Mythen/Geister/Ubume

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ubume [ubume (jap.) 産女 weiblicher Totengeist (yūrei); Geist einer im Kindbett verstorbenen Mutter], wtl. Geburtsfrau, sind die Geister von Frauen, die im Kindbett gestorben sind. Sie zählen daher zu den Totengeistern (yūrei [yūrei (jap.) 幽霊 Totengeist]), werden aber auch in der Kategorie yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster] („Monster“, übernatürliche Wesen) geführt. Sie sind typisch für weibliche Geister, die trotz oder gerade wegen ihres unglücklichen Schicksals auf Erden zu unberechenbaren, oft rachedurstigen Bewohnern der unsichtbaren Welt mutieren. Ubume scheint es erst ab der Muromachi [Muromachi (jap.) 室町 Stadtteil in Kyōto; Sitz des Ashikaga Shōgunats 1336–1573 (= Muromachi-Zeit)]-Zeit zu geben, jedenfalls tauchen sie in schriftlichen und vor allem bildlichen Quellen in der darauf folgenden Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit auf.1

Die paradigmatische Gestalt der ubume ist uuns — wie viele andere yōkai auch — durch ein Werk des Gelehrten und Malers Toriyama Sekien [Toriyama Sekien (jap.) 鳥山石燕 1712–1788; Künstler und Gelehrter; vor allem bekannt für seine illustrierten Gespenster-Enzyklopädien] bekannt, der sie in seiner Gespenster-Enzyklopädie Gazu hyakki yagyō [Gazu hyakki yagyō (jap.) 画図百鬼夜行 „Illustrierte Nacht-Parade der hundert Geister“; Bild-Enzyklopädie von Toriyama Sekien, 1776] graphisch festlielt. Man sieht die verzweifelte Gestalt einer Frau, die nur mit einem Lendenschurz bekleidet ein Baby schützend zur Brust hält. Dass keine Füße zu sehen sind und die Gestalt knapp über dem Boden zu schweben scheint, identifiziert sie als Geist. Der Lendenschurz ist in späteren Abbildungen häufig mit rotem Blut befleckt und enthält somit einen Hinweis auf Geburt (Blut) und Tod (weißes Totengewand).

Besonders interessant ist das netzartige Gebilde im Hintergrund. Es handelt sich um ein Stück Stoff, das an vier Pfählen knapp über dem Boden aufgespannt ist. Es ist dies ein Hinweis auf das Ritual nagare kanjō [nagare kanjō (jap.) 流灌頂 wtl. „fließende Übergießung“; Reinigungsritus; Ritus zur Entfernung von Todesbefleckung durch fließendes Wasser], wtl. „fließende Begießung“, das in der Edo-Zeit bei ungewöhnlichen Todesfällen wie Mord, Selbstmord oder eben Tod im Kindbett praktiziert wurde. Auf das aufgespannte Tuch wurden buddhistische Sprüche (z.B. namu amida butsu [namu amida butsu (jap.) 南無阿弥陀仏 in etwa: „Gelobt sei Buddha Amida“; Gebetsformel im Buddhismus des Reinen Landes]) geschrieben, doch es ging darum, dass die Schrift durch Regen oder durch zufällige Passanten (für die mitunter ein Eimer und ein Schpfer bereitstanden) weggewaschen wurde. Dies wurde als Zeichen angesehen, dass die besondere Verunreinigung (kegare [kegare (jap.) 穢れ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande]), die durch den ungewöhnlichen Tod entstanden war, ausgelöscht worden sei.2

Dies deutet an, dass die Furcht vor der besonderen Verunreinigung durch Geburt und Tod — beides klassische Auslöser von kegare — die Inspiration und den religiösen Hintergrund für die Geisterfigur der ubume darstellte.


Verweise

Verwandte Themen

Fußnoten

  1. Eine Edo-zeitliche Gespenster-Enzyklopädie beruft sich auf eine Vorlage von Kanō Motonobu (1476–1559), diese ist jedoch nicht mehr erhalten.
  2. Ein westlicher Beobachter dokumentierte das Ritual noch in der späten Meiji-Zeit. Hinter dem aufgespannten Tuch war noch eine große Totentafel (ihai) angebracht, auf der der buddhistische Totennamen der Verstorbenen verzeichnet war (Hartland 1902).

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Isabella Bird, Unbeaten Tracks in Japan: An Account of Travels in the Interior Including Visits to the Aborigines in Yezo and the shrine of Nikkō. London: John Murray, 1880. (Online.)
J.C. Hartland, E.S. Hartland, „Burial Customs in Japan“. Folklore 3 (1902), 266–267. (Online.)
Yasui Manami, „Imagining the Spirits of Deceased Pregnant Women: An Analysis of Illustrations of Ubume in Early Modern Japan“. Japan Review 39 (2020), 91–112. (Online.)
J.C. Hartland, E.S. Hartland, „Burial Customs in Japan“. Folklore 3 (1902), 266–267. (Online.)

Bilder

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Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Bencao gangmu (chin.) 本草綱目 ^ „Kompendium von [medizinischen] Pflanzen“; chin. naturwissenschaftl. Enzyklopädie von Li Shizhen, 1578; jap. Honzō kōmoku
  • chi no ike 血の池 ^ Blutsee; für Frauen vorbehaltener Bereich der buddhistischen Hölle
  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • Gazu hyakki yagyō 画図百鬼夜行 ^ „Illustrierte Nacht-Parade der hundert Geister“; Bild-Enzyklopädie von Toriyama Sekien, 1776
  • guhuo niao (chin.) 姑獲鳥 ^ wtl. Vogel der stehlenden Schwiegermutter; chin. Geisterwesen; jap. ubume
  • Hayashi Razan 林羅山 ^ 1583–1657; neo-konfuzianischer Gelehrter
  • Karma (skt.) कर्म ^ „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)
  • kegare 穢れ ^ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande
  • Konjaku monogatari 今昔物語 ^ „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext
  • Minamoto no Yorimitsu 源頼光 ^ 948–1021, auch Minamoto Raikō; Krieger aus der Dynastie der Minamoto; zusammen mit seinen vier Vasallen, die auch als Shi-Tennō bezeichnet werden, ist er Held zahlreicher Legenden
  • nagare kanjō 流灌頂 ^ wtl. „fließende Übergießung“; Reinigungsritus; Ritus zur Entfernung von Todesbefleckung durch fließendes Wasser
  • namu amida butsu 南無阿弥陀仏 ^ in etwa: „Gelobt sei Buddha Amida“; Gebetsformel im Buddhismus des Reinen Landes
  • namu myōhō renge kyō 南無妙法蓮華経 ^ „Lobpreis dem Lotos Sutra“; Gebetsformel des Nichiren Buddhismus
  • sotoba 卒塔婆 ^ hölzerne Grabbeigabe; abgeleitet von skt. stupa, aus dem sich auch die sino-japanische „Pagode“ () entwickelte
  • tengu 天狗 ^ wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen
  • Toriyama Sekien 鳥山石燕 ^ 1712–1788; Künstler und Gelehrter; vor allem bekannt für seine illustrierten Gespenster-Enzyklopädien
  • ubume 産女 ^ weiblicher Totengeist (yūrei); Geist einer im Kindbett verstorbenen Mutter
  • umazume 不生女 ^ kinderlose bzw. gebärunfähige Frau
  • Urabe no Suetake 卜部季武 ^ 950?–1022; Heian-zeitlicher Krieger (Vasall des Minamoto no Yorimitsu) und Held zahlreicher Legenden
  • Wakan sansai zue 和漢三才図会 ^ „Illustrierte [Enzyklopädie] der Drei Sphären [= Himmel, Erde, Mensch] in China und Japan“ von Terajima Ryōan, 1712; basiert auf dem chinesischen Sancai tuhui
  • yōkai 妖怪 ^ Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster
  • yūrei 幽霊 ^ Totengeist
Religion in JapanMythen
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Ubume: Geister verstorbener Mütter.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001