Wächtergötter und andere gestrenge Herren
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Jedes reli·giöse Bauwerk in Japan, egal ob buddhis·tisch oder shintō·istisch, groß oder klein, bedarf zweier Wächter, die paar·weise links und rechts des Haupt·tores auf·ge·stellt sind. Sie halten böse Geister vom Heilig·tum fern und flößen den Gläubigen Respekt ein. Die Wächter bud·dhis·tischer Tempel gehören meist zur großen Gruppe der buddhis·tischen Devas, Schutz·götter mit indischem Ursprung (jap. tenbu [tenbu (jap.) 天部 Gruppe der indischen bzw. aus Indien übernommene Gottheiten im japanischen Buddhismus (skt. deva)], oder -ten [-ten (jap.) 天 wtl. Himmel; Göttertitel für eine eine aus Indien übernommene Gottheit (skt. deva)]; -ten steht für „Himmel“, ist im Buddhis·mus aber ein Titel für einen Gott, bzw. ein Über·setzungs·wort für skt.
Der Begriff „deva“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, „Gott“). Viele dieser Devas sind aus·ge·sprochen kriegerisch. Sie erinnern ihrem Aus·sehen nach an die myōō [myōō (jap.) 明王 wtl. Licht-König, auch „Mantra-König“ oder „Weisheits-König“; meist zornvoll dargestellte Schutzgottheit; skt. vidyaraja], stehen aber hier·archisch tiefer (d.h. sie sind nicht ganz so erleuch·tet und nicht ganz so mächtig). Auch treten sie zumeist in Zweier-, Vierer- oder noch größeren Gruppen auf. Diese Gruppen·ge·bunden·heit verleiht den tenbu einen militärischen Charakter, was sie wiederum besonders als Wächter·figuren prädestiniert.
Torwächter (niō)
Die Tempel·tor·wächter, denen man üblicher·weise an den Ein·gängen großer Tempel be·gegnet, werden niō [niō (jap.) 仁王 Wächterfigur, Torwächter] genannt, was wörtlich „barm·herzige Könige“ bedeutet. Trotz dieses Namens schauen sie stets finster und furcht·ein·flößend drein. Die meisten niō sind mit einem ein·zackigen
„Donnerkeil“, Ritualinstrument und Symbol des tantristischen/esoterischen Buddhismus (jap. kongō 金剛)
Der Begriff „vajra“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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be·waffnet, der aussieht wie ein an beiden Enden an·ge·spitzter Spieß. Ein Vajra (jap. kongō [kongō (jap.) 金剛 skt. Vajra; „Diamant“, magische Waffe, Donnerkeil]) ist eine Art magische Waffe. Von diesem Vajra leiten sich auch andere Be·zeich·nungen für die Tor·wächter ab, die besser zu ihrem Aus·sehen passen: kongō rikishi [kongō rikishi (jap.) 金剛力士 Buddhistische Wächterfigur, „Vajra-Kraftkerl“; Synonym Niō], kongōshu [kongōshu (jap.) 金剛手 Vajra-Hand, skt. Vajrapani; s.a. Niō], Kongō-ten oder Kongō-shin. Alle diese Namen bedeuten in etwa „Vajra-Gottheit“ und weisen auf die Ver·wandt·schaft dieser Tor·wächter mit dem „Leib·wächter“ des Buddha,
„Vajrahand“, Vajraträger (jap. Kongōshu 金剛手)
Der Begriff „Vajrapani“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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hin.
Heian-Zeit, 12. Jh. Kūkai mandara: Kōbō Daishi to Kōya-san (Katalog), Reihōkan 2006, S. 54-55, Abb. 17.
A und HUM (agyō/ungyō)
Tor·wächter treten stets paar·weise auf. In ihrer Dar·stellung gibt es immer einen kleinen, aber signifi·kanten Unter·schied: Einer hat den Mund geöffnet, der andere geschlossen. Der eine spricht nämlich gerade das Mantra „A“ aus, die erste Silbe des Sanskrit-Alphabets, der andere das Mantra „HUM“ (jap. un, bzw. n), die letzte Silbe. Zu·sammen ergeben die beiden
Der Begriff „mantra“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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a[h]um ("alpha und omega"), Anfang und Ende, die Ge·samt·heit aller Dinge. Die beiden niō werden daher auch als a-gyō [A-gyō (jap.) 阿形 Bez. für einen Typ von Wächtergottheit (niō) mit geöffnetem Mund; wtl. „A-Form“ (Figur, die ein „A“ ausspricht); Gegenstück von UN-gyō; im Fall von menschlichen Figuren zumeist mit einer aufbrausenden Geste (mudra) verbunden.] (A-Form) und un-gyō [UN-gyō (jap.) 吽形 wtl. „HUM-Form“; Figur, die das Sanskritzeichen „HUM“, jap. un, ausspricht, und daher mit geschlossenem Mund dargestellt wird; Gegenstück von A-gyō (offener Mund); im Fall von menschlichen Figuren zumeist mit einer beruhigenden Geste (mudra) verbunden; s.a. niō] (HUM-Form) bezeichnet.
Die Vier Himmelskönige
Die Gruppe der Vier Himmels·könige (Shi-Tennō [Shi-Tennō (jap.) 四天王 wtl. Vier Himmelskönige, die aber eher als Himmelswächter auftreten und jeweils eine Himmelsrichtung beschützen; angeführt von Bishamon-ten, dem Wächter des Nordens; der Ausdruck wird auch für diverse Gruppen von vier Kriegern angewendet]) reprä·sentiert die Himmels·richtungen und bietet sich daher als Schutz vor Geistern aus allen Rich·tungen an. Dieser Aspekt wird in vielen Skulp·turen deutlich, wo die Shitennō auf zu·sammen·getreten Dämonen stehen. Anführer der Himmels·könige ist Bishamon-ten [Bishamon-ten (jap.) 毘沙門天 Himmelswächter des Nordens, Glücksgott; abgeleitet von einem indischen Gott des Reichtums, Vaishravana], alias Tamon-ten [Tamon-ten (jap.) 多聞天 Synonym von Bishamon-ten, Himmelswächter des Nordens (skt. Vaishravana)] („der Alles Hörende“), der Hüter des Nordens. Er wird auch un·ab·hängig von den anderen Königen als Glücksgott verehrt. Die weiteren Himmelskönige sind Kōmoku-ten [Kōmoku-ten (jap.) 広目天 Wächter des Westens der Shi-Tennō, wtl. „Der, der alles sieht“; skt. Virūpākṣa], Zōjō-ten [Zōjō-ten (jap.) 増長天 Wächter des Südens der Shi-Tennō,wtl. „der Wachstumsmehrer“; skt. Virūdhaka] und Jikoku-ten [Jikoku-ten (jap.) 持国天 Der Hüter des Ostens der Shi-Tennō, wtl. „der, der das Reich aufrecht erhält“; skt. Dhritarashtra].
Die Bezeich·nung „Himmelskönig“ wird wie der japanische Tennō aus·ge·sprochen, aber mit anderen Zeichen ge·schrieben. In ganz Japan gibt es Tempel, Shitennō-ji oder Tennō-ji, in denen sie als Gruppe ver·ehrt werden. Auch der erste staatliche Tempel Japans, der Shitennō-ji [Shitennō-ji (jap.) 四天王寺 buddh. Tempel im heutigen Ōsaka; zählt zusammen mit dem Asuka-dera zu den beiden ältesten Tempeln Japans (Gründung 593)] in Ōsaka (Gründung 593) war ihnen geweiht.
Obwohl die Vier Himmels·könige auf indische Devas zurück·gehen, ist ihre ikono·graphische Dar·stel·lung stark von China geprägt. Sie tragen chinesische Rüstungen und ihre Haut hat bisweilen die chine·sische Symbol·farbe ihrer jeweiligen Richtung: Osten — grün, Süden — rot, Westen — weiß, Norden — schwarz.
Nara-Zeit, 8. Jh. Bildquelle: unbekannt.
Nara-Zeit, 8. Jh. Bildquelle: unbekannt.
Nara-Zeit, 8. Jh. Bildquelle: unbekannt.
Nara-Zeit, 8. Jh. Bildquelle: unbekannt.
Kamakura-Zeit. Bildquelle: unbekannt.
Kamakura-Zeit. Bildquelle: unbekannt.
Kamakura-Zeit. Bildquelle: unbekannt.
Kamakura-Zeit. Bildquelle: unbekannt.
Der Vergleich zwischen dem tradi·tionellen Hand·buch für buddhis·tische Künstler und einem Set von tatsächlich ausge·führten Statuen zeigt, dass die grund·sätzliche Erschei·nungs·form der Vier Könige — wie bei anderen buddhis·tischen Statuen auch — schon lange weit·gehend standardi·siert ist. Aller·dings sind hinsichtlich der Attri·bute Varianten möglich. Kōmoku-ten (links) kann beispiels·weise auch Pinsel und Papier·rolle in den Händen halten. Der wichtigste der vier, Bishamon-ten, verfügt auch hinsicht·lich seiner Darstellung über die meisten Varianten (siehe dazu die Sidepage Bishamon-ten).
Die Zwölf Generäle
Neben den Himmels·königen gibt es noch eine andere kriege·rische tenbu-Truppe, die Zwölf Gött·lichen Generäle (Jūni Shinshō [Jūni Shinshō (jap.) 十二神将 Die Zwölf Göttlichen Generäle]) des Yakushi Nyorai [Yakushi Nyorai (jap.) 薬師如来 Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru]. Ähnlich wie die Vier Könige stehen auch die Zwölf Generäle mit kosmo·logischen und astro·logischen Kate·gorien Verbin·dung. So wurde zum Beispiel jedem General eines der Zwölf Tierkreiszeichen zuge·ordnet. Auch in dieser Gruppe spielt Bishamon-ten die Rolle eines Anfüh·rers, allerdings unter einem weiteren seiner Bei·namen, Kubira Taishō.
Fūjin und Raijin
Statt der oben erwähnten niō können auch der Wind·gott (Fūjin [Fūjin (jap.) 風神 Windgott; auch Fū-ten; kann sowohl buddhistisch als auch shintōistisch verehrt werden]) und der Donner·gott (Raijin [Raijin (jap.) 雷神 Donnergott; auch Rai-ten]) am Ein·gang eines Tempels Wache stehen. Fūjin und Raijin werden auch als Fū-ten und Rai-ten be·zeich·net, was sie als Ab·kömm·linge der indi·schen Devas (tenbu) auszeichnet. Sie sind eng mit der Ver·ehrung des
„Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
Der Begriff „Bodhisattva“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Kannon [Kannon (jap.) 観音 auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt] verbunden. Als Wächter·ge·stalten findet man sie z.B. im Ein·gangs·tor des Sensō-ji [Sensō-ji (jap.) 浅草寺 bekannter Tempel in Tōkyō; auch: Asakusa-dera], des Kannon-Tempels in Asakusa, Tōkyō, das daher auch Kaminari-mon [Kaminari-mon (jap.) 雷門 Kaminari-mon, wtl. Donnertor; Haupttor des Sensō-ji in Tōkyō], Donner-Tor, ge·nannt wird. Auch in der Halle der tausend Tausend·armigen Kannon-Statuen in Kyōto (Sanjūsangen-dō [Sanjūsangen-dō (jap.) 三十三間堂 33 Klafter Halle; Kannon-Tempelhalle in Kyōto; offizieller buddhistischer Tempelname: Rengeō-in]) sind zwei sehr schöne Bei·spiele dieser beiden Götter zu finden. Das berühmteste Windgott/Donner·gott-Paar ist aber auf einem Wand·schirm des Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-zeitlichen Künstlers Ogata Kōrin (1658–1716) abgebildet. Hier sind die beiden Götter erstmals als Haupt·personen dargestellt.
Weitere tenbu-Gottheiten
Eine Sonder·stellung unter den Deva-Gott·heiten nimmt Enma-ten [Enma (jap.) 閻魔 skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen] (skt.
Gottheit der Unterwelt und des Todes (jap. Enma 閻魔)
Der Begriff „Yama“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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), der Oberste Richter der Unter·welt ein. Er be·herrscht einen dem chine·sischen Beamten·staat nach·empfun·denen Gerichts·hof, der nach dem Ableben eines Menschen über dessen nächste Wieder·geburt entscheidet. Auf ihn wird im Kapitel „Mythen“, Enma genauer eingegangen.
Daneben umfasst die Kategorie der Devas eine ganze Reihe weiblicher Gott·heiten, bei·spiels·weise Benzaiten [Benzaiten (jap.) 弁才天/弁財天 Glücksgöttin im Ensemble der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); Gottheit des Wassers, der Musik und der Beredsamkeit; skt. Sarasvati; auch: Benten]. Sie wirken auf modernen Statuen meist mild und betont weiblich, im japa·nischen Mittel·alter konnten aber auch sie — ähnlich wie ihre Vor·gänger·innen im indischen Buddhis·mus — höchst un·heim·liche und martialische Erschei·nungs·formen annehmen.
Viele Deva-Gott·heiten bekamen innerhalb des japa·nischen Pantheons eine Be·deu·tung zu·ge·sprochen, die weit über ihre Rolle im bud·dhis·tischen Kanon hin·aus·geht. Sie erfuhren Einzel·kulte, bekamen eigene Tempel und wurden schließ·lich soweit an die ein·heimi·schen Götter (kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]) an·ge·glichen, dass sie heute auch in Shintō-Schreinen ver·ehrt werden. Diesem Phänomen ist die folgende Seite der Glücksgötter gewidmet.
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
- Konzept
- Autor
- Impressum
- Glossare
- Fachbegriffe-Glossar
- Bilder-Glossar
- Künstler-Glossar
- Geo-Glossar
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- Literatur
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„Wächtergötter und andere gestrenge Herren.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001