Herz Sutra (Hannya shingyō)

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Herz Sutra (Hannya shingyō)

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Das Herz Sutra, jap. Hannya shingyō [Hannya shingyō (jap.) 般若心経 „Herz Sutra der vollkommenen Weisheit“], bezeichnet eigen·tlich das „Herz·stück“ des Sutras der Höchs·ten Weis·heit (Prajna·para·mita Sutra), ist also eine Art Kurz·fassung eines längeren Sutras. Dieses Prajna·para·mita Sutra existiert in mehreren Sprachen und Fassungen. Die einflussreichste Fassung ist eine Übertragung der ursprünglichen Sanskrit-Fassung ins Chinesische, die im sieben·ten Jahr·hun·dert von Xuanzang [Xuanzang (chin.) 玄奘 602–664; berühmter chin. Pilgermönch und buddh. Gelehrter; Autor eines einflussreichen Reiseberichts über das buddhistische Indien, der später als „Reise nach dem Westen“ in einen Roman gefasst wurde] angefertigt wurde.

Der berühmteste Satz des Sutras lautet „Form ist nicht verschie·den von Leere, Leere ist nicht verschie·den von Form.“ Das Sutra ist somit ein wichtiger Text der buddhistischen Philosophie der Leere (shunyata [śūnyatā (skt.) शून्यता „Leere, Nichts“, im Buddhismus ein wichtiges philosophisches Konzept (jap. 空)]), die alle Phänomene der sichtbaren Welt in der Leere aufgehoben und alle Dualismen letztlich als Illusionen ansieht.

Die fol·gende Fas·sung des Herz Sutras beruht auf Xuanzang und ist hier gemäß dem soge·nann·ten Taishō Kanon (Taishō shinshū daizōkyō [Taishō shinshū daizōkyō (jap.) 大正新脩大藏經 Taishō Tripitaka, Taishō Kanon; in der Ära Taishō (1912–1926) revidierte Ausgabe des chinesischen buddhistischen Kanons]) wie·der·ge·geben. Der chinesische Text und die japa·nische Lesung sind den unten er·wähn·ten Quellen ent·nom·men, die deut·sche Über·setzung stammt vom Autor dieses Web-Projekts, Bern·hard Scheid.1

Chinesischer Text /
japanische Aussprache
Deutsche Übersetzung
般若波羅蜜多心経
hannya haramitta shingyō
Herz Sutra der Prajnaparamita
觀自在菩薩。行深般若波羅蜜多時。照見五蘊皆空。度一切苦厄。
kanjizai bosatsu. gyō jin hannya haramitta ji. shōken goun kai kū. do issai kuyaku.
Bodhisattva Avalokiteshvara2 versenkte sich tief in Prajna·para·mita3 und erkannte, dass die Fünf Skandhas4 alle leer sind. So überwand er Mühsal und Pein.
舍利子。色不異空。空不異色。色即是空。空即是色。受想行識亦復如是。
shari-shi. shiki fu i kū. kū fu i shiki. shiki soku ze kū. kū soku ze shiki. ju-sō-gyō-shiki yaku bu nyo ze.
„Oh, Meister Shari,5 Form ist nicht verschie·den von Leere, Leere ist nicht verschie·den von Form. Daher ist Körper Leere und Leere ist Körper. Ebenso verhält es sich mit Gefühl, Vorstel·lung, Wille und Wahr·nehmung.“6
舍利子。是諸法空相。不生不滅。不垢不淨不增不減。
shari-shi. ze shohō kūsō. fushō fumetsu. fuku fujō fuzō fugen.
„Oh, Meister Shari, alle Dharmas7 sind leer. Ohne Ent·stehen und ohne Vergehen; ohne Schmutz und ohne Reinheit; ohne Zunahme und ohne Abnahme.“
是故空中。無色。無受想行識。無眼耳鼻舌身意。無色聲香味觸法。無眼界。乃至無意識界。
ze ko kū chū. mu shiki. mu ju-sō-gyō-shiki. mu gen-ni-bi-zes-shin-i. mu shiki-shō-kō-mi-soku-hō. mu genkai. naishi mu ishikikai.
„Daher existiert in der Leere keine Form, kein Fühlen, Wahr·nehmen, Wollen oder Denken.8 Nicht Auge noch Ohr, Nase, Zunge, Körper oder Geist. Weder Farbe noch Ton, Geruch, Geschmack, Berüh·rung oder Gegen·stand. Weder die sicht·bare Welt noch die Welt der Vor·stellung.“
無無明。亦無無明盡。乃至無老死。亦無老死盡。無苦集滅道。無智亦無得。
mu mumyō. yaku mu mumyō jin. naishi mu rōshi. yaku mu roshi jin. mu ku-shū-metsu-dō. mu chi yaku mu toku.
„Nicht das Nicht-Wissen noch die Aufhebung des Nicht-Wissens; nicht Alter und Tod noch die Aufhe·bung von Alter und Tod; kein Leiden, kein Ent·stehen, kein Ver·gehen, kein Weg; weder Erkennen noch Erlangen.“
以無所得故。菩提薩埵。依般若波羅蜜多故。心無罣礙。無罣礙故。無有恐怖。遠離顚倒夢想。究竟涅槃。
i mu shotokko. bodaisatta. e hannya haramitta ko. shin mu kege. mu kege ko. mu u kufu. onri tentō musō. kukyō nehan.
„Weil der Bodhisattva nichts begehrt und sich in Prajna·paramita versenkt, ist sein Bewusst·sein ohne Hinder·nisse. Weil unge·hindert, ist er ohne Furcht. Fern von allen Illu·sionen und Träumen meistert er das Nirvana.“
三世諸佛。依般若波羅蜜多故。得阿耨多羅三藐三菩提。
sanze shobutsu. e hannya haramitta ko. toku anokutara sanmyaku sanbodai.
„Die Buddhas der Drei Welten9 erlangen durch die Prajna·paramita das Anuttara Sam·yaksam·bodhi.“10
故知般若波羅蜜多。是大神咒。是大明咒是無上咒。是無等等咒。能除一切苦。真實不虛。
ko chi hannya haramitta. ze daijin-shu. ze daimyō shu ze mujō shu. ze mutōdō shu. nō jo issai ku. shinjitsu fuko.
„Höre daher den großen gött·lichen Spruch der Prajna·paramita, das große Mantra, den un·über·treff·lichen Spruch, den un·ver·gleich·lichen Spruch, der alles Leiden hinweg·fegt. Dies ist die Wahr·heit, keine Täu·schung.“
故說般若波羅蜜多咒即說咒曰
ko setsu hannya haramitta shu soku setsu shu watsu
Und so erklärte er das Mantra der Prajnaparamita und sprach:
掲帝掲帝 般羅掲帝 般羅僧掲帝 菩提僧莎訶
gyatē-gyatē hara-gyatē harasō-gyatē boji sowaka
Gate gate paragate parasamgate bodhi svaha11
般若波羅蜜多心經
hannya haramitta shin-gyō
Herz Sutra der Höchsten Weisheit
Hannya shingyo.jpg
Japanische Abschrift des Herz Sutras, 12. Jh.
Japanische Abschrift des Herz-sutra.
Heian-Zeit, 12. Jh. The British Museum.

Anmerkungen

  1. In der Übersetzung habe ich Lehnwörter aus dem Sanskrit, die das chinesische Original unübersetzt wiedergibt, ebenfalls in Sanskrit belassen und mit Erläuterungen versehen. Auf diese Weise hoffe ich die Aura des Geheimnisvollen, die der Text für ostasiatische Buddhisten bis heute hat, am besten wiedergeben zu können.
  2. Eigentlich Bodhisattva der Freien Sicht, Beiname des Avalokiteshvara, jap. Kannon Bosatsu [Kannon Bosatsu (jap.) 観音菩薩 Bodhisattva Avalokiteshvara, wtl. „der den Klang der Welt erhört“; „Bodhisattva des Mitleids“; s.a. Kannon, Guanyin;].
  3. Prajna = Weisheit, Paramita = Transzendenz. Es gibt genau genommen sechs Stufen von Prajnaparamita, die man erreichen muss, um ein Bodhisattva zu werden. Hier bedeutet Prajnaparamita sinngemäß die höchste Stufe der Wahrnehmung/Erkenntnis. Im chinesisch/japanischen Text ist der Begriff nicht übersetzt, sondern als Lehnwort beibehalten: hannya haramitta.
  4. Die fünf Skandhas (jap. goun 五蘊), wtl. die „Fünf Ansammlungen“, sind Bestandteile der menschlichen Konstitution. Die genaue Bedeutung der einzelnen Begriffe ist Gegenstand mannigfacher Interpretationen, lautet aber in etwa folgendermaßen:
    1. Rupa (shiki 色 ), Form oder Materie (materieller Körper)
    2. Vedana (ju 受), Fühlen, Gefühl
    3. Samjna ( 想), Vorstellung, Phantasie
    4. Samskara (gyō 行), Wille, Gestaltungskraft
    5. Vijnana (shiki 識), Wahrnehmung, Intellekt
    Zusammen konstituieren sie nach buddhistischer Auffassung einen Menschen, ohne dass sich daraus eine feste Identität, ein Ich, ergibt. Laienhaft kann der Ausdruck aber dennoch im Sinne von (falschem) „Ich“ oder „Identität“ verstanden werden. Avalokiteshvara erkennt also, dass er selbst aus nichts anderem als aus Leere besteht.
  5. Shariputra, ein Schüler des Buddha, der hier als passiver Gesprächspartner des Avalokiteshvara auftritt.
  6. „Form“ (rūpa) kann auch als „Körper“ verstanden werden, also das erste der Fünf Skandhas. Abschließend werden auch die weiteren vier Skandhas aufgezählt.
  7. Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. 法)] hier in der Bedeutung von Gegenstand, Phänomen.
  8. Noch einmal die Fünf Skandhas
  9. Buddhas der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.
  10. Höchste, vollkommene Erleuchtung
  11. Der namhafte Buddhismusforscher Edward Conze [Conze, Edward (west.) 1904–1979; deutsch-britischer Buddhismusforscher] gibt die inhaltliche Bedeutung dieser Formel folgendermaßen wieder: „Gone, gone, gone beyond, gone altogether beyond, o what an awakening, all hail!“ (Gegangen, gegangen, hinübergegangen, ganz hinübergegangen, oh welch ein Erwachen, alles Heil!) Andere Buddhismuskundler deuten gate als „Weisheit“ und übersetzen: „O wisdom, o wisdom, o supreme wisdom, o unequalled supreme wisdom! Enlightenment! Hail!“ („Oh Weisheit, oh Weisheit, oh höchste Weisheit, oh unübertreffliche höchste Weiheit! Erleuchtung! Heil!“ [Michael Pye in einem Beitrag zum Diskussionsforum PMJS, 10. Jänner 2014]), wobei allseits eingestanden wird, dass die Formel eine Vielzahl von Interpretationen zulässt. In der chinesisch-japanischen Version ist die inhaltliche Bedeutung jedenfalls nebensächlich, denn man nahm an, dass nur der genaue Wortklang das gewünschte Ergebnis, die höchste Form der Erkenntnis, hervorrufen könne. Daher behielt man in China die Laute der Sanskrit-Gebetsformel so gut als möglich bei und ließ dafür den genauen Sinn der Formel unbestimmt.

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„Das Herz Sutra (Hannya shingyō).“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001