Verwandlungskünstler (Tiergötter und Götterboten, Teil 2)
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Obwohl die Achtung vor Tieren in Japan durch tradit·io·nelle religiöse Vor·stel·lun·gen ge·för·dert wird, gibt es auch ambi·va·lente oder nega·tive Ge·fühle ge·gen·über ver·ehrten Tieren. Respekt mischt sich mit Furcht. Tiere können einerseits als Boten von Gott·hei·ten dienen, besit·zen aber auch magi·sche Fähig·kei·ten, die sie nach eige·nem Gut·dün·ken und bisweilen zum Nachteil der Menschen einsetzen. Ins·be·son·dere Füchse und tanuki [tanuki (jap.) 狸 Tanuki; Marderhund], aber auch Katzen und Schlangen werden daher für alle mög·li·chen He·xe·reien ver·ant·wort·lich ge·macht und haben etwas aus·ge·spro·chen Un·heim·liches. Wölfe hingegen werden mit überraschend positiven übernatürlichen Eigenschaften imaginiert. Der Zusammenhang zwischen Gespens·ter·glaube und religi·öser Vorstellungswelt wird auf dieser Seite wird anhand der bekanntesten hundeartigen Tiere illustriert.
Füchse
Vorlage:Sidebox3 Füchse (kitsune [kitsune (jap.) 狐 Fuchs; Botentier der Gottheit Inari]) sind zusam·men mit den unten be·spro·chenen tanuki die großen Ver·wand·lungs·künst·ler in der ja·pa·ni·schen Tier- und Sagen·welt. Dem ja·pa·nischen Volks·glau·ben zu·folge ist jeder Fuchs mit magi·schen Fähig·kei·ten aus·ge·stat·tet. Diese Zau·ber·kraft akkumu·liert sich mit den Jahren. Die ältes·ten Füchse sind dem·nach die zau·ber·kräf·tigsten. Darüber hinaus erkennt man zau·ber·kräf·tige Füchse an der Anzahl ihrer Schwänze, die (ähnlich wie die dan [dan (jap.) 段 „Stufe“, „Rang“; Bezeichnung der Fortgeschrittenen- bzw. Meistergrade in den Kampfsportarten, Budō]-Grade in Judo, oder Karate) auf bis zu neun an·stei·gen können. Solche mehr·schwän·zigen Füchse können sich jeder·zeit in Men·schen ver·wan·deln oder aber Besitz vom Geist eines Menschen er·grei·fen und stehen mit allen mög·lichen Formen von Be·ses·sen·heit, Exor·zis·mus, etc. in Ver·bin·dung. Vor allem Frauen sind für Fuchs·zau·ber an·fäl·lig, während sich Füchse um·ge·kehrt meist in schöne Frauen ver·wandeln.
Inari Füchse
takmagar, flickr 2006.
In der Religion haben Füchse eine besondere Funk·tion im Zu·sam·men·hang mit der Gott·heit Inari [Inari (jap.) 稲荷 Reisgottheit, häufig von Fuchswächtern (myōbu) bewacht]. Wie schon er·wähnt stellen Inari Schreine eine der zahlen·mäßig größ·ten Grup·pen von Shintō-Schrei·nen dar (ca. 30.000 in ganz Japan), aller·dings handelt es sich meist um kleine bis mit·tel·große Schreine. Sie sind leicht daran zu er·ken·nen, dass sie von zwei weißen Füch·sen „be·wacht“ werden, ähnlich wie andere Schreine komainu [komainu (jap.) 狛犬 wtl. „Korea-Hund“, auch „Löwenhund“; Wächterfigur vor religiösen Gebäuden] als Wäch·ter haben. Man nennt diese Füchse auch myōbu [myōbu (jap.) 命婦 Hofdame; auch: Fuchswächter], wtl. „Hof·damen“. Auch die Gott·heit Inari, eigent·lich eine Reis·gott·heit, zeigt sich gern als Fuchs, wenn sie nicht die Gestalt einer jungen Frau an·nimmt. In den Ur·sprungs·le·gen·den des Fushimi Inari [Fushimi Inari Taisha (jap.) 伏見稲荷大社 Großschrein der Gottheit Inari in Fushimi, im Süden Kyōtos] Schreins hin·gegen erscheint die Gott·heit als alter Mann, der dem Mönch Kūkai [Kūkai (jap.) 空海 774–835, Gründer des Shingon Buddhismus; Eigennamen Saeki Mao, Ehrennamen Kōbō Daishi] seine Dienste als Schutz·herr des neu gegrün·de·ten Tem·pels Tōji [Tōji (jap.) 東寺 Ost-Tempel in Kyōto, eig. Kyōō Gokoku-ji (Tempel des Königs der Lehre zum Schutz des Landes)] in Kyōto anbie·tet. Der Zu·sam·men·hang zwischen der Inari Gottheit, dem Fuchs und dem Reis, sowie der Wech·sel·gestalt von junger Frau und altem Mann ist nach wie vor etwas rät·sel·haft. Fuchs·glaube und Reis·gott waren wohl ur·sprüng·lich zweier·lei, haben sich im Lauf der ja·pa·ni·schen Reli·gions·geschichte aber gegen·sei·tig ver·stärkt und sind zu einer Ein·heit verschmol·zen.
Tanuki
Vorlage:Sidebox3 Tanuki [tanuki (jap.) 狸 Tanuki; Marderhund] sind in Japan weit verbrei·tete Tiere, in Europa aber kaum zu finden. Man be·zeich·net sie auch als Mar·der·hunde. Sie sind nach ja·pa·ni·scher Auf·fas·sung ähn·lich begabt wie die Füchse. Wäh·rend die Füchse aber ele·gant und schlau oder gar heim·tück·isch agie·ren, sind die tanuki eher derbe, drauf·gän·ge·rische Gesel·len. Auch sie können den Menschen das Leben ziem·lich schwer machen, aber alles in allem schei·nen sie eher gut·mütig zu sein. Manchmal sieht man über·le·bens·große tanuki-Figu·ren vor Restau·rants oder Geschäf·ten stehen. Meist haben sie eine Flasche Sake [Sake (jap.) 酒 Reiswein] in der Hand und ani·mie·ren, ähn·lich wie die Winkende Katze (maneki neko [maneki neko (jap.) 招き猫 winkende Katze, Winkekatze; Glücksbringer, besonders für geschäftlichen Erfolg]), zum Mittrin·ken. In der ande·ren Hand haben sie einen mysteriö·sen Zettel. Es ist ein Schuld·schein, den der tanuki im Aus·tausch für Sake aus·stellt, den er aller·dings nie bezahlt. Im Gegen·satz zu den Füch·sen sind die tanuki typi·scher·weise männ·li·chen Ge·schlechts (obwohl es auch weib·liche gibt). Eines ihrer Cha·rak·teristika sind denn auch ihre über·großen Hoden (natür·lich ein Glücks·sym·bol). Wenn sie wütend werden, können sie diese Hoden auch als Schlag·waf·fen ver·wen·den. Ihr Stroh·hut kenn·zeich·net die tanuki als Reisende bzw. als Vaga·bunden.
Tanuki in der Populärkultur
Der Zeichen·trick·film Heisei tanuki gassen ponpoko („Die Schlacht der tanuki in der Ära Heisei“, 1994; dt. Filmtitel „Pom Poko“) von Isao Takahata — einem Mit·ar·beiter des be·kann·ten Miyazaki Hayao [Miyazaki Hayao (jap.) 宮崎駿 1941–; Regisseur, Autor und Zeichner von Manga und Anime wie Nausicaä, Totoro oder Chihiros Reise ins Zauberland] — stellt die tanuki in den Mittel·punkt einer Geschichte, in der es letzt·lich um Tier- und Arten·schutz geht. Hier lernt man anhand von tanuki und kitsune auch viel über das ja·pa·nische Geister- und Gespens·ter·pantheon.
Auch die popu·läre Video·spiel-Figur Mario kann sich in einen tanuki ver·wandeln. Mario benutzt dazu ein einfaches Baum·blatt. Dies ist nach traditio·neller Vor·stel·lung das Zauber·mittel von Füchsen und tanuki um sich zu ver·wan·deln. Bei ein wenig komi·schen oder un·heim·li·chen Menschen sollte man daher immer nach einem Blatt Aus·schau halten — ent·deckt man eines an ihnen, dann sind es wahr·schein·lich ver·wan·delte tanuki.
Dachse?
Tanuki werden oft fälsch·lich als Dachse oder Wasch·bären ge·deu·tet, daher wählt man auch gerne „Dachs“ als Über·set·zungs·wort. Tanuki sehen aber nicht nur ganz anders aus als hei·mische Dachse, sie zählen auch zoo·logisch zur Familie der Hunde. Im Unter·schied zum Hund können sie al·ler·dings nicht bellen.
Wölfe und Berghunde
Der japanische Wolf (ōkami [ōkami (jap.) 狼犭 Wolf; dem Wortlaut nach „große Gottheit“, dem Zeichen nach „gutes“ (良) „Tier“ (犭)]) ist nur unwesentlich größer als ein Fuchs und zoologisch kaum von einem Hund zu unterscheiden. Das scheue Tier wird daher auch als „Berghund“ (yamainu [yamainu (jap.) 山犬 Wolf, wtl. „Berg-Hund“; s.a. ōkami]) bezeichnet. Der Wolf gilt in Japan seit dem späten 19. Jh. als ausgestorben, existiert aber nach wie vor in den Legenden von Schreinen, die dem Wolfsglauben gewidmet sind. Hier tritt der Wolf eher als Helfer denn als Widersacher des Menschen auf. Ein gutes Beispiel derartiger Wolfsschreine ist der Mitsumine Jinja [Mitsumine Jinja (jap.) 三峰神社 Schrein in den Bergen von Chichibu, westlich von Tōkyō] westlich von Tōkyō, der sich auf den mythologischen Helden Yamato Takeru [Yamato Takeru (jap.) 倭建/日本武 Mythologischer Prinz, Sohn des Keikō Tennō; wtl. der Held/der Tapfere von Yamato] zurückführt. Dieser soll sich auf seinem Eroberungsfeldzug in den damals noch wilden Osten verirrt haben und von einem Berggott in Gestalt eines weißen „Hundes“ (Wolfs) auf den richtigen Weg zurück geführt worden sein.1 Der Mitsumine Schrein verband diese Legende mit dem lokalen Wolfsglauben. Heute unterstreichen spezielle komainu [komainu (jap.) 狛犬 wtl. „Korea-Hund“, auch „Löwenhund“; Wächterfigur vor religiösen Gebäuden]-Figuren in Wolfs-/Hunde-Gestalt sowie mit Wölfen bedruckte Glücksbringer die Verbindung zwischen Schrein und Wolf. In der späten Edo-Zeit sollen diese Glücksbringer besonders gefragt gewesen sein, da sie als wirksame Abwehr gegen die damals neu eingeschleppte Cholera (1822 und 1858/59) angesehen wurden.
Hunde wiederum gelten als effiziente Waffe gegen die Füchse, da sie gegen deren Täuschungsmanöver immun sind. Schon in den ältesten japanischen Fuchslegenden ist es ein Hund, der einen als schöne Frau getarnten Fuchs entlarvt. In der Edo-Zeit wandte man sich an Hunde- bzw. Wolfsgötter, wenn es darum ging, einen Fuchsgeist zu bannen. „Fuchsbesessenheit“ (kitsunetsuki [kitsunetsuki (jap.) 狐憑き Fuchsbessenheit; Glaube, dass der Geist eines Fuchses (kitsune) Besitz von einem Menschen ergreifen und ihn verwirren kann]) war damals nämlich eine häufige Diagnose in Fällen, die man heute als psychische Krankheit bezeichnen würde. Ein Schrein, der es hinsichtlich seiner heilsamen Wirkung bei Fuchsbesessenheit zu einiger Popularität gebracht haben soll, ist der Yamazumi Jinja [Yamazumi Jinja (jap.) 山住神社 mit dem Berg- und Wolfsglauben assozierter Schrein in Shizuoka] in der Präfektur Shizuoka – ursprünglich ebenfalls ein Wolfsschrein. Andererseits existierte zu dieser Zeit der Glaube, dass man „Hundegötter“ (inugami [inugami (jap.) 犬神 Götter bzw. Geister in Hundegestalt]) künstlich erzeugen könnte, indem man Hunde bei lebendigem Leib begrub und sie qualvoll zu Tode kommen ließ. Solche Verfahren mögen im Fall von Fuchsbesessenheit tatsächlich vereinzelt zum Einsatz gekommen sein, allerdings war der auf sadistische Weise erzeugte Hunde-kami wohl noch gefährlicher als ein gewöhnlicher Fuchsgeist.
Verweise
Fußnoten
- ↑ Nihon shoki, 7 (Keikō Tennō), Aston 1975/1, S. 208. Die Legende erzählt zunächst, dass Yamato Takeru auf einem Gipfel namens Ōyama von einem weißen Hirsch krank gemacht und in die Irre geführt wurde, bevor er von einem weißen Hund offenbar geheilt und wieder auf den richtigen Weg gebracht wurde. Eine gewisse Funktion des Wolfs als Heiler kann also bereits in dieser Legende festgemacht werden.
Internetquellen
- The Kitsune Page
Fuchsmythen und Legenden weltweit mit besonderer Berücksichtigung Japans. - A History of Fox Beliefs, Chris Azure (en.)
Online Fassung einer Dissertation über Fuchsglauben in China und Japan. [Über Internet Archive, 2010/8] - Shigaraki no tanuki, Minagawa H. (jap.)
Tanuki-Bilder aus Minagawa's Photo Gallery.
Literatur
Bilder
- ^ Die Fuchsstatuen (kitsune) sind individuelle Opfergaben (sonaemono) von Gläubigen (ähnlich wie z.B. die zahllosen torii des Fushimi Inari Schreins).
takmagar, flickr 2006. - ^ Film aus dem Hause Ghibli mit tanuki in den Hauptrollen.
Werk von Takahata Isao. 1994. Bildquelle: unbekannt. - ^ Super Mario im tanuki-Outfit
Bildquelle: unbekannt.
Glossar
- kitsunetsuki 狐憑き ^ Fuchsbessenheit; Glaube, dass der Geist eines Fuchses (kitsune) Besitz von einem Menschen ergreifen und ihn verwirren kann
- maneki neko 招き猫 ^ winkende Katze, Winkekatze; Glücksbringer, besonders für geschäftlichen Erfolg
- Mitsumine Jinja 三峰神社 ^ Schrein in den Bergen von Chichibu, westlich von Tōkyō
- Miyazaki Hayao 宮崎駿 ^ 1941–; Regisseur, Autor und Zeichner von Manga und Anime wie Nausicaä, Totoro oder Chihiros Reise ins Zauberland
- Yamato Takeru 倭建/日本武 ^ Mythologischer Prinz, Sohn des Keikō Tennō; wtl. der Held/der Tapfere von Yamato
- Yamazumi Jinja 山住神社 ^ mit dem Berg- und Wolfsglauben assozierter Schrein in Shizuoka
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
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- Saichō
- Kūkai
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- Nichiren Buddhismus
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- Frühe Neuzeit:
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- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
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- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
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„Verwandlungskünstler (Tiergötter und Götterboten, Teil 2).“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001