Friedhof und Grab
In Japan wird der Körper eines Verstorbenen meist verbrannt. Die Asche wird in einer Urne aufbewahrt und schließlich in einem Familiengrab (haka [haka (jap.) 墓 Grab]) beigesetzt. Die Individualität des Verstorbenen tritt hier in den Hintergrund: Auf dem Grabstein ist lediglich der Name der Familie deutlich eingraviert, die individuellen Familienmitglieder sind entweder gar nicht oder nur an der Rückseite des Grabsteins eingetragen. Die Familienzugehörigkeit folgt der männlichen Linie. Frauen werden meist im Familiengrab ihres Mannes bestattet. Individualisiertes Totengedenken findet in Japan daher weniger am Friedhof statt, sondern eher zuhause am Hausaltar (butsudan [butsudan (jap.) 仏壇 buddh. Hausaltar]), wo die Verstorbenen in Form individueller Totentäfelchen (ihai [ihai (jap.) 位牌 Ahnentäfelchen]) präsent sind (siehe dazu Totenriten und Bestattung).
Emre Engin, fickr 2011.
Japanische Familiengräber sind meist etwas kleiner als ein durchschnittliches europäisches Grab, ihre Anschaffung und Aufrechterhaltung bedeutet aber dennoch einen erheblichen Kostenaufwand. Es gehört zu den traditionellen Pflichten des ältesten Sohnes, diese Kosten zu übernehmen. Dem ältesten Sohn (ev. Tochter) kommt auch die Leitung der familiären Trauerfeiern beim Tod der Eltern zu.
Grabbesuch
Ähnlich wie in Europa dienen Gräber dem Gedenken an die Toten in Form von Friedhofsbesuchen. Beim Grabbesuch ((o)haka mairi [(o)haka mairi (jap.) (お)墓参り Grab- oder Friedhofsbesuch]) schmückt man das Grab mit Blumen und entzündet Räucherstäbchen. Zuvor wird der Grabstein rituell gereinigt, indem man ihn mit Wasser übergießt. Wie beim häuslichen Ahnenkult sind es vor allem ältere Menschen, die die Pflege eines Familiengrabs übernehmen. Viele besuchen ihr Grab einmal pro Monat an einem bestimmten Tag, beispielsweise dem Sterbetag ihres Vaters oder ihrer Mutter. Zumindest einmal im Jahr, nämlich zum Bon-Fest [O-bon (jap.) お盆 Fest der Ahnen; Bon-Fest], dem Fest der Ahnen, sollte allerdings jeder sein Familiengrab aufsuchen.
Grabsteine und Grabbeigaben
Moderne Gräber bestehen meist aus einem relativ einfachen, quaderförmigen Grabstein (s. Abb. oben). Bis zur Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit waren die meisten Grabsteine jedoch im gorintō [gorintō (jap.) 五輪塔 Grabsteinform; „Stupa der Fünf Elemente“]-Stil gestaltet. Auf alten Friedhöfen, beispielsweise dem Oku-no-in [Oku-no-in (jap.) 奥の院 wtl. Innerste [Tempel-] Halle; oft auch Mausoleum] auf Berg Kōya [Kōya-san (jap.) 高野山 Klosterberg südl. von Nara; sprituelles Zentrum des Shingon Buddhismus], dominiert diese Grabform nach wie vor. Ursprünglich leiten sich gorintō ebenso wie die landläufigen japanischen Pagoden (tō [tō (jap.) 塔 Pagode; Turm; abgeleitet von skt. stupa; auch sotoba]) von den indischen Stupas [stūpa (skt.) स्तूप „Hügel“, Grabmonument (jap. tō 塔 oder sotoba 卒塔婆)], also den Grabmonumenten des Buddha [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] ab (s. dazu Kap. Bauten, Japanische Pagoden und Bekannte Pagoden und Stupas außerhalb Japans). Aber auch die heute noch gängigen Grabbeigaben namens sotoba [sotoba (jap.) 卒塔婆 hölzerne Grabbeigabe; abgeleitet von skt. stupa, aus dem sich auch die sino-japanische „Pagode“ (tō) entwickelte] gehen auf das Wort „Stupa“ zurück. Beide offenbaren die tiefen Verbindungen zwischen dem Buddhismus und dem japanischen Totenkult.
Gorintō
Edo-Zeit, errichtet 1773. Wikimedia Commons, Frank Gualtieri, 2006.
Die fünf Abschnitte (gorin, wtl. „Fünf Ringe“) der gorintō verkörpern die Fünf Elemente des Buddhismus:
- Raum (Juwel)
- Wind (Halbkreis)
- Feuer (Dreieck)
- Wasser (Kreis)
- Erde (Viereck)
Die Fünf Elemente repräsentieren die Bestandteile, aus denen sich das gesamte Universum zusammensetzt. Diese Konzeption weist zwar viele Parallelen zu den chinesisch-daoistischen Fünf Elementen bzw. den Fünf Wandlungsphasen auf, scheint aber unabhängig davon bereits in vor-buddhistischer Zeit von der indischen Naturphilosophie entwickelt worden zu sein. Sie können auch durch Sanskrit-Zeichen (jap. shuji [shuji (jap.) 種子 Symbolische Sanskrit-Zeichen in siddham-Schrift; wtl. Samen (Skt. bija); auch bonji 梵字, „indische Zeichen“; v.a. in rituellen Texten des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Gebrauch], wtl. „Samen-Zeichen“) in Siddham-Schrift repräsentiert werden. Auf der Grafik rechts sind diese besonderen Zeichen in japanischer Aussprache und in Sanskrit-Aussprache (in Klammer) wiedergegeben.
Gorintō [gorintō (jap.) 五輪塔 Grabsteinform; „Stupa der Fünf Elemente“] wurden wahrscheinlich in der späten Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit vom esoterischen Buddhismus (Shingon-shū [Shingon-shū (jap.) 真言宗 Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan], Tendai-shū [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai]) entwickelt und sind eng mit dem Kosmos des Dainichi Nyorai [Dainichi Nyorai (jap.) 大日如来 Buddha Vairocana, der „kosmische Buddha“; wtl. „Großes Licht“ oder „Große Sonne“] verknüpft. Die ältesten bekanntesten Beispiele stammen aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit hatten sie sich in den meisten Richtungen als Grabmonument etabliert, lediglich der Amida [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)]-Buddhismus (Jōdo-shū [Jōdo-shū (jap.) 浄土宗 Schule des Amida-Buddhismus], Jōdo Shinshū [Jōdo Shinshū (jap.) 浄土真宗 Shin-Buddhismus, bzw. Jōdo Shin-Buddhismus; wtl. „Wahre Schule des Reinen Landes“]) scheint nie davon Gebrauch gemacht zu haben.
Bernhard Scheid, flickr, 2018.
Meiji-Zeit, 1898. Kyoto o kanjiru hibi, 2006, über Internet Archive.
Gregor Hohpe, flickr 2006.
Sotoba
Die charakteristischen hölzernen Latten, die sich bisweilen als Grabbeigaben neben den Gräbern befinden, tragen ebenfalls eine Inschrift in siddham [siddhaṃ (skt.) सिद्धं „Vollendet“, antike Schriftform der indischen Brahmanen, die später auch im ostasiat. esoterischen Buddhismus Anwendung fand (jap. shittan 悉曇 oder bonji 梵字)]-Schrift. Diese kann u.a. den Totennamen des Verstorbenen oder den Namen eines Buddhas, etc. enthalten. Je nach buddhistischer Richtung können auch gängige japanische kanji [kanji (jap.) 漢字 chin. Schriftzeichen im japanischen Schriftsystem] auf dem Holz eingetragen sein.
Emre Engin, fickr 2011.
Diese Grabbeigaben haben im Grunde dieselbe Funktion wie der Grabstein, allerdings sind sie natürlich nicht von so langer Dauer. Zumeist werden sie daher am Ende der Trauerzeit vom Grab entfernt und ggf. anlässlich späterer Gedenkfeiern noch einmal aufgestellt. Der technische Fortschritt hat im übrigen auch vor sotoba [sotoba (jap.) 卒塔婆 hölzerne Grabbeigabe; abgeleitet von skt. stupa, aus dem sich auch die sino-japanische „Pagode“ (tō) entwickelte]s nicht Halt gemacht: Wie die Abbildung oben zeigt, können sie heute bereits mit Hilfe eines Computers ausgedruckt werden.
Verweise
Verwandte Themen
Internetquellen
- Nihon no haka (jap.)
Bebilderte Datenbank von Gräbern bekannter Persönlichkeiten, nach verschiedenen Kriterien aufgelistet.
Sanskrit-Zeichen im japanischen Buddhismus:
- Bonji jiten (Tobifudō)
Sanskritzeichenlexikon einer empfehlenswerten Website des Tempels Shōbōin in Tōkyō. - Iida sekizai
Website eines Bestattungsunternehmens.
Bilder
- ^ Typische traditionelle Familiengräber in Tōkyōs größtem Friedhof in Yanaka. Im Hintergrund der Sky Tree.
Emre Engin, fickr 2011. - ^ Grabmonument im gorintō-Stil des Mönchs Eison (1201–1290), eines Reformers des Shingon-Buddhismus. Zählt mit dreieinhalb Metern zu den größten Exemplaren seiner Art.
Kamakura-Zeit, 1290. J-Blog, 2010. - ^ Das Monument in Form eines gorintō-Grabsteins ist mit deutlich erkennbaren Sanskrit-Zeichen versehen, die die fünf Elemente der buddhistischen Naturlehre symbolisieren. Es befindet sich auf dem Mimizuka ("Ohrenhügel") in Kyōto, wo die Nasen und Ohren der koreanischen Kriegsgegner, die im Zuge von Toyotomi Hideyoshis Korea-Invasion (1592–98) getötet wurden, beigesetzt sind. Zugleich ein Zeichen des Triumphes und der Bitte um Vergebung.
Edo-Zeit, errichtet 1773. Wikimedia Commons, Frank Gualtieri, 2006. - ^ Grabanlage der Familie Kuroda, die in der Edo-Zeit über das Daimyat Fukuoka, heute Teil der Präfektur Fukuoka im Norden Kyushus herrschten. Die Grabsteine sind im klassischen gorintō-Stil gehalten. Die Anlage befindet sich auf dem Gelände des Tempels Tōchō-ji, des ältesten Shingon-Tempels auf Kyushu. Der zentrale Grabstein birgt die Urne des zweiten Kuroda Daimyo, Tadayuki (1602–1654), der ein großer Förderer dieses Tempels war.
Bernhard Scheid, flickr, 2018. - ^ Grab des Toyotomi Hideyoshi (1537-1598) im gorintō-Stil (Meiji-zeitliche Rekonstruktion).
Meiji-Zeit, 1898. Kyoto o kanjiru hibi, 2006, über Internet Archive.
- ^ Bemooste Grabsteine im gorintō-Stil in der berühmten Grabanlage auf Berg Kōya.
Gregor Hohpe, flickr 2006. - ^ Traditionelle Grabbeigaben (sotoba) auf älteren Familiengräbern in Tōkyōs größtem Friedhof in Yanaka.
Emre Engin, fickr 2011. - ^ Grabbeigaben aus Holz (sotoba). Der Begriff leitet sich von stupa, also dem indischen Wort für Grabmahl ab. Die Schriftzeichen in stilisiertem Sanskrit symbolisieren die Fünf Elemente: Raum, Wind, Feuer, Wasser, Erde, die auch bei anderen Stupas eine Rolle spielen.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Dafür nimmt er einen Laptop und eines eigens für diesen Zweck bestimmten Printer zu Hilfe.
TTN, über Internet Archive.
Glossar
- Dainichi Nyorai 大日如来 ^ Buddha Vairocana, der „kosmische Buddha“; wtl. „Großes Licht“ oder „Große Sonne“
- (o)haka mairi (お)墓参り ^ Grab- oder Friedhofsbesuch
- Jōdo Shinshū 浄土真宗 ^ Shin-Buddhismus, bzw. Jōdo Shin-Buddhismus; wtl. „Wahre Schule des Reinen Landes“
- Shingon-shū 真言宗 ^ Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan
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„Friedhof und Grab.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001