Alltag/Totenriten

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Totenriten und Bestattung

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Was passiert konkret, wenn ein Mensch in Japan stirbt? Wie verabschiedet man einen Verstorbenen, wie trauert man um ihn? Welche religiösen Spezialisten sind hierbei gefragt?

Die große Mehrheit aller Verstorbenen wird, wie bereits erwähnt, nach buddhistischem Ritus eingeäschert und in einer Urne beigesetzt. Die Einäscherung erfolgt meist sehr rasch, d.h. innerhalb von ein bis zwei Tagen. Dies ist allein schon wegen des feucht-heißen Klimas notwendig, doch tragen auch alteingesessene Tabuvorstellungen dazu bei, dass man die Toten möglichst rasch aus der Welt schaffen möchte. Der Tod ist nämlich stark mit der Vorstellung ritueller Verunreiningung verbunden. Ein Großteil der Totenriten dient daher der rituellen Reinigung des Ortes, an dem der Verstorbene gelebt hat. Des weiteren dürfen Riten, die im Zusammenhang mit der Bestattung stehen, keinesfalls im normalen Alltag eingesetzt werden (s.u. kitamakura, kotsuage). Insgesamt scheint der gesamte Zyklus der Bestattungsriten (

sōshiki 葬式 (jap.)

Begräbnis, Bestattung, Totenritus

Ritus

Der Begriff „sōshiki“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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Bilder

  • Chojugiga.jpg

) von dem Grundgedanken bestimmt zu sein, den Verstorbenen so schnell, als es die Pietät zulässt, aus dem Bereich der Lebenden zu entfernen und in den Status eines

hotoke(jap.)

Buddha; umgangsspr. auch: Totenseele; andere Lesung: butsu; alte Schreibung: 佛

Buddha

Der Begriff „hotoke“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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(wtl. eines Buddhas) zu versetzen. In dieser Form gilt er dann weder als bedrohlich noch als unrein und kann damit zum Gegenstand einer besonderen  Ahnenverehrung werden.

Die Zeremonien, die den Übergangs vom Diesseits zum Jenseits begleiten, werden heute zum Großteil im Haus des Verstorbenen vollzogen und betreffen seine ganze Familie, eventuell auch seine Freunde und Nachbarn. Die wichtigsten Bestattungsriten finden in der Zeit unmittelbar vor und nach der Einäscherung statt. Der entscheidende Moment der rituellen Verabschiedung liegt in der Verbrennung des Leichnams. Danach werden die Aschenreste (bzw. um genau zu sein: die unverbrannten Knochen) des Verstorbenen in einer Urne nach Hause genommen und bleiben dort noch einige Zeit, bevor sie schließlich auf dem Friedhof beigesetzt werden.

Die Leitung einer familiären Bestattungszeremonie ist ein verantwortungsvolles und kompliziertes Amt, das traditionellerweise dem ältesten Sohn einer Familie zukommt. Für bestimmte Gebete und Riten werden zudem die Dienste buddhistischer Mönche in Anspruch genommen, die zu diesem Zweck das Haus des Verstorbenen aufsuchen. Alles in allem ist der vollständige Zyklus eines Bestattungsrituals eine zeitaufwendige, kostspielige Angelegenheit, die durch die Tatsache, dass immer mehr Menschen im Spital und nicht in den eigenen vier Wänden sterben, weiter verkompliziert wird. Aus diesem Grunde werden Bestattungen oft mit Hilfe von professionellen Bestattungsunternehmen (

sōgiya 葬儀屋 (jap.)

Bestatter, Bestattungsfirma

Person, Ritus

Der Begriff „sōgiya“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) ausgeführt, deren Aufgabe nicht nur im Verwahren des Leichnams, sondern auch im „event-management“ der Bestattung besteht. Dabei richtet man sich im allgemeinen nach einem gewissen rituellen Grundschema, das im folgenden einzeln aufgelistet ist.

Die einzelnen Totenriten

Aufbahrung des Leichnams

Kitamakura

Taburegel 1: Nicht mit dem Kopf nach Norden schlafen Die Regel, dass der Kopf des Verstorbenen nach Norden weisen soll, geht angeblich auf den historischen Buddha zurück. Gleichzeitig symbolisiert diese Schlafstellung den Tod, weshalb man in Japan genau darauf achtet, nicht mit dem Kopf nach Norden zu schlafen.

Der Tote wird zunächst im eigenen Haushalt feierlich und von vielen Blumen umgeben aufgebahrt. Dabei ist zu beachten, dass sein Kopf nach Norden weist (

kitamakura 北枕 (jap.)

wtl. „das Kopfkissen nach Norden drehen“; Brauch, einen Verstorbenen mit dem Kopf nach Norden aufzubahren

Ritus

Der Begriff „kitamakura“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

, wtl. „Nordpolster“).

Totengewand

Zum Zwecke der Aufbahrung wird der Tote gewaschen und mit einem weißen Totengewand (

shini shōzoku 死に装束 (jap.)

Totengewand

Gegenstand

Der Begriff „shini shōzoku“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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  • Shinishozoku.png
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) bekleidet. Es erinnert an ein Pilgergewand, bzw. an das Gewand eines Wanderers und symbolisiert somit die bevorstehende Reise in die Unterwelt. Dazu gehören auch sechs Münzen, die der Verstorbene für die Fähre über den Fluss der Unterwelt zu zahlen hat.

Sinishouzoku.gif
Shini shōzoku
Quelle: ososhiki-plaza.com [2010/9]

Riten vor der Einäscherung

Taburegel 2: Verhängen des shintoistischen Hausschreins

Die
kami(jap.)

Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō

Der Begriff „kami“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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sollen mit den Verunreinigungen (
kegare 穢れ (jap.)

rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande

Konzept

Der Begriff „kegare“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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  • Kamidana fuji.jpg
) des Todes möglichst nicht in Berührung kammen, da sie die Hinterbliebenen sonst mit Unglück strafen könnten. Daher verhängt man den shintoistischen Hausschrein (so man überhaupt einen besitzt) während der Trauerzeit mit weißen Tüchern oder Papier (
kamidana fūji 神棚封じ (jap.)

Verdecken des Shintō-Altars (kamidana) während häuslicher Totenriten

Ritus

Der Begriff „kamidana fūji“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

). In diesem Brauch spiegelt sich die rituelle Rollenverteilung „Buddhismus: Tod, Shinto: Leben“ anschaulich wider.

Sutrenlesung

Die Rezitation buddhistischer Sutren sollte möglichst durch einen buddhistischen Mönch erfolgen. Sie wird von Rauchopfern (Abbrennen von Räucherstäbchen) begleitet.

Totenwache

Die Totenwache (

tsuya 通夜 (jap.)

nächtliche Totenwache

Ritus

Der Begriff „tsuya“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) dauerte traditionellerweise die ganze erste Nacht. Früher wachten die engsten Familienmitglieder beim Verstorbenen, heute wird die Wache aber zumeist abgekürzt. Gebete werden durch den Leiter der Trauerzeremonien (im Idealfall der älteste Sohn, heute oft ein professioneller Bestattungsunternehmer) durchgeführt. Früher war es Brauch, dass der Leiter der familiären Trauerzeremonie als Zeichen, dass er nun den Verstorbenen verkörpert, ein dem Totengewand ähnliches, weißes Gewand trug. Auch das findet sich nur noch selten.

Geldspenden

Am Tag nach dem Ableben, noch bevor der Leichnam zum Krematorium gebracht wird, versammeln sich Verwandte und Bekannte zu einer Trauerfeier im Haus des Verstorbenen. Dabei werden Räucherstäbchen und andere kleine Opfergaben für den Verstorbenen am Hausaltar niedergelegt. Vor allem aber haben die Trauergäste Geld (

kōden 香典 (jap.)

Grab-Spende; s. o-kōden

Ritus, Gegenstand

Der Begriff „kōden“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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, wtl. „Beitrag für Räucherstäbchen“) mitzubringen, das in einem entsprechenden Kuvert dargebracht wird. Okōden ist üblicherweise eine hohe Summe, die als finanzielle Unterstützung der beträchtlichen Kosten eines Begräbnisses zu verstehen ist. Allerdings verlangt es der Anstand, dass man am Ende der Trauerperiode allen Spendern ein Gegengeschenk etwa im halben Wert der Spende macht (okōden gaeshi).

Totennamen

Der Verstorbene erhält einen buddhistischen Totennamen (

kaimyō 戒名 (jap.)

buddhistischer Totenname, posthumer Name eines Verstorbenen

Ritus

Der Begriff „kaimyō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

, wtl. „Namen nach den buddhistischen Geboten“). Der Name wird auf ein

ihai 位牌 (jap.)

Ahnentäfelchen

Gegenstand

Der Begriff „ihai“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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  • Butsudan.gif
  • Schlange hokusai.jpg

-Täfelchen geschrieben, das später einen Platz im Hausaltar erhält (siehe Ahnenkult). Neben dem Altar ist während der Trauerzeit auch ein Foto des Verstorbenen platziert.

Einsargung

Der Tote wird in einen Sarg gelegt, um ihn darin zum Krematorium zu bringen. Die Trauernden beteiligen sich gemeinsam an der Einsargung, dabei helfen alle beim Zunageln des Sargdeckels mit, indem sie symbolisch (mit Hilfe eines einfachen Steins) auf einen der Sargnägel klopfen. Der Sarg wird schlussendlich mit dem Leichnam zusammen verbrannt.

Einäscherung­ und Kotsuage

Taburegel 3: Esstäbchen dürfen sich nicht berühren Da der Ritus des kotsuage so stark mit dem Tod assoziiert wird, ist jede Erinnerung an ihn im normalen Alltag strengstens tabuisiert. Daher dürfen Speisen niemals direkt von Essstäbchen zu Essstäbchen weiter gereicht werden. Überhaupt dürfen die eigenen Essstäbchen während einer Mahlzeit niemals die Essstäbchen anderer berühren. Dieses Tabu wird von allen Japanern ungeachtet der religiösen Zugehörigkeit strengstens befolgt.

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Die engste Familie begleitet den Sarg ins Krematorium. Die Verbrennung darf nicht zu heiß sein und nicht zu lange dauern, damit noch einige Knochenstückchen des Leichnams übrig bleiben. Es sind diese Knochenreste, nicht die Asche, die in der Folge in einer Urne (

kotsutsubo 骨壷 (jap.)

Grab-Urne

Gegenstand

Der Begriff „kotsutsubo“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) beigesetzt werden.

Das Verwahren der unverbrannten Knochenreste in der Urne geschieht in Form eines speziellen Ritus, den man

kotsuage 骨上げ (jap.)

wtl. Knochenheben (Bestattungsbrauch)

Ritus

Der Begriff „kotsuage“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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  • Kotsuage 1867.jpg
  • Kotsuage2.jpg

, wtl. „Aufheben der Knochen“, nennt. Die Knochenstückchen werden dabei von den anwesenden Familienmitgliedern gemeinsam mit besonders langen Bambusstäbchen aus den Ascheresten geholt und in die Urne gelegt.

Vor ihrer Rückkehr ins Haus werden die Familienmitglieder, die am kotsuage teilgenommen haben, mit Salz rituell gereinigt. Die Urne wird zunächst nach Hause mitgenommen und später im Familiengrab beigesetzt. Dies geschieht meist mit relativ geringem zeremoniellem Aufwand.

Trauerzeit

Taburegel 4: Kein Neujahrsschreinbesuch

Für das gesamte Jahr, in dem sich ein familiärer Todesfall ereignete, gelten darüber hinaus weitere Tabuvorschriften, die neuerlich mit dem problematischen Verhältnis zwischen Shinto und Todestabu zu tun haben. So sollten die Hinterbliebenen im folgenden Neujahr auf den traditionellen Neujahrsschreinbesuch (
hatsumōde 初詣 (jap.)

Schrein-Neujahrsbesuch

Ritus

Der Begriff „hatsumōde“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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  • Meiji-jingu-ny.jpg

) verzichten. Auch sollte man ihnen keine traditionellen Neujahrskarten schicken.

Die engere Trauerzeit beträgt nach buddhistischem Brauch sieben Wochen, also 49 Tage. Dies ist die Zeit, während der die Totenseele ihre Reise ins Jenseits absolviert und dabei spirituelle Unterstützung benötigt. Besonders am Ende jeder Woche sollte es eine buddhistische Zeremonie geben. In dieser Zeit findet auch eine Totenfeier für den weiteren Bekannten- und Verwandtenkreis in einem buddhistischen Tempel statt.

Spätere Gedenkfeiern für den Verstorbenen fallen im Grunde bereits in den Bereich der Ahnenverehrung. Den Ahnen wird kollektiv im Rahmen des jährlichen Bon Festes gedacht. Für individuelle Verstorbene gibt es darüber hinaus in bestimmten Abständen (nach 1, 3, 7, 13, ev. auch nach 33 Jahren) weitere buddhistische Seelenmessen. Danach wird angenommen, dass die Seele endgültig ins Jenseits eingegangen ist. Damit sind keine Totenfeiern mehr nötig, auch das Ahnentäfelchen wird vom Hausaltar entfernt.

Tradition und Veränderung der Totenriten

Die oben beschriebenen Zeremonien beruhen z.T. auf sehr alten Vorstellungen, sind aber erst im 20. Jahrhundert standardisiert worden. Beispielsweise war die Verbrennung der Leiche zwar stets ein buddhistisches Ideal, wurde aber in vormoderner Zeit aus technischen Gründen oft unterlassen. Auch die Konzentration der Riten auf den häuslichen Bereich ist ein relativ junges Phänomen. Die tatsächliche Abhaltung der Feiern unterliegt natürlich zahlreichen Variationen, die vom individuellen Brauch der Familie, von ihren ökonomischen Verhältnissen, von ihrem Wohnort, von ihrer religiösen Zugehörigkeit, u.a.m. abhängig sind.

Ein kleiner Prozentsatz aller Begräbnisse wird nach shintoistischem Muster durchführt. Shinto-Begräbnisse waren vor der

Meiji 明治 (jap.)

posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt

Der Begriff „Meiji“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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-Restauration allerdings nur in einigen Priesterfamilien üblich und sind auch heute in der allgemeinen Bevölkerung kaum bekannt. Im allgemeinen weichen daher nur japanische Christen stark von den hier beschriebenen zeremoniellen Grundregeln einer Bestattung ab.

Ein gewisser Druck zur Uniformität entsteht übrigens auch dadurch, dass Bekannte, Verwandte und Nachbarn nicht nur als Trauergäste zu erwarten sind, sondern auch bei der Organisation des Begräbnisses helfen. Vor allem in ländlichen Gebieten, wo nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Hilfe noch selbstverständlicher funktioniert, unterliegen Begräbnisse daher dem lokalen Brauchtum. In den Städten dagegen sind die Einzelheiten von Begräbnisriten vielen nicht mehr geläufig. Hier bieten zahlreiche professionelle Bestattungsfirmen ein entsprechendes Service als Ersatz für die von traditionellen Gemeinschaften übernommenen Aufgaben an. Diese Firmen vermitteln zwischen Familie und Tempel, organisieren die Trauerfeiern und bieten im übrigen alle möglichen Extras (besonders attraktive Gräber und Friedhöfe, professionelle Begräbnismusiker, etc.) an. Auch dem technischen Fortschritt wird Rechnung getragen. Eine Firma schlägt z.B. Methoden zur Erhaltung und Aufbewahrung der DNA der Verstorbenen vor (siehe Sidepage).

Religion in JapanAlltag
Diese Seite:

„Totenriten und Bestattung.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001