Der Alte mit der Beule
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Aussehen und Verhalten der japanischen Dämonen (
Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister
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) finden sich in folgendem Märchen aus dem
„Geschichtenauslese [des Ratsherren] von Uji“ (13. Jh.); Sammlung von unterhaltsamen Geschichten und Anekdoten, viele aus dem Konjaku monogatari
Der Begriff „Uji shūi monogatari“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
(13. Jahrhundert) anschaulich beschrieben.1 Das Märchen ist noch heute unter dem Titel Kobutori jīsan („Der Alte, dem die Beule genommen wurde“) in Japan bekannt.
Wie die Oni eine Beule entfernten
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston.
Es war einmal ein alter Mann, der hatte an der rechten Backe eine Beule, so groß wie eine reife Mandarine. Daher mied er den Umgang mit Menschen. Um sein Auskommen zu finden ging er in die Berge und sammelte Brennholz. Einmal zog ein Unwetter auf, sodass er nicht heimkehren konnte und die Nacht wohl oder übel in den Bergen zubringen musste. Kein anderer Holzsammler war zugegen und der Alte bekam große Angst. So kroch er in einen hohlen Baum und blieb dort geduckt sitzen, ohne ein Auge zu zu tun. Da hörte er plötzlich, wie die Stimmen vieler Menschen von weit her näher kamen. Erleichtert seufzte er auf, denn nun war er nicht mehr ganz allein in den Bergen. Doch als er aus seinem Versteck hervor lugte, sah er Geister2 aller Arten und Formen: Die einen waren rot und hatten blaue Sachen an, die anderen waren schwarz und hatten rotes Tuch als Lendenschurz umgebunden. Manche hatten nur ein Auge, andere keinen Mund, wieder andere ließen sich mit Worten gar nicht beschreiben. Als sich etwa hundert solcher Wesen versammelt hatten, entfachten sie ein Feuer so hell wie die Sonne, gerade vor dem Baum unseres Alten, und setzten sich im Kreis darum herum. Es war schier unglaublich.
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston.
Reiswein
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s seine Gedanken? — ein Verlangen, hinauszulaufen und selbst zu tanzen, doch er besann sich sogleich eines Besseren. Als die Oni aber begannen, Musik zu machen, die immer lauter an sein Ohr drang, da dachte er bei sich: „Was auch immer geschieht, ich muss hinaus und tanzen, und sollte es mein Leben kosten.“ Die Kappe3 bis zur Nase ins Gesicht geschoben, die Axt am Gürtel baumelnd, stürzte er aus seinem hohlen Baum und tanzte vor den Anführer. Die Oni sprangen alle auf und riefen: "Wer ist das?" Doch der Alte reckte sich und krümmte sich im Tanz, drehte sich, wendete sich, stieß betrunkene Laute aus und tanzte rund um ihren Kreis herum.4 Die Oni aber waren, von ihrem Anführer angefangen, hellauf begeistert.
Da ergriff der Anführer das Wort und sagte: „Seit vielen Jahren veranstalten wir nun solche Feiern, doch so etwas hat es noch nie gegeben. Von jetzt an, Alter, musst du immer bei unseren Festen dabei sein.“ Darauf erwiderte der Alte: „Selbst·verständlich werde ich wieder kommen. Diesmal habe ich in der Eile die letzten Schritte vergessen, doch wenn Ihr sie sehen wollt, so werde ich mich in Ruhe darauf vorbereiten.“ — „Wohl gesprochen,“ entgegnete der Anführer, „komm nur auf jeden Fall wieder.“ Doch ein Oni, der als dritter neben ihm saß, meinte: „Es könnte wohl sein, dass der Alte nicht hält, was er verspricht. Wir sollten ein Pfand von ihm nehmen.“ — „So sei es,“ sagte der Anführer, „doch was wollen wir als Pfand nehmen?“ Darauf brachte jeder einen Vorschlag, bis der der Anführer meinte: „Wir sollten die Beule behalten, die dem Alten herunter·hängt. So eine Beule bringt Glück, sie wird ihm fehlen.“ Der Alte aber rief: „Nehmt mir die Augen, nehmt mir die Nase, aber lasst mir meine Beule! Es wäre zu schreck·lich sie zu verlieren, wo ich sie doch schon so viele Jahre besitze.“ Worauf der Anführer sagte: „So wert·voll ist sie für dich? Dann werden wir genau sie behalten.“ Ein anderer Oni trat vor, sagte „her damit,“ und drehte und zog an der Beule, ohne dass der Alte einen Schmerz spürte. Es dämmerte und die Vögel stimmten bereits ihren Gesang an, als die Oni den Alten mahnten, nur ja das nächste Mal wieder·zukom·men und heim·kehrten. Der Alte aber betas·tete sein Gesicht: Von der Beule, die so lange dort geses·sen hatte, fehlte jede Spur, sie war wie weg·ge·wischt. Da dachte er nicht weiter daran, Brennholz zu hacken und kehrte nach Hause zurück. „Was ist gesschehen?“ fragte ihn seine Alte, worauf er ihr alles erzählte. „Ein Wunder!“ meinte sie.
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston.
In der Nachbarschaft aber gab es einen anderen Alten, der hatte eine große Beule an der linken Backe. Als er sah, dass unser Alter keine Beule mehr hatte, sagte er: „Was habt Ihr angestellt, um Eure Beule los·zu·werden? Gibt es irgend·wo einen Arzt? Ihr müsst es mir sagen! Ich möchte meine Beule auch los·werden.“ — „Das war kein Arzt. Die Oni haben mir die Beule weg·ge·nom·men.“ — „Dann sollen sie auch meine Beule ent·fernen.“ Und so erfragte er im ein·zel·nen, wie sich alles ab·ge·spielt hatte.
Nun begab sich der andere Alte, getreu den Worten des ersten, zu jenem hohlen Baum und wartete. Und wirklich kamen die Oni, wie er es ver·nom·men hatte, setzten sich in einen Kreis und unter·hielten sich beim Sake. Als nun einer fragte, ob der Alte wohl auch kommen würde, trat der andere Alte schlot·ternd vor Angst aus seinem Versteck hervor. „Da ist ja der Alte!“ riefen die Oni und der Anführer befahl: „Komm her und tanz mir was vor.“ Es fehlte ihm aber das Talent des ersten Alten und er bot eine so klägliche Vor·stel·lung, dass der Anführer sagte: „Diesmal hast du schlecht getanzt. Schlecht, schlecht und noch einmal schlecht. Gebt ihm die Beule zurück, die wir als Pfand be·halten haben.“ Da kam ein Oni vom unteren Ende der Reihe zu ihm, sagte: „Da hast du dein Pfand zurück,“ und klatschte ihm die Beule an die andere Backe. So hatte dieser Alte nun zwei Beulen in seinem Gesicht.
Heißt es nicht, man soll nicht neidisch sein?
Übersetzung Bernhard Scheid, 2011.
Originaltextausgabe: Watanabe Tsunaya, Nishio Kōichi (Hg.), Uji shūi monogatari (Nihon koten bungaku taikei 27). Tokyo: Iwanami Shoten, 1960.
Anmerkungen
- ↑ Uji shūi monogatari, Band 1, Erzählung 3. Das Uji shūi monogatari („Ausgewählte Erzählungen [des Dainagon] von Uji“) wurde auch ins Englische (D. E. Mills, 1970) und Französische (René Sieffert, 1986) übersetzt. Das Märchen selbst wurde in einer vereinfachten Version erstmals 1886 von James Curtis Hepburn ins Englische übertragen und von Kobayashi Eitaku illustriert.
- ↑ Monodomo. Mono wird hier in der alten Bedeutung von „Geist“, „Gespenst“ verwendet. Vgl. mono no ke.
- ↑ Eboshi, traditionelle Kopfbedeckung aus schwarzem Papier.
- ↑ Derartige Tänze scheinen zur damaligen Zeit beliebt gewesen zu sein. Auch im Tsurezuregusa werden alte Mönche, die sich auf die Darbietung grotesker Tänze spezialisieren, (tadelnd) erwähnt.
Quellen
- Ujishūi online
- The Old Man and the Devils 1. Übertragung ins Englische, Mehrere Ausgaben ab 1886, George Baxley.
- The Old Man and the Devils 1. Übertragung ins Englische, Ausgabe 1889 (Open Library) [2011/4]
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston.
- ^ Der Held des Märchens mit einer großen Beule an der Backe. Erste englischen Version des Märchens „The old man and the devils“ (Kobutori jīsan).
Werk von Kobayashi Eitaku. Meiji-Zeit, 1889. Open Library. - ^ Ein oni als Anführer, und hinter ihm weitere Oni in einer langen Reihe.
Werk von Kobayashi Eitaku. Meiji-Zeit, 1889. The British Museum. - ^ Die oni nehmen die Beule des Alten als Pfand (Szene aus Kobutori jīsan).
Werk von Kobayashi Eitaku. Meiji-Zeit, 1889. The British Museum. - ^ Erste englische Version des Märchens „The old man and the devils“ (Kobutori jīsan).
Werk von Kobayashi Eitaku. Meiji-Zeit, 1886. The British Museum.
Religion in Japan, Inhalt
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- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
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- Jenseits:
- Jenseits
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- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
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- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
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„Der Alte und die Dämonen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001