Ame no Uzume, die Ahnherrin von Ritus, Tanz und Theater
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Buchillustration von Hokusai, 1816
Buchillustration von Taki Katei, 1866
mythologische Gottheit, Ahnherrin des Theaters
Der Begriff „Ame no Uzume“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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tritt in den Mythen in zwei ent·schei·den·den Episo·den auf: Im Mythos von Amaterasu in der Felsen·höhle, wo sie die Sonnengottheit durch ihren Tanz aus der Höhle hervorlockt, und im Mythos von der Her·ab·kunft des Himm·li·schen Enkels. In beiden Fällen entblößt sie sich und bewirkt dadurch einen Sinneswandel ihres Gegenübers. Diese Entblößung ist allerdings kein schnöder Striptease, sondern trägt gewisse rituelle Züge, während sie zugleich als Urszene des japanischen Theaters angesehen wird. Die Gestalt der Uzume macht somit deut·lich, dass Tanz, Theater und Ritus in alter Zeit wohl nicht von ein·ander zu trennen waren, und verrät zudem, dass Spaß und Erotik im alten Ritual·wesen durchaus ihren Platz hatten.
Die mythologische Gestalt der Uzume
Uzumes bekannteste mythologische Episode handelt von ihrem Tanz vor der Felsenhöhle, in die sich die Sonnengottheit
Der Begriff „Amaterasu“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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zurück gezogen hat. Während das
Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)
Der Begriff „Nihon shoki“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Uzumes Tanz lediglich als heiter und ausgelassen schildert, spezifiziert das
„Aufzeichnung alter Begebenheiten“; älteste jap. Chronik (712)
Der Begriff „Kojiki“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, dass Uzume dabei ihre Brüste entblößt, was die versammelten Götter zu lautem Lachen reizt.1 In beiden Mythenvarianten erregt sie dadurch die Neugier der Sonnengottheit, die daraufhin ihre freiwillige Isolation beendet und die Welt wieder in ihrem Licht erstrahlen lässt.
Man kann sich diese tanzende Uzume wohl am ehesten als eine wilde, mit Besessenheitskulten in Verbindung stehende Shamanin vorstellen. Die klassischen Quellen schildern ziemlich genau, dass sie sich aus Ranken, Gräsern und Baumzweigen Arm- und Kopfschmuck fertigt. Laut Nihon shoki hält sie außerdem einen Speer in der Hand. So angetan steigt sie auf einen umgestürzten Zuber, der als Resonanzboden ihres stampfenden Tanzes dient, und verfällt in einen ekstatischen Trance-Zustand.2
In der zweiten Episode gehört Uzume zum Ge·folge des „Himmlischen Enkelsohns“
Der Begriff „Ninigi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, der die Herr·schaft auf der Erde an·treten soll. Im Zuge seines Ab·stiegs zur Erde stellt sich ihm und seinen Begleitern eine unheim·liche Gott·heit namens
Der Begriff „Sarutahiko“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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(wtl. „Prinz des Affenfelds“) in den Weg. Saruta·hiko besitzt eine „sieben-Hand-lange“ Nase, ist zudem von un·ge·wöhn·lich hohem Wuchs und emittiert Licht·strahlen aus Mund und After. Die himm·lischen Götter wissen nicht, ob er feind·lich oder freund·lich ge·son·nen ist. Ame no Uzume ergreift die Ini·tiative, um die Sache zu klären, und ent·blößt vor dem selt·samen Gott ein weiteres Mal ihre Brüste, wobei sie in ver·ächt·liches Lachen ausbricht. Saruta·hiko erklärt darauf·hin, dass er gekommen sei, um dem Himmli·schen Enkel den Weg zu weisen. Ob dies sein ur·sprüng·liches Vor·haben war, oder ob Uzume ihn durch ihr Ver·halten dazu brachte, bleibt offen.
Werbeplakat für eine Puppenausstellung, 1856
Werk von Utagawa Kuniyoshi. Späte Edo-Zeit, 1856. The British Museum.
Uzume und Sarutahiko werden schlussendlich ein Paar und Uzume übernimmt von ihm den Namensteil „Affe“ (saru). Sie wird nun als
Priestertänzerin; wtl. „Affenfrau“
Der Begriff „sarume“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
no kimi — wtl. „Herrin der Affen·frauen“ tituliert. Affe ist dabei nicht als Schimpfwort zu verstehen, sondern steht metaphorisch für Schauspieler, wie sich auch in einem alten Namen des Noh-Theaters andeutet:
, wtl. „Affenmusik“. Die „Affen·frauen“ wiederum waren Priester-Tänze·rinnen des frühen Tenno-Hofes, die in Ame no Uzume ihre Ahnherrin erblickten. Uzumes Hand·lungen, ihr erotischer Tanz vor der Felsen·höhle und ihr provo·kantes Techtel·mechtel mit Sarutahiko, stehen also mit dem Ritualwesen bei Hof in enger Beziehung und dienen als Gründungsmythen für bestimmte, regelmäßig praktizierte Zeremonien. Laut dem
Chronik Japans (807)
Der Begriff „Kogo shūi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
(verfasst 807) leitet sich insbesondere der „Ritus zur Besänf·ti·gung der Geister“ (
Zeremonie zur Beruhigung der Totengeister
Der Begriff „chinkonsai“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
) auf den Tanz der Ame no Uzume zurück. Damit wird indirekt klar, dass die von Uzume adressierten Gottheiten, Amaterasu und Sarutahiko, in einem entrückten, übelwollenden Zustand waren, der mitunter auch als
wtl. rauer (wilder) Geist; gewalttätige Natur (mitama) einer Gottheit (im Ggs. zu nigimitama, milder Geist)
Der Begriff „aramitama“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, als wilder, bösartiger Seelenzustand bezeichnet wird. Uzumes Aufgabe bestand also darin, die jeweiligen Gottheiten durch theatralische Mittel in einen milden Seelenzustand (
wtl. milder Geist; wohltätige Natur (mitama) einer Gottheit (im Ggs. zu aramitama, rauer Geist)
Der Begriff „nigimitama“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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) zu versetzen.
Uzume in kagura und ukiyoe
Die heute gängige ikonographische Form der Uzume hat mit der provokanten Shamanin auf den ersten Blick wenig zu tun. Sie zeigt die Göttin im Gewand einer modernen Schreindienerin (
Miko, kami-Priesterin, Schreindienerin; auch: weibliche Shamanin; andere Schreibungen 神子 (Gott-Kind) oder 御子 (erhabenes Kind)
Der Begriff „miko“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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). Auch die Gegenstände, die sie in den Händen hält, sind meist dem neuzeitlichen Schreinritual entnommen.
repräsentiert durch einen Kabuki-Schauspieler
in einem rezenten kagura
Werk von Utagawa Hiroshige (1797–1858). Edo-Zeit, um 1850. British Museum.
Diese Charakteristika stammen nicht direkt aus den Mythen, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach aus den sogenannten
rituelle Tänze und Gesänge
Der Begriff „kagura“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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-Tänzen. Dies sind rituelle Tänze, die zumeist in Shinto Schreinen aufgeführt werden. Während die frühesten bekannten Formen keine dramatische Handlung besaßen, haben sich seit der
Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
Der Begriff „Edo“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Geographische Lage
-Zeit kagura in Form von dramatisierten mythologischen Themen mehr und mehr verbreitet. Die Hervorlockung der Sonnengottheit stellt dabei — neben dem Kampf Susanoos mit der achtköpfigen Schlange
Mythologische Schlange (Drache) mit acht Köpfen; wtl. „achtfach gegabelte Schlange“; wird von Susanoo besiegt
Der Begriff „Yamata no Orochi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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— eines der populärsten Sujets dar. Interessanterweise tritt dabei neben Uzume auch stets Sarutahiko auf, das kagura verschmilzt also die beiden mythologischen Episoden. Auch auf den entsprechenden
Der Begriff „ukiyo-e“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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ist zumeist Sarutahiko neben Uzume vor der Felsenhöhle zu erkennen.
Otafuku, Okame, Oto Goze: Uzume als Glücksgöttin
Die erotische Rolle, die Uzume in den Mythen inne hat, kommt in späteren Illustrationen zwar allenthalben zum Ausdruck, doch ist Uzume alles andere als ein Vamp oder eine femme fatale. Statt dessen wurde ihre Gestalt ironisiert und erhielt das Aussehen einer komischen, bisweilen auch dezidiert hässlichen weiblichen Gestalt. Angeblich soll auch ihr Name auf diese Hässlichkeit hindeuten (wobei die Etymologie allerdings nicht über jeden Zweifel erhaben ist): Aston (1896) übersetzt Uzume mit „terrible female“, Florenz (1919) mit „abschreckendes Weib“.3 Jedenfalls wurde Uzume in einer wenig attraktiven, aber komischen Gestalt schließlich sogar zu einer Glücks·göttin, wobei gerade ihr hässliches Aussehen dem Vertreiben von Unglück förderlich sein soll.
Werk von Irie Chōhachi (1815–1889). Meiji Zeit, 19. Jh. Master plasterer Izu-no-Chohachi.
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Als volkstümlich komödiantische Glücksbringerin ist Uzume auch unter Namen wie
komödiantische weibliche Glücksgottheit, wtl. „Großes Glück“; auch Oto-goze, Okame; andere Schreibungen 阿多福
Der Begriff „Otafuku“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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oder Okame bekannt ist. Jedes Kind in Japan kennt Otafuku als dicke, kleine Frau mit birnenförmigem Gesicht, einer hohen Stirn und kleinen lachenden Augen. Diese äußerlichen Merkmale lassen sich auf eine Figur des komödiantischen Kyōgen-Theaters namens
Der Begriff „Oto-goze“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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zurückführen. Diese eher derbe Gestalt gehört zur Kategorie der „hässlichen Frauen“ (shikome) im Kyōgen und stellt einen bewussten Kontrast zur ätherischen Schönheit der weiblichen Noh-Masken dar.
Ob die Figur der Oto-goze von Anfang an mit Uzume identifiziert wurde, oder ob dies erst eine sekundäre Entwicklung darstellt, ist unklar. Jedenfalls ist die entsprechende Maske seit der
Stadtteil in Kyōto; Sitz des Ashikaga Shōgunats 1336–1573 (= Muromachi-Zeit)
Der Begriff „Muromachi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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-Zeit bekannt und prägt nicht nur die bis heute populären Otafuku-Darstellungen, sondern auch die Darstellungen der mythologischen Uzume. In dieser Form trat Ame no Uzume einst sogar als einzige Frau im Ensemble der Sieben Glücksgötter (
Sieben Glücksgötter; populäres Ensemble von Glücksgöttern verschiedener Herkunft
Der Begriff „Shichi Fukujin“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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) auf, wurde Anfang der
Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
Der Begriff „Edo“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Geographische Lage
-Zeit allerdings von
Glücksgöttin im Ensemble der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); Gottheit des Wassers, der Musik und der Beredsamkeit; skt. Sarasvati; auch: Benten
Der Begriff „Benzaiten“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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verdrängt.4
Wie man an den Abbildungen des 19. Jahrhunderts erkennt, haben manche Illustratoren die angebliche Hässlichkeit der Uzume/ Otafuku sehr wörtlich genommen, vielleicht auch, um die erotische Komponente der mythologischen Erzählung abzuschwächen. Im allgemeinen hat sich aber ein humoristischer, durchaus nicht unattraktiver Erscheinungstyp der Uzume durchgesetzt, der vielleicht am charakteristischsten in Hokusais Darstellung am Anfang dieser Seite wiedergegeben ist (s.o.).
parodistische Darstellung von Ekin (1812-1876)
Holzschnitt von Hokkei
Werk von Kosugi Hōan (1881–1964). Shōwa-Zeit, 1951. Chiyoda Days.
Anmerkungen
- ↑ Vgl. Aston 1972 I, S. 44–45; Florenz 1919, S. 39–40 und 155–56
- ↑ Während das Stampfen in der japanischen Tradition, namentlich im Noh, durchaus erhalten blieb, ist die Entblößung kein Element des klassischen japanischen Theaters. Im butoh (wtl. Stampftanz) des 20. Jahrhunderts wurden beide Elemente allerdings erneut mit einander verbunden.
- ↑ Beide Übersetzer beziehen sich dabei auf eine Erklärung des Namens Uzume im Kogo shūi 古語拾遺 (jap.)
Chronik Japans (807)
Text • •Der Begriff „Kogo shūi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
(807), das einen Zusammenhang mit ozoshi, „furchtbar“, herstellt. S. z.B. Florenz 1919, S. 421–22.
- ↑ Kita Sadakichi, „Shichifukujin no seiritsu“ (Die Entstehung der Sieben Glücksgötter) 1935, nach Miyata 1998, S. 304-305
Literatur und Links
- Ame-no-Uzume no Mikoto, Joseph Ziehr and Edward Beach (en.)
Artikel der Website Shimbutsudo.
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„Ame no Uzume: Die Ahnherrin von Ritus, Tanz und Theater.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001