Die Religion(en) der Frühzeit

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Die Religion(en) der Frühzeit

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Auch wenn über die japanische Religion vor Ein·führung des Bud·dhis·mus nur wenige ge·sicherte Aus·sagen mög·lich sind, kann man davon aus·gehen, dass in Japan schon seit vor·geschicht·lichen Zeiten kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] verehrt wurden. Aller·dings waren sowohl die Ge·stalten der kami als auch die Formen ihrer Ver·ehrung sehr unter·schied·lich. Auf dieser Seite sind einige Merkmale der vor- und frühgeschichtlichen Religion Japans am Übergang von einer Stammes·gesell·schaft zu einem zentral·staat·lichen Reich hervor·ge·hoben.

Die religiöse Rolle der Frauen

Vorlage:Sidebox3 Aus frühen chi·ne·sischen Berichten und aus den Mythen selbst kann man ent·nehmen, dass Frauen einst eine wich·tigere Rolle in der Religion spielten als in späteren Zeiten. Das chine·sische Ge·schichts·werk Weizhi [Weizhi (chin.) 魏志 Chin. Chronik der Wei Dynastie (220–266) aus dem 3. Jh. u.Z.; enthält die frühesten Berichte über Japan (Wa) (vgl. wo)] (Chronik der Wei, 297 u.Z.) be·richtet, dass es um die Mitte des dritten Jahr·hunderts in Japan eine Priester·königin namens Himiko [Himiko (jap.) 卑弥呼 ca. 170–248; frühgeschichtliche Priesterkönigin; auch Pimiko (wahrscheinliche Bedeutung: „Kind der Sonne“); chin. Pei-mi-hu] gab, die das Volk mit Mitteln der Magie und Zauberei be·herrschte. Diese Be·richte erinnern an die mytho·lo·gische Kaiserin Jingū [Jingū Kōgō (jap.) 神功皇后 mytholog. Herrscherin; Witwe des 14. Tennō, Chūai, und Mutter des Ōjin Tennō], die mit magi·schen Mitteln einen erfolg·reichen Feld·zug gegen Korea führte, aber auch an die Gott·heit Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise], die sich mit magischen Mitteln gegen ihren unge·hor·samen Bruder Susanoo [Susanoo (jap.) 須佐之男/素戔男 mytholog. Gottheit; Trickster-Gott, Sturmgott, Mondgott; Bruder der Amaterasu] behauptet.

Aus·gehend von solchen Berichten und Le·gen·den nehmen manche Re·ligions·historiker an, dass an der Spitze der früh·geschicht·lichen japa·nischen Klan·gesell·schaften Herr·scher·paare standen, bei denen den Männern die welt·lich-poli·tische, den Frauen die geistlich-reli·giöse Auto·rität zukam. Die zahl·reichen Götter·paare in den Mythen stützen diese An·nahme. Doch bereits in vor·bud·dhis·tischer Zeit änderte sich die starke religiöse Stellung der Frau.

Hügelgräber und Ujigami

Nintoku kofun.jpg
1 Daisen Kofun, Ōsaka
Das Daisen Kofun ist ein Hügelgrab (kofun) mit knapp einem halben Kilometer Länge. Es stellt das größte Mausoleum seiner Art in Japan und liegt heute mitten in der modernen Stadtlandschaft Ōsakas. Das Grab wird offiziell dem semi-mythologischen Nintoku Tennō zugeschrieben, doch ist die historische Existenz dieses Herrschers nicht über jeden Zweifel erhaben, sodass auch nicht sicher ist, wer wirklich in diesem Grab bestattet ist und aus welchem Jahr es stammt.
Yamato-Zeit, Mitte des 5. Jh. www.georggerster.com, Georg Gerster, 1985.

Vor der Über·nahme des chi·ne·sischen Staats- und Rechts·systems im siebenten Jahr·hundert wurde der frühe ja·pa·nische Staat von einer Kon·föderation von Klans (uji [uji (jap.) altjap. Klan, Sippe, Familie]) dominiert, unter denen der Klan des Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels]-Geschlechts eine führende Stellung inne·hatte. Ein heute noch sicht·bares Zeichen dieser früh·geschicht·lichen Herr·schafts·form sind die riesigen schlüssel·loch·förmigen Grab·hügel (kofun [kofun (jap.) 古墳 Hügelgrab der japanischen Frühzeit (ca. 300–700), wtl. „altes Grab“]), mit denen die Herr·scher zwischen dem dritten und siebenten Jahr·hun·dert ihre Auto·rität unter Beweis stellten (s. Abb. links, Daisen Kofun [Daisen Kofun (jap.) 大仙古墳 Japans größtes Hügelgrab (kofun), in Sakai, Ōsaka; der Legende nach Grabmahl des Nintoku Tennō]). Ganz ähnliche archäo·logische Zeug·nisse finden sich auch in Korea. Man nimmt an, dass es in dieser Zeit in beiden Regionen zu einer zu·neh·menden Strati·fi·zierung der Ge·sell·schaft kam. Es bildete sich eine Aristo·kratie heraus, die ihren Status unter anderem durch die Ver·ehrung ihrer Ahnen in Form von Klan·gott·heiten (ujigami [ujigami (jap.) 氏神 Altertum: Klangottheit; heute: lokale Schutzgottheit]) hervor·hob. Viele der ältesten heute noch bekannten Schreine, etwa der Kasuga Schrein [Kasuga Taisha (jap.) 春日大社 Kasuga Schrein, Nara; ehemals Ahnenschrein der Fujiwara] in Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō], gingen aus diesen ujigami Ver·ehrungs·stätten hervor.

Shionjiyama kofun.jpg
2 Shionjiyama Kofun
Ein Hügelgrab (kofun) im Gebiet des heutigen Ōsaka, wo es zwischen 300 und 600 zur Japan-weit größten Konzentration von Hügelgrabanlagen kam. Wer hier begraben wurde, ist nicht bekannt. Der Hügel ist in der typischen Schlüssellochform (runder Hügel mit rechteeckigem Zugangstunnel) angelegt.
Kofun-Zeit, 5. Jh.?. Kansai explorer, 2008, Wikimedia Commons.

Vorlage:Sidebox3 Die kami-Verehrung der uji-Aristokratie stellt daher wahr·schein·lich keine besonders ur·tüm·liche religiöse Praxis dar, sondern ist Aus·druck der Zen·tra·lisie·rung des frühen ja·pa·nischen Staats·wesens und der damit ver·bun·denen Be·to·nung der patri·linearen Erb·folge. Das Auf·kommen der ujigami, die stets die Ahnen der männ·lichen Linie repräsen·tierten, steht mögli·cher·weise mit einer Ver·drängung der mütter·lichen Erb·folge und damit ein·her·gehend mit einer Schwächung der Stellung der Frau in rituellen Belangen in Zu·sammen·hang.

Die ujigami standen nicht nur für die Ahnen eines patri·linearen Klans, sie waren auch mit dem Land des Klans ver·bunden und fun·gierten somit als Hüter der terri·torialen Klan·rechte. Mit der Ein·führung des chi·ne·sischen Staats·wesens im siebenten Jahr·hundert wurde jedoch das ganze Land zumindest der Theorie nach dem Tennō unter·stellt. Die alten Land·rechte der uji-Aristo·kratie wandelten sich in Ver·waltungs·ämter um, d.h. man konnte Land nicht mehr be·sitzen, sondern nur noch im Namen des Tennō ver·walten. Wenn ein Ver·walter in Un·gnade fiel, konnten ihm seine Land·rechte ent·zogen werden. Vor allem da·gegen scheinen sich die „Kon·serva·tiven“ bei Hof ge·richtet zu haben. Diese Fraktion stellte ein Gegen·gewicht zur zu·neh·menden Sini·sierung der Ver·waltung dar und be·stand im Gegen·satz zum leistungs·betonten Modell der chi·ne·sischen Be·amten·hie·rarchie auf den erblichen Privi·legien der alten Klan-Aristo·kratie.

Genealogie

Die Be·deutung der Genea·logie für die uji-Eliten des alten Japan wird bereits in den akribisch auf·gezeich·neten Ab·stammungs·linien aus dem Kojiki [Kojiki (jap.) 古事記 „Aufzeichnung alter Begebenheiten“; älteste jap. Chronik (712)] und Nihon shoki [Nihon shoki (jap.) 日本書紀 Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)] deutlich. Sie spiegelt sich aber auch in einem der ältesten Schrift·dokumente Japans wider, dem so·genannten Inariyama [Inariyama Tekken (jap.) 稲荷山鉄剣 Eisenlangschwert aus der kofun-Zeit (471?), 1968 im Inariyama Kofun (Saitama-ken) ausgegraben; Nationalschatz; Länge 73,5 cm]-Schwert. Dieses Schwert wurde nach seinem Fund·ort, dem Inariyama-Hügelgrab in der Präfektur Saitama [Saitama-ken (jap.) 埼玉県 Präfektur in der Kantō-Region Japans, nördlich von Tōkyō] (nördlich von Tōkyō), benannt und stammt wahr·scheinlich aus dem Jahr 471. Es trägt eine Inschrift in Gold·lettern, die die Um·stände seiner Ent·stehung erläutert. Demnach handelt es sich um ein Zeichen der An·erkennung des Königs Wakatakeru (heute besser bekannt als Yūryaku Tennō [Yūryaku Tennō (jap.) 雄略天皇 418–479; semi-historischer 21. Kaiser Japans; (r. 456–479); andere Namen: Ōhatsuse Wakatake; Wakatakeru no Ōkimi]) an einen gewissen Owake no Omi, der dem König als „oberster Schwert·träger“ half das Reich zu kon·soli·dieren, also vielleicht so etwas wie ein General oder Feld·herr war. Der Groß·teil des Textes besteht aller·dings aus einer Auf·zäh·lung der Ahnen des Owake, die acht Generationen in väterlicher Linie zurück·reichen.

Inariyama schwert.jpg
3 Inariyama Schwert
Das Inariyama Schwert, das auch unter der Bezeichnung Kinsakumei Tekken (Eisenschwert mit Goldinschrift) bekannt ist, wurde im Inariyama Hügelgrab in der Präfektur Saitama (Ostjapan) gefunden und stellt eines der ältesten schriftlichen Dokumente Japans dar. Es ist auf Vorder- und Rückseite beschriftet und diente somit nicht als Waffe, sondern als Ehrenzeichen seines Besitzers, der sich in der Inschrift verewigen ließ. Die Inschrift besagt:
Aufgezeichnet im Jahr Metall/Eber [471?], 7. Monat, von Owake no Omi. Mein Stammvater hieß Ohohiko. Sein Sohn war Takari no Sukune. Dessen Sohn war Teyokariwake. Dessen Sohn war Takahashiwake. Dessen Sohn war Tasakiwake. Dessen Sohn war Hatehi. Dessen Sohn war Kasahayo. Dessen Sohn ist Owake no Omi. Von Generation zu Generation dienten wir bis auf den heutigen Tag als die Führer der Schwertträger. Als Großkönig Wakatakeru im Palast von Shiki weilte, stand ich ihm bei, das Reich zu beherrschen. Er ließ mich dieses hundertfach gehärtete Schwert anfertigen, um meine Dienste aufzuzeichnen. (Übersetzt nach Piggott 1997, S. 54 und Wikipedia (ja).)
471(?). Bildquelle: Yōmawari (Blog).

Verweise

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Nelly Naumann, Die einheimische Religion Japans, Teil 1: Bis zum Ende der Heian Zeit. Leiden: Brill, 1988.
Inoue Nobutaka, Endo Jun, Mori Mizue, Ito Satoshi, Shinto: A New History. New York: RoutledgeCurzon, 2003. [Originalausgabe 1998; Ü. ins Englische von Mark Teeuwen und John Breen.]
Joan Piggott, The Emergence of Japanese Kingship. Stanford, CA: Stanford University Press, 1997.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

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    Nintoku kofun.jpg
    Das Daisen Kofun ist ein Hügelgrab (kofun) mit knapp einem halben Kilometer Länge. Es stellt das größte Mausoleum seiner Art in Japan und liegt heute mitten in der modernen Stadtlandschaft Ōsakas. Das Grab wird offiziell dem semi-mythologischen Nintoku Tennō zugeschrieben, doch ist die historische Existenz dieses Herrschers nicht über jeden Zweifel erhaben, sodass auch nicht sicher ist, wer wirklich in diesem Grab bestattet ist und aus welchem Jahr es stammt.
    Yamato-Zeit, Mitte des 5. Jh. www.georggerster.com, Georg Gerster, 1985.
  2. ^ 
    Shionjiyama kofun.jpg
    Ein Hügelgrab (kofun) im Gebiet des heutigen Ōsaka, wo es zwischen 300 und 600 zur Japan-weit größten Konzentration von Hügelgrabanlagen kam. Wer hier begraben wurde, ist nicht bekannt. Der Hügel ist in der typischen Schlüssellochform (runder Hügel mit rechteeckigem Zugangstunnel) angelegt.
    Kofun-Zeit, 5. Jh.?. Kansai explorer, 2008, Wikimedia Commons.
  1. ^ 
    Inariyama schwert.jpg
    Das Inariyama Schwert, das auch unter der Bezeichnung Kinsakumei Tekken (Eisenschwert mit Goldinschrift) bekannt ist, wurde im Inariyama Hügelgrab in der Präfektur Saitama (Ostjapan) gefunden und stellt eines der ältesten schriftlichen Dokumente Japans dar. Es ist auf Vorder- und Rückseite beschriftet und diente somit nicht als Waffe, sondern als Ehrenzeichen seines Besitzers, der sich in der Inschrift verewigen ließ. Die Inschrift besagt:
    Aufgezeichnet im Jahr Metall/Eber [471?], 7. Monat, von Owake no Omi. Mein Stammvater hieß Ohohiko. Sein Sohn war Takari no Sukune. Dessen Sohn war Teyokariwake. Dessen Sohn war Takahashiwake. Dessen Sohn war Tasakiwake. Dessen Sohn war Hatehi. Dessen Sohn war Kasahayo. Dessen Sohn ist Owake no Omi. Von Generation zu Generation dienten wir bis auf den heutigen Tag als die Führer der Schwertträger. Als Großkönig Wakatakeru im Palast von Shiki weilte, stand ich ihm bei, das Reich zu beherrschen. Er ließ mich dieses hundertfach gehärtete Schwert anfertigen, um meine Dienste aufzuzeichnen. (Übersetzt nach Piggott 1997, S. 54 und Wikipedia (ja).)
    471(?). Bildquelle: Yōmawari (Blog).

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Amaterasu 天照 ^ Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise
  • Daisen Kofun 大仙古墳 ^ Japans größtes Hügelgrab (kofun), in Sakai, Ōsaka; der Legende nach Grabmahl des Nintoku Tennō
  • haniwa 埴輪 ^ frühgeschichtliche Grabbeigaben aus Ton, meist in Form einfacher Skulpturen
  • Himiko 卑弥呼 ^ ca. 170–248; frühgeschichtliche Priesterkönigin; auch Pimiko (wahrscheinliche Bedeutung: „Kind der Sonne“); chin. Pei-mi-hu
  • Inariyama Tekken 稲荷山鉄剣 ^ Eisenlangschwert aus der kofun-Zeit (471?), 1968 im Inariyama Kofun (Saitama-ken) ausgegraben; Nationalschatz; Länge 73,5 cm
  • Jingū Kōgō 神功皇后 ^ mytholog. Herrscherin; Witwe des 14. Tennō, Chūai, und Mutter des Ōjin Tennō
  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • Kasuga Taisha 春日大社 ^ Kasuga Schrein, Nara; ehemals Ahnenschrein der Fujiwara
  • kofun 古墳 ^ Hügelgrab der japanischen Frühzeit (ca. 300–700), wtl. „altes Grab“
  • Kojiki 古事記 ^ „Aufzeichnung alter Begebenheiten“; älteste jap. Chronik (712)
  • Nara 奈良 ^ Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō
  • Nihon shoki 日本書紀 ^ Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)
  • Saitama-ken 埼玉県 ^ Präfektur in der Kantō-Region Japans, nördlich von Tōkyō
  • Susanoo 須佐之男/素戔男 ^ mytholog. Gottheit; Trickster-Gott, Sturmgott, Mondgott; Bruder der Amaterasu
  • Tennō 天皇 ^ jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels
  • uji^ altjap. Klan, Sippe, Familie
  • ujigami 氏神 ^ Altertum: Klangottheit; heute: lokale Schutzgottheit
  • Weizhi (chin.) 魏志 ^ Chin. Chronik der Wei Dynastie (220–266) aus dem 3. Jh. u.Z.; enthält die frühesten Berichte über Japan (Wa) (vgl. wo)
  • Yūryaku Tennō 雄略天皇 ^ 418–479; semi-historischer 21. Kaiser Japans; (r. 456–479); andere Namen: Ōhatsuse Wakatake; Wakatakeru no Ōkimi
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„Die Religion(en) der Frühzeit.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001