Itako, weibliche Geisterseherinnen
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I
blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子
Der Begriff „itako“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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sind blinde Medien („Shamaninnen“), die in einem Ritual namens
Geisterbeschwörung, wtl. „Herbeirufung des Mundes“
Der Begriff „kuchiyose“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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(„Herbeirufung des Mundes“) die Toten aus dem Jen·seits her·bei·rufen und ihnen ihre Stimme leihen. Auf diese Weise kann man mit den Seelen ver·stor·bener Ver·wand·ter in Kontakt treten. Der Kult der itako war in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit weit verbreitet (s.u.), wird heute allerdings nur noch in Nord-Japan praktiziert. Dort stellt er einen Be·stand·teil des tra·di·tio·nellen Bestattungsbrauchtums dar. Darüber hinaus finden zweimal jährlich (20.–24.7. und 9.–11.10.) am
„Angst-Berg“; rel. Zentrum in Aomori-ken (Nordjapan), das als Abbild der Totenwelt gilt
Der Begriff „Osore-zan“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Geographische Lage
, einem Berg am nördlichsten Zipfel der Hauptinsel Honshū, religiöse Feste (
religiöses (Volks-)Fest
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) statt, bei denen auch itako ihre Dienste an·bieten. Die Bilder auf dieser Seite stammen von solchen Anlässen.
Itako des Osore-zan
Bildquelle: H. Johnson, 2005, über Internet Archive.
2006. Wikimedia Commons, Geomr, 2006.
Die itako verfügen über einen eigenen, nur halb ver·ständ·lichen Sprech·gesang, durch den sie die Bot·schaften der Ver·stor·benen über·mitteln. Bei den Massen·events am Osore-zan werden zunächst Erkun·digun·gen über den Ver·stor·benen einge·zogen, sowohl hinsicht·lich seiner Bezie·hung zu den jewei·ligen Hinter·bliebenen als auch hin·sichtlich der Um·stände seines Ablebens. Die Berichte der Toten folgen dann, sofern ver·ständlich, ganz offen·sicht·lich vor·gefer·tigten Mustern.1 Dennoch sind die Kunden der itako meist sehr ergriffen und erhalten durch sie seelischen Trost. Vorlage:W503c
Ähnlich wie die
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, sind auch die itako zumeist mit be·stimm·ten Tempeln oder Schreinen affiliiert, ohne jedoch ein·deutig dem Buddhis·mus oder dem Shintō zuge·ordnet werden zu können.2 Während die itako heute vor allem Totengeister her·bei·rufen, welche auch als hotoke [hotoke (jap.) 仏 Buddha; umgangsspr. auch: Totenseele; andere Lesung: butsu; alte Schreibung: 佛] (wtl. Buddhas) an·ge·spro·chen werden, ist ihr tra·di·tio·nelles Repertoire reich·hal·tiger und umfasst auch das Herabrufen von kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō], also von Schreingottheiten.3
Geisterseherinnen in der Edo- und Meiji-Zeit
Itako sind die Erbinnen einer einst weit verbreiteten Kultur von fah·ren·den Künstlern, Heilern und Schaustellern, die in der Edo-Zeit zu fixen Gilden zu·sam·men·wuch·sen. Zu diesen gehörten unter anderem auch yamabushi, Yin-Yang Meister (onmyōji [onmyōji (jap.) 陰陽師 Yin Yang Meister]), oder Schrein·pries·ter·innen (miko [miko (jap.) 巫女 Miko, kami-Priesterin, Schreindienerin; auch: weibliche Shamanin; andere Schreibungen 神子 (Gott-Kind) oder 御子 (erhabenes Kind)]), die verschiedene Tänze und Gesänge vorführten. Shamaninnen, die sich wie die itako auf Geis·ter·be·schwö·run·gen spe·zia·li·sierten, wurden damals ebenfalls als miko bezeichnet. Diese miko wurden in Ostjapan von Edo aus kontrolliert, und zwar von einem gewissen Tamura Hachidaiyū [Tamura Hachidaiyū (jap.) 田村八太夫 Oberhaupt einer shamanistischen Gilde während der Edo-Zeit mit Sitz in Asakusa; der Begriff war zunächst eine Art Eigenname und entwickelte sich dann zum Titel], der seinen Sitz im Sanja-Schrein, dem heutigen Asakusa Jinja [Asakusa Jinja (jap.) 浅草神社 Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.] hatte.4 Seine Kontrolle erstreckte sich im acht·zehn·ten Jahr·hun·dert auf über 800 Familien, deren weib·liche Mitglieder vor·wie·gend als Geis·ter·se·he·rinnen tätig waren, während sich die Männer zumeist mit dem Handel von Talismanen (o-fuda [o-fuda (jap.) お札 Amulett oder Talisman in Gestalt eines symbolischen Zeichens, meist aus Papier; auch shinsatsu; das Zeichen 札 kann auch „Geldschein“ bedeuten, wird dann aber sinojap. satsu ausgesprochen;]) verdingten. Beide mussten dem Hachidayū einen Teil ihrer Einkünfte abtreten. Obwohl viele dieser Priesterinnen blind waren, scheint dies keine unbedingte Voraussetzung für die kuchiyose Praxis gewesen zu sein. Im Norden Japans bestand aller·dings schon in der Edo-Zeit eine feste Verbindung zwischen Blind·heit und kuchiyose.5
Werk von Utagawa Toyokuni (1769–1825). Edo-Zeit. Waseda University Library.
Weibliche Shamaninnen wurden damals unter anderem als azusa miko [azusa miko (jap.) 梓神子 Miko mit Katalpa-Bogen (azusa); Edo-zeitl. Bezeichnung für Geisterseherinnnen (itako)] (Shamaninnen mit Katalpa Bogen) bezeichnet.6 Der Katalpa Bogen, der mit einem Bambusrohr zum Klingen gebracht wurde, war das klassische Instrument, mit dem man die Her·bei·ru·fung von Göttern und Geistern begleitete.7 Laut einer literarischen Be·schrei·bung eines Geis·ter·be·schwö·rungs-Rituals von Santō Kyōden [Santō Kyōden (jap.) 山東京伝 1761–1816; Edo-zeitlicher Schriftsteller und Maler] (1761–1816), bestanden die Botschaften von Verstorbenen, die durch den Mund der Shamaninnen zu hören waren, vor allem aus Be·schrei·bun·gen der bud·dhis·tischen Hölle.
In der frühen Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit wurde die Or·ga·ni·sation des Hachidaiyū ab·ge·schafft und die Praxis des kuchiyose insgesamt kri·mi·na·lisiert. Die rigide Vor·gangs·weise gegen alteingesessene religiöse Praktiken war eine typische Be·gleit·er·schei·nung der Mo·der·ni·sierung. Die Verfolgung führte jedoch dazu, dass sich sha·ma·nis·tische Praktiken in den Neu-Religionen sammelten, die in der Mitte des neun·zehn·ten Jahr·hun·derts rapide aus dem Boden schossen und ihrerseits mit Repressalien zu kämpfen hatten. Offenbar bestanden gerade in Nord-Japan tatsächlich sehr enge Beziehungen zwischen traditionellen miko und neu-religiösen Sekten.8 Beide widersprachen dem staatsshintōistischen Grundsatz, dass Shintō-Schreine – und damit auch alle anderen kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]-Kulte – alleine der Verehrung des Tennō-Hauses zu dienen hätten (s. Staatsshintō). Umgekehrt scheint sich in volks- und neureligiösen Bewegungen ein vielleicht unbewusster Protest gegen das System des Staatsshintō und des Tennō-Kults Ausdruck verschafft zu haben. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entspannte sich das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Volksreligion, sodass lokale Glaubensformen erneut Fuß fassen konnten.
Verweise
Verwandte Themen
- Gespenster und Totengeister (Hauptseite)
- Höllen und Hungergeister (Hauptseite)
- Osore-zan (Sidepage)
Fußnoten
- ↑ So berichtet Carmen Blacker von ihren Feldforschungen am Osore-zan in den späten 1950er Jahren, dass Opfer des Weltkriegs, die damals noch häufig herbeigerufen wurden, standardmäßig erzählten, dass sie nun im Yasukuni [Yasukuni Jinja (jap.) 靖国神社 Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene] Schrein in Tōkyō ihre Ruhe gefunden hätten (Blacker 1975, S. 160).
- ↑ Knecht 1997.
- ↑ Blacker 1975, S. 151.
- ↑ Ähnlich wie im Kabuki Theater, war Tamura Hachidaiyū zunächst ein individueller Name, der ab dem acht·zehn·ten Jahr·hun·dert, als sich die Tradition gefestigt hatte, erblich wei·ter·ge·ge·ben wurde (Groemer 2007).
- ↑ Groemer 2007, S. 46, Fn. 2.
- ↑ Hinsichtlich der Bezeichnung gab es früher wie heute große Un·ter·schie·de. Ein in Nord-Japan selbst geläufiger Terminus for Geis·ter·se·he·rin·nen ist kamisama, ein Wort, das zugleich auch „Gottheit“ oder „Chef“ bedeuten kann. Azusa [azusa (jap.) 梓 Katalpe oder Trompetenbaum; oft auch Bezeichnung für Bögen (azusayumi) aus diesem Holz, die bei shamanistischen Seancen zum Einsatz kommen] bezeichnet zunächst eine bestimmte Baumart, die als Katalpe oder Trompetenbaum übersetzt wird, allerdings scheinen verschiedene botanische Bezeichnung in azusa zusammengefasst zu sein. Aus diesen Hölzern fertigten japanische „Shamanen“ und „Shamaninnen“ jedenfalls Bögen an, die sie in kuchiyose-Riten einsetzten. Diese Bögen wurden als azusa-yumi oder kurz als azusa bezeichnet. Azusa miko waren also Shamaninnen, die mit azusa (oder Katalpa-Bögen) Geister beschwörten.
- ↑ Groemer 2007, S. 39.
- ↑ Ikegami 1994, #3
Internetquellen
- Outdoor Japan, mehr zu den Itako und dem Angst Berg...
- „Local Newspaper Coverage of Folk Shamans in Aomori Prefecture“ Ikegami Yoshimasa, 1994 (Ü. Norman Havens). In: Inoue Nobutaka, Folk Beliefs in Modern Japan (1994), Online Edition Kokugakuin University, 2000.
Literatur
Bilder
- ^ Ein blinde Geisterbeschwörerin itako lässt die Geister der Verstorbenen durch sich sprechen. In der Hand hält sie eine buddhistische Gebetskette (juzu), hinter ihr steht eine Trommel.
Bildquelle: H. Johnson, 2005, über Internet Archive. - ^ Geisterbeschwörung am Osore-zan. Das Schild verrät den Namen der itako-Priesterin: Nakamura Suwa.
2006. Wikimedia Commons, Geomr, 2006.
- ^ Illustration eines Romans von Santō Kyōden. Eine blinde Geisterbeschwörerin (miko) lässt durch ihren Mund die Geister der Verstorbenen sprechen. Dazu benützt sie einen kleinen Bogen (azusa), den man vor ihr sieht. Auch die Schale mit Blatt ist ein essenzieller Teil des Rituals. Die Bildinschrift besagt: „Die verstorbene Fujinami und einige andere Totenseelen werden durch den Katalpa-Bogen (azusa no yumi) herbeigelockt.“
Werk von Utagawa Toyokuni (1769–1825). Edo-Zeit. Waseda University Library.
Glossar
- Asakusa Jinja 浅草神社 ^ Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.
- azusa miko 梓神子 ^ Miko mit Katalpa-Bogen (azusa); Edo-zeitl. Bezeichnung für Geisterseherinnnen (itako)
- Blacker, Carmen (west.) ^ 1924–2009; britische Japanologin und Kulturanthropologin, lehrte in Cambridge
- Groemer, Gerald (west.) ^ 1959–; amerikanischer Musikethnologe mit Forschungsschwerpunkt Japan, lehrt an der Universität Yamanashi
- Santō Kyōden 山東京伝 ^ 1761–1816; Edo-zeitlicher Schriftsteller und Maler
- Tamura Hachidaiyū 田村八太夫 ^ Oberhaupt einer shamanistischen Gilde während der Edo-Zeit mit Sitz in Asakusa; der Begriff war zunächst eine Art Eigenname und entwickelte sich dann zum Titel
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Religion in Japan, Inhalt
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- Jenseits
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- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
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- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
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„Itako: Weibliche Geisterseherinnen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001