Shichigosan: Der Kinder Segen
Das Shichigosan [Shichigosan (jap.) 七五三 Shichigosan-Fest für Kinder von drei, fünf, und sieben Jahren]-Fest kann als japanisches Äquivalent der katholischen Erstkommunion angesehen werden. Es besteht heutzutage aus einem feierlichen Schreinbesuch rund um den 15. November, bei dem kleine Kinder traditionelle Kimonos anlegen, ganz bestimmte Süßigkeiten („Tausend-Jahr-Bonbons“ chitose-ame [chitose-ame (jap.) 千歳飴 „Tausend-Jahr-Bonbons“, rot-weiße Zuckerstange die Kinder beim Shichigosan-Fest geschenkt bekommen]) geschenkt bekommen und von ihren stolzen Eltern pausenlos fotografiert werden. Zwischendurch kann es auch eine Weihe (harae [harae (jap.) 祓 Purifikation, Weihezeremonie, Exorzismus]) durch einen Shintō-Priester geben. Shichigosan bedeutet nichts anderes als „sieben, fünf, drei“. Der Schreinbesuch im Kimono [Kimono (jap.) 着物 allg. Bez. für traditionelle jap. Kleidung] ist nämlich nur für drei- oder fünfjährige Buben bzw. drei- oder siebenjährige Mädchen vorgesehen.
Jean, trip-advisor 2010.
Optische Eindrücke
Bernhard Scheid, Flickr, 2018.
Takaku Masayuki, flickr 2006.
Bildquelle: Shige's Wallpapers, über Internet Archive.
jpellgen, Flickr, 2009.
Geschichte
Wenn Kinder beim heutigen Shichigosan-Fest einen traditionellen Kimono angezogen bekommen, wirkt das häufig wie ein lustiges Kostümfest. Es bedeutet aber auch einen Schritt in Richtung Erwachsenwerden, zumindest aus Sicht der traditionellen Vorläufer dieses Festtages. Das Shichigosan-Fest soll nämlich auf drei ursprünglich unabhängigen Zeremonien für kleine Kinder zurückgehen, die jeweils den Übergang eines Lebensabschnitts besiegelten.
- Die erste dieser Zeremonien hieß kamioki [kamioki (jap.) 髪置き vormoderne Zeremonie für Kinder ab drei Jahren, deren Haar zuvor rasiert wurde, danach hingegen wachsen durfte] („Haare [wachsen] lassen“) und markierte den Zeitpunkt, ab dem Kleinkindern der Kopf nicht mehr geschoren wurde. Diese Zeremonie wurde in Samuraifamilien für Kinder im dritten Lebensjahr am 15. des Elften Monats durchgeführt und war mit Bitten um ein langes Leben für das Kind verbunden.
- Die zweite Zeremonie hieß hakamagi [hakamagi (jap.) 袴着 erstes Anlegen der hakama; trad. Feier für Knaben zwischen drei und sieben Jahren] („Anlegen von Hakama“). Kinder zwischen dem dritten und siebenten Lebensjahr durften zu diesem Anlass erstmals die traditionellen Pluderhosen (hakama [hakama (jap.) 袴 Rockhosen mit weitgeschnittenen Beinen, traditionelles japanisches Obergewand]) anlegen. Erst durch diesen Ritus wurde das Kind formal als Familienmitglied anerkannt.
- Die dritte Zeremonie hieß himotoki [himotoki (jap.) 紐解き Zeremonie des ersten Anlegens des obi für Kinder im siebenten Lebensjahr; auch obihajime] oder obihajime („Lösen der Schnur“ bzw. „erster Gürtel“) und richtete sich an Kinder im siebenten Lebensjahr. Wie diese Namen verraten, erhielten die Kinder dabei einen Gürtel (obi [obi (jap.) 帯 Gürtel, der zum Kimono oder zur Kampfsportbekleidung getragen wird]) anstelle einer einfachen Schnur zum Zusammenbinden des Kimonos.
Wahrscheinlich gehen diese Zeremonien auf den antiken Kaiserhof zurück. Im Laufe des Mittelalters wurden sie dann vom Kriegeradel (Samurai [Samurai (jap.) 侍 im Westen übliche Bezeichnung eines Mitgliedes der Krieger-Klasse des vorindustriellen Japans; in Japan schriftspr. bushi]) adaptiert und erst in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit zu einer Einheit verschmolzen. Die Zusammenlegung soll auf Shōgun Tokugawa Tsunayoshi [Tokugawa Tsunayoshi (jap.) 徳川綱吉 1646–1709; fünfter Shōgun der Tokugawa Dynastie, wegen seiner Tierliebe auch als dog shōgun bezeichnet] (1646–1709) zurückgehen. Die Verbindung mit einem Schreinbesuch scheint erst gegen Ende der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit zum Standard geworden zu sein. In der Kansai Region (rund um Kyōto) beispielsweise herrschte ehemals das sogenannte Jūsan-mairi [Jūsan-mairi (jap.) 十三参り festlicher Tempelbesuch dreizehnjähriger Kinder am 13. 3.] („Andachtsbesuch mit dreizehn“) vor, bei dem dreizehnjährige Kinder einen Tempel des Bodhisattva Kokūzō [Kokūzō Bosatsu (jap.) 虚空蔵菩薩 Bodhisattva des esoterischen Buddhismus, wtl. „Bodhisattva des [unermesslichen] Raumes“; skt. Bodhisattva Ākāśagarbha] aufsuchten. Erst Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurde das Shichigosan-Fest zu einem allgemeinen Brauch, der heute von großen Teilen der Bevölkerung vollzogen wird.
Fujimoto Jinja, 2020.
Ähnliches gilt für das „Puppenfest“ (Hina Matsuri [Hina Matsuri (jap.) 雛祭 „Puppenfest“; jahreszeitliches Fest am 3.3.]) am 3. 3., auf das sich die Mädchen besonders freuen, und das „Knabenfest“ (Kodomo-no-hi [Kodomo-no-hi (jap.) 子供の日 Kinder- bzw. Knabenfest am 5.5.]) am 5.5., bei dem Wimpel in Karpfen-Form aufgehängt werden. Auch sie gehen auf höfische Bräuche aus der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit zurück, wurden aber erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts standardisiert und stellen heute in erster Linie einen Anlass dar, sich ganz dem Zauber der traditionellen Kultur hinzugeben.
Werk von Richard A. Brooks. 2022/11/3. Bildquelle: ORF, Originalquelle: APA/AFP.
Verweise
Internetquellen
- Shichigosan, Yumiyama Tatsuya (en.)
Eintrag zum Shichigosan - Fest in der Encyclopedia of Shintō.
Literatur
Bilder
- ^ Plakat eines Schreins, der den ganzen November hindurch Shichigosan-Feiern veranstaltet.
Jean, trip-advisor 2010. - ^ Besucher des Shichigosan-Festes
sambird, flickr 2005. - ^ Schreinbesuch zum Shichigosan-Fest. Ein Kind ist bereits zu alt für die festliche Aufmachung.
Bernhard Scheid, Flickr, 2018. - ^ Kleine Buben bessern ihre Performance beim Shichigosan-Fest, wie hier im Tsurugaoka Hachiman-gū, gerne mit Ultraman Masken auf.
Takaku Masayuki, flickr 2006. - ^ Die Hauptrolle beim Shichigosan-Fest spielen eindeutig Mädchen in ihren farbenprächtigen Kimonos.
Bildquelle: Shige's Wallpapers, über Internet Archive. - ^ Shichigosan-Prinzessin
Amy G., flickr 2006 (mit freundlicher Genehmigung).
- ^ Ein Shichigosan-Prinz beim Fotographieren...
Einharch, flickr 2010. - ^ Dreijähriges Mädchen beim Shichigosan-Fest in Sendai. Im Hintergrund ein Gestell für Glückslose (o-mikuji).
jpellgen, Flickr, 2009. - ^ Shichigosan-Kimonos im Schaufenster
unbekannt. - ^ Betendes Mädchen im festlichen Kimono bei der Shichigosan-Feier.
Norman Lee, flickr 2001. - ^ Segnung (harae) beim Shichigosan-Fest der Kinder durch einen Shintō-Priester (kannushi).
Fujimoto Jinja, 2020. - ^ Eine Familie beim Shichigosan-Fest an einem Novembertag in Tōkyō, 2022. Die Erwachsenen tragen alle Masken, ggf. mit der Farbe des Kimonos abgestimmt.
Werk von Richard A. Brooks. 2022/11/3. Bildquelle: ORF, Originalquelle: APA/AFP.
Glossar
- chitose-ame 千歳飴 ^ „Tausend-Jahr-Bonbons“, rot-weiße Zuckerstange die Kinder beim Shichigosan-Fest geschenkt bekommen
- Hina Matsuri 雛祭 ^ „Puppenfest“; jahreszeitliches Fest am 3.3.
- Jūsan-mairi 十三参り ^ festlicher Tempelbesuch dreizehnjähriger Kinder am 13. 3.
- Kodomo-no-hi 子供の日 ^ Kinder- bzw. Knabenfest am 5.5.
- Kokūzō Bosatsu 虚空蔵菩薩 ^ Bodhisattva des esoterischen Buddhismus, wtl. „Bodhisattva des [unermesslichen] Raumes“; skt. Bodhisattva Ākāśagarbha
- Shichigosan 七五三 ^ Shichigosan-Fest für Kinder von drei, fünf, und sieben Jahren
- Tokugawa Tsunayoshi 徳川綱吉 ^ 1646–1709; fünfter Shōgun der Tokugawa Dynastie, wegen seiner Tierliebe auch als dog shōgun bezeichnet
Religion in Japan, Inhalt
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- Jenseits
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- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
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„Shichigosan: Der Kinder Segen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001