Mythen, Erzähltes und Imaginäres (Einleitung)
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Wenn von japanischen Mythen die Rede ist, fallen sogleich die Namen der japanischen Sonnengottheit Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise], ihres ungezogenen Bruders Susanoo [Susanoo (jap.) 須佐之男/素戔男 mytholog. Gottheit; Trickster-Gott, Sturmgott, Mondgott; Bruder der Amaterasu] und ihrer Eltern Izanagi [Izanagi (jap.) 伊耶那岐/伊奘諾 Göttervater; auch Izanaki (ki hier männliche Endung); Bruder und Mann von Izanami] und Izanami [Izanami (jap.) 伊耶那美/伊奘冉 Göttermutter, Göttin der Unterwelt (mi hier weibliche Endung); Schwester und Frau des Izanagi]. Auch dieses Kapitel beginnt mit einer Zusammenfassung der mythologischen Erzählungen aus dem sogenannten „Zeitalter der Götter“ zu Anbeginn der Welt. Doch darf man die geschichtliche Bedeutung dieser Mythen nicht überbewerten. Die Zahl der Schreine, die den mythologischen Gottheiten geweiht sind, ist überraschend gering (s. dazu auch: Bekannte Schreine). Viele dieser Gottheiten wurden lediglich in Zeiten propagiert, als der Hof des Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] das tatsächliche politische Zentrum des Landes darstellte. In der Zeit vom zwölften bis zum neunzehnten Jahrhundert hingegen, als die Tennō-Dynastie zwar existierte, aber in politischer Bedeutungslosigkeit versunken war, wurden die Mythen vom Zeitalter der Götter oft nur noch in fragmentarischen, märchenhaften Varianten erinnert. Erst im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert kam es mit dem Wiedererstarken des Tennō auch zu einer neuerlichen Aufwertung und Rekonstruktion der klassischen Mythologie (s. dazu auch Kap. Geschichte, Staatsshintō).
Vor der Wiederentdeckung der Mythen spielten beispielsweise chinesische Legenden von tugendhaften Vorbildern — etwa die vierundzwanzig Beispiele kindlicher Pietät — vor allem aber buddhistische Erzählungen und Glaubensvorstellungen eine viel wesentlichere Rolle im ethisch-religiösen Bewusstsein Japans. Noch heute prägen daher buddhistische Motive die Vorstellungen vom Jenseits und vom Leben nach dem Tod. Diese Vorstellungen werden im vorliegenden Kapitel unter dem Stichwort Jenseits ausführlicher behandelt.
Vom Jenseits kaum zu trennen sind die zahlreichen Geister und Fabelwesen, die bis in die modernen Manga, Anime und Horrorfilme hinein die japanische Welt des Übernatürlichen bevölkern. Auch sie haben nur wenig mit den klassischen Mythen, dafür aber umso mehr mit dem japanischen Buddhismus zu tun.
Von diesen übersinnlichen Wesen ist es nur ein kleiner Schritt zu teilweise realen, teilweise imaginären Tieren, denen magische Fähigkeiten zugesprochen werden. Viele dieser Tiere stehen sowohl mit einzelnen Gottheiten des Shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami], als auch mit Gestalten des Buddhismus [bukkyō (jap.) 仏教 Lehre des Buddha, Buddhismus] in engster Verbindung. Ihnen ist der letzte Abschnitt dieses Kapitels gewidmet.
Verweise
Bilder
- ^ Izanami und Izanagi auf ihrer Himmelsbrücke nach Erschaffung der ersten Insel, Onogoroshima.
Werk von Utagawa Hiroshige (1797–1858). Edo-Zeit, um 1850. Museum of Fine Arts, Boston.
Glossar
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
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„Mythen, Erzähltes und Imaginäres (Einleitung).“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001