- Mitte: Die Urgötter Kuni no Tokotachi, Izanami und Izanagi, davor Kaiser Meiji und Kaiserin Shōken;
- Rechts: Die Ahnengötter Amaterasu, Ninigi und Jinmu Tennō sowie die nahen Vorfahren Meijis, Kōmei (Tennō 121, r. 1846–1867) und Go-Sakuramachi (Tennō 117, r. 1762–1771, eigentlich eine Kaiserin!)
- Links: Die mythologischen Ahnengötter Hiko Hohodemi und Hikonagisa Takeugaya Fukiaezu, sowie Go-Momozono (Tennō 118, r. 1771–1779), Kōkaku (Tennō 119, r. 1780–1817) und Ninkō (Tennō 120, r. 1817–1846).
Werk von Toyohara Chikanobu (1838–1912). Meiji-Zeit, 1878. Artelino.
Staatsshintō
Staatsshintō (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) ist ein umstrittener Begriff, da sich insbesondere in Japan viele Experten uneinig sind, ob es überhaupt je so etwas wie Staatsshintō gab, und wenn ja, wann er begann. Manche sehen darin auch eine unzulässige Bezeichnung für den japanischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit, der erst im Nachhinein von den westlichen Siegermächten auf eine shintōistische Ideologie reduziert wurde. Ich selbst finde den Begriff Staatsshintō zwar durchaus berechtigt, sehe aber auch die damit verbundenen Probleme und Ambivalenzen. Diese sollen anhand eines geschichtlichen Überblicks auf dieser Seite thematisiert werden.
Die Meiji-„Restauration“
Der Staatsshintō wäre ohne die Errichtung eines japanischen Nationalstaats nach westlichem Muster nicht denkbar. Diese Entwicklung begann mit der sogenannten Meiji-Restauration (Meiji Ishin [Meiji Ishin (jap.) 明治維新 Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat]), die jedoch zunächst ganz andere Ziele hatte als die „Verwestlichung“ Japans. Der politische Umbruch zwischen 1867 und 68 wird genau deshalb als „Restauration“ bezeichnet, weil er von dem Ideal getragen war, zu den politischen Verhältnissen des alten Japan, also zu einer zentralistischen Monarchie rund um den Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] zurückzukehren. Nach Jahrhunderten der Bedeutungslosigkeit sollte der kaiserliche Hof, angeführt vom jungen Meiji Tennō [Meiji Tennō (jap.) 明治天皇 1852–1912; 122. japanischer Kaiser (r. 1867–1912); Namensgeber und politische Symbolfigur der Meiji-Zeit; Eigenname: Mutsuhito], wieder ins Zentrum der politischen Macht gerückt werden.
Im Hintergrund der Forderung nach einer neuen politischen Autorität stand u.a. die Bedrohung durch westliche Mächte, die spätestens im Jahr 1853 in Gestalt der „Schwarzen Schiffe“ (kurobune [kurobune (jap.) 黒舟 „Schwarze Schiffe“; volkstümliche Bezeichnung für die amerikanischen Kanonenboote, die 1853 die Öffnung Japans erzwangen]) des amerikanischen Admirals Matthew Perry [Perry, Matthew (west.) 1794–1858; amerikanischer Admiral (Commodore), der 1853–1854 die Öffnung der japanischen Häfen für amerikanische Schiffe erwirkte] für die gesamte japanische Öffentlichkeit sichtbar wurde (s. Aufbruch in eine neue Ära: Bakumatsu-Zeit, 1853–1867). Eine effektive Maßnahme gegen diese Bedrohung wurde immer weniger vom Shōgun [Shōgun (jap.) 将軍 Shōgun; Titel der Militärherrscher aus dem Kriegeradel (bushi, Samurai)] und immer mehr vom Tennō erwartet. Ein bekannter Slogan aus den letzten Jahren der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit, der diese Erwartungshaltung charakterisiert, lautete: „Ehre dem Tennō, fort mit den Barbaren“ (sonnō jōi [sonnō jōi (jap.) 尊王攘夷 „Ehrt den Kaiser, verjagt die Barbaren“; anti-westlicher Slogan des 19. Jh.s (Zitat aus den Frühling- und Herbstannalen des Konfuzius)]). Dieses politische Ziel wollten die Meiji-Reformer anfangs durch eine Wieder-Vereinigung von Shintō-Ritus und politischer Gewalt erreichen. Das ideologische System, das sich um diese politische Zielsetzung herausbildete, lässt sich heute als Staatsshintō bezeichnen, obwohl dieser Begriff in der Meiji-Zeit selbst nicht in Gebrauch war.
Tradition und Moderne
Die Ideen des Staatsshintō wurden u.a. von der „Nationalen Schule“ (kokugaku [kokugaku (jap.) 国学 „Lehre des Landes“, Nationale Schule, Nativismus; in der Edo-Zeit entstandene Gelehrtentradition, die ihren Fokus auf das nationale Erbe Japans richtete]) und der Mito-Schule (Mito-gaku [Mito-gaku (jap.) 水戸学 Mito-Schule; konfuzianisch und Tennō-loyalistisch ausgerichtete Gelehrtentradition der Edo-Zeit mit Zentrum in Mito (heute Teil von Ibaraki-ken, nw. von Tōkyō)]) formuliert. In beiden fällen handelt es sich um intellektuelle Strömungen, die sich im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend politisiert hatten und den Umsturz der feudalen Verhältnisse unter dem Tokugawa [Tokugawa (jap.) 徳川 Kriegerdynastie, die während der Edo- oder Tokugawa-Zeit (1603–1867) das Amt des Militärmachthabers (Shōgun) inne hatte.] Shōgunat ideologisch vorbereiteten. Die Gelehrten dieser Schulen erachteten das klassische Altertum als eine Art goldenes Zeitalter, in dem sowohl der Tennō als auch die kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] von allen Japanern als naturgegebene Autoritäten anerkannt wurden, ohne dass explizite Gesetze oder Glaubenslehren von Nöten gewesen wären. Diese selbstverständliche Anerkennung einer religiös-politischen Ordnung wurde als die Essenz des Shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami], des Weges der kami, angesehen. Aus Sicht der kokugaku implizierte Shintō somit die Idee eines sakralen Königtums. Diese Idee wurde u.a. durch das Schlagwort saisei itchi [saisei itchi (jap.) 祭政一致 Einheit von Ritus und Verwaltung bzw. von Religion und Staat], die Einheit von Religion/Ritus und Staat/Verwaltung, ausgedrückt. Die damit verbundene Shintō-Richtung bezeichnete sich selbst oft als fukko shintō [fukko shintō (jap.) 復古神道 „Restauration des antiken Shintō“; Restaurations-Shintō], ein Begriff, der der Einfachheit halber meist als „Restaurations-Shintō“ übersetzt wird, sich aber auch als Absichtserklärung — „den Shintō des Altertums wieder errichten“ — oder als Leit-Ideologie — „wiedererrichteter Shintō“ — verstehen lässt.
Die Utopien, die Japan Mitte des neunzehnten Jahrhunderts veränderten, waren also primär auf die Vergangenheit gerichtet. Auch die siegreichen Reformer der Meiji-Zeit standen zunächst in dieser Tradition. Die Meiji-Restauration unterschied sich in diesem Punkt von den bürgerlichen Revolutionen, die Europa zu dieser Zeit bewegten, wurden diese doch im Namen einer wie immer gearteten „Freiheit“ durchgeführt. In Japan, wo eine äußere Bedrohung den Anlass zur Veränderung lieferte, stand anstelle dieser Freiheit Nostalgie.
Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangsbedingungen führten die politischen Veränderungen in Europa und Japan gleichermaßen zur Besinnung auf nationale Werte. Obwohl dies eigentlich nationale Divergenzen begünstigen sollte, bewegten sich Japan und die westlichen Staaten hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Entwicklung weiter aufeinander zu. Dies wird auch aus dem „Fünf-Artikel-Eid“ von 1868 deutlich, der den Minimal-Konsens des neuen Regimes im Jahr 1868 formulierte und besiegelte. Aus diesem Dokument spricht einerseits das Vorhaben, neue Bevölkerungsschichten an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen, andererseits sollen „die Unsitten der Vergangenheit“ überwunden und Wissen aus aller Welt nutzbar gemacht werden. Dies markiert die ideologische Umkehr von einer rein traditionalistischen Verteidigung „alter Werte“ zu einem pragmatischen Umgang mit globalen Trends.
Ein wichtiger Motor dieser konvergenten Veränderungen war die sogenannte „industrielle Revolution“. Diese entstand zwar in Europa, wurde aber von Japan mit nur geringfügiger Verspätung aufgenommen und mitgetragen. Nach dem erwähnten Kontakt mit den Kanonenbooten des Admirals Perry [Perry, Matthew (west.) 1794–1858; amerikanischer Admiral (Commodore), der 1853–1854 die Öffnung der japanischen Häfen für amerikanische Schiffe erwirkte] (1853/54) bildete sich in Japan langsam ein allgemeiner Konsens, dass ein zu großer technischer Rückstand gegenüber den westlichen Mächten früher oder später zur Kolonialisierung führen würde. Daher begann die technische Aufrüstung des Militärs mit westlichen Waffen (v.a. mit Kriegsschiffen) bereits vor 1868, was schließlich die entsprechende Umgestaltung der politisch-gesellschaftlichen Struktur des Landes unumgänglich machte. Ab der Meiji-Zeit beobachtete die politische Elite auch alle anderen Innovationen der westlichen Staaten sehr genau, ließ sich von westlichen Experten beraten und führte sie – zumeist mit leichten Modifikationen – auch im eigenen Lande ein. Ein Sinnbild für diesen Geist der Modernisierung ist die sogenannte „Iwakura-Mission“ (Iwakura Shisetsudan [Iwakura Shisetsudan (jap.) 岩倉使節団 Iwakura-Mission; diplomatische Delegation unter Führung von Iwakura Tomomi, die im Rahmen einer Weltreise von 1871 bis 1873 Amerika sowie mehrere Länder Europas besuchte]), die unter Führung des Staatsmannes Iwakura Tomomi [Iwakura Tomomi (jap.) 岩倉具視 1825–1883; Staatsmann der Meiji-Zeit; Leiter der Iwakura Mission Iwakura Shisetsudan, 1871–1873)] ab 1871 zwei Jahre lang die westliche Welt bereiste und neben politischen Verhandlungen vor allem die technischen Innovationen der führenden Industrienationen inspizierte. Die durch die Iwakura-Mission ein weiteres Mal angeheizte Modernisierungswelle Japans führte notgedrungen zu einem Widerspruch zwischen den Idealen der „Restauration“ und der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Das doppelte Gesicht des Tennō
Der junge Meiji Tennō [Meiji Tennō (jap.) 明治天皇 1852–1912; 122. japanischer Kaiser (r. 1867–1912); Namensgeber und politische Symbolfigur der Meiji-Zeit; Eigenname: Mutsuhito], der eher zufällig zugleich mit der Sieg der Tennō-Loyalisten an die Macht kam,1 wurde nicht nur zum wichtigsten Emblem der Meiji-zeitlichen Erneuerung, sondern erhielt auch — den unterschiedlichen Triebkräften der Restauration entsprechend — ein doppeltes Gesicht: Neben seinen sakral anmutenden traditionellen Amtsroben trat er in einer vollkommen neuen Gestalt auf, nämlich in Militäruniform nach westlichem Muster.
Dieses doppelte Erscheinungsbild des Meiji Tennō spiegelt nicht nur die Zerrissenheit des damaligen Japan zwischen Traditionalismus und Moderne, es trägt auch die Paradoxe in sich, die sich in der Idee eines staatstragenden Shintō offenbaren. Dieser sollte die Ideologie für eine Entwicklung bereit stellen, die eben nicht in erster Linie die Vergangenheit wach rief, sondern von politischer Zentralisierung, verwaltungstechnischer und militärischer Rationalisierung, sowie von technologischer Erneuerung, kurz von der Modernisierung nach westlichem Muster geprägt war. Dennoch bediente sich diese Modernisierung, wo es möglich war, eines rituellen Gepräges, das der japanischen Antike entnommen war. Diesen Zwiespalt versuchte man mit dem Schlagwort „Japanischer Geist — westliche Technik“ (wakon yōsai [wakon yōsai (jap.) 和魂洋才 „Japanischer Geist, westliche Technik“; politischer Slogan der bakumatsu- und Meiji-Zeit]) zu überbrücken.2 Man meinte also, zwar äußerlich dem westlichen Vorbild zu folgen, innerlich aber sich selbst treu zu bleiben. Tatsächlich regierte in der Meiji-Zeit jedoch ein schrankenloser Pragmatismus, der im Grunde nur von einem Ziel bestimmt war: in machtpolitischer Hinsicht mit den europäischen Mächten und Amerika gleichzuziehen. Ob dies nun durch Rückbesinnung auf alte Werte oder durch Übernahme neuer Institutionen und Techniken zu erreichen wäre, unterlag den momentanen Schwankungen der tagespolitischen Situation.
Shintō als Staatsreligion?
Trennung von Shintō und Buddhismus
Eine Staatsreligion zu haben erschien zunächst gerade aus der pragmatischen Orientierung an Europa unabdingbar. Die meisten japanischen Beobachter der europäischen Verhältnisse machten nämlich das Christentum dafür verantwortlich, dass der Staat hier das Volk besser im Griff habe als in Japan. Die Meiji-Reformer suchten also nach einer vergleichbaren religiös-ideologischen Macht im eigenen Land. Da der Buddhismus durch seine Verbindung mit dem überkommenen Tokugawa-Regime dafür nicht in Betracht kam, entschied man sich für Shintō und Tennō-Kult. Es war jedoch unübersehbar, dass der Shintō erst einmal neu gestaltet — um nicht zu sagen neu erfunden — werden musste, damit er eine dem Christentum vergleichbare Rolle übernehmen konnte. Er musste z.B. erst einmal säuberlich vom Buddhismus getrennt werden. Einer der ersten Erlasse der neuen Meiji-Regierung im Jahr 1868 ordnete daher die „Trennung von kami und Buddhas“ (shinbutsu bunri [shinbutsu bunri (jap.) 神仏分離 Trennung von kami und Buddhas; religionspolitische Maßnahme zur Entflechtung von buddh. Tempeln und Shintō-Schreinen; vereinzelt in der Edo-Zeit, vor allem aber für die frühe Meiji-Zeit (1868–1873) charakteristisch]) an. Dies markierte einen Bruch mit der seit dem Altertum allgemeingültigen Auffassung, dass japanische kami im Grunde nur besondere Erscheinungsformen buddhistischer Wesen seien (s. honji suijaku). Dieser Bruch realisierte sich in der Praxis durch Maßnahmen wie die Abschaffung buddhistischer Titel für die kami, die Umbenennung und Umwidmung von Shintō-Schreinen sowie die Zerstörung buddhistischer Statuen, vor allem wenn diese in Shintō-Schreinen verehrt worden waren. Es kam überdies landesweit zu anti-buddhistischen Ausschreitungen, beispielsweise Tempelplünderungen, die von bestehenden Ressentiments gegenüber den Privilegien des buddhistischen Klerus in der Edo-Zeit (s. Das terauke-System: Inquisition unter buddhistischen Vorzeichen) angeheizt wurden.
Die neuen Maßnahmen trafen aber nicht nur buddhistische Mönche, sondern auch viele Schreinpriester, da die meisten von ihnen ja gemeinsam mit den Mönchen in „Tempel-Schrein-Komplexen“ (jingūji [jingūji (jap.) 神宮寺 an einen Schrein angeschlossener Tempel, Tempel-Schrein Komplex]) tätig gewesen waren. Ohne den institutionellen Schutz und das liturgische Knowhow buddhistischer Tempel fehlte vielen Schreinpriestern schlicht die Existenzgrundlage. Am härtesten traf die verordnete Trennung von Buddhismus und Shintō allerdings religiöse Mischformen wie den Kult der yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō], der keiner der beiden Religionen eindeutig zugeordnet werden konnte und daher zu Gänze verboten wurde.
Die „Verbreitung der Großen Lehre“
Während das Kräfteverhältnis von Tempeln und Schreinen ungewiss blieb, übten westliche Mächte Druck auf die Meiji-Regierung aus, den Edo-zeitlichen Bann gegen das Christentum aufzuheben und der christlichen Missionierung neue Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Diesen Forderungen wurde bereits 1873 statt gegeben, doch konnte diese Liberalisierung die schwelende Ängste vor einer christlichen Überfremdung, die schon unter den Tokugawa entstanden waren, nicht tilgen. Man suchte also nach indirekten Methoden, um den Gefahren einer Christianisierung Japans vorzubeugen.
In dieser Situation entstand die Idee, eine neue Staatsreligion zu formulieren. Diese Staatsreligion wurde schlicht die „Große Lehre“ (taikyō [taikyō (jap.) 大教 wtl. große Lehre; Staatsideologie der frühen Meiji-Zeit]) genannt und sollte im Rahmen der 1870 begründeten „Bewegung zur Verbreitung der Großen Lehre“ (taikyō senpu undō [taikyō senpu undō (jap.) 大教宣布運動 Kampagne des Großen Lernens oder auch Große Indoktrinierungs-Kampagne, 1870–1884; staatl. Initiative der frühen Meiji-Zeit zur Verbreitung der Ideale des Tennō-Loyalismus]) verbreitet werden. Sie wurde zunächst vom 1869 revitalisierten „Götteramt“ (Jingi-kan [Jingi-kan (jap.) 神祇官 Götteramt, wtl. Amt für Götter des Himmels und der Erde]) koordiniert und ging von den Ideologen des Restaurations-Shintō aus.3 Doch schon bald stellte sich heraus, dass man ganz ohne Buddhismus nicht über die nötige Masse von qualifiziertem pädagogischen Personal verfügte, um die Bevölkerung auf religiös-ideologischem Gebiet beeinflussen zu können.
Bereits 1872 erfolgte eine Art Neugründung der Kampagne. Die verantwortliche staatliche Institution, das Shintō-dominierte Götteramt (bzw. sein Nachfolger, das „Götter-Ministerium“), wurde aus diesem Anlass aufgelöst und ging in das Ministerium für doktrinäre Angelegenheiten (Kyōbu-shō [Kyōbu-shō (jap.) 教部省 Ministerium für religiöse Angelegenheiten, 1872–1877]) über, welches explizit auch Buddhisten und Konfuzianer in die Lehrtätigkeit einbezog. Die Basis der Kampagne bildeten offizielle Instruktoren (kyōdōshoku [kyōdōshoku (jap.) 教導職 „nationale Evangelisten“; Missionare oder Instruktoren der Verbreitung der Großen Lehre]), deren Zahl Mitte der 70er Jahre bereits auf über 10.000 anstieg. Sie setzten sich aus Shintō-Priestern, buddhistischen Mönchen, aber auch weltlichen Pädagogen zusammen.4
Zu diesem Zeitpunkt überwog in der Regierung die Ansicht, eine Mischform aus Shintō, Konfuzianismus und Buddhismus wäre wohl eher als Staatsreligion geeignet denn Shintō allein. Im Gegensatz zur traditionellen kokugaku vertraute man nun nicht mehr auf eine spontane, intuitive Bejahung des Tennō seitens der Bevölkerung, sondern bemühte sich um eine entwickelte Morallehre in der Art des Konfuzianismus. Die meisten Führer der Restauration waren im übrigen keineswegs gläubige Shintōisten. Sie neigten vor allem dem Konfuzianismus zu und sahen im Shintō lediglich ein demagogisches Instrument zur Stärkung des Tennōismus in weniger gebildeten Bevölkerungsschichten. In Übereinstimmung mit den inklusivistischen Vorstellungen einer japanischen Staatsreligion oder Staatsdoktrin wurden 1872 die sogenannten „Drei Prinzipien der Großen Lehre“ (sanjō no kyōsoku [sanjō no kyōsoku (jap.) 三条の教則 die drei elementaren Prinzipien oder Lehrsätze der „Großen Lehre“ (taikyō), also der Staatsideologie der frühen Meiji-Zeit, die 1872 erlassen wurden; auch sanjō no kyōken]) formuliert, die bewusst sehr offen und allgemein gehalten waren. Sie lauteten:
- Ehre die Götter, liebe dein Land
- Wisse um die Prinzipien des Himmels und den Weg des Menschen
- Ehre den Kaiser und gehorche dem kaiserlichen Hof (= Regierung)
Diese Prinzipien wurden um immer detailliertere Zusätze ergänzt, die u.a. die Steuerpflicht, die Schulpflicht, den Militärdienst und die Umstellung auf den westlichen Kalender erklärten.5 Es ging also um die Erziehung der Bevölkerung zu modernen Staatsbürgern bei gleichzeitiger Stärkung traditioneller religiöser Vorstellungen. Zugleich schuf der Staat mit der Rolle der Instruktoren auch ein Instrument, um religiöse Professionisten staatlich zu kontrollieren. Doch hatte die Meiji-Regierung für Aufgaben dieser Art kein Geld, sodass die Instruktoren im Zuge der Kampagne selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen mussten. Für Buddhisten, die nach wie vor in ein etabliertes System von Spenden eingebunden waren, war dies ein geringeres Problem als für Shintō-Priester, die diese Tradition erst neu aufbauen mussten. Das einzige offizielle Privileg der Instruktoren war, dass sie ab 1874 vom Militärdienst befreit waren.6
Ein weiteres Problem lag in der Führungsebene der Kampagne, wo sich Buddhisten und Anti-Buddhisten zunehmend feindlich gegenüber standen. 1875 verlagerte sich das Zentrum der Bewegung immer stärker nach Ise [Ise (jap.) 伊勢 vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū], was zu einer Betonung der shintōistischen Aspekte und schließlich zu einem demonstrativen Austritt der Buddhisten führte. Die „Shintōisten“ spalteten sich aber bald erneut in verschiedene Gruppierungen der kokugaku [kokugaku (jap.) 国学 „Lehre des Landes“, Nationale Schule, Nativismus; in der Edo-Zeit entstandene Gelehrtentradition, die ihren Fokus auf das nationale Erbe Japans richtete]-Schule auf. Diese internen Querelen führten dazu, dass sich der Staat zunehmend aus der Kampagne zurückzog. 1877 wurde das für die Kampagne zuständige Ministerium abgeschafft, während die Bewegung selbst großteils von Shintō-Priestern auf privater Basis fortgeführt wurde.
Religiöse Freiheit in der Verfassung
Wie man aus den obigen Abschnitten erkennt, wurde die Förderung des Shintō während der Meiji-Zeit keineswegs immer konsequent vorangetrieben, sondern trat im Gegenteil bald gegenüber anderen politischen Zielen in den Hintergrund: Zunächst wurde das Militärwesen und dann ein Rechtssystem nach westlichem Muster eingeführt. Dieses Rechtssystem nahm mit der Verfassung von 1889 Gestalt an. Es orientierte sich im wesentlichen am Deutschen Kaiserreich, welches ja in der Tat fast zeitgleich (1871) mit dem modernen japanischen Staat entstanden war. Die japanische Verfassung sah eine konstitutionelle Monarchie vor und garantierte darüber hinaus — mit einigen Einschränkungen — „religiöse Freiheit“ (Artikel 28). Von den Ideen des Staatsshintō blieben in der Verfassung kaum mehr als zwei Sätze über: „Der japanische Staat wird für alle Zeiten ununterbrochen vom Tennō regiert und beherrscht“ (Artikel 1); und: „Die Person des Tennō ist heilig und unverletzlich“ (Artikel 3). Die Verfassung ließ jedoch sowohl die göttliche Herkunft des Tennō als auch seine priesterlichen Aufgaben unerwähnt. Auch von einer Staatsreligion ist in diesem grundlegenden juristischen Dokument nicht die Rede.
Werk von Hashimoto Chikanobu (1838–1912). Meiji-Zeit, 1889. Museum of Fine Arts, Boston.
Tennōzentrismus
Trotz aller Widersprüche und Divergenzen der frühen Meiji-Zeit herrschte in den maßgeblichen politischen und intellektuellen Kreisen ein Grundkonsens, dass an der Institution des Tennō nicht zu rütteln sei. Der Tennō diente quasi als letzte Bastion, an der eine eigene, sowohl von China als auch vom Westen verschiedene, Identität festzumachen war. Der breiten Mehrheit der Bevölkerung war der Tennō dagegen zumindest am Anfang der Meiji-Zeit weitgehend unbekannt, da er während des gesamten japanischen Mittelalters und der frühen Neuzeit kaum politisch in Erscheinung getreten war. Es galt also zunächst, den Tennō zu einer allgemeinen Identifikationsfigur zu machen.
Nachdem die „Große Lehre“ diese Aufgabe nicht in erwünschtem Ausmaß erfüllte, wurde die Bekanntmachung des Tennō in erster Linie über zwei andere Schienen bewerkstelligt: einerseits über das allgemeine Erziehungswesen, andererseits über die Shintō-Schreine im ganzen Land. Dabei bediente man sich – von ein paar allgemeinen Phrasen abgesehen – eher ritueller als dogmatischer Mittel:
- In den Schulhöfen wurden kleine Schreine (hōanden [hōanden (jap.) 奉安殿 Schreine zur Aufbewahrung des kaiserlichen Portraits (1880er Jahre bis 1945); meist in Schulhöfen]) errichtet, die die Portraits des Tennō und seiner Gemahlin sowie eine Abschrift des Kaiserlichen Erziehungserlasses (Kyōiku chokugo [Kyōiku chokugo (jap.) 教育勅語 Kaiserlicher Erziehungserlass; erlassen am 30. Oktober 1890 durch Meiji Tennō]) aufbewahrten. Schulische Versammlungen, bei denen der Erlass verlesen wurde, fanden vor diesen Schreinen statt. Lehrer wie Schüler hatten sich täglich tief vor diesen Schreinen zu verneigen, als ob sie es mit einer Gottheit zu tun hätten. Taten sie das nicht, so wurden sie im Allgemeinen der Schule verwiesen.
- Die allgemeinen Feiertage wurden landesweit neu geregelt. Höfische Riten, die einstmals nur vom Tennō selbst vollzogen wurden, sollten nun in allen Schreinen stattfinden. Dazu kamen neue Feiertage wie etwa der Jahrestag der Reichsgründung durch Jinmu Tennō [Jinmu Tennō (jap.) 神武天皇 wtl. „göttlicher Krieger“; gemäß den japanischen Mythen der erste menschliche Herrscher (Tennō) Japans; eigentlicher Name: Kami Yamato Iware-hiko no Sumera Mikoto 神日本磐余彦天皇 (Nihon shoki)], welcher getreu den mythologischen Chroniken auf den 11. Februar 660 v.u.Z. datiert wurde.
- Jeder Staatsbürger war dazu angehalten, an solchen Feiertagen einen Schrein aufzusuchen und dort dem Tennō seine Reverenz zu erweisen (auch wenn der Schrein selbst keiner Ahnengottheit des Tennō geweiht war). Die Schreinpriester wurden ihrerseits nur am Rande in die Verehrung des Tennō eingebunden und führten großteils ihre traditionellen Riten weiter fort. Nach dem Scheitern der Großen Lehre wurden sie sogar explizit dazu aufgefordert, sich aus theologischen und missionarischen Angelegenheiten heraus zu halten.
- Die Schreine wurden nach antikem Vorbild in ein landesweites hierarchisches Rangsystem eingegliedert, dem der Ise Schrein [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū] vorstand. Schreinpriester wurden nach und nach als Beamte angesehen, erbliches Priestertum wurde gesetzlich untersagt.
In dieser Form erlangte der Staatsshintō im zwanzigsten Jahrhundert — zunächst nach dem Russo-Japanischen Krieg (1904–05) und dann in der frühen Shōwa [Shōwa (jap.) 昭和 Regierungszeit des Tennō Hirohito (1926–1989)]-Zeit (ab 1925) — seine volle Entfaltung: Ein diffuser religiös-historisch legitimierter Nationalismus machte sich in der öffentlichen Erziehung und im japanischen Alltag breit und wurde zu einer Massenbewegung, ähnlich dem Faschismus in den mit Japan verbündeten Nationen Deutschland und Italien. Es gab jedoch für diese Ideologie keine dem Faschismus analoge Selbstbezeichnung. Der Begriff „Staatsshintō“ war in dieser Zeit bestenfalls ein akademischer Terminus.7
Die „nicht-religiöse Natur“ des Shintō
Während der Tennō mehr und mehr in den Vordergrund trat, verblasste die ursprüngliche Idee, Shintō zur Staatsreligion zu erheben. Nicht nur die Schreinpriester, auch der Begriff „Shintō“ wurde ab dem Inkrafttreten der „Kaiserlichen Verfassung“ (1889) in den Hintergrund gedrängt. Dies hängt zweifellos damit zusammen, dass die Verfassung selbst ausdrücklich „Freiheit des Glaubens“ garantierte. Hätte man nun offiziell von einem Staatsshintō bzw. einer shintōistischen Staatsreligion gesprochen, so wäre diese unweigerlich mit der Verfassung in Konflikt geraten. Aus diesem Grund wurden alle staatlich verordneten Formen der Tennō-Verehrung nicht als „religiöse Handlungen“, sondern als „staatsbürgerliche Pflichten“ bezeichnet, auch wenn sie im Rahmen von Schreinriten stattfanden. Innerhalb des vorherrschenden politischen Diskurses wurde die Tennō-Verehrung als eine Art erweiterter Familienkult interpretiert, da beide, Tennō und Untertanen göttlichen Ursprungs seien, der Tennō also eine Art Vater des gesamten Volkes darstellte. Dieser Kult war der „nicht-religiöse“ Shintō, den jeder Japaner zu befolgen hatte und dem auch alle Schreine neben ihren sonstigen traditionellen Zeremonien zu huldigen hatten. Damit war es möglich, einen Staatskult mit religiösen Verehrungsmustern zu fördern, ohne dass dies im Widerspruch zur verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit stand.
Dementsprechend war von offizieller Seite ab Mitte der Meiji-Zeit weder von einer Staatsreligion noch von einem Staatsshintō die Rede. Wenn Shintō explizit angesprochen wurde, dann als „Schrein-Shintō“ (jinja shintō [jinja shintō (jap.) 神社神道 Schreinshintō; im Ggs. zu „Sektenshintō“ (kyōha shintō), ...]). Dieser Schrein-Shintō wurde in Regierungstexten als nicht-religiöser Staatskult definiert und als solcher einem religiösen „Sekten Shintō“ (shūha shintō [shūha shintō (jap.) 宗派神道 Sektenshintō, s.a. kyōha shintō]) gegenüber gestellt (s. dazu auch „Shintō: Versuch einer Begriffsbestimmung“). Somit steht „Schrein-Shintō“ im Kontext der Vorkriegszeit für das, was später als „Staatsshintō“ bezeichnet wurde. „Staatsshintō“ als Begriff setzte sich erst durch, nachdem das staatsshintōistische System durch die amerikanische Shintō Direktive (1945, s.u.) offiziell abgeschafft worden war. Der Begriff „Staatsshintō“ wurde also erst rückwirkend auf die Religionspolitik vor dem Zweiten Weltkrieg angewendet.
Kokutai
Aus dem bisher Gesagten lässt sich bereits erkennen, dass der Begriff „Shintō“ im System des Staatsshintō weit seltener zu finden ist, als man a priori vermuten würde. Der Begriff „Restaurations-Shintō“ (fukko shintō) geriet bald in Verruf und bezeichnete nur noch eingefleischte Traditionalisten. Die Schlagworte, unter denen sich der Kult um Staat und Tennō festigte, lauteten hingegen „Nationale Moral“, bzw. „Volksmoral“ (kokumin dōtoku [kokumin dōtoku (jap.) 国民道徳 „Nationale Moral“, „Volksmoral“; Schlagwort der nationalistischen Propaganda der Zwischenkriegszeit]) und „Nationaler Geist“/„Volksgeist“ (kokumin seishin [kokumin seishin (jap.) 国民精神 „Nationaler Geist“, „Volksgeist“; Schlagwort der nationalistischen Propaganda der Zwischenkriegszeit]). Der vielleicht wichtigste Begriff innerhalb der Ideologie des Staatsshintō ist jedoch das ominöse kokutai [kokutai (jap.) 国体 Nationalwesen, wtl. „Landeskörper“].
Kokutai, wtl. „Landeskörper“, könnte man unvoreingenommen mit „Staat“ oder „Staatswesen“ übersetzen. Im Deutschen ruft eine derartige Übersetzung aber nicht den emotionalen Gehalt wach, der dem kokutai im Laufe der Zeit zugesprochen wurde. Insofern scheint Klaus Antonis Übersetzung „Nationalwesen“ treffender.8 Tatsächlich entzieht sich der Begriff aber einer Übersetzung, weil er in den verschiedensten Schriften eine Aura des Heiligen, Ewigen und Unantastbaren zugesprochen bekam, ohne dass je eine präzise Definition des Begriffs vorgenommen worden wäre. Selbst juridische Texte des frühen zwanzigsten Jahrhunderts sprachen von der Verletzung der Würde des kokutai, ohne zu klären, was kokutai sei. Dies gilt selbst für Texte, die sich explizit mit kokutai beschäftigen, wie das berüchtigte Kokutai no hongi [Kokutai no hongi (jap.) 国体の本義 Ein Lehrbuch, welches 1937 vom japanischen Bildungsministerium veröffentlicht wurde; wtl. „Grundsätzliche Prinzipien des Japanischen kokutai“] („Grundprinzipien [unseres] Nationalwesens“) aus dem Jahr 1937. Ein gemeinsames Motiv aller kokutai-Diskurse liegt also darin, dass die Heiligkeit des Tennō, die zugleich die Heiligkeit des Staates ist, aus dem kokutai abgeleitet wurde, welches selbst nicht mehr hinterfragt werden konnte. Das einzige Motiv, das sich in vielen (wenn auch nicht in allen) kokutai-Beschreibungen immer wieder finden lässt, ist der Hinweis auf Japans „ungebrochene Folge dynastischer Herrschaft“, also die angeblich 2.600 Jahre zurückreichende Dynastie des Tennō.
Die Göttlichkeit des Tennō
Wo aber findet sich nun das berühmte Dogma, dass der Tennō selbst eine Gottheit in Menschengestalt (arahitogami [arahitogami (jap.) 現人神 (der Tennō als) Gottheit in menschlicher Gestalt]) und seine Abstammung von der Sonnengottheit ein historisches Faktum sei? Auch hier wird man in amtlichen oder halb-amtlichen Dokumenten kaum fündig. Eine wichtige Rolle spielte aber der „Kaiserliche Erziehungserlass“ (Kyōiku chokugo [Kyōiku chokugo (jap.) 教育勅語 Kaiserlicher Erziehungserlass; erlassen am 30. Oktober 1890 durch Meiji Tennō]) aus dem Jahr 1890. Dieser kurze Text, in dem der Tennō persönlich zu seinen Untertanen spricht,9 enthält neben einem allgemein gehaltenen Aufruf zu Tugend und Patriotismus („unverbrüchliche Treue gegen den Herrscher und Liebe zu den Eltern“) mehrmals den Hinweis auf die „kaiserlichen Vorfahren“ sowie auf das „Gedeihen Unserer wie Himmel und Erde ewig dauernden Dynastie“. Dieser Ausdruck ist eine Paraphrase des mythologischen Herrschaftsauftrags durch Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise], wie er in den kaiserlichen Mythen zu finden ist. Der Text verweist damit indirekt auf die dort geschilderte göttliche Abstammung des Tennō Hauses, lässt es aber dahingestellt, inwieweit den dort geschilderten Begebnissen wörtlich Glauben zu schenken sei.
Nun wurde aber dieser Erziehungserlass in den Schulen zusammen mit den Portraits des kaiserlichen Paares gleichsam religiös verehrt und bei diversen Anlässen kollektiv rezitiert. Diese Verehrung allein machte den Text gegenüber kritischen Einwänden immun und bot stattdessen einen trefflichen Anlass, die mythologischen Erzählungen vom Herrschaftsauftrag der Sonnengottheit an ihren Enkel und die Eroberung des ganzen Landes durch Jinmu Tennō [Jinmu Tennō (jap.) 神武天皇 wtl. „göttlicher Krieger“; gemäß den japanischen Mythen der erste menschliche Herrscher (Tennō) Japans; eigentlicher Name: Kami Yamato Iware-hiko no Sumera Mikoto 神日本磐余彦天皇 (Nihon shoki)] in den Schulunterricht einfließen zu lassen. Es ist sicher kein Zufall, dass dieser Text gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Verfassung und des Parlamentarismus (1890) verlautbart wurde. Er stellte sozusagen das Gegengewicht zum neuen rechtsstaatlichen System der Verfassung dar. Den Bürgern wurde mit dem Erziehungserlass bewusst gemacht, dass sie sich gegenüber dem Tennō in einer subalternen Position befanden, auf seine Gnade angewiesen waren, und dass diese Hierarchie auch durch den Rechtsstaat nicht in Zweifel gezogen werden konnte.10
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit, Feb. 1880. Wikimedia Commons.
Werk von Edoardo Chiossone. Meiji-Zeit, 1888. Wikimedia Commons.
All dies schloss aber keineswegs aus, dass während der Meiji-Zeit eifrig an einem modernen Universitätssystem gearbeitet wurde, wo u.a. ernstzunehmende historische Forschung zur Historizität der Mythen betrieben wurde. Selbst zum Shintō waren mit gewissen Einschränkungen unterschiedliche Meinungen gestattet.11 Unantastbar blieb einzig und allein der Tennō selbst, sodass auch die Frage, was man sich unter der Göttlichkeit des Tennō vorzustellen habe, kaum gestellt wurde.
Shintōpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach der japanischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde der Staatsshintō unter amerikanischer Besatzung bereits 1945 erstmals offiziell so genannt und zugleich abgeschafft. In der sogenannten Shintō-Direktive der Amerikaner vom 15. Dezember 1945 heißt es:
Jede [Maßnahme zur] Trägerschaft, Förderung, Fortsetzung, Kontrolle oder Verbreitung des Shintō ist Personen im öffentlichen Dienst [...] untersagt und mit sofortiger Wirkung einzustellen. 12
Am 1. Januar 1946 wandte sich der Tennō schließlich selbst — zweifellos auf Druck der Besatzungsmächte — an die Bevölkerung. In einer Rundfunkansprache, die als „Proklamation des Menschseins“ (Ningen sengen [Ningen sengen (jap.) 人間宣言 wtl. Proklamation des Menschseins; Bezeichnung für die erste Rundfunkrede des Shōwa Tennō nach dem 2. Weltkrieg, am 1. 1. 1946, in der dieser bekräftigte, kein Gott, sondern ein normaler Mensch zu sein.]) in die Geschichte einging, verkündete er:
Die Bande zwischen Uns und Euch, dem Volk, sind seit jeher aus gegenseitigem Vertrauen und liebevollem Respekt geflochten. Sie entstanden nicht bloß aus Mythen und Legenden. Sie beruhen nicht auf dem Wahn, der Tennō sei ein Gott in Menschengestalt und das japanische Volk sei eine höherwertige Rasse, vom Schicksal bestimmt die Welt zu beherrschen. 13
Damit widerrief also der Tennō einerseits seine mythologisch begründete Göttlichkeit, nicht aber die grundsätzliche Autorität, die ihm unter dem Staatsshintō zugesprochen wurde. Zweifellos entsprach auch dies dem Kalkül der Amerikaner, die sich entschlossen hatten, Japan mit Hilfe des Tennō zu reformieren.
Nach 1945. Bildquelle: The Objective Standard, über Internet Archive.
Unter amerikanischer Besatzung wurde in der Folge die Trennung von Staat und Religion in der Verfassung verankert, sämtliche Shintō-Schreine, inklusive des Ise Schreins [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū], wurden als religiöse Körperschaften definiert und jeglicher staatlichen Förderung entzogen. Auch der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen wurde untersagt. Religion (und darunter fällt seit 1945 auch der Shintō) gilt seither in Japan als reine Privatsache. In der Forschung setzte sich der amerikanische Missionar und Japanologe Daniel Clarence Holtom [Holtom, Daniel Clarence (west.) 1884–1962; christlicher Missionar, Theologe und Japanologe mit besonderem Schwerpunkt auf Shintō] schon vor dem Krieg kritisch mit dem Staatsshintō auseinander und trug entscheidend zur Etablierung dieses Begriffs bei.14
Dennoch blieb die Ideologie des Staatsshintō in der breiten Bevölkerung Japans unaufgearbeitet. Einzelne Religionshistoriker wie etwa Shimazono Susumu [Shimazono Susumu (jap.) 島薗進 1948–; japanischer Religionshistoriker, lehrte an der Universität Tōkyō] argumentieren sogar, dass der Staatsshintō in der Person des Tennō, der ja nach wie vor auch religiöse Zeremonien vollzieht, bis heute fortbesteht.15 Des weiteren ist nicht zu übersehen, dass sich einzelne symbolträchtige Embleme des Staatsshintō, wie etwa der Meiji Schrein [Meiji Jingū (jap.) 明治神宮 Schrein des Meiji Tennō in Tōkyō, err. 1920] oder der Yasukuni Schrein [Yasukuni Jinja (jap.) 靖国神社 Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene], nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen. Auch wenn kritische Intellektuelle immer wieder Diskussionen über die Abschaffung aller Überbleibsel des Staatsshintō entfachen, bleibt die Grundfrage in der japanischen Öffentlichkeit unentschieden: Muss man den Staatsshintō zur Gänze als Produkt eines überwundenen oder zu überwindenden Ultra-Nationalismus ansehen oder ist er ein Ausdruck japanischer kultureller Identität, der zu einer gewissen Zeit lediglich ideologisch missbraucht wurde?
Diskussionspunkte
Abschließend sind im folgenden einige Schlagworte genannt, die bis heute zu regelmäßigen Auseinandersetzungen rund um den Staatsshintō führen:
- Yasukuni Jinja [Yasukuni Jinja (jap.) 靖国神社 Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene], Tōkyō. Sicherlich das umstrittenste Reizthema. Der Yasukuni Schrein, wtl. „Schrein des friedlichen Landes“, ist eine Art Heldentempel, in dem die Seelen der für Japan gefallenen Soldaten als kami verehrt werden. Er wurde Anfang der Meiji-Zeit errichtet und vom Staatsshintō besonders gefördert. Nach dem Krieg wurde er in den Status einer gewöhlichen staatsunabhängigen Religionsgemeinschaft versetzt, doch gibt es Bestrebungen, ihn wieder als Ort nationaler Feierlichkeiten zu reaktivieren. Einige populistische Politiker statten dem Yasukuni Schrein daher immer wieder halb-offizielle Besuche ab, die kalkulierte Empörung seitens Chinas und Koreas und Applaus bei national gesinnten Wählerschaften hervorrufen. (Mehr dazu im Essay Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘.)
- kokutai [kokutai (jap.) 国体 Nationalwesen, wtl. „Landeskörper“], wtl. „Landeskörper“, „Nationalwesen“. Ein Begriff, durch den die nüchterne politische Struktur des Staates eine sakrale Aura erhalten sollte. Der bekannte Politologe Maruyama Masao [Maruyama Masao (jap.) 丸山眞男 1914–1996; jap. Politikwissenschaftler und Historiker] wies darauf hin, dass die kokutai-Ideologie in Japan ihre magische Bannkraft gerade deshalb entfaltete und noch immer besitzt, weil sie den Japanern kaum je bewusst gemacht wurde: „Ein scharfes Bewusstsein davon, welche magische Macht diese mit dem Wort kokutai bezeichnete nichtreligiöse Religion besaß, fehlt der Nachkriegsgeneration bereits, während es der älteren Generation, welche dieser Magie völlig verfallen war [...], von Anbeginn abging.“ (Maruyama 1988, S. 45)
- shinkoku [shinkoku (jap.) 神国 wtl. „Götterland“] („Götterland“): Ein mit kokutai verwandter Begriff, der die Einzigartigkeit Japans auf die die Tatsache zurückführt, dass es das „Land der kami“ sei. Dieser Begriff hat eine lange Tradition, die sich bis zu den Angriffen der Mongolen (13. Jh.) und darüber hinaus zurück verfolgen lässt (s. Shintō im Mittelalter). Unter dem Staatsshintō hatte der Begriff große Konjunktur, verschwand in der Folge weitgehend aus dem politischen Diskurs, tauchte aber in einer Parlamentsrede von Premierminister Mori Yoshirō [Mori Yoshirō (jap.) 森喜朗 1937–; konservativer japanischer Politiker und Premierminister, 2000–2001] im Jahr 2000 wieder auf und entfachte eine neue Welle von Argumenten gegen bzw. für die Wiedererstarkung nationalistischen Denkens in Japan.
- kannagara no michi [kannagara no michi (jap.) 随神の道 Alternativer Ausdruck für Shintō] (wtl. „Weg des Gottseins“). Kannagara bedeutet ungefähr „eine Gottheit seiend“ und wird in einigen alten Texten auf den Tennō angewandt. Teilweise taucht der Begriff auch als Lesung der Kanji-Zeichen von shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] auf.16 In der Moderne bot der Begriff reichlich Platz für alle möglichen mystifizierenden Interpretationen, was „der Weg des Gottseins“ denn eigentlich zu bedeuten habe.
Heisei-Zeit, 1990. Shintō Online Network Association, über Internet Archive.
Schließlich gibt es eine fortdauernde Diskussion über die Kriegsverantwortung des Tennō, sowie seine Rolle im modernen Staat. Im Gegensatz zum Staatsshintō wurde das Kaisertum ja nicht vollkommen abgeschafft, es wurde ihm lediglich jede politische Entscheidungsgewalt entzogen. Im religiösen Bereich, etwa im Zusammenhang mit dem Ise Schrein [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū], hält der Tennō aber bis heute gewisse rituelle Aufgaben inne. Darüber hinaus hat er selbst in der internationalen Politik nach wie vor eine keineswegs unbedeutende repräsentative Funktion als „Symbol des Staates“, die sogar in der Verfassung verankert ist. Daher erregte die Tatsache, dass Kaiser Hirohito (Shōwa Tennō [Shōwa Tennō (jap.) 昭和天皇 1901–1989; 124. Kaiser Japans; (r. 1926–1989); Eigenname: Hirohito.]) ungeachtet seiner Rolle als Staatsoberhaupt vor dem Zweiten Weltkrieg sein Tennō-Amt auch nach dem Krieg bis zu seinem Tod bekleidete, sowohl außerhalb Japans als auch bei einigen japanischen Intellektuellen heftige Kritik.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Schon Meiji's Vater, Kōmei Tennō hatte sich aktiv am Niedergang des Shōgunats beteiligt, indem er ohne Rücksprache weitreichende Befehle erteilte, die wieder zurückgenommen werden mussten. Er starb allerdings aus nicht ganz geklärten Umständen im Jahr 1867, im Alter von 36 Jahren.
- ↑ Interessanterweise handelt es sich dabei um die Abwandlung eines Schlagwortes, das auf den Heian-zeitlichen Gelehrten Sugawara no Michizane zurückgehen soll: wakon kansai 和魂漢才, „japanischer Geist, chinesische Technik“ (Wachutka 2013, S. 48).
- ↑ Kleinen 2002.
- ↑ Hardacre 1991, S. 45.
- ↑ 1873 wurden zwei Gruppen von Zusätzen erlassen, nämlich elf Punkte eher shintoistisch-theologischer Natur, die u.a. Fragen des Jenseits berührten, und 17 Punkte, die sich der diesseitigen staatlichen Ordnung aus eher konfuzianischer Perspektive widmeten (Zhong 2016, p. 154; für eine wtl. Übersetzung ins Deutsche s. Lokowandt 1978, S. 148).
- ↑ Zhong 2016, S. 152.
- ↑ In den Schriften von Religionswissenschaftlern wie Inoue Tetsujirō und Katō Genchi findet sich vereinzelt die Bezeichnung kokkateki shintō („staatlicher Shintō“, erst nach dem Zeiten Weltkrieg bürgerte sich kokka shintō („Staatsshintō“) ein. s. dazu Scheid 2013.
- ↑ S. vor allem Antoni 1998.
- ↑ Tatsächlich wurde der Erlass von einer Reihe von Intellektuellen unter Anleitung des Juristen Inoue Kowashi (1843–1895), einem der „Architekten“ der Meiji-Verfassung, formuliert (Doak 2012, S. 95–96).
- ↑ Dazu äußerte sich etwa der Rechtsexperte Ariga Nagao (1860–1921) folgendermaßen: „When the Constitution was granted in 1889, it was feared by some that the idea of 'the rights of the people' would destroy the idea of loyalty and patriotism, and the famous Rescript of Education was the result, which looked at humanity entirely from the standpoint of intellect, and excluded all element of faith and mystery.“ (Ariga Nagao, 1908, nach Holtom 1922, S. 78.)
- ↑ Ein berühmter Fall staatsshintōistischer Zensur ist der Fall des Historikers Kume Kunitake (1839–1931). Als er 1891 einen Artikel mit dem Titel „Shintō, ein alter Brauch der Himmelsverehrung“ veröffentlichte, in dem er Shintō als reformbdürftiges Relikt bezeichnete, wurde ihm im folgenden Jahr aufgrund von Protesten aus dem Lager der Shintō-Ideologen seine Professur an der Universität Tōkyō entzogen.
- ↑ Ü. nach Hardacre 1989: 167
- ↑ Ü. nach Antoni 1998: 333. Dieser Ansprache war am 15. August 1945 die Kapitulationserklärung des Tennō via Radio vorangegangen. Es war das erste Mal gewesen, dass die Stimme des Tennō in der Öffentlichkeit zu hören war.
- ↑ Holtom 1922, Holtom 1963.
- ↑ Shimazono 2010; s.a. Fischer 2001.
- ↑ Die klassische Textstelle stammt aus dem Nihon shoki (720), welches wiederum ein kaiserliches Edikt aus dem Jahr 647 zitiert. Dieses Edikt enthält die der Sonnengottheit Amaterasu in den Mund gelegten Worte: „Meine Kinder sollen in ihrer Eigenschaft als Götter (kannagara) [die Welt] regieren.“ In einer Glosse bemerkt das Nihon shoki dazu: „Kanngara bedeutet dem Weg der Götter (shintō) zu folgen oder den Weg der Götter in sich zu tragen“ (Aston 1972, II, S. 226).
Internetquellen
- Kokutai-Ideologie (de.)
Artikel des japanischen Philosophen Hagiwara Yoshihisa, erschienen in K. Slamun (Hg.), Aufklärungsperspektiven, J.C.B. Mohr, 1989. - Religion im Dienste einer ethnisch-nationalen Identitätskonstruktion: Erörtert am Beispiel der ‚Deutschen Christen‘ und des japanischen Shinto.
Artikel des Japanologen und Religionswissenschaftlers Christoph Kleine, erschienen im Online Journal Marburg Journal of Religion 7/1, 2002. - Yasukuni Jinja (en.)
Einige Fakten zu diesem kontroversen Thema. [Über Internet Archive, 2010/8] - Imperial Household Agency Homepage (en., jap.)
Zur Orientierung über die heutigen Funktionen des Tennō. - Tennō no misasagi (jap.)
Ein Überblick über sämtliche Grabstätten historischer Tennō - viele davon eigentlich Denkmäler aus der Zeit des Staatsshinto (Teil der oben genannten Website). - Constitutional Revision Research Project, Harvard University (en.)
Dieses Projekt widmet sich der aktuellen Debatte über eine Änderung der jap. Verfassung, enthält aber auch zahlreiche Dokumente und Links zur Geschichte der japanischen Verfassung.
Literatur
- Dissertation, University of Chicago, 1922. [Transactions of the Asiatic Society of Japan 49: part 2 (1922).]
Bilder
- ^ Meiji Tennō und seine Gemahlin umgeben von ihren kaiserlichen Ahnen:
- Mitte: Die Urgötter Kuni no Tokotachi, Izanami und Izanagi, davor Kaiser Meiji und Kaiserin Shōken;
- Rechts: Die Ahnengötter Amaterasu, Ninigi und Jinmu Tennō sowie die nahen Vorfahren Meijis, Kōmei (Tennō 121, r. 1846–1867) und Go-Sakuramachi (Tennō 117, r. 1762–1771, eigentlich eine Kaiserin!)
- Links: Die mythologischen Ahnengötter Hiko Hohodemi und Hikonagisa Takeugaya Fukiaezu, sowie Go-Momozono (Tennō 118, r. 1771–1779), Kōkaku (Tennō 119, r. 1780–1817) und Ninkō (Tennō 120, r. 1817–1846).
Werk von Toyohara Chikanobu (1838–1912). Meiji-Zeit, 1878. Artelino.
- ^ Kaiser Meiji (1852–1912) im 5. Jahr seiner Regierung mit eben erst 20 Jahren.
Werk von Uchida Kuichi. Meiji-Zeit, 1872. Bildquelle: Flickr, Claude Estébe. - ^ Die neuartige Militäruniform und der westlichen Stuhl scheinen für den jungen Kaiser Meiji noch ungewohnt gewesen zu sein.
Werk von Uchida Kuichi (1844–1875). 1873. Bildquelle: T Flickr, Claude Estèbe. - ^ Kaiser Meiji (re.) verkündet die Verfassung, 1889. (S.a. Bild:meiji_constitution_1889.jpg.)
Werk von Hashimoto Chikanobu (1838–1912). Meiji-Zeit, 1889. Museum of Fine Arts, Boston.
- ^ Die hier dargestellte Szene ist dem Nihon shoki entnommen. Dort heißt es, dass eine Schlacht gegen Ende von Jinmus Eroberungsfeldzug zugunsten dieses ersten Kaisers entschieden wurde, als sich ein goldener Raubvogel (kinshi, eine Art Milan oder Weihe, jap. tobi) auf Jinmus Bogen niederließ und die Feinde derart blendete, dass sie unfähig waren, Widerstand zu leisten. Diese Episode wurde in der Meiji-Zeit zum Anlass genommen, den höchsten militärischen Orden nach diesem goldenen Milan zu benennen. 1873 wurde außerdem im Gedenken an Jinmu ein Reichsgründungstag (Kigensetsu) als neuer nationaler Feiertag (11. Februar) festgesetzt.
Tsukioka Yoshitoshis Jinmu zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit dem damaligen Kaiser Meiji. Zweifellos versuchte der Künstler im Einklang mit dem Geist seiner Zeit, eine Beziehung zwischen dieser heldenhaften Vorzeit und dem neuen Regime unter Meiji Tennō herzustellen.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi (1839–1892). Meiji-Zeit, Feb. 1880. Wikimedia Commons. - ^ Im Gegensatz zu früheren Portraits handelt es sich um keine Photographie, sondern um eine sogenannte Conté-Zeichnung des Meiji Tennō. Edoardo Chiossone war auch für das Design Meiji-zeitlicher Banknoten und anderer offizieller Bildmedien verantwortlich.
Werk von Edoardo Chiossone. Meiji-Zeit, 1888. Wikimedia Commons. - ^ Plakat mit den wichtigsten Reformen zur Abschaffung des Staatsshintō im Sinne der Shintō Direktive (1946) durch die (amerikanische) Führung der Alliierten Kräfte (SCAP). Das Bild kontrastiert einen Shintō Priester, der als Marionette von Militär und Kapital dargestellt wird, mit einer friedlichen Menschenmenge in einem Schrein (Nikkō). Hinter einem zerbombten Haus ist als Symbol der Toleranz gegen fremde Religionen ein Kreuz zu sehen.
Nach 1945. Bildquelle: The Objective Standard, über Internet Archive. - ^ Das daijōsai, eigentlich eine Erntedankfeier anlässlich seiner Inthronisierung, ist die wichtigste Feier nach altem religiösem Muster, die ein Tennō begeht. Daneben vollzieht der Tennō aber noch einige Dutzend weitere shintoistische Riten pro Jahr.
Heisei-Zeit, 1990. Shintō Online Network Association, über Internet Archive.
Glossar
- arahitogami 現人神 ^ (der Tennō als) Gottheit in menschlicher Gestalt
- fukko shintō 復古神道 ^ „Restauration des antiken Shintō“; Restaurations-Shintō
- Holtom, Daniel Clarence (west.) ^ 1884–1962; christlicher Missionar, Theologe und Japanologe mit besonderem Schwerpunkt auf Shintō
- Iwakura Shisetsudan 岩倉使節団 ^ Iwakura-Mission; diplomatische Delegation unter Führung von Iwakura Tomomi, die im Rahmen einer Weltreise von 1871 bis 1873 Amerika sowie mehrere Länder Europas besuchte
- Iwakura Tomomi 岩倉具視 ^ 1825–1883; Staatsmann der Meiji-Zeit; Leiter der Iwakura Mission Iwakura Shisetsudan, 1871–1873)
- Jinmu Tennō 神武天皇 ^ wtl. „göttlicher Krieger“; gemäß den japanischen Mythen der erste menschliche Herrscher (Tennō) Japans; eigentlicher Name: Kami Yamato Iware-hiko no Sumera Mikoto 神日本磐余彦天皇 (Nihon shoki)
- kokka shintō 国家神道 ^ Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK
- kokumin dōtoku 国民道徳 ^ „Nationale Moral“, „Volksmoral“; Schlagwort der nationalistischen Propaganda der Zwischenkriegszeit
- kokumin seishin 国民精神 ^ „Nationaler Geist“, „Volksgeist“; Schlagwort der nationalistischen Propaganda der Zwischenkriegszeit
- Kokutai no hongi 国体の本義 ^ Ein Lehrbuch, welches 1937 vom japanischen Bildungsministerium veröffentlicht wurde; wtl. „Grundsätzliche Prinzipien des Japanischen kokutai“
- kyōdōshoku 教導職 ^ „nationale Evangelisten“; Missionare oder Instruktoren der Verbreitung der Großen Lehre
- Maruyama Masao 丸山眞男 ^ 1914–1996; jap. Politikwissenschaftler und Historiker
- Meiji Ishin 明治維新 ^ Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat
- Meiji Tennō 明治天皇 ^ 1852–1912; 122. japanischer Kaiser (r. 1867–1912); Namensgeber und politische Symbolfigur der Meiji-Zeit; Eigenname: Mutsuhito
- Mori Yoshirō 森喜朗 ^ 1937–; konservativer japanischer Politiker und Premierminister, 2000–2001
- Ningen sengen 人間宣言 ^ wtl. Proklamation des Menschseins; Bezeichnung für die erste Rundfunkrede des Shōwa Tennō nach dem 2. Weltkrieg, am 1. 1. 1946, in der dieser bekräftigte, kein Gott, sondern ein normaler Mensch zu sein.
- Perry, Matthew (west.) ^ 1794–1858; amerikanischer Admiral (Commodore), der 1853–1854 die Öffnung der japanischen Häfen für amerikanische Schiffe erwirkte
- saisei itchi 祭政一致 ^ Einheit von Ritus und Verwaltung bzw. von Religion und Staat
- sanjō no kyōsoku 三条の教則 ^ die drei elementaren Prinzipien oder Lehrsätze der „Großen Lehre“ (taikyō), also der Staatsideologie der frühen Meiji-Zeit, die 1872 erlassen wurden; auch sanjō no kyōken
- Shimazono Susumu 島薗進 ^ 1948–; japanischer Religionshistoriker, lehrte an der Universität Tōkyō
- shinbutsu bunri 神仏分離 ^ Trennung von kami und Buddhas; religionspolitische Maßnahme zur Entflechtung von buddh. Tempeln und Shintō-Schreinen; vereinzelt in der Edo-Zeit, vor allem aber für die frühe Meiji-Zeit (1868–1873) charakteristisch
- Shōwa Tennō 昭和天皇 ^ 1901–1989; 124. Kaiser Japans; (r. 1926–1989); Eigenname: Hirohito.
- shūha shintō 宗派神道 ^ Sektenshintō, s.a. kyōha shintō
- taikyō senpu undō 大教宣布運動 ^ Kampagne des Großen Lernens oder auch Große Indoktrinierungs-Kampagne, 1870–1884; staatl. Initiative der frühen Meiji-Zeit zur Verbreitung der Ideale des Tennō-Loyalismus
- wakon yōsai 和魂洋才 ^ „Japanischer Geist, westliche Technik“; politischer Slogan der bakumatsu- und Meiji-Zeit
- Yasukuni Jinja 靖国神社 ^ Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
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„Staatsshintō.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001