Ema: Ansichtskarten für die Götter
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Ema [ema (jap.) 絵馬 Votivbild; wtl. Bild-Pferd]-Täfelchen werden sowohl in bud·dhis·tischen Tempeln als auch in shin·tō·is·tischen Schreinen verkauft. Eine Seite der Tafeln ist mit einem vor·gedruckten Motiv versehen, auf der anderen können die Gläubigen ihre eigenen Wünsche auf·schreiben.
indulgence boy, flickr, 2006.
Encyclopedia of Shintō, Shintō Museum of Kokugakuin University.
Edo-Zeit, 1712. The Japan Folk Crafts Museum, (Mingeikan), Tokyo, Meguro-ku.
VikingSlav, flickr 2007.
indulgence boy, flickr 2006.
1935. Fowler Museum at UCLA.
Eckhart Derschmidt, 2005 (mit freundlicher Genehmigung).
Zumeist gibt es vor Ort auch ein Gestell, um die be·schrif·teten ema auf·zu·hängen. Einige Tempel und Schreine besitzen noch die tra·di·tio·nellen Hallen für große, oft sehr präch·tigen Vo·tiv·bilder, eine Praxis, die offenbar in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit weit verbreitet war. Ob große Bilder oder kleine Täfelchen — stets waren ema mit kon·kreten Wünschen seitens der Gläubigen verbunden.
Der etwas rätselhafte Begriff ema („Pferde·bild“) leitet sich wahr·schein·lich von der alten Praxis her, Götter mit Pferden und später mit Bildern von Pferden zu be·schenken. Nach Auf·fassung einiger Volks·kundler spiegelt sich darin die Vor·stel·lung wider, das Pferd als Trans·port·tier par excellence möge die ent·spre·chen·den Wünsche verläss·lich der Gott·heit über·bringen. Die heutige Praxis hat aber jeden·falls kaum noch etwas mit Pferden zu tun.
Wunschmotive
Art und Inhalt der Be·schrif·tung von ema variieren ebenso stark wie die Motive, mit denen sie geschmückt sind. Laut dem englischen Re·li·gions·an·thro·po·logen Ian Reader wird heute ein über·pro·por·tio·nal hoher Anteil von ema von Ju·gend·lichen und ins·be·son·dere von Mädchen verfasst. Die häufigsten Wünsche beziehen sich auf schulischen Erfolg (Aufnahme·prüfungen), aber auch Themen wie Liebe und Heirat sind oft zu finden. Ältere Menschen the·ma·tisieren hingegen vor allem Ge·sund·heit und Geld·nöte. Auf·fallend ist laut Ian Reader, dass tiefer gehende re·ligiöse Themen, etwa genereller Dank oder Lob an die Gott·heiten völlig fehlen. Die ja·panische Re·dens·art „in schweren Zeiten wendet man sich den Göttern zu“ (kurushii toki no kamidanomi [kurushii toki no kamidanomi (jap.) 苦しい時の神頼み „sich in Zeiten der Not an die Götter wenden“; jap. Redensart]), trifft also ganz besonders auf die Praxis der ema-Be·schrif·tung zu. In vielen Fällen ist aber auch der „fun-Faktor“ der modernen ema nicht zu übersehen. In jüngster Zeit haben sich manche Schreine z.B. auf Manga-Fans (otaku [otaku (jap.) 御宅 ugs. für Manga/Anime-Fan; manchmal etwas herablassende Konnotation]) ein·ge·stellt und bieten ema mit Manga Motiven an.
Muza-chan, 2009.
Frühes 20. Jh. Fowler Museum at UCLA.
2004. DocPlayer.net.
Lostintokyo, flickr 2005.
Bildquelle: deadhippo.com, 2005 (über Internet Archive).
J-blog, 2009.
Diese un·be·schwert-legere Hand·habung der ema ist offenbar ein verhältnis·mäßig junges Phänomen. So erschien in den 30er Jahren des zwanzigsten Jahr·hunderts ein Artikel des Shintō-Spezialisten holtomdaniel [[[glossar:holtomdaniel|]] () ] über die ema des Hōzan-ji in Ikoma, einem Tempel zwischen Kyōto und Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō], der der ur·sprüng·lich indischen Gott·heit Shōten (aka. Kankiten) geweiht ist. Die meisten Täfelchen ent·hiel·ten mit großem Ernst ver·fass·te Gelübde von Männern, für eine be·stimmte Zeit, ggf. auch für immer, ihren Ehe·frauen treu zu sein. Auch ein paar wenige ent·spre·chende Gelübde von Frauen sind dabei. Schließ·lich gibt es Gelübde, das Rauchen oder andere sinn·liche Genüsse aufzu·geben. In einer neueren Studie zu diesem Thema zeigt Ian Reader, dass die Ab·fassung von Gelübden eine an·sonsten eher un·ty·pi·sche Art der ema-Be·schrif·tung ist, im Hōzan-ji aber auch fünfzig Jahre später, in den 80er Jahren des zwan·zig·sten Jahr·hunderts noch vor·herrschte. Aller·dings nimmt das Thema eheliche Treue nur mehr einen geringen Prozent·satz der Gelübde ein.
Verweise
Literatur
Bilder
- ^ Ema in einem Inari Schrein. Zu sehen ist ein weißer Fuchs (kitsune) vor einem Wunschjuwel (nyoi no tama).
indulgence boy, flickr, 2006. - ^ Schrein-ema mit dem klassischen Pferde-Motiv
Encyclopedia of Shintō, Shintō Museum of Kokugakuin University. - ^ Die Beschriftung des ema enthält das Jahr der Spende (Shōtoku 2 = 1712) und den Namen des Spenders: Nagahachi 長八, sowie am oberen Rand ein buddhistisches Zeichen in Siddham-Schrift. Möglicherweise handelt es sich um die Silbe KYA, die u.a. für Elfköpfiger Kannon oder eine Figur namens Memyō Bosatsu 馬鳴菩薩 steht (vgl. Tobi-Fudo). Letzterer wird häufig auf einem Pferd reitend dargestellt. Das ema stammt aus der Region Tōno, die in der Edo-Zeit für die Pferdezucht bekannt war.
Edo-Zeit, 1712. The Japan Folk Crafts Museum, (Mingeikan), Tokyo, Meguro-ku. - ^ Wildschweinwächter und Riesen-ema mit Wildschweinmotiv. Aufgenommen im Goō Jinja in Kyōto, in dessen Gründungslegende Wildschweine eine Rolle spielen.
VikingSlav, flickr 2007. - ^ Neben einer Maske sind auf diesem ema auch die für tengu typischen einstegigen geta-Sandalen zu erkennen.
indulgence boy, flickr 2006. - ^ Bemalte ema mit Füchsen (kitsune) des Fushimi Inari Taisha
Matthew Bednarik, flickr 2008. - ^ Ema, auch auf Englisch beschriftet.
Philip Cygan, 2004. - ^ Ema des Dazaifu Tenman-gū
Tomo Yun, 2004. - ^ Ema mit Tiger-Motiv in einem buddhistischen Tempel des Bishamon-ten.
Bernhard Scheid, flickr, 2007. - ^ Älteres ema aus Shichigahama bei Sendai. Der abgebildete Tausendfüßler gilt als Botentier des Bishamon-ten.
1935. Fowler Museum at UCLA.
- ^ Beschriftete und unbeschriftete ema am Kasuga Taisha.
Brian Mcmorrow, 2004. - ^ Yushima Seidō ist eine Art konfuzianischer Andachtsstätte, die einzige dieser Art in Tōkyō. Konfuzius wird hier als Gott der Gelehrsamkeit verehrt. Die ema stammen zum Großteil von Schülern und Studenten und beinhalten die Bitte um Erfolg bei der nächsten Prüfung. Sie tragen die Aufschrift gōkaku: „Bestanden“.
Eckhart Derschmidt, 2005 (mit freundlicher Genehmigung). - ^ Junge Priester entfernen ema-Täfelchen nach einem besucherreichen Tag.
Angus McIntyre, 1998. - ^ Traditionelle Halle für ema.
Späte Edo-Zeit, 1861. Tōykō Views, flickr 2010. - ^ Fünfeckiges Manga-ema vor einem traditionellen Ema-Motiv. Der Washinomiya Schrein, einer der ältesten Schreine der Kantō Region, erhielt neuen Zulauf, als er zum Spielort des populären Manga Lucky Star auserkoren wurde. Seither gibt es im Schrein auch Ema im Manga-Stil. Auf diesem ist zu lesen: „Ein Leben lang otaku-krank.“
Muza-chan, 2009. - ^ Älteres ema für die Bitte um reiche Muttermilch. Das Bild stammt möglicherweise aus Sendai, wo bei einem Gingkobaum mit Brust-ähnlichen Formen um Muttermilch gebetet wurde.
Frühes 20. Jh. Fowler Museum at UCLA. - ^ Neueres ema für die Bitte um reiche Muttermilch. Der eingeschriebene Text ist eigentlich eine Botschaft an die Mutter, sie möge ein gesundes Kind zur Welt bringen und ihm volle Brüste geben.
2004. DocPlayer.net. - ^ Großes ema des Chichibu Schreins im NW Tōkyōs. Parodie auf die Drei Weisen Affen, die nicht hören, sehen und sprechen wollen. Hier heißt es „Schauen wir, hören wir, sprechen wir! - Die lebensfrohen Drei Affen“. Mehr dazu...
Lostintokyo, flickr 2005. - ^ Dieses ema zeigt eine Variation des Weise-Affen-Motivs im Dienst der Aidsprävention: „... transmit no evil, receive no evil.“ (Der erste Affe von links bedeckt sein Hinterteil, der zweite sein Geschlechtsteil.)
Der Kanayama Schrein ist v.a. für sein „Fest des Eisenpenis“ (Kanamara Matsuri) bekannt, das auf eine etwas bizarre Legende zurückgeht. Er wird heute gern von Homosexuellen aufgesucht und ist u.a. für seine Transvestiten Umzüge bekannt.
Bildquelle: deadhippo.com, 2005 (über Internet Archive). - ^ Auch westliche Gesichter sind auf ema zu finden. In diesem Fall handelt es sich um den amerikanischen Erfinder Thomas Edison. Bekanntermaßen schaffte Edison den Durchbruch zur Entwicklung der Glühbirne, als er Bambus als Glühfaden entdeckte. Eine großangelegte Suchaktion Ende der 1870er Jahre ergab schließlich, dass sich der berühmte Bambus des Iwashimizu Hachiman-gū bei Kyōto besonders gut für diesen Zweck eignete. Der Schrein fühlt sich daher für die Erfindung der Glühlampe mitverantwortlich und ehrt Edison auf seinen Votivbildern. In gewisser Weise zählt der amerikanische Erfinder also zu den im Iwashimizu Schrein verehrten Gottheiten.
J-blog, 2009.
Glossar
- Holtom, Daniel Clarence (west.) ^ 1884–1962; christlicher Missionar, Theologe und Japanologe mit besonderem Schwerpunkt auf Shintō
- kurushii toki no kamidanomi 苦しい時の神頼み ^ „sich in Zeiten der Not an die Götter wenden“; jap. Redensart
- Reader, Ian (west.) ^ britischer Religionsanthropologe, Prof. emer. Manchester
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
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„Ema: Ansichtskarten für die Götter.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001