Himmelskunde und Himmelsdeutung
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Die Beobachtung des nächtlichen Sternen·himmels spielte in allen frühen Hoch·kulturen eine wichtige Rolle und kann als Beginn der heutigen Natur·wissen·schaften an·ge·sehen werden: Sowohl in Babylon als auch in Ägypten oder China führten höfische Astronome Be·ob·ach·tungen durch, hielten sie in Listen fest, be·rech·neten regel·mäßige Vor·komm·nisse und ver·zeichneten un·ge·wöhnliche Ereig·nisse. Aus diesen Daten er·stellten sie Kalender, also Sys·teme zur Ein·teilung und Messung der Zeit. Ein weiterer Bereich der an·ge·wandten Himmels·kunde war die Astro·logie, also die Ab·leitung von Pro·gno·sen irdischer Geschehnisse aus den Beobachtungen des Himmels.
Beziehungen des Sternen·kosmos und der menschlichen Gesell·schaft wurden in China ganz be·sonders be·tont. Dabei galt die Auf·merk·samkeit weniger dem individuellen Schicksal einzelner Personen (in der Art, wie heute Astro·logie betrieben wird), sondern dem Schick·sal der ganzen Gesell·schaft, bzw. ihrer Herr·schaft. Dies stand mit der Grund·an·nahme in Be·ziehung, dass es der Herr·scher selbst sei, der durch die regel·mäßige Ab·haltung be·stimmter Riten die Ordnung der Welt und des Kosmos aufrecht erhalte. Den kaiser·lichen Riten wurde daher nicht nur eine staats·er·haltende, sondern sogar eine welt·er·haltende Funk·tion zugesprochen. Welche Riten zu welchen Zeiten An·wendung fanden, unterlag astro·nomischen und astro·logischen Be·rech·nungen. Die Himmels·kunde (jap. tenmon [tenmon (jap.) 天文 Himmelskunde, proto-wissenschaftliche Astronomie]), die Astro·nomie und Astro·logie gemeinsam umfasste, hatte daher in China und den be·nach·barten ost·asiatischen Kulturen einen hohen polit·ischen Stellen·wert und diente sowohl zur Legitimation polit·ischer Herr·schaft als auch zur konkreten politischen Entscheidungs·findung.
Astronomische Voraussetzungen
Der nächtliche Sternen·himmel erscheint dem menschlichen Betrachter als ein komplexes Muster, das Nacht für Nacht ein beinahe identisches Er·scheinungs·bild zeigt. Es sind zwar bei genauerer Be·ob·ach·tung Be·wegungen am Himmel fest·zu·stellen, doch sind diese zu·meist zyklischer Art, d.h. sie wieder·holen sich in be·stimmten Ab·ständen: ähn·lich wie die Sonne wandern auch die Sterne während einer Nacht über den ganzen Himmel; der Mond nimmt inner·halb von 28 Tagen zu und ab; und selbst die Planeten, deren Lage sich gegen·über der Masse von Fix·sternen verändert, folgen fest·gelegten Bahnen.
Aus der Sicht eines irdischen Betrachters rotiert das gleich·bleibende Bild der Sterne inner·halb von 24 Stunden um einen Fix·punkt: Auf der nördlichen Hemi·sphäre um den so·ge·nannten Himmels·nord·pol, auf der Süd·halb·kugel um den Himmels·süd·pol. Heute weiß man, dass die schein·bare Rotation des Sternen·himmels durch die Drehung der Erde um die eigene Achse her·vor·gerufen wird. Die Himmels·pole liegen genau dort, wo die ver·längerte Erd·achse das „Himmels·gewölbe“ durch·stoßen würde. Gegen·wärtig ist dieser Punkt auf der nördlichen Halb·kugel mehr oder weniger identisch mit dem hellsten Stern im Stern·bild des Kleinen Wagens (dem äußersten Stern an der Deichsel), der daher auch als Polar·stern be·zeichnet wird. In Folge der so·ge·nannten Präzession (einer sehr langsamen, kreisel·artigen Ver·schiebung der Erd·achse) lag der Himmels·nord·pol aller·dings vor etwa 2000 Jahren in der Nähe des Kochab, einem Stern am anderen Ende des Kleinen Wagens.
Sternbilder und Deutungen
Im alten China und in der Folge auch in Japan, sah man den Himmels·nord·pol, als Zentrum des ge·samten Universums an. Er wurde als das „Große Äußerste“ (taiji [taiji (chin.) 太極 Urmaterie, wtl. das Große Äußerste]) bezeichnet, aus dem sich alle Materie bildete. Mitunter wurde er auch als Palast gedeutet, um den die anderen Sterne gleich·sam als Unter·tanen ihre ewig gleichen Kreise drehen. Insofern lag es nahe, den Kaiser mit dem Himmels·nord·pol zu identifizieren. Be·zeich·nungen wie „Sohn des Himmels“ (tian zi, China) oder „Himmels·herrscher“ (Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels], Japan) leiten sich von diesem Symbolismus ab.
Besonders helle Sterne wurden sowohl in der eu·ro·pä·ischen Antike als auch in China zu be·stimmten Konstel·lationen zu·sammen·ge·fasst, die meist mit mytho·logischen Motiven in Be·ziehung gebracht wurden. Man spricht auch von „Stern·bildern“. Das charak·teristischste und am deut·lichsten er·kenn·bare Stern·bild der nördlichen Hemi·sphäre ist der Große Wagen. Er besteht aus sieben verhältnis·mäßig hellen Sternen und be·findet sich nicht allzu weit vom Himmels·nord·pol ent·fernt. Daher wird das Stern·bild auch mit dem Norden selbst gleich·ge·setzt. In Ost·asien wird das Stern·bild als Nörd·licher Schöpf·löffel (hokuto [hokuto (jap.) 北斗 Sternbild des Großen Wagens (chin. Nördlicher Schöpflöffel)]) bezeichnet. Ähnlich wie der Polar·stern selbst wurde auch das Stern·bild des Nörd·lichen Schöpf·löffels mit bestimmten Gott·heiten assoziiert und in den Mittel·punkt eigener Kulte ge·stellt. Neben Sonne und Mond stellt das Stern·bild das wichtigste dem Himmel ent·nommene Symbol dar, das sowohl in der religiösen als auch in der politischen Ikono·graphie (Symbol des Herrschers) zur An·wendung kommt.
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
- Konzept
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„Himmelskunde und Himmelsdeutung.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001