Essays/Tauben
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Lieber das Herz in der Hand
als die Taube über dem Heer
Der vorliegende Gastbeitrag des Japanologen und Historikers Ulrich Goch erschien ursprünglich als „Miniatur Nummer 7“ in der online Publikationsreihe Miniaturen der Fakultät für Ostasienwissenschaften, Sektion Geschichte Japans, Universität Bochum. Für Religion-in-Japan wurden mit freundlicher Genehmigung des Autors ein paar kleine Änderungen vorgenommen.
Ein glückverheißendes Omen der dritten Klasse
Schreins in Kamakura.
Das erste Zeichen hachi („acht“) hat die Form
von zwei Tauben, den Botentieren des Hachiman.
Die weiße Taube war nach den Regularien der kaiserlichen Hofregierung der
auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
Der Begriff „Heian“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Geographische Lage
-Zeit (Ende 8. bis Ende 12. Jh.) ein glückverheißendes Omen der dritten Klasse (
„Bestimmungen der Engi Ära“; Gesetzeswerk mit zahlreichen religionspol. Bestimmungen, v.a. zum Schreinzeremoniell, aus dem 10. Jh.
Der Begriff „Engishiki“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
- 528). Eine Begründung, warum die weiße Taube ein glückverheißendes Omen darstelle, wurde im Engi shiki nicht gegeben, ebenso bleibt ihre Einordnung in glückverheißende Omina der dritten Kategorie unkommentiert. Die weiße Taube steht auch nicht allein da, sie steht innerhalb der dritten Kategorie an erster Stelle einer ganzen Reihe weiterer Tiere, Pflanzen und natürlicher Erscheinungen. Das kaiserliche Annalenwerk Shoku Nihongi meldet für den 9. Tag des 3. Monats des 3. Regierungsjahres des Kaisers Monmu (14. April 699), daß dem Kaiser eine weiße Taube von der Provinz Kawachi präsentiert wurde. Durch kaiserlichen Erlaß wurden der Familie, aus welcher der Mann stammte, der die weiße Taube gefangen hatte, für die Dauer von drei Jahren die Landsteuern und Fronen erlassen, der Heimdistrikt dieser Familie für die Dauer von einem Jahr von diesen Lasten freigestellt. Zusätzlich wurden Sträflinge aus Kawachi und den umliegenden Provinzen begnadigt, die zu Zwangsarbeit bis zu zweieinhalb Jahren verurteilt waren (s. Snellen 1934: 178). Die hier erwähnte weiße Taube war in der Tat ein Glücksbringer gewesen, vor allem für den Finder und seine Heimatgemeinde. Es gibt weitere Meldungen darüber, daß dem Hof weiße Tauben präsentiert wurden, doch enthalten sie keine detaillierten Angaben über Belohnungen.
Botentiere des Hachiman
Bekannt waren die Tauben am
Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen
Der Begriff „Hachiman“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Schrein von
Iwashimizu Hachiman Schrein (bei Kyōto), einer der Hauptschreine der Gottheit Hachiman
Der Begriff „Iwashimizu Hachiman-gū“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Geographische Lage
nahe Kyōto. Im Ōkagami erscheinen die Wildtauben des Hachiman-Schreins anläßlich der Freilassung von Lebewesen als Glücksboten, welche die Gottheit sendet (Ōkagami: 267; McCullough 1980: 228).
Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen
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wurde aber seit der
auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
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-Zeit als der vergöttlichte Geist des legendären Kaisers Ōjin verehrt. Mit ihm zusammen wurden seine Mutter Jingū und seine Gattin Hime ōkami verehrt und zuweilen als Hachiman zusammengefaßt. Wegen der militärischen Erfolge, die seine Mutter und er errungen haben sollen, entwickelte sich Hachiman zu einer Kriegsgottheit, zu einer besonderen Schutzgottheit der Krieger. Da sich Hachiman nach einem Orakelspruch auch für die Errichtung der großen Buddha-Statue in
Der Begriff „Nara“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Geographische Lage
eingesetzt haben sollte, wurde ihm zusätzlich die buddhistische Verehrung als Großer Bodhisattva zuteil.
Die Tauben am Hachiman-Schrein wurden von den Kriegern als Boten des Hachiman angesehen, welche Glück im Krieg ankündigten. Schon im Mutsu waki erscheint jeweils eine Taube über dem Heer des Minamoto Yoriyoshi (998-1076), nachdem die drei Gottheiten vom Hachiman-Schrein beschworen worden waren, und wird ehrerbietig vom Heerführer und seinen Kriegern begrüßt (Mutsu waki: 27a, 31a; McCullough 1964/65: 194, 200).
Im
Der Begriff „Heike monogatari“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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können wir lesen, wie Minamoto Yoshinaka (1154–84), nachdem er unvermutet auf einen Schrein stieß, der dem Hachiman geweiht war, den buddhistischen Mönch Kakumei ein Bittgebet an Hachiman in seiner dreifachen Gestalt schreiben ließ. Hierin bat Yoshinaka um den Sieg über die Taira und um ein Zeichen für die Erhörung seines Gebetes. Daraufhin stießen drei Wildtauben aus den Wolken und flatterten über die weißen Fahnen der Minamoto (Heike monogatari 2: 71–72; McCullough 1998: 228-230)
Mit Minamoto Yoritomo (1147–1199), dem ersten der Schogune, sind eine ganze Reihe von Taubennachrichten und -legenden verbunden. Hōjō Masako (1157–1225), die sich mit List einen Platz an der Seite Yoritomos erkämpft haben soll, träumte von einer weißen Taube, die ein goldenes Behältnis im Schnabel trug, in dem sich ein Brief des Yoritomo befand. Diese Taube sollte wohl eher als Bote des Kriegsgottes denn als Brieftaube angesehen werden. Yoritomo selber träumte, drei Wildtauben seien vom Himmel herabgeflogen, hätten ein Nest in seinen Haaren gebaut und Küken aufgezogen. Dies soll er als ein Zeichen dafür angesehen haben, daß er unter dem besonderen Schutz des großen Bodhisattva Hachiman stünde (s. Soga monogatari: 114, 118; Cogan 1987: 55, 57–58).
Weiter will es die Legende, daß nach der unglücklich verlaufenen Schlacht bei Ishibashiyama sich Yoritomo in einen hohlen Baum flüchtete und sein getreuer Gefolgsmann Kumagai Naozane (1141–1208) ihn unter Efeuzweigen verbarg. Die Verfolger der gegnerischen Taira wären zwar zu dem Baum gelangt, dann aber weitergezogen, als aus dem Baum drei Tauben aufgeflogen seien; denn sie hätten sich nicht vorstellen können, daß sich da ein Mensch verborgen hätte. Daraufhin habe Yoritomo unter Anspielung auf diese Rettung dem Naozane das Wappen „Tauben und Mistel“ verliehen ( s. Ströhl 1906: 41). Historisch korrekt dürfte die Meldung des Azuma kagami für den 8. Tag des 7. Monats des 5. Jahres Bunji (18.9.1189) sein, in dem berichtet wird, daß auf die Fahne des Yoritomo, die er beim Feldzug gegen Fujiwara Yasuhira (1155–89) mit sich führte, unter den Schriftzügen „Ise daijingū“ (Große Ahnengottheit des Kaiserhauses) und „Hachiman daibosatsu“ (Großer Hachiman Bodhisattva), das Wappen „Zwei gegeneinander gewandte Tauben“ eingenäht gewesen sei.
„Der Regen hörte auf, der Nebel lichtete sich“ , heißt es sehr stimmungsvoll im Hōki no maki, „und irgendwoher kamen sieben, acht glückverheißende Tauben herbeigeflogen, kreisten über dem Feldlager des (Nawa) Motonaga und flogen dann weiter in Richtung des Kaiserpalastes.“ (Hōki no maki: 221b) Daß die Tauben hier in Richtung Kaiserpalast weiterfliegen, soll auch Kriegsglück für Kaiser Go Daigo (1288-1339) ankündigen.
Takeda Shingen
Die folgende Taubenanekdote von
1521–1573; Feudalfürst und Kriegsherr
Der Begriff „Takeda Shingen“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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(1521–73) charakterisiert sehr schön den Typ des „modernen“ Feudalfürsten in der Zeit der kämpfenden Reiche von der zweiten Hälfte des fünfzehnten bis zur zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts.
Als Takeda Shingen mit seinem Heer nach Shinano aufbrach, kam eine Taube auf einen Baum im Park geflogen. Als seine Soldaten das sahen, zeigten sie sich frohen Mutes. Als Shingen nach dem Grund ihrer Stimmung fragte, antworteten sie: „Von den bisherigen Fällen her gesehen hat noch jedes Heer, bei dessen (Aufbruch) eine Taube auf einen Baum geflogen kam, einen großen Sieg erringen können. Weil es sich um ein glückliches Vorzeichen handelt, sind wir alle guten Mutes.“ Shingen konnte sich dies nicht anhören. Er griff zur Vogelflinte, schoß mit eigener Hand die Taube herunter und rückte mit dem Heer aus. Dies, so hieß es, sei aus weiser Vorsicht geschehen, damit es nicht, wenn hernach bei einem Abmarsch keine Taube käme, seinen Leuten an Mut gebrechen könnte.
Okinagusa: 404–405
Takeda Shingen erscheint hier nicht nur als Aufklärer gegen Aberglauben. Im Herunterschießen der Taube zeigt sich nicht nur seine Qualität als Schütze, sondern es wird eine Metapher berufen, nämlich die der großen Macht, die der besitzt, der Vögel im Flug abstürzen lassen oder abschießen kann. Im Heiji monogatari erscheint diese Metapher auf den politisch mächtigen Fujiwara Michinori (1106–60) angewandt, wo es heißt, daß durch seine Macht gezwungen „sowohl Vögel im Flug zu Boden kamen als auch Gräser und Bäume sich beugten.“ (Goch 1989: 114–15). Noch im Uchū no kansu der Edo-Zeit wird auf Tanuma Okitsugu (1719–88) angespielt als dem „Tanuma-Haus, das die Vögel im Flug herunterbrachte“ (Uchū no kansu: 297a).
Diese Metapher galt nicht nur für die Macht von Politikern oder Herrschern. Der Mönch Mongaku wird im Heike monogatari als ein Mensch mit magischen Fähigkeiten beschrieben, „der Vögel im Flug herunterbeten konnte“ (Heike monogatari 1: 356; McCullough 1988: 179). Eine ähnliche Metapher führte mir ein Freund in der deutschen Literatur vor. In seinem Sommermeteor läßt Arno Schmidt die Erzählkünste eines gewissen Herrn mit den Worten bewundern: „Oh. Geschichten weiß der Herr Rat: der könnte die Vögel von den Bäumen locken.“ (Schmidt 1980: 115).
Literatur
- Engi shiki, in: Shintei zōho Kokushi taikei 26, Yoshikawa kōbunkan 1965.
- Heike monogatari, 2 Bde., Nihon koten bungaku taikei 32-33, Iwanami shoten 1959-1960.
- Hōki no maki, in: Gunsho ruijū 20, Zoku Gunsho ruijū kankōkai Taiyōsha, 3.Auflage 1943: 208-231.
- Mutsu waki, in: Gunsho ruijū 20, Zoku Gunsho ruijū kankōkai Taiyōsha, 3. Auflage 1943: 22 32.
- Numata Raisuke 1928, Kōyō Nihon monshōgaku, Meiji shoin.
- Ōkagami, Nihon koten bungaku taikei 21, Iwanami shoten 1960.
- Okinagusa, in: Zoku Teikoku bunko: Kōtei Meika manpitsu shū, 3.Auflage, Hakubunkan 1912: 391-554.
- Soga monogatari, Nihon koten bungaku taikei 88, Iwanami shoten 1966.
- Uchū no kansu, in: Nihon shomin seikatsu shiryō shūsei 6, San'ichi shobō 1968: 271-340.
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- Jenseits
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- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
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- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
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- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
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Ulrich Goch, „Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001