Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer

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Ulrich GochLieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer

Der vorliegende Gastbeitrag des Japanologen und Historikers Ulrich Goch erschien ursprünglich als „Miniatur Nummer 7“ in der online Publikationsreihe Miniaturen der Fakultät für Ostasienwissenschaften, Sektion Geschichte Japans, Universität Bochum. Für Religion-in-Japan wurden mit freundlicher Genehmigung des Autors ein paar kleine Änderungen vorgenommen.

Ein glückverheißendes Omen der dritten Klasse

Hato hachiman.jpg
Schreintafel des Tsurugaoka Hachiman
Schreins in Kamakura.
Das erste Zeichen hachi („acht“) hat die Form
von zwei Tauben, den Botentieren des Hachiman.

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Die weiße Taube war nach den Regularien der kaiser·lichen Hof·regie·rung (

Engishiki 延喜式 (jap.)

„Bestimmungen der Engi Ära“; Gesetzeswerk mit zahlreichen religionspol. Bestimmungen, v.a. zum Schreinzeremoniell, aus dem 10. Jh.

Text

Der Begriff „Engishiki“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) der Heian-Zeit (Ende 8. bis Ende 12. Jh.) ein glück·ver·heißen·des Omen der dritten Klasse.1 Eine Be·grün·dung, warum die weiße Taube ein glück·ver·heißen·des Omen dar·stelle, wurde im Engi shiki nicht gegeben, ebenso bleibt ihre Ein·ordnung in glück·ver·heißende Omina der dritten Kate·gorie unkom·men·tiert. Die weiße Taube steht auch nicht allein da, sie steht inner·halb der dritten Kate·gorie an erster Stelle einer ganzen Reihe weiterer Tiere, Pflanzen und natür·licher Er·schei·nungen. Das kaiser·liche Annalen·werk

Shoku Nihongi 続日本紀 (jap.)

2. offizielle Reichschronik (797), Nachfolger des Nihon shoki (Nihongi), daher der Name „Fortsetzung des Nihongi

Text

Der Begriff „Shoku Nihongi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Bilder

  • Goryo hirotsugu.jpg
meldet für den 9. Tag des 3. Monats des 3. Regie·rungs·jahres des Kaisers Monmu (14. April 699), daß dem Kaiser eine weiße Taube von der Provinz Kawachi präsen·tiert wurde. Durch kaiser·lichen Erlaß wurden der Familie, aus welcher der Mann stammte, der die weiße Taube gefangen hatte, für die Dauer von drei Jahren die Land·steuern und Fronen erlassen, der Heim·distrikt dieser Familie für die Dauer von einem Jahr von diesen Lasten frei·gestellt. Zusätzlich wurden Sträflinge aus Kawachi und den umlie·genden Provinzen begnadigt, die zu Zwangs·arbeit bis zu zwei·ein·halb Jahren ver·urteilt waren.2 Die hier erwähnte weiße Taube war in der Tat ein Glücks·bringer gewesen, vor allem für den Finder und seine Heimat·ge·meinde. Es gibt weitere Mel·dungen darüber, daß dem Hof weiße Tauben prä·sentiert wurden, doch enthalten sie keine detail·lierten Angaben über Belohnungen.

Botentiere des Hachiman

Bekannt waren die Tauben am

Hachiman 八幡 (jap.)

Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen

Der Begriff „Hachiman“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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Bilder

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Schrein von

Iwashimizu Hachiman-gū 石清水八幡宮 (jap.)

Iwashimizu Hachiman Schrein (bei Kyōto), einer der Hauptschreine der Gottheit Hachiman

Schrein

Der Begriff „Iwashimizu Hachiman-gū“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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Geographische Lage

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Geographische Lage von Iwashimizu Hachiman-gū; s.a. Geo-Glossar
nahe Kyōto. Im Ōkagami erscheinen die Wild·tauben des Hachiman-Schreins anläßlich der Frei·lassung von Lebe·wesen als Glücks·boten, welche die Gottheit sendet.3 
Hachiman 八幡 (jap.)

Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen

Der Begriff „Hachiman“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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wurde aber seit der

Heian 平安 (jap.)

auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)

Ort, Epoche

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Geographische Lage

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Geographische Lage von Heian; s.a. Geo-Glossar

-Zeit als der vergött·lichte Geist des legen·dären Kaisers

Ōjin Tennō 応神天皇 (jap.)

auch Homuda Wake 誉田別; mytholog. Herrscher, offiziell der 15. Tennō; trad. Lebensdaten: 200–310, r. 270–310

Fiktive Person

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  • Usa hachiman hongu.jpg

verehrt. Mit ihm zusammen wurden seine Mutter Jingū und seine Gattin Hime Ōkami verehrt und zuweilen als Hachiman zusam·men·gefaßt. Wegen der mili·tärischen Erfolge, die seine Mutter und er er·rungen haben sollen, ent·wickelte sich Hachiman zu einer Kriegs·gott·heit, zu einer beson·deren Schutz·gott·heit der Krieger. Da sich Hachiman nach einem Orakel·spruch auch für die Er·richtung der großen Buddha-Statue in

Nara 奈良 (jap.)

Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō

Ort, Geschichte

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Geographische Lage

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Geographische Lage von Nara; s.a. Geo-Glossar

ein·ge·setzt haben sollte, wurde ihm zusätz·lich die buddhis·tische Ver·ehrung als Großer

Bodhisattva बोधिसत्त्व (skt., m.)

„Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)

Buddha

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zuteil.
Tauben ema.jpg
Votivbild eines Hachiman Schreins, 1859
Tauben (hato) als Tierbegleiter der Gottheit Hachiman, hier auf einem ema dargestellt.
1859. Naraha no ema, Universität Fukushima.

Die Tauben am Hachiman-Schrein wurden von den Kriegern als Boten des Hachiman ange·sehen, welche Glück im Krieg ankündigten. Schon im Mutsu waki erscheint jeweils eine Taube über dem Heer des Minamoto Yoriyoshi (998–1076), nach·dem die drei Gott·hei·ten vom Hachiman-Schrein beschwo·ren worden waren, und wird ehr·er·bietig vom Heer·führer und seinen Kriegern begrüßt.4

Im

Heike monogatari 平家物語 (jap.)

„Geschichte der Heike [= Taira]“; mittelalterliches Kriegerepos

Text

Der Begriff „Heike monogatari“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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können wir lesen, wie Minamoto Yoshinaka (1154–84), nachdem er un·ver·mutet auf einen Schrein stieß, der dem Hachiman geweiht war, den bud·dhis·tischen Mönch Kakumei ein Bittgebet an Hachiman in seiner drei·fachen Gestalt schreiben ließ. Hierin bat Yoshinaka um den Sieg über die Taira und um ein Zeichen für die Erhörung seines Gebetes. Darauf·hin stießen drei Wild·tauben aus den Wolken und flatterten über die weißen Fahnen der Minamoto.5

Mit Minamoto Yoritomo (1147–1199), dem ersten der Shogune, sind eine ganze Reihe von Tauben·nach·richten und -legenden verbunden. Hōjō Masako (1157–1225), die sich mit List einen Platz an der Seite Yoritomos erkämpft haben soll, träumte von einer weißen Taube, die ein goldenes Behältnis im Schnabel trug, in dem sich ein Brief des Yoritomo befand. Diese Taube sollte wohl eher als Bote des Kriegs·gottes denn als Brief·taube angesehen werden. Yoritomo selber träumte, drei Wild·tauben seien vom Himmel herabgeflogen, hätten ein Nest in seinen Haaren gebaut und Küken aufgezogen. Dies soll er als ein Zeichen dafür ange·sehen haben, daß er unter dem beson·deren Schutz des großen Bodhi·sattva Hachiman stünde.6

Weiter will es die Legende, daß nach der unglücklich verlaufenen Schlacht bei Ishi·bashi·yama sich Yoritomo in einen hohlen Baum flüchtete und sein getreuer Gefolgs·mann Kumagai Naozane (1141–1208) ihn unter Efeu·zweigen verbarg. Die Verfolger der gegne·rischen Taira wären zwar zu dem Baum gelangt, dann aber weiter·gezogen, als aus dem Baum drei Tauben auf·ge·flogen seien; denn sie hätten sich nicht vorstellen können, daß sich da ein Mensch verborgen hätte. Daraufhin habe Yoritomo unter Anspielung auf diese Rettung dem Naozane das Wappen „Tauben und Mistel“ verliehen.7 Historisch korrekt dürfte die Meldung des Azuma kagami für den 8. Tag des 7. Monats des 5. Jahres Bunji (18.9.1189) sein, in dem berichtet wird, daß auf die Fahne des Yoritomo, die er beim Feldzug gegen Fujiwara Yasuhira (1155–89) mit sich führte, unter den Schriftzügen „

Ise Jingū 伊勢神宮 (jap.)

kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū

Schrein

Der Begriff „Ise Jingū“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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Bilder

  • Ise enface.jpg
  • Naiku dach.jpg
  • Ise2013.jpg
  • Shikinensengu.jpg

Geographische Lage

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Geographische Lage von Ise Jingū; s.a. Geo-Glossar

“ (Große Ahnen·gott·heit des Kaiser·hauses) und „Hachiman Daibosatsu“ (Großer Hachiman Bodhisattva), das Wappen „Zwei gegen·ein·ander gewandte Tauben“ eingenäht gewesen sei. Vorlage:Galerie1 „Der Regen hörte auf, der Nebel lichtete sich“, heißt es sehr stim·mungs·voll im Hōki no maki, „und irgend·woher kamen sieben, acht glück·ver·heißende Tauben her·bei·ge·flogen, kreisten über dem Feldlager des (Nawa) Motonaga und flogen dann weiter in Richtung des Kaiser·palas·tes.“8 Daß die Tauben hier in Richtung Kaiser·palast weiter·fliegen, soll auch Kriegs·glück für Kaiser Go Daigo (1288–1339) ankün·digen.

Takeda Shingen

Die folgende Taubenanekdote von

Takeda Shingen 武田信玄 (jap.)

1521–1573; Feudalfürst und Kriegsherr

Der Begriff „Takeda Shingen“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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Bilder

  • Takeda shingen.jpg
  • Tanuki takeda kuniyoshi.jpg
(1521–73) charakterisiert sehr schön den Typ des „modernen“ Feudal·fürs·ten in der Zeit der kämp·fen·den Reiche von der zweiten Hälfte des fünf·zehn·ten bis zur zweiten Hälfte des sech·zehn·ten Jahr·hunderts.

Als Takeda Shingen mit seinem Heer nach Shinano aufbrach, kam eine Taube auf einen Baum im Park geflogen. Als seine Soldaten das sahen, zeigten sie sich frohen Mutes. Als Shingen nach dem Grund ihrer Stimmung fragte, ant·wor·teten sie: „Von den bisherigen Fällen her gesehen hat noch jedes Heer, bei dessen (Aufbruch) eine Taube auf einen Baum geflogen kam, einen großen Sieg erringen können. Weil es sich um ein glück·liches Vor·zeichen handelt, sind wir alle guten Mutes.“ Shingen konnte sich dies nicht anhören. Er griff zur Vogel·flinte, schoß mit eigener Hand die Taube herunter und rückte mit dem Heer aus. Dies, so hieß es, sei aus weiser Vorsicht geschehen, damit es nicht, wenn hernach bei einem Abmarsch keine Taube käme, seinen Leuten an Mut gebrechen könnte. 9

Takeda Shingen erscheint hier nicht nur als Aufklärer gegen Aberglauben. Im Herunter·schießen der Taube zeigt sich nicht nur seine Qualität als Schütze, sondern es wird eine Metapher berufen, nämlich die der großen Macht, die der besitzt, der Vögel im Flug abstürzen lassen oder ab·schießen kann. Im Heiji monogatari erscheint diese Metapher auf den politisch mächtigen Fujiwara Michinori (1106–60) angewandt, wo es heißt, daß durch seine Macht gezwungen „sowohl Vögel im Flug zu Boden kamen als auch Gräser und Bäume sich beugten.“10 Noch im Uchū no kansu der Edo-Zeit wird auf Tanuma Okitsugu (1719–88) angespielt als dem „Tanuma-Haus, das die Vögel im Flug he·runter·brachte.“ 11

Takeda shingen.jpg
Takeda Shingen
Portait des Takeda Shingen (1521–1573) mit Falken als Emblem der unter Samurai beliebten Falkenjagd; Shingen war ein berühmter Kriegsherr der sengoku-Zeit
Bildquelle: unbekannt.

Diese Metapher galt nicht nur für die Macht von Politikern oder Herrschern. Der Mönch Mongaku wird im Heike monogatari als ein Mensch mit magischen Fähig·kei·ten be·schrie·ben, „der Vögel im Flug he·run·ter·beten konnte.“ 12 Eine ähnliche Metapher führte mir ein Freund in der deutschen Literatur vor. In seinem Sommer·meteor läßt Arno Schmidt die Erzähl·künste eines gewissen Herrn mit den Worten bewundern: „Oh. Geschichten weiß der Herr Rat: der könnte die Vögel von den Bäumen locken.“13

Quellenverweise

  1. Engi shiki: 528
  2. S. Snellen 1934: 178
  3. Ōkagami: 267; McCullough 1980: 228
  4. Mutsu waki: 27a, 31a; McCullough 1964/65: 194, 200
  5. Heike monogatari 2: 71–72; McCullough 1998: 228–230
  6. S. Soga monogatari: 114, 118; Cogan 1987: 55, 57–58
  7. S. Ströhl 1906: 41
  8. Hōki no maki: 221b
  9. Okinagusa: 404–405
  10. Goch 1989: 114–15
  11. Uchū no kansu: 297a
  12. Heike monogatari 1: 356; McCullough 1988: 179
  13. Schmidt 1980: 115
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Muster auf dem Gewand (happi) der Helfer beim Schreinfest. Hier formen zwei Tauben das Zeichen für acht (八 hachi), was wiederum für Hachiman steht.
Zwei Tauben formen eine Acht // Gewand; Fukagawa Hachiman, Tōkyō // Bild © Philbert Ono, Fukugawa Hachiman Matsuri 2005 (letzter Zugriff: 2016/8) // Muster auf dem Gewand (happi) der Helfer beim Schreinfest. Hier formen zwei Tauben (hato) das Zeichen für acht (八hachi), was wiederum für Hachiman steht.

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Ulrich Goch, „Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001