Essays/Jindo und Shinto

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Shintō und jindōZur Debatte um den Begriffsinhalt des „Wegs der Kami“

Seit

Kuroda Toshio 黒田俊雄 (jap.)

1923–1993; Historiker und Religionswissenschaftler

Gelehrte Person

Der Begriff „Kuroda Toshio“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Kritik des Shinto Begriffs in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahr·hunderts wird dieser unter Religions·spezialisten vor·zugs·weise nur noch in An·führungs­zeichen gebraucht. Das drückt Vorsicht und einen Bedarf nach einer neuen Konzeption von Shinto aus, zumindest im akademischen Bereich. Versuche, tat·sächlich eine Neu·definition zu wagen, sind aller·dings spärlich. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung stellt die „jindō-These“ des Shinto-Spezialisten Mark Teeuwen dar. Teeuwen versucht dabei, die Ent·stehung des Begriffs

Shintō 神道 (jap.)

Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami

Schulrichtung

Der Begriff „Shintō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

historisch dort fest zu machen, wo er auch eine sprachliche Ver·schiebung, nämlich eine Änderung der Lesung von jindō zu shintō aus den Quellen her·aus·lesen zu können meint. Die Implikationen dieses Gedankens inklusive einiger Reaktionen seitens der Fach·welt und eigener Über·legungen sind das Thema dieses Vor·trags.1

Kurodas Shinto Kritik

Zunächst ganz kurz zu Kuroda: In seinem Artikel „Shinto in the history of Japanese religion“ aus dem Jahr 1981 2 fasst er vorher·gehende Unter·suchungen zum Begriff Shinto und seiner Verwendung (namentlich von

Tsuda Sōkichi 津田左右吉 (jap.)

1873–1961; jap. Historiker und Religionswissenschaftler, in der Kriegszeit wegen kritischer Geschichtsauffassung unter Berufsverbot, später rehabilitiert

Gelehrte Person

Der Begriff „Tsuda Sōkichi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) zusammen und zieht daraus den Schluss, dass es das Wort zwar tatsächlich schon seit dem Alter·tum gibt, dass es aber nicht die Be·deutung hatte, die man heute damit verknüpft, nämlich „japanische Religion“ oder gar „japanische Ur·religion“. Vielmehr sei der Aus·druck in erster Linie auf einzelne Gott·heiten bezogen und würde keine systematisierte eigenständige Religion bezeichnen. Auch sei er nicht oder nur mit Ein·schränk·ungen als Gegen·begriff zum Bud·dhis·mus zu sehen. Im Unterschied zu früheren Autoren 3

leitet Kuroda aus dieser Erkenntnis eine fundamentale Kritik an eben jener Vor·stellung einer eigen­ständigen, auf die japanischen

kami(jap.)

Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō

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aus·gerichteten Religion namens Shinto ab: Eine solche hätte es in historischer Zeit erst gegeben, als sie im Zuge der

Meiji 明治 (jap.)

posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt

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-Restauration und der gewaltsamen Trennung von Kami und Buddhas sozusagen von oben herab verordnet wurde.

Zugespitzt lässt sich Kurodas Shinto These so formulieren: Shinto ist, von einzelnen theologischen Spekulationen einmal abgesehen, eine Erfindung der Moderne. In den tausend Jahren davor waren Schrein·kulte in den japanischen Bud·dhis·mus eingebettet. Die gängige Darstellung einer ungebrochenen shintoistischen Traditions­linie oder die Vorstellung von Shinto als unbewusstes Stratum, das der japanischen Kultur zugrunde liegt, sind nach Kuroda nichts anderes als Projektionen der Ideologie des Staats·shinto in die Ver·gangen·heit.4

Angefangen von Allan Grapard haben zahlreiche westliche Japanologen Kurodas Dekonstuktion des Shinto-Begriffs zum Aus·gangs·punkt eigener Studien gemacht. Für viele, einschließlich meiner selbst, ergibt sich jedoch früher oder später die Frage, wieso die Kami überhaupt in der kollektiven Erinnerung Japans verblieben und wie es dazu kam, dass sie zum Objekt einer nicht-bud·dhis·tischen Religion wurden, wann auch immer diese entstand. Darüber hinaus gibt es im Feld des Shinto zumindest auf rituellem Gebiet offenbar doch einige erstaunlich alte und beständige Traditionen. Auch dieses beharrliche Bei·behalten nicht-bud·dhis·tischer ritueller Gebräuche kann Kurodas Kritik nicht befriedigend erklären. Doch vielleicht sind es gerade diese un·geklärten Punkte, die Kurodas radikale Kritik zum Katalysator zahl·reicher neuerer Forschungen – etwa Forschungen zur Genese jener theologischen Spekulationen, die den modernen Shinto vorbe­reiteten, oder zur Koexistenz von Kami- und Buddha-Kulten (

shinbutsu shūgō 神仏習合 (jap.)

Übereinstimmung von kami und Buddhas; shintō-buddhistischer Synkretismus

Konzept

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) – werden ließen. 5 Trotz einer neuen thematischen Ausrichtung auf solche Fragen blieb es in der westlichen Forschung allerdings bislang bei Einzelstudien.

Teeuwens jindō-These

Eine der wenigen Arbeiten, die Kurodas Ansatz systematisch aufnimmt und erweitert, ist Mark Teeuwens Aufsatz „From jindō to Shinto: A concept takes shape“ aus dem Jahr 2002. Ähnlich Kuroda widmet sich Teeuwen vor·wiegend der Begriffs·geschichte von Shinto, allerdings bereichert um neues Material seitens der jüngeren japanischen Forschung und ein theoretisches Instrumentarium, das vom deutschen Historiker Reinhart Koselleck (1923–2006) stammt. In seiner „Begriffs·geschichte“ des Shinto geht es Teeuwen darum:

…to lay bare the emergence of Shinto as a theological concept through an analysis of the semantic development of the term 神道 (jindō, shintō, kami no michi) in historical sources. 6

Mit Koselleck sieht Teeuwen einen ent·scheidenden Unter·schied zwischen bloßen „Worten“ und „Be·griffen“ (concepts in Teeuwens Übersetzung): Worte können klar definiert (bzw. auf konkrete Gegen·stände bezogen) werden, Begriffe lediglich inter·pretiert. Begriffe sind abstrakt und wandelbar, aber gerade deshalb auch geschichts­mächtig. Sie werden von ge·schicht·lichen Entwicklungen beeinflusst, haben aber auch umgekehrt die Fähigkeit, Entwicklungen zu beeinflussen. 7

Auf der Grundlage dieser Unter·scheidung geht Teeuwen nun der Frage nach, wann „Shinto“ zu einem „Begriff“ wurde, der den abstrakten Rahmen für eine Reihe theologischer und schließlich auch politischer Inter·pre·ta·tionen bildete. Als Quellen dienen ihm vor allem neuere japanische Arbeiten, die die Ver·wendung von shintō wesentlich genauer und umfassender dokumentieren als die Arbeiten, die Kuroda zugrunde lagen. 8 Aus diesem Material zieht Teeuwen einige Schlussfolgerungen, die geeignet sind, der Diskussion um den Begriff Shinto eine neue Wendung zu geben.

Von jindō zu Shinto

Bezüglich des japanischen Altertums stellt Teeuwen die These auf, dass shintō anfänglich ein bud·dhis·tischer Begriff war, der lediglich in einem bud·dhis·tischen Kontext verwendet und dort auf nicht-bud·dhis·tische lokale Gott·heiten, also Kami, angewandt wurde. Die berühmten vier Er·wähn·ungen von shintō im

Nihon shoki 日本書紀 (jap.)

Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)

Text

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(verfasst 720) schreibt er z.B. einem buddhistischen Mitautor dieses Werkes zu. 

9 In Texten aus der frühen Heian-Zeit findet sich der Begriff dann nach·weislich in hohem Ausmaß bei bud·dhis·tischen Autoren, v.a. wenn es um die Bekehrung von Schrein·gott·heiten geht. Z.B. klagt die Gottheit des Tado Schreins, dass sie aufgrund karmischer Ver·strickung im Weg der Kami (shintō) wieder·geboren wurde. 10 Für diese Klagen lassen sich im übrigen chinesische Textvorlagen finden. 11 Dies ist insofern bemerkens­wert, als damit die Behauptung, die buddhistische Bekehrung ein·heimischer Götter sei eine spezifisch japanische Ent·wicklung, in Zweifel gezogen wird. Der Bud·dhis·mus kam also offenbar bereits mit einer bestimmten shintō-Vor·stellung im Gepäck von China nach Japan und wandte diese dann auf die japanischen Kami an.

Das

Konjaku monogatari 今昔物語 (jap.)

„Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext

Text

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aus der späten Heian Zeit ist das früheste Werk, das eine

furigana 振り仮名 (jap.)

Lesehilfe für Kanji in Silbenschrift (kana)

Text

Der Begriff „furigana“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

-Lesung unseres Ausdrucks enthält, nämlich jindō. Es handelt sich dabei um die

go-on 呉音 (jap.)

wtl. „Lesung [nach dem Chinesisch] der Wu [Dynastie]“; alte chin. Lesung; bes. häufig bei buddh. Begriffen

Denken

Der Begriff „go-on“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Lesung der Zeichen kami 神 und michi 道, wie dies bei bud·dhis·tischen Texten zu erwarten ist. Es ist dies ein erster Beleg, aus dem Teeuwen die These ableitet, dass der zunächst bud·dhis·tische Fach·terminus für kami und michi im Altertum nicht shintō, sondern jindō gelesen wurden. Dies wäre nicht weiter von allzu großer Bedeutung, wenn nicht, wie Teeuwen meint, diese Aus·sprache, oder genauer der Wechsel der Aussprache von jindō zu shintō, mit dem Über·gang „vom Wort zum Begriff“ verbunden wäre.

Die wichtigste Textstelle, die diese Annahme belegt, ist ein Zitat aus einer

Nihongi 日本記 (jap.)

Kurzbezeichnung für Nihon shoki

Text

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-Exegese des bud·dhis·tischen Mönchs

Ryōhen 良扁 (jap.)

buddh. Mönch des 15. Jh.s; Shintō-Theoretiker

Der Begriff „Ryōhen“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

aus dem Jahr 1419: 

On the term 神道: we do not read this jindō but shintō, without voicing, to indicate its straightforward character (sugu naru gi). Straightforward means that it is just as it is (ari no mama). 12

Hier mahnt Ryōhen, dass das Wort eben shintō und nicht jindō aus·ge·sprochen werden soll. Die stimmlose Variante wird von Ryōhen als „klar“, „unverfälscht“, „direkt“ charakterisiert.

Aus diesem Zitat geht hervor, dass jindō zu dieser Zeit offenbar die gängige Lesung war, während Ryōhen eine neue, ungewohnte Lesung ins Spiel bringt. Der bewusste Versuch, den Begriff neu zu akzentuieren, geht Hand in Hand mit zahl·reichen Neuinter­pretationen, die weiter unten noch genauer aufgezeigt werden. Daher unter·scheidet sich der Aus·druck jindō, laut Teeuwen, nicht nur in der Aus·sprache vom späteren Shinto, er ist überdies kein „Begriff“ im Koselleck‘schen Sinn. Jindō bezeichnet also konkrete, einzelne Kami-bezogene Praktiken und Vor·stellungen, nicht ihre abstrakte Gesamt·heit oder ein ihnen zugrunde liegendes System.

Zusammen·fassend charakterisiert Teeuwen den alter·tümlichen jindō als einen buddhistischen Terminus, der eher abwertend die ein·heimischen Götter, die ihnen zu·ge·dachten Kulte, oder den Bereich der Kami als eine Form der Wiedergeburt bezeichnete. 13 Daher ist er auch in offiziellen Texten selten zu finden.

Dem buddhistischen jindō steht das Kompositum

jingi 神祇 (jap.)

wtl. Götter/Geister des Himmels und der Erde, chin. shenqi; in Japan zumeist Synonym von kami

Der Begriff „jingi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

, wtl. „Götter des Himmels“ und der Erde, gegenüber. Es besitzt eine ähnliche Be·deu·tung und ist natürlich ebenfalls dem Chinesischen ent·nommen, ent·springt aber einem offiziellen, „konfuzianischen“ Diskurs. Diesen Ausdruck findet man im Altertum viel häufiger 14

und er ist eindeutig positiv konnotiert. Noch im 20. Jahrhundert verwenden einige japanische Autoren als Alternative zu shintō die Bezeichnung

jingi-dō 神祇道 (jap.)

„Weg der Götter des Himmels und der Erde“; Synonym von Shintō

Schulrichtung

Der Begriff „jingi-dō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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. Für das Altertum besteht nach Teeuwen jedoch eine klare Trennung zwischen den diskursiven Sphären von jindō und jingi, auch wenn damit unter Um·ständen die gleichen Phäno·mene bezeichnet werden. Jindō ist also bud·dhis·tisch konnotiert, jingi höfisch. 15

Der „Begriff Shinto“, der sich laut Teeuwen Hand in Hand mit dem Aus·sprache·wandel verbreitet, äußert sich konkret in folgenden historischen Phänomenen:

  • Shinto wird im vierzehnten und fünfzehnten Jahr·hundert vermehrt zum Gegen·stand theologischer und kosmologischer Spekulationen, zu einem Schlüssel·begriff für der Welt zugrunde liegende Prinzipien, die dem Bud·dhis·mus vorausgehen.
  • Shinto taucht auf einmal in Werk·titeln und in den Selbst·bezeichnungen shintoistischer Schulen auf. 16·
  • Schließlich (und damit sind wir bereits beim
Yoshida Shintō 吉田神道 (jap.)

mittelalterl. Shintō-Richtung, begründet von Yoshida Kanetomo

Schulrichtung

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und den Shinto Schulen der Edo-Zeit) wird Shinto zu einem Gegen·begriff zum Bud·dhis·mus und zu einer Klammer für einen eigenen, nationalen „Weg“ (freilich ohne dass die theologischen Unter·schiede und Grenzen zu anderen „Wegen“ oder Religionen genau definiert wären).

Es bedarf kaum einer Erwähnung, dass diese Ver·änderungen nicht allein auf die zitierte Text·stelle des Ryōhen zurück·zu·führen sind und dass dieser wohl auch nicht der erste war, der für die „ungetrübte“ Aus·sprache shintō plädierte. Es mag ähnliche frühere Text·zitate geben, die uns bislang un·bekannt sind. Aber mit dieser Text·stelle gelingt Teeuwen ein faktischer Beleg für eine bewusst vollzogene Veränderung im Diskurs über jindō/Shinto.

Die Aufwertung von jindō

Etliche Entwicklungen deuten den Begriffswandel bereits an und bereiten ihn vor. Teeuwen zählt dazu in erster Linie die Auf·wertung von jindō (bzw. der Kami allgemein) innerhalb der sog.

honji suijaku 本地垂迹 (jap.)

wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas

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Konzeption. Also jener Auf·fassung, die die Kami als „sicht·bare Spuren“ der Buddhas versteht, während man die Bud·dhas als solche nicht wahr·nehmen kann. Im Zuge der honji-suijaku Konzeption werden ins·besondere

Amaterasu 天照 (jap.)

Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise

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, später aber auch andere Kami oder die Kami schlechthin, als primordiales Prinzip interpretiert, und den Buddhas gleich oder gar höher gestellt, ohne dass dies eine Abwendung vom Buddhismus bedeutet hätte. Der Heian-zeitliche Gelehrte

Ōe no Masafusa 大江正房 (jap.)

1041–1111; Hofgelehrter der Heian-Zeit

Gelehrte Person

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ist ein wichtiger Vertreter und Verbreiter dieser Auffassung, 

17 die sich allerdings auf keinen einzelnen Autor zurück·führen lässt und in Ansätzen bereits zu Beginn der Heian-Zeit existiert. Die meisten honji-suijaku Texte stammen im übrigen von buddhistischen Mönchen.

Eine weitere Inspiration, die zum Begriffswandel von jindō führt, geht von daoistischen Quellen aus, insbesondere dem

Yijing 易経 (chin.)

„Buch/Leitfaden der Wandlungen“ (chin. Klassiker); jap. Ekikyō

Text

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, mit dem berühmten „Shinto“- (oder genauer

shendao 神道 (chin.)

Göttl. Weg, Weg der Götter; chin. Aussprache von jap. shintō

Konzept

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-)Zitat:

When we contemplate the shendao of heaven, we see how the four seasons proceed without error. The sages have laid down their teaching in accordance with this shendao, and all under heaven yield submission to them. 18

Ausgehend von dieser Textstelle, in der der „Göttliche Weg“ (shendao) als Synonym des daoistischen Weges auftritt, öffnet sich in Japan das Tor zu Spe·ku·la·tionen über den Weg der Kami und die kosmolgischen Prinzipien des Daoismus. Diese sind aber eben nicht Teil des frühen jindō Begriffs. Daher weist Teeuwen die ver·breitete Ansicht, das Nihon shoki hätte seinen Begriff dem Yijing entnommen, auch zurück. 19 Für die Entwicklung des mittelalterlichen Shinto-Konzepts spielt der Daoismus hingegen eine außerordentlich wichtige Rolle.

Letztlich ergeben sich aus der Aufspaltung in jindō, jingi und Shinto mehrere Bereiche der „Kami-Religion“, die analytisch ge·trennt betrachtet werden müssen: Das jingi-System, also die höfischen Kulte für die Kami; lokale Schrein·kulte und Praxisformen; und jindō als buddhistischer Diskurs über die Kami, aus dem schließlich der „Begriff Shinto“ entsteht. Erst nachdem dieser Begriff Shinto ent·standen ist, kommt es unter der Ägide höfischer Priester wie der

Yoshida Urabe 吉田卜部 (jap.)

höfische Priester Familie; genau genommen die Yoshida-Linie der Urabe Priesterdynastie

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zu einer Synthese von Shinto und — wenn man so will — jingi-dō, also höfischem „Shinto“. Dies leitet die konzeptionelle Ab·spaltung von Shinto und Bud·dhis·mus ein. Diese in die Praxis umzusetzen blieb aber in der Tat der Moderne vorbehalten, wie schon Kuroda Toshio hervorgehoben hat.

Reaktionen

Die akademischen Mühlen mahlen langsam und Teeuwens Thesen sind erst nach und nach in Fach·kreisen wahr·genommen und diskutiert worden. Einen Anlass bot z.B. ein Shinto Symposium an der Columbia Universität 2007, bei dem Teeuwen seine jindō-These ein weiteres Mal präsentierte. 20 Vor allem von den japanischen Zuhörern, unter denen prominente Wissen·schaftler wie Sueki Fumihiko oder Abe Yasurō vertreten waren, kamen lebhaft vorgetragene Einwände, die sich in erster Linie auf die Frage konzentrierten, in wie weit die Aus·sprache jindō linguistisch haltbar sei. Dieser Aspekt wurde von Sueki auch in der bilingualen Mailing-Liste kuden-ML auf·ge·griffen, wo er einräumte, dass die Aus·sprache jindō durchaus plausibel sei. Die Unter·scheidung von shintō und jindō sei jedoch nur schwer in japanischer Text·form aus·zu·drücken, da man sich ja in beiden Fällen der gleichen Kanji bediene. Aus diesem Grunde sei jindō als Terminus in der heutigen japanischen Religions·wissen·schaft nicht wirklich praktikabel. 21 Ein anderer Teilnehmer, Iyanaga Nobumi, äußerte sich in kuden-ML wesentlich zustimmender.

Dass Teeuwens These auch im Umfeld der Shinto-Universität Kokugakuin Daigaku wahr·genommen werden, lässt sich aus der Tatsache ent·nehmen, dass diese den Artikel im Rahmen ihres „Center of Excellence“ Programmes ins Japanische über·setzen ließ und die Über·setzung unentgeltlich im Internet anbietet. 22

Zu einer breiteren inhaltlichen Auseinandersetzung hat sich bisher aber meines Wissens lediglich Kadoya Atsushi aufgerafft, der ebenfalls 2007 am Columbia Symposium teilnahm. In einem 2009 veröffent·lichten Artikel steuert er in erster Linie Material bei, das Teeuwens These weiter unterstützt. So weist er unter anderem auf den Autor Ikō Myōan hin, einen Sprachgelehrten des 16. Jahr·hunderts, der ganz ähnlich wie Teeuwen’s Ryōhen ebenfalls auf die nicht-nigorierte Aussprache shintō anstelle von jindō pocht. 23 Anfang des siebzehnten Jahrhunderts dürfte sich shintō jedenfalls durch·gesetzt haben, wie das japanisch-portugiesische Wörter·buch aus dem Jahr 1603 belegt, indem es lediglich die Lesungen shintō und kami no michi enthält. Dennoch gibt es bis Mitte der Edo-Zeit japanische Wörter·bücher, die nach wie vor die Lesung jindō enthalten. 24

Ein weiterer Punkt, den Kadoya in die Diskussion einbringt, ist die im japanischen Mittel·alter beliebte Gleich·setzung von 神 shin (kami) und 心 shin (kokoro), an der sich eine Reihe von Spekulationen über die Identität von Geist/Seele und den Kami entspinnen. Kadoya meint, dass diese Gleich·setzung einen weiteren Anreiz dargestellt haben könnte, die stimmlose Aussprache shin, dem stimmhaften jin vorzuziehen. 25 Alles in allem erfährt die jindō-These jedenfalls in Kadoyas Aufsatz durchaus eine Bestätigung.

Schließlich hat auch ein westlicher Autor, nämlich Michael Como (ebenfalls ein Teil·nehmer des Columbia Symposiums), Teeuwens These aufgegriffen, indem er sie ohne allzu große Umschweife in den Titel seines Aufsatzes „Immigrant gods on the road to jindō“ (Como 2009) intergrierte.

Schlussbemerkung

Ich selbst habe, wie unschwer zu erkennen sein wird, natürlich eben·falls große Sympathien für die jindō-These. In erster Linie eröffnet sie nämlich einen Be·griff, mit dem sich die seit Kuroda unsichere Haltung gegenüber „Shinto“ konzeptionell meistern lässt. Un·abhängig, wann genau jindō durch shintō ersetzt wurde, kann jindō für uns heute zu einem Begriff (im Koselleck’schen Sinn) für „Shinto avant la lettre“ werden. Es wäre zudem ein Begriff, der auf „emischen“ Vor·stellungen beruht, also nicht allein auf einer wie immer gearteten theoretischen An·nahme beruht. Dennoch müssten wir uns bewusst bleiben, dass dieser jindō-Begriff nicht identisch sein kann mit dem, was ehemals darunter ver·standen wurde, weil er für uns zwangs·läufig zu einem abstrakten Container einer nicht mehr unmittelbar erfahr·baren Wirk·lich·keit wird. Wie auch immer die Quellen·lage aussieht, werden wir überdies wohl nie mit Sicherheit behaupten können, dass es die Aus·sprache shintō vor dem Mittelalter nicht gegeben hat. Es sollte daher der linguistischen Diskussion keine über·triebene Bedeutung bei·ge·messen werden. Wichtiger scheint mir das Faktum, dass es einzelne mittel·alterliche Autoren gibt, die bewusst eine bestimmte Aus·sprache bevorzugen, um eine bestimmte Bedeutung zu unter·streichen. Im Sinne dieser Autoren kann jindō für uns zu einem Begriff werden, der den bud·dhis·tischen Diskurs über die Kami im Altertum bezeichnet.

Persönliche Einwände gegen Teeuwens Thesen habe ich allenfalls hinsichtlich der Unterscheidung von Wort und Begriff. Wie ich an anderer Stelle vorgeschlagen habe (Scheid 2009), scheinen mir die Begriffe „Primär·religion“ und „sekundäre Religion“, wie sie z.B. Jan Assmann verwendet, besser geeignet, um die Tragweite des Begriffswandels von Shinto (bzw. von jindō zu Shinto) im Verlauf des Mittelalters theoretisch zu charakterisieren. 26 Dass es aber gerade in dieser Zeit zu einem entscheidenden Begriffs·wandel und damit einhergehend zu einer neuen gesell·schaftlichen Funktions·weise von „Shinto“ kam, steht auch für mich fest. Sollten sich keine gravierenden linguistischen Ein·wände gegen jindō ergeben, benötigen wir von nun an keine mühseligen Um·schreibungen oder Anführungs­zeichen mehr, wenn wir diesen Wandel beschreiben, sondern können uns der Begriffe shintō, jindō und jingi bedienen, um die verschiedenen Aspekte der Kami-Verehrung zu umreißen.

Wir könnten somit die Geschichte des Shinto in eine Phase der vor·bud·dhis·tischen Religionen, eine jindō/jingi-dō Phase und eine shintō Phase unterteilen. Ironischer·weise sind in diesem Fall natürlich westliche Autoren im Vorteil, weil sich der Unter·schied nicht nur in der Aus·sprache, sondern auch im Schrift·bild ausdrückt. Wie auch Kadoya anmerkt, mag dies ein Grund dafür sein, warum die Aus·sprache des Wegs der Götter aus·gerechnet von einem westlichen Autor mit besonderer Auf·merk·samkeit bedacht wurde.

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Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001