, dargeboten. (Mehr dazu...)
Verweise
Verwandte Themen
Internetquellen
- Gazu hyakki yagyōō (en.)
Gespenster-Enzyklopädie von Toriyama Sekien auf Wikipedia. - The Obakemono Project (über Internet-Archive), S.H. Morgan (en.)
Gut recherchierte japanische Gespensterkunde, teilweise im Manga-Stil illustriert.
Literatur
Bilder
- ^ Älteste bekannte Darstellung eines klassischen oni mit roter Haut und Rinderhorn. Detail aus der illustrierten Legende des Nara-zeitlichen Hofbeamten Kibi no Makibi, der aus China allerhand interessante Dinge zurück nach Japan brachte.
Heian-Zeit, 12. Jh. Museum of Fine Arts, Boston.
- ^ Detail einer ansonsten nüchternen, mittelalterlichen Darstellung der Anlage des Tōdaiji, in die an dieser Stelle zwei Mönchsnovizen beim Läuten einer Tempelglocke als tengu-Figuren eingeflochten sind. Das Original ist verloren, die Kopie stammt aus der Edo-Zeit.
Werk von Kano Osanobu (Kopist) (1796–1846). 1817. E-Museum.
Glossar
- Minamoto no Yorimitsu 源頼光 ^ 948–1021, auch Minamoto Raikō; Krieger aus der Dynastie der Minamoto; zusammen mit seinen vier Vasallen, die auch als Shi-Tennō bezeichnet werden, ist er Held zahlreicher Legenden
- Ryōgen 良源 ^ 912–985; 18. Abt (zasu) der Tendai-Schule; unter Namen wie Jie Daishi, Ganzan Daishi, Tsuno Daishi oder Mame Daishi auch als Schutzheiliger populär
- Tsuno Daishi 角大師 ^ wtl. „gehörnter Großmeister“; Beinamen des Mönchs Ryōgen in seiner Gestalt als Dämon
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
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- 六 Geschichte
- Einleitung
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- Prähistorie
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- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
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- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
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- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
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„Dämonen und Kobolde.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001