Japanische Trickster
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Der Begriff „Trickster“ hat sich u.a. in der Kulturanthropologie eingebürgert und wird dort für mythologische Figuren mit stark ambivalenten Charakterzügen verwendet. Besonders von der Psychologie C.G. Jungs nahe stehende Autoren wie z.B. der bekannte Mythen·forscher Mircea Eliade [Eliade, Mircea (west.) 1907–1986, rumänischer Religionswissenschaftler und Ethnologe, lehrte an der Universität Chicago] sehen im Trickster eine arche·typische Gestalt, die sich in allen Kulturen in der einen oder anderen Form wiederfinden lässt. Auf der Basis nordamerikanischer Indianer·märchen definierte Eliade den Trickster folgendermaßen:
Seine Persönlichkeit ist ambivalent und seine Rolle zwiespältig, in der Mehrzahl der mythologischen Traditionen ist er für das Vorhandensein des Todes und den jetzigen Zustand der Welt verantwortlich. Er ist aber auch ein Verwandler und Kulturheros, denn man sagt von ihm, er habe das Feuer und andere nützliche Dinge gestohlen und die Ungeheuer, die die Erde verwüsteten, vernichtet. [… Er ist] intelligent und dumm zugleich, den Göttern nahe durch seine „Uranfäng·lichkeit“ und seine Kräfte, aber den Menschen noch näher durch seinen ge·fräßigen Hunger, seine außer·ge·wöhn·liche Sexualität und seine Amoralität. […] Gewisse charakte·ristische Züge der menschlichen Verhältnisse von heute sind die Folge der Ein·mischung des Tricksters in den Akt der Schöpfung. Er triumphiert zum Beispiel über Monstren, ohne sich als Heros zu gebärden: Viele Dinge gelingen, aber ebenso viele mißlingen ihm; er organisiert und vollendet die Welt, aber mit so vielen Irrtümern und Ungeschick·lichkeiten, daß schließlich nichts vollkommen zustande kommt.1
Gestalten, die Eliades Trickster-Archetyp nahe kommen, finden sich auch in den Mythen der euro·päi·schen Antike, allen voran in Figuren wie Prome·theus, Tantalos oder Sisyphos, die die anderen Götter mit Tricks überlisten wollen.2 Was vor allem Prometheus, aber auch viele von Eliade genanten Trickster interessant macht, ist, dass sie den Menschen helfen, indem sie den Göttern schaden. Sie stehlen den Göttern etwa das Feuer und machen die Menschheit damit bekannt. Die Ambivalenz des Tricksters kann somit auch als Ausdruck eines tief empfundenen Widerspruchs zwischen menschlicher Kultur und göttlicher Schöpfung bzw. der Natur gedeutet werden.
In der Japanologie hat sich der Begriff bisher noch nicht allgemein durchgesetzt, es gibt jedoch auch in den japanischen Mythen Figuren, die charakteristische Merkmale von Trickstern besitzen.
Trickster in Japan
Susanoo
mytholog. Gottheit; Trickster-Gott, Sturmgott, Mondgott; Bruder der Amaterasu
Der Begriff „Susanoo“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, der etwas missratene Sohn des japanischen Urgötter·paares
Göttervater; auch Izanaki (ki hier männliche Endung); Bruder und Mann von Izanami
Der Begriff „Izanagi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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und
Göttermutter, Göttin der Unterwelt (mi hier weibliche Endung); Schwester und Frau des Izanagi
Der Begriff „Izanami“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, besitzt die typische Ambivalenz eines Tricksters — sowohl kindlich naiv als auch schlau, sowohl Tunichtgut als auch moralischer Held — aller·dings treten diese Eigenschaften nicht gleich·zeitig zu Tage, sondern in auf einander folgen·den Episoden, in denen sich ein er·staunlicher Charakter·wandel Susanoos vollzieht:
- Zu·nächst wird er als kindlicher Charakter vorgestellt, dessen Heulen Stürme auslösen kann
- Dann misst er sich in einem Wettstreit mit seiner Schwester
Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise
Der Begriff „Amaterasu“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, aus dem Kinder entstehen, die schließlich zu den Urahnen des Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels]-Geschlechts werden.
- Es folgen die berühmten Missetaten des Susanoo: Er beschmiert Amaterasus Palast mit den eigenen Exkre·menten, zerstört Felder und eine Webe·halle, tötet ein Pferd und eine Dienerin Ama·terasus und schafft auf diese Weise den Grund, warum sich Ama·terasu, die Sonne, vorüber·gehend ver·dunkelt (in eine Höhle zurückzieht).
- Zur Strafe werden Susanoo die Nägel aus·ge·rissen, dann muss er auf·wendige Opfer·gaben leisten und schließ·lich wird er aus dem Himmel ver·bannt.
- Auf der Erde — seinem Exil — kämpft er gegen die tyran·nische Schlange
Mythologische Schlange (Drache) mit acht Köpfen; wtl. „achtfach gegabelte Schlange“; wird von Susanoo besiegt
Der Begriff „Yamata no Orochi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, die er — typisch Trickster — eher durch List als durch Stärke besiegt, indem er sie betrunken macht.
- Schluss·end·lich endet Susanoo als Herr über die Unter·welt und erfüllt damit ein wei·teres Krite·rium Eliades, die Nähe zum Tod.
Demnach lässt sich der Susanoo-Mythos auch dahingehend inter·pretieren, dass Susanoo den gewalt·tätigen Aspekt (
wtl. rauer (wilder) Geist; gewalttätige Natur (mitama) einer Gottheit (im Ggs. zu nigimitama, milder Geist)
Der Begriff „aramitama“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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) seiner göttlichen Natur besiegt und seine Trickster-Züge abstreift. Andererseits haben Volkskundler, die Susanoos Kampf im Kontext von rezenten volks·religiösen Festen analysierten, auch die These aufgestellt, dass Susanoo und die Schlange im Grunde zwei Aspekte der gleichen Gottheit darstellen.3 Das einzige Trickster-Motiv, das im Susanoo-Mythenkomplex nicht auftaucht, ist der Diebstahl von göttlichen Privilegien (etwa das Feuer), aus denen sich gegen den Göttlichen Plan die Kultur der Menschen entwickelt. Dies mag aber dem besonderen Charakter der japanischen Mythen als Legitimation der Tennō-Dynastie geschuldet sein: Zwischen Menschen und Göttern wird kein fundamentaler Gegensatz postuliert, da ja zu mindest die Tennō-Dynastie aus Göttern hervorgegangen ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Mythologien ist die mensch·liche Kultur an sich daher in Japan kein Frevel, sondern steht mit der Ordnung der (himm·lischen) Götter im Einklang.
Werk von Utagawa Toyokuni (1769–1825). Spätere Edo-Zeit. Tokyo National Museum.
Ōkuninushi
In
mythol. Gottheit; wtl. Großer Meister des Landes
Der Begriff „Ōkuninushi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, einem Sohn (bzw. Nachkommen) des Susanoo, begegnen wir einer weiteren japanischen Trickster·gestalt. Seine Streiche und Tricks richten sich vorerst nicht gegen die höchsten Götter, sondern nur gegen die eigene Familie einschließ·lich seines Vaters. Er übernimmt kurzzeitig die Herrschaft auf Erden und spielt dabei vor allem das von Eliade angeführte Element der „außer·ge·wöhn·lichen Sexualität“ aus. Schließlich muss er dem „himm·lischen Enkelsohn“ Amaterasus weichen, doch vermag er mit vielen Tricks, seine Abdankung hinaus zu zögern. Am Ende zieht auch er sich in eine Art Unterwelt zurück (s. Sidepage Ōkuninushi).
Yamato Takeru
Auch Prinz
Mythologischer Prinz, Sohn des Keikō Tennō; wtl. der Held/der Tapfere von Yamato
Der Begriff „Yamato Takeru“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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ist eine Gestalt mit trickster·artigen Zügen. Als Sohn des (mytho·logischen) Keikō Tennō fällt er allerdings nicht mehr in das sogenannte Gött·liche Zeitalter. Schon als Kind mit über·mensch·lichen Kräften aus·gestattet, tötet er seinen älteren Bruder aufgrund eines trivialen Miss·ver·ständ·nisses.4
Seinem Vater wird der Sohn unheimlich und er schickt ihn in scheinbar aus·sichts·lose Feldzüge, die Yamato Takeru allerdings mit List, Schläue und der ihm eigenen Brutalität meistert. Damit wird auch Yamato Takeru zu einem Kultur·heros des frühen
Kernland der Tennō-Dynastie in Zentraljapan (Präfektur Nara); archaischer Name für Japan
Der Begriff „Yamato“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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-Reiches. Die Ambivalenz des Tricksters ist im Fall Yamato Takerus auf einen Vater-Sohn Konflikt herunter gebrochen, der beinahe in ein Happy End zu münden scheint. Letztlich führt jedoch Leichtsinn dazu, dass Takeru in der Begeg·nung mit einer feindlichen Gottheit den Kürzeren zieht. Sein früher Tod wird in gewisser Weise dadurch wett·gemacht, dass sich sein Totengeist als weißer Vogel in die Lüfte erhebt und in dieser Form — als einer der letzten mytho·logi·schen Gestalten — auch Verehrung als Schrein·gottheit genießt: Die meisten der über ganz Japan verstreuten „Weißvogel Schreine“ (Shiratori Jinja [Shiratori Jinja (jap.) 白鳥神社 wtl. Weißvogel Schrein; in vielen Landesteilen Japans vorkommende Schreine; meist Yamato Takeru geweiht, der sich nach seinem Tod in einen weißen Vogel verwandelt haben soll]) sind Yamato Takeru geweiht.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Mircea Eliade (1969), zitiert nach Hartmut Dietz, Neuer Physiologus (2011/12/01)
- ↑ Prome·theus bringt den Menschen gegen den aus·drück·lichen Befehl von Zeus das Feuer. Tantalos möchte die All·wis·sen·heit der anderen Götter auf die Probe stellen und setzt ihnen seinen eige·nen Sohn zur Mahl·zeit vor. Sisyphos, ein noto·rischer Lügner, setzt kurz·zeitig den Tod außer Gefecht. Sie alle werden mit drastischen Strafen belegt: Pro·me·theus' Leber wächst immer nach, damit sie erneut von einem Adler ge·fressen werden kann, Sisyphos' Stein rollt immer wieder den Berg hin·unter, bevor er es geschafft hat, ihn bis zum Gipfel zu bringen, Tantalos hungert und durstet um·geben von Köst·lich·keiten, die er gerade nicht mehr erreichen kann.
- ↑ Matsudaira Narimitsu, Matsuri, honshitsu to shosō. Tokyo: Nikkō Shoin, 1946; zitiert nach Ouwehand 1958, S. 151–58.
- ↑ Nachdem der ältere Bruder nicht bei den gemein·samen Mahlzeiten erscheint, erhält Yamato Takeru die Anweisung seines Vaters Keikō Tennō, seinen Bruder zu „belehren und warnen.“ Er interpretiert dies jedoch aufgrund einer unüber·setzbaren Doppel·bedeutung dahingehend, seinem Bruder die Glied·maßen auszureißen, was er auch in die Tat umsetzt. (Kojiki, Antoni 2012, S. 143–44; s.a. Isomae 1999, S. 363.)
Literatur
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- ^ Susanoo rettet Prinzessin Kushinada vor der achtköpfigen Schlange (hebi). Im Vordergrund acht Töpfe mit Sake, Susanoos Trick, um das Monster betrunken zu machen. Wie für viele ukiyo-e der mittleren Periode typisch, ist der Held mit den Zügen eines Kabuki-Schauspielers ausgestattet.
Werk von Utagawa Toyokuni (1769–1825). Spätere Edo-Zeit. Tokyo National Museum.
Glossar
- aramitama 荒魂 ^ wtl. rauer (wilder) Geist; gewalttätige Natur (mitama) einer Gottheit (im Ggs. zu nigimitama, milder Geist)
- Eliade, Mircea (west.) ^ 1907–1986, rumänischer Religionswissenschaftler und Ethnologe, lehrte an der Universität Chicago
- Futsunushi 経津主 ^ Mythologischer Schwertgott
- Keikō Tennō 景行天皇 ^ mythol. Herrscher, offiziell der 12. japanische Tennō, Sohn von Suinin Tennō, Vater von Yamato Takeru; mythol. Daten 71–130 u.Z.
- Ōkuninushi 大国主 ^ mythol. Gottheit; wtl. Großer Meister des Landes
- Shiratori Jinja 白鳥神社 ^ wtl. Weißvogel Schrein; in vielen Landesteilen Japans vorkommende Schreine; meist Yamato Takeru geweiht, der sich nach seinem Tod in einen weißen Vogel verwandelt haben soll
- Sun Wukong (chin.) 孫悟空 ^ Held in Affengestalt des chinesischen Klassikers Reise in den Westen (Xi you ji 西遊記, 16. Jh.); jap. Songokū
- Takemikazuchi 建御雷 ^ Mythologischer Schwertgott (wtl. Gewittergott); Ahnengottheit der Fujiwara; u.a. in den Schreinen Kashima und Kasuga verehrt
- Yamata no Orochi 八岐大蛇 ^ Mythologische Schlange (Drache) mit acht Köpfen; wtl. „achtfach gegabelte Schlange“; wird von Susanoo besiegt
- Yamato Takeru 倭建/日本武 ^ Mythologischer Prinz, Sohn des Keikō Tennō; wtl. der Held/der Tapfere von Yamato
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Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
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- Imaginäre Tiere
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- 六 Geschichte
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- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
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- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
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„Japanische Trickster.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001