Shaka Nyorai: Der historische Buddha
Der Begründer der buddhistischen Lehre, lebte etwa im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in Nord-Indien, wo er als Prinz eines der damals zahlreichen Königreiche zur Welt kam. Nach buddhistischer Auffassung war er ein Buddha [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)], also ein „Erleuchteter“, weshalb er auch als „der Buddha“ bzw. genauer als der „historische Buddha“ bezeichnet wird. (Nach buddhistischer Auffassung existierten Buddhas nämlich schon in grauer Vorzeit, und auch die Zukunft wird weitere Buddhas hervorbringen.) In Japan wird dieser historische Buddha als Shaka Nyorai [Shaka Nyorai (jap.) 釈迦如来 jap. Name des historischen Buddha, Shakyamuni] verehrt. Shaka [Shaka (jap.) 釈迦 Buddha Shakyamuni, der historische Buddha; auch Shaka Nyorai] ist die Kurzform seines Sanskritnamens Shakyamuni [Śākyamuni (skt.) शाक्यमुनि „Der Weise des Shakya-Klans“, buddhistischer Name des historischen Buddha (Gautama Siddhartha) (jap. Shaka 釈迦 oder Shakamuni 釈迦牟尼)] („Der Weise des Shakya-Hauses“), nyorai [nyorai (jap.) 如来 Buddha-Titel; skt. tathagata] (skt. tathagata [tathāgata (skt.) तथागत „Der so Gekommene“, Ehrentitel eines Buddhas (jap. nyorai 如来)]) ist ein Buddhatitel (s. dazu Ordnungssysteme im buddhistischen Pantheon).
Leben
Laut der buddhistischen Überlieferung wuchs Shakyamuni in unbeschwertem Luxus auf, wies aber alle adeligen Privilegien und allen Besitz von sich, nachdem er als junger Mann erstmals mit den Leiden der Menschheit (Alter, Krankheit und Tod) konfrontiert wurde, und suchte zunächst sein Heil in strenger Askese. Sein Ziel war dabei, sich vom „Verhaftetsein“ an das Diesseits (Samsara [Saṃsāra (skt.) संसार „Beständiger Fluss“, Kreislauf der Wiedergeburten, Diesseits (jap. Rinne 輪廻)]) zu lösen. Später sah er aber auch in der Askese eine Art des Verhaftetsein und strebte nach dem „Mittleren Weg“ zwischen Verzicht und Begehren, um sich möglichst nicht in irdischen Leidenschaften zu verstricken. Daraufhin erfuhr er die Erleuchtung und zog fortan als Buddha mit einer Schar von Jüngern predigend durch den Norden Indiens. Im 80. Lebensjahr verschied der Buddha und trat dabei direkt ins Nirvana [Nirvāṇa (skt.) निर्वाण „Erloschen, ausgelöscht“, Ort der Erlösung von allem Leid, absolutes Jenseits (jap. Nehan 涅槃)] ein.
Gängige Sujets der Shaka-Darstellung
In der Frühzeit des japanischen Buddhismus wurde Buddha Shakyamuni häufig dargestellt (vgl. die berühmte Shaka Triade, Shaka sanzon [Shaka sanzon (jap.) 釈迦三尊 Dreiergruppe bestehend aus Buddha Śākyamuni (jap. Shaka Nyorai), flankiert von zwei Begleitern (meist etwas kleiner dargestellte Bodhisattvas)], des Hōryū-ji [Hōryū-ji (jap.) 法隆寺 Tempel in Ikaruga bei Nara, gegr. 607; wtl. „Tempel des prosperierenden [Buddha]-Gesetzes“]), doch schon in der Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō]-Zeit wurde er von den bereits genannten Nyorais, Amida [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)] und Dainichi [Dainichi (jap.) 大日 Buddha Vairocana, der „kosmische Buddha“; wtl. „Großes Licht“ oder „Große Sonne“], aber auch von Yakushi Nyorai [Yakushi Nyorai (jap.) 薬師如来 Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru], dem „Heilenden Buddha“, an Bedeutung überflügelt. Dank der anhaltenden Bedeutung des Lotos Sutra [sūtra (skt.) सूत्र „Faden“, Lehrrede des Buddha, kanonische Schrift (jap. kyō 経 oder kyōten 経典)], in dem Buddha Shakyamuni die zentrale Rolle zukommt, blieb er vor allem für die Tendai [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai]- und Nichiren [Nichiren-shū (jap.) 日蓮宗 Nichiren Schule; Sammelnamen für Schulen in der Tradition Nichirens, aber auch Namen einer bestimmten Schule innerhalb des heutigen Nichiren Buddhismus; nicht zu verwechseln mit der 1912 gegr. Nichiren Shōshū]-Schulen dennoch wichtig.
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: Wakasa Haikai, (Blog) [Scan aus Nara no furudera to butsuzō, Mitsui Memorial Museum, 2010], über Internet Archive.
Späte Heian-Zeit, 12. Jh. Museum of Fine Arts, Boston (Denman Waldo Ross Collection).
Shaka Nyorai ist auf Statuen meist mit erhobener rechter Hand (Mudrā [mudrā (skt.) मुद्रा „Siegel“, Gebetsgeste (jap. inzō 印相)] mit der Bedeutung „Fürchtet Euch nicht“, semui-in [semui-in (jap.) 施無畏印 Mudra der Furchtlosigkeit]) und herabhängender linker Hand mit nach außen gerichteter Handfläche (Mudrā der „Schwurerfüllung“, segan-in [segan-in (jap.) 施願印 Mudra der Schwurerfüllung]) abgebildet. Als solcher wehrt er Gefahren ab und erfüllt die Bitten der Gläubigen. Die Mudrā des Raddrehens ist in Japan an Shaka-Statuen kaum zu sehen, obwohl es in symbolischem Bezug zu seiner ersten Predigt (=In Gang setzen des Rades des buddhistischen Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. hō 法)]) steht. Aber auch die Kombination Semui-in/segan-in passt zum Akt des Predigens.
Nara-Zeit, 8. Jh. Bildquelle: Foundation J.-E. Berger.
Eine interessante Figur, die bei anderen Nyorais nicht vorkommt, ist die Darstellung Shakyamunis bei seiner Geburt. Der Legende zufolge soll er ja gleich nach der Entbindung sieben Schritte getan und dann verkündet haben, dass er der Herr der Welt sei und dies seine letzte Wiedergeburt.
Ein zentrales Motiv von bildlichen Darstellungen des Shaka Nyorai ist sein Ableben, beziehungsweise der Eintritt des historischen Buddha ins Nirvana. Er wird dabei in entspannter, liegender Stellung im Kreise seiner Schüler und zahlreicher himmlischer Wesen gezeigt. Die entspannte Haltung und die friedlichen Gesichtszüge beim Eintritt des Todes waren und sind für japanische Buddhisten ein wichtiger Indikator, ob der Verstorbene Eingang ins Nirvana, bzw. ins Paradies (gokuraku [gokuraku (jap.) 極楽 wtl. höchstes Glück; Paradies; identisch mit dem Reinen Land (jōdo)]) gefunden hat oder nicht. Auch in den Biographien bedeutender Mönche wird dieser Aspekt stets berücksichtigt. Buddha Shakyamuni soll sich übrigens zum Sterben mit dem Kopf nach Norden niedergelegt haben, daher werden in Japan noch heute die Verstorbenen auf diese Weise aufgebahrt (Bestattung).
Heian-Zeit, 1086. Kongōbu-ji „Butsu nehanzu“. Kokuhō no bi (National treasures of Japan) #20 (2010), S. 4–5.
Mitunter gibt es auch Darstellungen des zum Skelett abgemagerten Shakyamuni während seiner asketischen Übungen (obwohl er diesen Weg ja später widerrufen hat).
In der buddhistischen Ikonographie entstand im Lauf der Jahrhunderte ein präziser Formenkanon, was das Aussehen eines Buddha betraf. Demzufolge hatte der historische Buddha ebenso wie alle Buddhas vor und nach ihm sein ganzes Leben das Aussehen eines jungen Mannes, der die 32 Merkmale eines Buddha besaß. Nach manchen Sutren soll er zudem körperlich weit größer als gewöhnliche Sterbliche gewesen sein. Die überdimensionalen Darstellungen von Buddhas (daibutsu [daibutsu (jap.) 大仏 wtl. „Großer Buddha“; monumentale Buddha-Statue]) sind daher nicht als symbolischer Ausdruck seiner Größe sondern als (im Bewusstsein des Künstlers) realistische Abbildungen anzusehen.
Verweise
Verwandte Themen
Bilder
- ^ Eine Skulptur des Shaka Nyorai (skt. Shakyamuni) im Lotos-Sitz mit der für ihn typischen mudra „Fürchtet euch nicht“ — semui-in, segan-in. Die Statue zählt zu den „Nationalschätzen“ und befindet sich im alten Shingon-shū Tempel Murō-ji bei Nara.
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: Wakasa Haikai, (Blog) [Scan aus Nara no furudera to butsuzō, Mitsui Memorial Museum, 2010], über Internet Archive. - ^ Der historische Buddha Shaka Nyorai (skt. Shakyamuni) mit der für ihn typischen mudra „Fürchtet euch nicht“ — semui-in, segan-in.
Späte Heian-Zeit, 12. Jh. Museum of Fine Arts, Boston (Denman Waldo Ross Collection).
- ^ Diese Statue des Buddha Shaka Nyorai (skt. Shakyamuni) fungiert in einem Ritual, das zu Ehren von Buddhas Geburt traditionellerweise am achten Tag des Vierten Monats abgehalten wird. Dem Nihon shoki zufolge fand ein derartige Zeremonie in Japan erstmals im Jahr 606 statt.
Nara-Zeit, 8. Jh. Bildquelle: Foundation J.-E. Berger. - ^ Standardisierte Darstellung vom Ableben des hist. Buddha (skt. Shakyamuni): Umgeben von Bodhisattvas, Schülern, Gottheiten und Tieren haucht der Buddha in einem Hain von Shala-Bäumen sein irdisches Leben aus, um ins Nirvana einzutreten. Traditionellen Vorstellungen gemäß überragt er alle anderen an Körpergröße, hat auch im Alter von achtzig Jahren ein ewig jugendliches Aussehen und eine goldene Haut.
Darstellungen dieser Art wurden für buddhistische Feiern zu Buddhas Todestag (15. 2.) angefertigt. Das vorliegende Bild ist das älteste und berühmteste Beispiel dieses Genres in Japan.
Heian-Zeit, 1086. Kongōbu-ji „Butsu nehanzu“. Kokuhō no bi (National treasures of Japan) #20 (2010), S. 4–5.
Glossar
- Nichiren-shū 日蓮宗 ^ Nichiren Schule; Sammelnamen für Schulen in der Tradition Nichirens, aber auch Namen einer bestimmten Schule innerhalb des heutigen Nichiren Buddhismus; nicht zu verwechseln mit der 1912 gegr. Nichiren Shōshū
- Shaka sanzon 釈迦三尊 ^ Dreiergruppe bestehend aus Buddha Śākyamuni (jap. Shaka Nyorai), flankiert von zwei Begleitern (meist etwas kleiner dargestellte Bodhisattvas)
- Śākyamuni (skt.) शाक्यमुनि ^ „Der Weise des Shakya-Klans“, buddhistischer Name des historischen Buddha (Gautama Siddhartha) (jap. Shaka 釈迦 oder Shakamuni 釈迦牟尼)
- Yakushi Nyorai 薬師如来 ^ Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru
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„Shaka Nyorai: Der historische Buddha.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001