Honji suijaku: Die Angleichung von Buddhas und kami
Als die ersten buddhistischen Mönche ihre Lehre in Japan zu verbreiten begannen, stellten sie zwar die Existenz der einheimischen kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] nicht in Zweifel, sahen sie aber als den Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] unterlegen an. Ebenso hatte der Buddhismus auch die indischen Götter eingestuft: Sie galten als unerleuchtet und im Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara [Saṃsāra (skt.) संसार „Beständiger Fluss“, Kreislauf der Wiedergeburten, Diesseits (jap. Rinne 輪廻)]) gefangen. Umgekehrt wurden Buddhas und Bodhisattvas [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)] von den japanischen Laien zunächst als fremde kami eingestuft. Gegenüber dem Überlegenheitsanspruch der Buddhisten regte sich bereits nach den ersten Tempelgründungen Widerstand (siehe Altertum). Von buddhistischer Seite begegnete man diesem anfänglichen Misstrauen mit verschiedenen Versuchen, den kami-Glauben stärker in den Buddhismus zu integrieren. Das wichtigste Konzept ist dabei die Theorie von (buddhistischer) „Urform“ und shintōistischer „Spur“, jap. honji suijaku [honji suijaku (jap.) 本地垂迹 wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas], dessen Evolution in der Folge genauer vorgestellt wird.
Bekehrung der kami
Die historisch älteste Strategie, die man schon im siebenten Jahrhundert (also in der Frühzeit des japanischen Buddhismus) antrifft, ist die „Bekehrung“ einheimischer Gottheiten: Kami gelten als erleuchtungsbedürftige Wesen, die wie die Menschen in den Geburtenkreislauf verstrickt sind und einen Drang nach Erlösung verspüren. Der Buddhismus übernimmt die Aufgabe, ihnen dazu zu verhelfen. Frühe buddhistische Legenden zeigen, dass diese Aufgabe häufig von umherwandernden buddhistischen Asketen übernommen wurde. In diesen Legenden wird zum Beispiel erzählt, dass eine lokale Gottheit einem vorbeiziehenden Wandermönch im Traum erscheint und ihm das Leid ihres unerlösten Zustandes klagt. Um das Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. gō 業)] der Gottheit dauerhaft durch die entsprechenden buddhistische Riten und Sutrenlesungen [sūtra (skt.) सूत्र „Faden“, Lehrrede des Buddha, kanonische Schrift (jap. kyō 経 oder kyōten 経典)] zu verbessern, veranlasst der Mönch die Errichtung eines Tempels neben dem ursprünglichen Heiligtum der Gottheit.
Ein gut dokumentiertes Beispiel stellt die Gottheit des Tado [Tado Taisha (jap.) 多度大社 Shintō-Schrein in der Stadt Kuwana in der Präfektur Mie] Schreins in der Nähe des Ise [Ise (jap.) 伊勢 vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū] Schreins dar. Diese Gottheit offenbarte sich Ende der Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō]-Zeit einem Mönch namens Mangan Zenji [Mangan Zenji (jap.) 満願禅師 „Meditations-Meister Mangan“; buddhistischer Mönch der Nara-Zeit] und bat ihn um buddhistische Belehrung. Mangans Belehrung funktionierte so gut, dass die Gottheit schließlich zu einem Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)] wurde. Ein typisches Element dieser frühen Bekehrungsgeschichten ist allerdings, dass die Gottheit zunächst als ein sündiges, in den Geburtenkreislauf (Samsara [Saṃsāra (skt.) संसार „Beständiger Fluss“, Kreislauf der Wiedergeburten, Diesseits (jap. Rinne 輪廻)]) verstricktes Wesen erscheint, ähnlich wie ein Mensch. Vorbilder für diese Bekehrungsgeschichten finden sich im übrigen bereits in China, etwa in der Biographie des frühen buddhistischen Übersetzers und Missionars An Shigao [An Shigao (chin.) 安世高 2. Jh. u.Z.; buddhistische Missionar und früher Übersetzer indischer Texte ins Chinesische; stammte möglicherweise aus dem Partherreich] (2. Jh. u.Z)), wie sie im Gaoseng zhuan [Gaoseng zhuan (chin.) 高僧伝 Überlieferungen ehrwürdiger Mönche; Sammlung von etwa 500 Biographien (die Hälfte ausführlich, andere kürzer) von Huijiao (519 u.Z.); alle Biographien handeln von chinesischen Mönchen zwischen 57 und 519 u.Z.] (519) überliefert ist.1
Aus heutiger Perspektive kann man annehmen, dass in Fällen wie diesem zunächst eine Schreingottheit verehrt wurde, die dann von einem buddhistischen Mönch erfolgreich für die Verbreitung des Buddhismus instrumentalisiert wurde. Schon um das Jahr 700 führten derartige Interpretationen zur Errichtung großer gemeinsamer Kultstätten, etwa in Usa [Usa (jap.) 宇佐 Region im Norden der Insel Kyūshū, bekannt für den Usa Hachiman Schrein.], Kyūshū, wo die Gottheit Hachiman [Hachiman (jap.) 八幡 Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen] zusammen mit Miroku Bosatsu [Miroku (jap.) 弥勒 Bodhisattva Maitreya, „Buddha der Zukunft“] (Bodhisattva Maitreya [Maitreya (skt.) मैत्रेय „Der Freundliche, der Liebevolle“, Buddha der Zukunft (jap. Miroku 弥勒)]) verehrt wurde.
Kami als buddhistische Schutzgötter
Sobald der Buddhismus zu einem festen Bestandteil der japanischen Religion geworden war (also etwa ab der Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō]-Zeit) wurden kami, die bereits ein gut etabliertes Verhältnis zum Buddhismus besaßen, zu Beschützern des Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. hō 法)] erklärt. Die Bekehrung der kami muss in solchen Fällen nicht spezifisch betont werden, sondern wird selbstverständlich vorausgesetzt. Große Tempel errichten innerhalb des Tempelareals Schreine für solche kami. In diesen Fällen wurde — historisch gesehen — wohl zuerst ein Tempel errichtet, der anschließend durch eine neu eingeführte Gottheit beschützt werden sollte. Auch hierfür stellt Hachiman eines der frühesten Beispiele dar:
Hachiman und der Tōdaiji
Werk von Kaikei. Kamakura-Zeit, 1201. Nara National Museum, über Internet Archive.
Als Mitte des achten Jahrhunderts der Große Buddha des Tōdaiji in Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō] errichtet wurde, baute man innerhalb des Tempelareals auch einen Zweigschrein für Hachiman [Hachiman (jap.) 八幡 Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen]. Dies geschah der Legende nach aufgrund eines von Hachiman selbst geäußerten Wunsches. Zuvor hatte Hachiman gelobt, dass er mit seinem eigenen Körper das Schmelzen des Metalls zur Errichtung der Statue sicherstellen werde. Auch ein Goldfund in Nordjapan (749), der die Vergoldung der Statue möglich machte, wurde mit Hachiman in Verbindung gebracht. In der Folge erhielt Hachiman (ähnlich wie der zuvor erwähnte Gott von Tado) den Titel eines Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)], also eines erleuchteten buddhistischen Wesens. Hachiman konnte also der damaligen Vorstellung zufolge die höchste Stufe der Erleuchtung vor der endgültigen Buddhaschaft erringen und blieb doch seinem Wesen nach ein einheimischer Gott. Der Unterschied zur vorherigen Stufe besteht darin, dass die Bodhisattvaschaft Hachimans nicht aufgrund der Hilfe eines konkreten Mönchs erfolgte, sondern quasi spontan. Das hatte letztlich zur Folge, dass man ihm einen höheren Status zubilligte als z.B. der Gottheit des Tado Schreins. Das Beispiel des Tōdaiji [Tōdaiji (jap.) 東大寺 Tempel des Großen Buddha von Nara; wtl. Großer Ost-Tempel] führte in der frühen Heian-Zeit dazu, dass eine Reihe großer Tempel (etwa Daian-ji [Daian-ji (jap.) 大安寺 einer der Sieben Große Tempel von Nara, err. 729, geht auf ältere Vorgänger zurück] und Yakushi-ji [Yakushi-ji (jap.) 薬師寺 Tempel des Yakushi Nyorai in Nara] in Nara, oder Jingo-ji [Jingo-ji (jap.) 神護寺 Tempel nordwestlich von Kyōto, gegr. um 800; wtl. Tempel des göttlichen Schutzes] und Tōji [Tōji (jap.) 東寺 Ost-Tempel in Kyōto, eig. Kyōō Gokoku-ji (Tempel des Königs der Lehre zum Schutz des Landes)] in Kyōto) Hachiman ebenfalls als Schutzgottheit installierten.
Hachiman galt außerdem als Inkarnation des mythologischen Herrschers Ōjin [Ōjin Tennō (jap.) 応神天皇 auch Homuda Wake 誉田別; mytholog. Herrscher, offiziell der 15. Tennō; trad. Lebensdaten: 200–310, r. 270–310] und damit als Ahnengottheit des Kaiserhauses. Hachiman als Schutzgott zu haben bedeutete daher wohl auch eine privilegierte Beziehung zum kaiserlichen Hof. Auch die Shōgune [Shōgun (jap.) 将軍 Shōgun; Titel der Militärherrscher aus dem Kriegeradel (bushi, Samurai)] des Mittelalters verzichteten nicht auf seinen Beistand und konstruierten ihre Abstammungslinien so, dass auch sie sich als Nachkommen des Hachiman bezeichnen konnten. Hachiman wurde daher in weiterer Folge zur Ahnengottheit des Kriegeradels. In dieser Funktion wurde er auch um Glück in der Schlacht angerufen und mutierte so in späterer Zeit auch zum Kriegsgott, wobei er aber seinen Titel Bodhisattva bis zum Beginn der Moderne behielt. Erst die sogenannte „Trennung von kami und Buddhas“ Anfang der Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit führte zur Aberkennung buddhistischer Titel für einheimische Gottheiten.
Sannō, der Schutzgott des Klosterbergs Hiei
Ein weiteres Beispiel einer durch und durch vom Buddhismus geprägten einheimischen Gottheit ist Sannō [Sannō (jap.) 山王 Wtl. „Bergkönig“; Schutzgott des Tendai-Klosters auf Berg Hiei], der Schutzgott des Klosterbergs Hiei:
Als Saichō [Saichō (jap.) 最澄 767–822; Gründer des Tendai-Buddhismus; auch bekannt als Dengyō Daishi], der Begründer der Tendai-Schule [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai], das Kloster Enryaku-ji [Enryaku-ji (jap.) 延暦寺 Haupttempel des Hiei Klosterbergs] auf Berg Hiei [Hiei-zan (jap.) 比叡山 Klosterberg Hiei bei Kyōto, traditionelles Zentrum des Tendai Buddhismus] gründete, wählte er diesen Ort nicht zufällig. Erstens war er hier geboren, zweitens befand sich etwa 150 Jahre zuvor am östlichen Fuße des Berges der Palast des Tenchi-Tennō [Tenji Tennō (jap.) 天智天皇 626–672; 38. Kaiser Japans; (r. 661–672); Eigenname: Naka-no-Ōe]. Von dieser Zeit kündete noch der Hie Schrein [Hie Taisha (jap.) 日吉大社 Schutzschrein des Tendai-Tempelkomplexes von Berg Hiei bei Kyōto; auch bekannt als Hiyoshi Taisha oder Sannō Schrein] (später auch als „Hiyoshi Schrein“ bekannt), der mehreren Berggottheiten geweiht war. Saichō erklärte diese kami kollektiv zu Schutzgöttern seines Klosters und gab ihnen den Namen Sannō [Sannō (jap.) 山王 Wtl. „Bergkönig“; Schutzgott des Tendai-Klosters auf Berg Hiei], wtl. „Bergkönig“. Diesen Namen borgte er von einem chinesischen Vorbild: Auch im Stammkloster des Tiantai [Tiantai (chin.) 天台 chin. Vorläufer des Tendai Buddhismus; urspr. Name eines chin. Klosterbergs (Tiantai-shan)] Buddhismus in China wurde eine lokale Gottheit als „Bergkönig“ und Schutzgott des dortigen Klosters verehrt. In der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit entwickelte sich der nunmehrige Hie/Sannō Schrein parallel zur Klosteranlage auf Berg Hiei zu einem weitläufigen Schreinkomplex. Der Schrein wurde von Priestern betreut, die zwar selbst keine buddhistsichen Weihen erhielten, aber der Aufsicht von Tendai-Mönchen unterstanden. Sannō Schreine entstanden in der Folge auch in Zusammenhang mit anderen Tendai-Klöstern, sodass aus Sannō eine allgemeine Schutzgottheit des Tendai Buddhismus wurde. Umgekehrt gingen — wie wir gleich sehen werden — entscheidende Impulse in den buddhistischen Interpretationsmodellen der kami vom Tendai Buddhismus aus.
Honji suijaku — kami als Manifestationen von Buddhas
Heian-Zeit, 11. Jh. unbekannt.
Die Beförderung einzelner kami in den Rang buddhistischer Schutzgötter bedeutete zweifellos eine Aufwertung der kami aus buddhistischer Sicht. Man kann diese Funktion als ein Indiz für die zunehmende Japanisierung des Buddhismus in Japan werten. Hinter dieser Japanisierung erkennt man das Bedürfnis vieler gläubiger japanischer Buddhisten der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit, ihre kami mit Bodhisattvas und Buddhas auf die gleiche Stufe zu stellen. Aus diesem Bedürfnis entwickelte sich allmählich eine weitere Interpretation, die sogenannte honji [honji (jap.) 本地 (buddhistische) Urform (eines kami); s.a. suijaku] suijaku [suijaku (jap.) 垂迹 wtl. kami-Spur (eines Buddha); buddh. Bezeichnung für → kami] Konzeption. Laut dieser Konzeption sind gewisse kami (nicht unbedingt alle) im Grunde Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] oder Bodhisattvas [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)], die sich zum Zwecke der Bekehrung (oder Missionierung) vorübergehend in kami-Gestalt manifestieren.
Hon [hon (jap.) 本 „Original“, „Ursprung“] und jaku [jaku (jap.) 迹 „Spur“, „Fährte“; „Vermächtnis“] sind in der Tendai-Philosophie gebräuchliche Termini, um die absolute Wahrheit von ihrer historischen Erscheinungsform (z.B. den absoluten Dharma von den Lehren des historischen Buddhas) zu unterscheiden (s. a. upāya/hōben). Die Tendai-Lehre unterscheidet beispielsweise zwischen der „originalen Lehre“ und der „abgebildeten Lehre“.2Diese Dichotomie wird nun in Japan auch auf die Gottheiten übertragen (was in China nicht oder nicht konsequent geschah). Früheste Erklärungen dieser Art entstammen — kein Wunder — der Tendai-Schule: kami werden als „Spuren des Höchsten Buddha“ bezeichnet, woraus sich der technische Terminus suijaku (wtl. „herabgelassene Spur“) entwickelt. Ein weiterer Begriff in diesem Zusammenhang ist der kami-Titel gongen [gongen (jap.) 権現 wtl. „vorläufige Erscheinung“ (vgl. gon); buddh. Titel für kami], was soviel wie provisorische oder vorläufige Erscheinung bedeutet. Ein gongen ist also die vorläufige oder provisorische Erscheinungsform eines Buddhas oder Bodhisattvas in der Gestalt eines kami. Die Gottheit des Hie Sannō Schreins, Sannō Gongen [Sannō Gongen (jap.) 山王権現 Gottheit des Sannō Schreins], ist ein frühes Beispiel für diesen buddhistischen kami-Titel.
Vorlage:WmaxX Eine analoge Erklärung für die Tatsache, dass Buddhas nicht in ihrer unmittelbaren Gestalt in Erscheinung treten, entwickelte sich aus der poetischen (letztlich von Laotse [Laozi (chin.) 老子 trad. Schreibung: Laotse; Lao Tse, Lao-tzu; wtl. „alter Knabe“; legendärer Philosoph und Begründer des Daoismus] entlehnten) Metapher vom „gedämpften Licht, das sich dem Staub angleicht“ (wakō dōjin [wakō dōjin (jap.) 和光同塵 Angleichung der Buddhas an die kami; wtl. „das Licht dämpfen und sich dem Staub angleichen“]). Gemäß dieser Vorstellung ist das Licht der Buddhas so hell, dass es die gewöhnlichen Sterblichen nicht schauen können. Um aber dennoch mit den Sterblichen kommunizieren zu können, hätten Buddhas und Bodhisattvas ihr Licht gedämpft und es „dem Staub der Erde angeglichen“ und das Ergebnis sei die Erscheinungsform der kami gewesen. Dies ist eine gängige Alternative zur eigentlichen honji-suijaku Metapher, welche die kami als sichtbare „Spur“ begreift, die die Buddhas auf Erden hinterlassen haben.
Im zehnten und elften Jahrhundert finden sich Beispiele für die ganz konkrete Übereinstimmung bestimmter Buddhas oder Bodhisattvas mit bestimmten kami, wie sie für die voll entwickelte honji suijaku Konzeption typisch sind. Meist findet eine Übereinstimmung der kami mit Kannon [Kannon (jap.) 観音 auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt], Yakushi Nyorai [Yakushi Nyorai (jap.) 薬師如来 Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru], Amida [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)] oder Shaka Nyorai [Shaka Nyorai (jap.) 釈迦如来 jap. Name des historischen Buddha, Shakyamuni] statt. Wie schon in früheren Fällen, gründen sich diese Übereinstimmungen zumeist auf Traumbotschaften oder Offenbarungen berühmter Mönche und werden in Schrein- oder Tempelchroniken (sogenannten engi [engi (jap.) 縁起 Tempel- oder Schrein-Chronik]) festgehalten. Mit dem Beginn der Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]-Zeit (um 1200) festigen sich die kami-Buddha Zuordnungen in den meisten größeren Schreinen (siehe auch Ikonographie, kami).
Vorlage:Sidebox3 Sichtbares Zeichen dieser kombinatorischen Praxis sind die in vielen Schreinen erhaltenen „Hängebuddhas“ (kakebotoke [kakebotoke (jap.) 懸仏 wtl. „Hängebuddha“; Relief des „Urbuddhas“ (honji) einer Shintō-Gottheit, meist an der Rückseite von Bronze-Spiegeln gefertigt, welche in Schreinen dieser Gottheit aufgehängt wurden]). Es handelt sich dabei um metallene Spiegel, die die Schreingottheit repräsentieren und an deren Rückseite ein Relief des jeweiligen honji-Buddhas angebracht ist. Die Spiegel verdanken ihren Namen der Tatsache, dass sie zumeist an der Außenseite der Schreine aufgehängt wurden.
Kombinatorische Praxis
Die honji suijaku Konzeption bleibt das ganze Mittelalter hindurch bis in die Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit für die japanische Religion prägend und führt zu einer Vielzahl von synkretistischen Kombinationen: nicht nur werden einzelne Buddha oder Bodhisattva Gestalten mit diversen kami übereingestimmt, es kommt auch zu ganzen Ketten von Identifikationen, an deren Ende nicht selten historische Persönlichkeiten (etwa Kūkai [Kūkai (jap.) 空海 774–835, Gründer des Shingon Buddhismus; Eigennamen Saeki Mao, Ehrennamen Kōbō Daishi] oder Shōtoku Taishi [Shōtoku Taishi (jap.) 聖徳太子 574–622; Prinz Shōtoku; kaiserlicher Regent]) stehen. Diese gelten dann z.B. als Erscheinungen von kami, die ihrerseits wieder Erscheinungen von Buddhas sind. Auch nicht-buddhistische Gottheiten aus Indien und China haben in diesen Reihen Platz. Die honji suijaku Konzeption existiert jedoch nicht in Form einer systematisch kodifizierten Lehrmeinung, sondern setzt sich aus unzähligen Einzeltheorien zusammen, die meist in Legenden von Tempeln und Schreinen zum Ausdruck kommen.
Man darf sich daher nicht erwarten, dass allgemeine Übereinkunft darüber herrschte, welcher Gott nun die „Spur“ welchen Buddhas sei. Im Gegenteil: Selbst innerhalb ein und desselben Schreinkomplexes existieren oft mehrere, widersprüchliche Identifikationen. Offenbar war es durchaus möglich mehr als eine Identifikation für wahr zu halten. All das macht die religiöse Situation des Mittelalters verwirrend und unübersichtlich. Die Religionsgeschichte hat sich daher auf die buddhistischen Reformer dieser Zeit konzentriert, die klarere Linien vorgeben und charakteristischerweise den kami vergleichsweise wenig Beachtung schenken. Die Gedanken dieser Reformer, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, sind vom heutigen Standpunkt aus leichter nachvollziehbar. Wie wir jedoch aus der Literatur des Altertums und des japanischen Mittelalter wissen, erschien den Japanern des Mittelalters das „geschickte Mittel“ der polymorphen Erscheinung als Buddha, kami, Heiliger oder gar Gespenst zum Zwecke der Verbreitung des Buddha-Dharma durchaus plausibel.
Allgemein lässt sich sagen, dass mit der honji suijaku Konzeption eine Aufwertung der kami stattfindet: Sie steigen von unerleuchteten Außenseitern des buddhistischen Pantheons zu — zugegeben meist zweitrangigen — Erscheinungsformen der Buddhas selbst auf. Dies erleichtert es gläubigen Buddhisten, neben den Buddhas auch den kami Verehrung zukommen zu lassen.
In der letzten Phase der Angleichung von kami und Buddhas versuchten manche buddhistischen Denker, beide als absolut gleichwertig, sozusagen als zwei Seiten einer Medaille, darzustellen. Diese Interpretation wird heute als Ryōbu Shintō [Ryōbu Shintō (jap.) 両部神道 Shintō-Interpretation des Mittelalters; wtl. „Shintō der beiden Teile“], wtl. „Shintō der beiden Teile“, bezeichnet. Sie entstand allerdings erst in der Kamakura-Zeit und wird daher unter dem Stichwort Shintō des Mittelalters genauer behandelt.
Verweise
Fußnoten
- ↑ Von ihm heißt es, dass von einem Gott in Schlagenform um die Errichtung eines buddhistischen Tempels gebeten worden war.
- ↑ Etwa im Fall des Lotos Sutra, dessen Beginn manchmal als shakumon 迹門 („Tor der Spur“) und dessen zweite Hälfte als honmon 本門 („Tor des Ursprungs“, eigentliche Lehre) klassifiziert wurden.
Literatur
Bilder
- ^ Die Gottheit Hachiman in Mönchstracht. Wie viele Statuen dieser Zeit ist auch diese Statue hohl. In ihrem Inneren birgt sie eine Liste von Künstlern und Sponsoren versehen, die zu ihrem Entstehen beigetragen haben. Die Statue diente lange als shintai des Tamukeyama Hachiman Schreins (Schutzschrein des Tōdaiji) und wurde nicht hergezeigt, daher ihr fast unnatürlich guter Erhaltungszustand. Das Gesicht ist einerseits extrem realistisch (Gesichtsfalten), andererseits aber streng symmetrisch, was an ältere Darstellungsweisen gemahnt. Obwohl als kami verehrt, wird die buddhistische Natur des Dargestellten durch Symbole wie Lotos-Podest, Nimbus („Heiligenschein“) und Pilgerstab unmissverständlich hervorgehoben. Vorbild dieser Hachiman-Figur war ein Portrait, das von Kūkai stammen soll.
Werk von Kaikei. Kamakura-Zeit, 1201. Nara National Museum, über Internet Archive.
- ^ Der hier dargestellte chinesische Mönch Baozhi (418–514) wurde als Manifestation des Bodhisattva Kannon angesehen. Das Bild zeigt, wie sich der Bodhisattva in der Gestalt des Mönches direkt offenbart, indem er quasi aus dessen Innerstem heraustritt.
Es handelt sich zwar nicht um die Darstellung eines kami, die Statue zeigt jedoch, wie konkret man sich die Manifestation eines Buddhas oder Bodhisattvas in einer anderen Daseinsform vorstellte.
Heian-Zeit, 11. Jh. unbekannt.
Glossar
- Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व ^ „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
- Gaoseng zhuan (chin.) 高僧伝 ^ Überlieferungen ehrwürdiger Mönche; Sammlung von etwa 500 Biographien (die Hälfte ausführlich, andere kürzer) von Huijiao (519 u.Z.); alle Biographien handeln von chinesischen Mönchen zwischen 57 und 519 u.Z.
- Hie Taisha 日吉大社 ^ Schutzschrein des Tendai-Tempelkomplexes von Berg Hiei bei Kyōto; auch bekannt als Hiyoshi Taisha oder Sannō Schrein
- honji suijaku 本地垂迹 ^ wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas
- kakebotoke 懸仏 ^ wtl. „Hängebuddha“; Relief des „Urbuddhas“ (honji) einer Shintō-Gottheit, meist an der Rückseite von Bronze-Spiegeln gefertigt, welche in Schreinen dieser Gottheit aufgehängt wurden
- Kannon 観音 ^ auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt
- Ōjin Tennō 応神天皇 ^ auch Homuda Wake 誉田別; mytholog. Herrscher, offiziell der 15. Tennō; trad. Lebensdaten: 200–310, r. 270–310
- Ryōbu Shintō 両部神道 ^ Shintō-Interpretation des Mittelalters; wtl. „Shintō der beiden Teile“
- Sannō Gongen 山王権現 ^ Gottheit des Sannō Schreins
- Shōtoku Taishi 聖徳太子 ^ 574–622; Prinz Shōtoku; kaiserlicher Regent
- Tado Taisha 多度大社 ^ Shintō-Schrein in der Stadt Kuwana in der Präfektur Mie
- Tenji Tennō 天智天皇 ^ 626–672; 38. Kaiser Japans; (r. 661–672); Eigenname: Naka-no-Ōe
- Tiantai (chin.) 天台 ^ chin. Vorläufer des Tendai Buddhismus; urspr. Name eines chin. Klosterbergs (Tiantai-shan)
- wakō dōjin 和光同塵 ^ Angleichung der Buddhas an die kami; wtl. „das Licht dämpfen und sich dem Staub angleichen“
- Yakushi Nyorai 薬師如来 ^ Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru
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„Honji suijaku: Die Angleichung von Buddhas und kami.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001