Glücksbringer und diesseitiges Wohlergehen
Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Alltag/Gluecksbringer.
Jeder populäre Tempel oder Schrein bietet in·ner·halb des Schrein·areals unzählige kleine Ge·gen·stän·de zum Verkauf an, deren Zweck dem aus·län·dischen Besucher lange rätsel·haft bleibt. Es sind allesamt glücks·brin·gen·de Gegen·stände, die aber unter·schied·lichen Zwecken dienen und ver·schie·dene Be·hand·lun·gen erfahren. Neben den bereits erwähnten Opfer·gaben, die meist vor Ort geopfert werden (z.B. Räu·cher·stäb·chen oder Holz und Rin·den·stücke für Feu·er·ri·tu·ale), kann man auch A·mu·let·te oder Ta·lis·ma·ne erwerben, die man bei sich behält. Jeder berühmte Ort hat seine speziell ge·stalteten Glücks·bringer, bestimmte Grund·for·men wieder·holen sich jedoch.
Brian Mcmorrow, 2004.
Glücksbringer
Die häufigsten Glücks·brin·ger sind kleine Ge·gen·stän·de, die man zur Abwehr von Un·heil oder zur Er·rei·chung be·stimm·ter Wünsche bei sich trägt oder zu Hause auf·stellt. Außer·dem kann man an fast jeder größeren Ver·ehr·ungs·stätte Glücks·o·ra·kel erwerben. Derartige O·bjek·te sind zwar bereits für ein paar hundert Yen zu haben, ver·lieren ihre Wirk·kraft aber nach spä·tes·tens einem Jahr, sodass man immer wieder neue kaufen muss. Sie werden sowohl in Schreinen als auch in Tempeln an·ge·bo·ten und sind somit an keine kon·fes·sio·nel·len Grenzen gebunden.
O-mamori, o-mikuji, o-fuda
O-mamori [o-mamori (jap.) お守り Talisman, schutzbringender Gegenstand] sind die popu·lärs·ten Glücks·brin·ger in Tem·peln und Schrei·nen. Mamori bedeu·tet wört·lich „Be·schüt·zer“ und wird manch·mal auch als „Talis·man“ über·setzt (das „o-“ ist hier eine hono·rative Vor·silbe). Meist han·delt es sich um kleine Beutel·chen aus Seide mit einer Auf·schrift, die ihren Zweck (Ge·sund·heit, Erfolg in Beruf oder Stu·dium, Schutz im Straßen·ver·kehr, etc. oder allg. „Schutz“) be·schreibt. O-mamori sind dazu ge·dacht, ständig mit·geführt zu werden.
Vorlage:Sidebox3 Vorlage:Sidebox3 O-mikuji [o-mikuji (jap.) 御籤/おみくじ Glückslos, Glücksorakel; auch mikuji] sind eine Kom·bination von Opfer·gabe und Orakel. Es sind Lose mit einer Weis·sa·gung, die einem Gutes oder weniger Gutes vor·her·sagt. Sie werden typi·scherweise in Schreinen ver·kauft, fall·weise aber auch in bud·dhis·tischen Tempeln. Die Lose werden nach dem Kauf meist an Bäumen in·ner·halb des reli·giösen Areals aufge·hängt: Bei posi·tiven Vor·her·sagen um sicher zu gehen, dass sie sich auch er·fül·len, bei negativen, damit sie sich mit Hilfe der kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] nicht erfül·len. Rund um be·rühmte Schreine sind die Bäume oft ganz weiß von den vielen Zetteln, die die Be·su·cher dort an·ge·bun·den haben.
O-fuda [o-fuda (jap.) お札 Amulett oder Talisman in Gestalt eines symbolischen Zeichens, meist aus Papier; auch shinsatsu; das Zeichen 札 kann auch „Geldschein“ bedeuten, wird dann aber sinojap. satsu ausgesprochen;] (oder shinsatsu [shinsatsu (jap.) 神札 Amulett oder Talisman aus Papier; formelle Bezeichnung für o-fuda]) sind im All·ge·mei·nen Papier·streifen oder kleine Holz·täfel·chen mit einer Inschrift. Sie haben eine sehr ähn·liche Funktion wie o-mamori, sind aber eher dazu be·stimmt, an fixen Orten auf·gestellt oder an·ge·bracht zu werden. Oft findet man sie an einem Haus·altar oder Haus·schrein, wo sie die ver·ehrte Gott·heit eines Schreins oder ein für einen Tempel wichtiges sutra [sūtra (skt.) सूत्र „Faden“, Lehrrede des Buddha, kanonische Schrift (jap. kyō 経 oder kyōten 経典)] reprä·sen·tieren. O-fuda können aber auch wie kleine Pla·kate irgend·wo aufge·klebt werden. Pas·sio·nierte Pilger führen oft solche from·men Auf·kleber mit sich, um sie an den er·reich·ten Pilger·stätten anzu·bringen.
Engimono
Engimono [engimono (jap.) 縁起物 Glücksbringer] sind meist Figuren, die irgend eine glücks·brin·gen·de Be·deutung haben. Sie können als Zier·gegen·stände an jedem be·liebi·gen Platz auf·ge·stellt werden. Ein cha·rak·te·ris·tisches Bei·spiel sind die so·ge·nann·ten Daruma [Daruma (jap.) 達磨 Spitzname des Mönchs Bodhidharma; Bezeichnung der daruma-Puppe als Glücksbringer]-Figuren. Sie stellen in stili·sierter Form den indischen Mönch Bo·dhi·dharma dar. Er soll in Medi·tation er·starrt sein, daher werden Arme und Beine weg·gelassen. Beim Kauf sind beide Augen weiß. Man malt dann dem daruma selbst ein Auge, während man sich auf einen Wunsch kon·zentriert, oder man lässt das Auge — gegen weiteres Geld — von einem Mönch aufmalen. Geht der Wunsch in Er·fül·lung, bekommt der daruma ein zweites Auge. Zu be·stimm·ten Anläs·sen, bei·spiels·weise zu Neujahr, ver·an·stalten manche Tempel so·ge·nann·te daruma-Märkte (daruma ichi). Dabei werden alle alten darumas in einem großen Feuer verbrannt und neue verkauft.
Vorlage:Sidebox3 Ein ähnliches Objekt, das vor allem den Erfolg von Ge·schäfts·lokalen fördern soll, ist die „Win·kende Katze“ (maneki neko [maneki neko (jap.) 招き猫 winkende Katze, Winkekatze; Glücksbringer, besonders für geschäftlichen Erfolg]), die man sehr häufig in den Aus·lagen von Ge·schäf·ten und Res·tau·rants sehen kann. Die maneki neko hält typischer·weise eine alte Gold·münze in der Pfote, auf der der un·wahr·schein·lich hohe Betrag „senman ryō“ (10 Millionen Ryō) ver·zeich·net ist. Katzen zählen zu den·jeni·gen Tieren, denen magische, mit·unter auch gefähr·liche Kräfte und Fähig·keiten nach·gesagt werden. Ähnliche Eigen·schaf·ten besitzen auch Füchse, tanuki [tanuki (jap.) 狸 Tanuki; Marderhund], Schlangen und andere Tiere, die eben·falls als engimono in Tempeln, Schreinen und Souvenir·läden zu erwerben sind. Siehe dazu auch „Verwandlungskünstler (Tiergötter und Götterboten, Teil 2)“ (Kap. Mythen).
Diesseitiges Wohlergehen (genze riyaku)
Der Zweck all dieser kleinen Opfer·gaben und Talismane ist stets an einen bestimmten Wunsch an die Gott·heit bzw. an bestimmte, mit der Gott·heit as·so·zi·ierte glücks·bringende Effekte gebunden. Die meisten großen Schreine und Tempel spezial·isieren sich auf bestimmte Lebens·bereiche, in denen sie und ihre Glücks·bringer besonders effektiv sind: Manche bringen Reich·tum, manche Gesund·heit, manche Erfolg in der Liebe und viele helfen bei Prüfungen. Fast immer haben sie jedoch ein dies·seits·be·zo·genes Ziel. D.h. es geht um in·di·vidu·elles Glück in diesem Leben. Ja·pa·nische Religion im All·gemeinen und Shintō im Be·sonderen widmet sich dem welt·lichen Glück der Gläubigen in man·nig·facher Weise. Der ja·pa·nische Fach·aus·druck dafür ist genze riyaku [genze riyaku (jap.) 現世利益 (religiöse) Belohnung in diesem Leben] („Gewinn oder Belohnung [für religiöse Handlungen] in dieser Welt/diesem Leben“).
Genze riyaku hat in der ja·pa·nischen Religion eine lange Tradition, wird aber auch durch sehr un·mittel·bare gesell·schaft·liche Voraus·setzungen unter·stützt: In Japan gibt es keine Kirchen·steuer und kaum staat·liche Un·ter·stü·tzung von Religion (Ausnahme: Steuer·enthebung). Religiöse Insti·tutionen sind ähnlich wie kom·mer·ziel·le Unter·nehmen auf direkte, frei·willige Zu·wen·dungen an·gewiesen. Es gibt zweier·lei Dienst·leistungen, aus denen religiöse Insti·tutionen Ein·nahmen lukrieren: a) Große Zere·monien, die aus Anlass wichtiger Schicksals·abschnitte voll·zogen werden (Hochzeit, Geschäfts·gründung, Hausbau, Begräbnis). Hierbei entscheidet oft die tradi·tionelle Zu·gehörig·keit der Familie, welche religiöse Insti·tution die Zeremonie voll·zieht. b) Kleine religiöse Hand·lungen als spiri·tuelle Rück·versicher·ungen, die dem all·täg·lichen Leben zugute kommen sollen. Sie wirken zwar oft spieler·isch, werden aber doch von vielen ernst genommen. Lokale Traditionen und Legenden spielen eine wichtige Rolle für die Glaub·haftig·keit glücks·bringender Effekte, doch werden beständig neue Legenden und Tra·ditionen ge·schaffen. Es ist ein offener Markt, der nur von einem immer dünner wer·den·den religiösen Vor·ver·ständ·nis der All·gemein·heit reguliert wird und immer mehr nach In·nova·tionen verlangt. Die Re·ligio·sität, die sich in genze riyaku wider·spiegelt, wirkt auf christ·lich geprägte Europäer oft irri·tie·rend oder zumindest ober·flächlich. Sie schließt aber spi·ri·tuelle Tiefe keines·wegs aus, wenn sie diese auch nicht un·bedingt erfordert. Zu·gleich gerät sie mit modernem Konsum·verhalten nicht in Wider·spruch. Daher sieht man in Japan viel mehr ange·wand·te Religion im Alltags·leben als in Europa. Da die ja·pa·nische Religion durch den tradi·tion·ell hohen Stellen·wert von genze riyaku auf Fle·xibi·li·tät eingestellt ist, hat sie unter dem per·manenten Wandel einer kapital·istischen Konsum·gesellschaft weit weniger zu leiden, als etwa das Chris·ten·tum im Westen.
Verweise
Verwandte Themen
Internetquellen
- Digital Photo Gallery Shintō Shrines & Temples, Hatada Isao (jap., tlw. en.)
Bilder von Tempeln und Schreinen mit Schwerpunkt auf der religiösen Alltagskultur. Siehe insbesondere "Charms" und "Votive pictures". - Daruma-Museum, Gabriele Greve
Wissenswertes, Unterhaltsames und Kurioses sowie zahlreiche weiterführende Links zu Daruma &Co. - Cyber Shrine, Kikutake Yuji
Hier bietet Electric Samurai mikuji-Lose auch online in englischer Übersetzung an.
Literatur
Bilder
- ^ Schreinpriesterinnen beim Verkauf von Glücksbringern (o-mikuji) am Kasuga Taisha.
Brian Mcmorrow, 2004. - ^ Traditionelle Glücksbringer (o-mamori).
Bildquelle: unbekannt. - ^ daruma-Puppe.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Eine etwas verwitterte daruma-Figur neben einem Miniaturschrein (hokora). Die Figur hat nur ein Auge bemalt, was bedeutet, dass der an sie gerichtete Wunsch noch nicht in Erfüllung gegangen ist.
El-Branden Brazil, flickr 2007 (mit freundlicher Genehmigung).
- ^ Daruma-Puppen mit noch unbemalten Augen als Glücksbringer.
Craig Howitt, flickr 2005. - ^ Neujahrskarte mit Daruma-Motiv.
Werk von David Bull. 1999. David Bull. - ^ Schrein in Shikoku mit einer überwältigenden Anzahl von Winke-Katzen (maneki neko).
MAGphoto, 2008.
Glossar
- Bodhidharma (skt.) बोधिधर्म ^ legendärer buddh. Mönch aus Indien, in China aktiv; gilt als Begründer des Chan (Zen) Buddhismus (jap. Daruma 達磨 oder Bodaidaruma 菩提達磨)
- daruma だるま ^ Glücksbringer aus Pappmaché, der dem Zen-Patriarchen Daruma (skt. Bodhidharma) nachempfunden ist
- genze riyaku 現世利益 ^ (religiöse) Belohnung in diesem Leben
- maneki neko 招き猫 ^ winkende Katze, Winkekatze; Glücksbringer, besonders für geschäftlichen Erfolg
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
- Konzept
- Autor
- Impressum
- Glossare
- Fachbegriffe-Glossar
- Bilder-Glossar
- Künstler-Glossar
- Geo-Glossar
- Ressourcen
- Literatur
- Links
- Bildquellen
- Suche
- Suche
- Feedback
- Anmelden
„Glücksbringer und diesseitiges Wohlergehen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001