Japanische Trickster

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Japanische Trickster

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Der bekannte Mythenforscher Mircea Eliade [Eliade, Mircea (west.) 1907–1986, rumänischer Religionswissenschaftler und Ethnologe, lehrte an der Universität Chicago] definierte die seiner Meinung nach arche·typische Gestalt des Tricksters anhand von Beispielen aus Nordamerika folgendermaßen:

Zitat Eliade

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Mircea Eliade (1907-1986)

Seine Persönlichkeit ist ambivalent und seine Rolle zwiespältig, in der Mehr·zahl der mytho·logischen Traditionen ist er für das Vor·handen·sein des Todes und den jetzigen Zu·stand der Welt ver·ant·wort·lich. Er ist aber auch ein Ver·wandler und Kulturheros, denn man sagt von ihm, er habe das Feuer und andere nützliche Dinge ge·stohlen und die Ungeheuer, die die Erde verwüsteten, vernichtet.

Aber auch als Kulturheros bewahrt er die spezifischen Züge eines Betrügers. Wenn er das Feuer oder ein anderes dem Menschen un·be·dingt not·wen·diges Gut stiehlt, das ein göttliches Wesen eifer·süchtig hütet (Sonne, Wasser, Wild, Fische), so gelingt ihm das nicht auf heroische Weise, sondern mittels Schlau·heit oder Betrug. Der Erfolg seiner Bemühungen wird oft durch seine Un·ge·schick·lich·keit in Frage gestellt (die Erde wird etwa durch Feuer oder Flut vernichtet).

Nur mit List oder Täuschung gelingt es ihm, die Menschen von den kanni·balischen Ungeheuern zu befreien.

Ein weiterer charakteristischer Zug des Tricksters ist seine ambivalente Haltung gegenüber dem Heiligen. Er karikiert und parodiert scha·ma·nis·tische Erfahrungen oder priesterliche Rituale. Die Schutzgeister des Schamanen werden von ihm auf groteske Weise mit seinen Ex·kre·men·ten identifiziert, und er parodiert den ekstatischen Flug des Schamanen, obwohl er selbst am Ende immer her·unter·fällt. Es ist klar, daß dieses paradoxe Benehmen eine zwei·fache Bedeutung hat: Der Trickster macht sich über das Heilige, die Priester und die Scha·ma·nen lustig, die Lächer·lich·keit richtet sich aber auch gegen ihn selbst. Wenn er nicht der hart·näckige und listen·reiche Feind des Schöpfergottes ist (wie in den kalifornischen Mythen), dann erweist er sich als eine schwer zu definierende Persön·lich·keit, intelligent und dumm zugleich, den Göttern nahe durch seine „Uranfänglichkeit“ und seine Kräfte, aber den Menschen noch näher durch seinen ge·fräßigen Hunger, seine außer·ge·wöhn·liche Sexualität und seine Amoralität.

[...]

Gewisse charakteristische Züge der menschlichen Verhältnisse von heute sind die Folge der Einmischung des Tricksters in den Akt der Schöpfung. Er triumphiert zum Beispiel über Monstren, ohne sich als Heros zu gebärden: Viele Dinge gelingen, aber ebenso viele mißlingen ihm; er organisiert und vollendet die Welt, aber mit so vielen Irrtümern und Ungeschick·lichkeiten, daß schließlich nichts vollkommen zustande kommt. In dieser Hinsicht kann man in der Figur des Tricksters eine Projektion des Menschen sehen, der eine neue Art der Religion sucht.

Mircea Eliade (1969), zitiert nach Hartmut Dietz, Neuer Physiologus (2011/12/01).

Antike Sagenwelt

Gestalten, die Eliades Trickster-Archetyp nahe kommen, finden sich auch in den Mythen der euro·päi·schen Antike, allen voran in der Figur des Prome·theus, der den Menschen nach einer Über·lieferung sogar selbst aus Lehm er·schafft und ihn schließ·lich durch List in den Besitz des Feuers bringt. All dies gegen den aus·drück·lichen Befehl des Götter·vaters Zeus. Auch andere griechi·sche (Halb-)Götter rebel·lieren mit List und Tücke gegen die Ordnung der Götter, etwa Tantalos, der den Göttern, um ihre All·wis·sen·heit zu testen, seinen eige·nen Sohn zur Mahl·zeit vorsetzt, oder Sisyphos, ein noto·rischer Lügner, der kurz·zeitig sogar den Tod außer Gefecht setzt. Sie alle werden in den griechi·schen Mythen mit drasti·schen Strafen belegt, die sich vor allem durch ihre Per·manenz aus·zeichnen: Pro·me·theus' Leber wächst immer nach, damit sie erneut von einem Adler ge·fressen werden kann, Sisyphos' Stein rollt immer wieder den Berg hin·unter, bevor er es geschafft hat, ihn bis zum Gipfel zu bringen, Tantalos hungert und durstet um·geben von Köst·lich·keiten, die er gerade nicht mehr erreichen kann.

Gerade am Beispiel des Prometheus drängt sich die Idee auf, dass er stell·ver·tretend für die Ent·wei·hung büßen muss, welche die mensch·liche Kultur gegen·über der gött·lichen Ord·nung darstellt. Auch in der bibli·schen Erbsünde, bzw. dem Kreu·zes·tod Christi kann man diese Idee von mensch·licher Kultur als Frevel finden (Jesus über·nimmt dabei eine theo·logisch trans·zen·dierte Trickster·rolle, in der die komische Seite fehlt).

Trickster in Japan

Susanoo

Susanoo 須佐之男/素戔男 (jap.)

mytholog. Gottheit; Trickster-Gott, Sturmgott, Mondgott; Bruder der Amaterasu

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, der etwas missratene Sohn des japanischen Urgötter·paares

Izanagi 伊耶那岐/伊奘諾 (jap.)

Göttervater; auch Izanaki (ki hier männliche Endung); Bruder und Mann von Izanami

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und

Izanami 伊耶那美/伊奘冉 (jap.)

Göttermutter, Göttin der Unterwelt (mi hier weibliche Endung); Schwester und Frau des Izanagi

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, besitzt fast alle von Eliade auf·ge·zählten Eigen·schaften eines Tricksters, aller·dings treten sie nicht gleich·zeitig zu Tage, sondern in auf einander folgen·den Episoden, in denen sich ein erstaunlicher Charakterwandel Susanoos vollzieht: Zu·nächst begeht er Misse·taten, die sich gezielt gegen seine Schwester

Amaterasu 天照 (jap.)

Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise

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, die Herrin des Himmels, richten. U.a. ent·weiht er ihren Palast mit den eigenen Exkre·menten, zerstört Felder und eine Webe·halle, tötet ein Pferd und eine Dienerin Ama·terasus und schafft auf diese Weise den Grund, warum sich sich Ama·terasu, die Sonne, vorüber·gehend ver·dunkelt (in eine Höhle zurückzieht). Zur Strafe werden Susanoo die Nägel aus·ge·rissen, dann muss er auf·wendige Opfer·gaben leisten und schließ·lich wird er aus dem Himmel ver·bannt. Diese Strafen sind grau·sam, aber be·grenzt. Er muss nicht wie seine griechi·schen Kollegen alle Zeiten hindurch leiden.

Stattdessen kann sich Susanoo in der irdischen Welt eine neue Existenz aufbauen und wird in dieser Rolle zum Kultur·heros. Die entscheidende Wendung vollzieht sich im Kampf gegen die tyran·nische Schlange

Yamata no Orochi 八岐大蛇 (jap.)

Mythologische Schlange (Drache) mit acht Köpfen; wtl. „achtfach gegabelte Schlange“; wird von Susanoo besiegt

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, den er — typisch Trickster — eher durch List als durch Stärke gewinnt, indem er die Schlange betrunken macht. Auf der Grundlage von Vergleichen mit rezenten volks·religiösen Festen, in denen das Motiv dieses Kampfes auftaucht, hat der japanische Volkskundler Matsudaira Narimitsu (1897–1979) bereits 1946 die These aufgestellt, dass Susanoo und die Schlange im Grunde zwei Aspekte der gleichen Gottheit darstellen.1 Demnach lässt sich der Orochi-Mythos auch dahingehend interpretieren, dass Susanoo den gewalttätigen Aspekt (

aramitama 荒魂 (jap.)

wtl. rauer (wilder) Geist; gewalttätige Natur (mitama) einer Gottheit (im Ggs. zu nigimitama, milder Geist)

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) seiner göttlichen Natur besiegt und sich somit zu einem Wohltäter wandelt.

Jedenfalls wird Susanoo in dieser Episode zum Kultur·heros und verliert seine subver·siven Züge. Seine List, mit der er die Schlange un·schäd·lich macht, ist eben·so·wenig gegen die Ordnung der Götter gerichtet, wie die sonstigen Wohl·taten, die er für die Menschen ersinnt (nach einer Version erschafft er nützliche Bäume und Getreide). Susanoos Iden·tität als Tunicht·gut und seine Identität als Wohl·täter der Mensch·heit werden im japa·nischen Mythos also in getrenn·ten Episo·den zum Aus·druck gebracht, als ob der Gott im Zuge seiner Bestra·fung eine Charakter·wand·lung durch·gemacht hätte. Mensch·liche Kultur an sich ist mit der Ordnung der (himm·lischen) Götter kompa·tibel. Schluss·end·lich endet Susanoo als Herr über die Unter·welt und erfüllt damit ein wei·teres Krite·rium Eliades, die Nähe zum Tod.

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Susanoo kämpft gegen die achtköpfige Schlange
Susanoo rettet Prinzessin Kushinada vor der achtköpfigen Schlange (hebi). Im Vordergrund acht Töpfe mit Sake, Susanoos Trick, um das Monster betrunken zu machen. Wie für viele ukiyo-e der mittleren Periode typisch, ist der Held mit den Zügen eines Kabuki-Schauspielers ausgestattet.
Werk von Utagawa Toyokuni (1769–1825). Spätere Edo-Zeit. Tokyo National Museum.

Ōkuninushi

In

Ōkuninushi 大国主 (jap.)

mythol. Gottheit; wtl. Großer Meister des Landes

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, einem Sohn (bzw. Nachkommen) des Susanoo, begegnen wir einer weiteren japanischen Trickster·gestalt. Seine Streiche und Tricks richten sich vorerst nicht gegen die höchsten Götter, sondern nur gegen die eigene Familie einschließ·lich seines Vaters. Er übernimmt kurzzeitig die Herrschaft auf Erden und spielt dabei vor allem das von Eliade angeführte Element der „außer·ge·wöhn·lichen Sexualität“ aus. Schließlich muss er dem „himm·lischen Enkelsohn“ Amaterasus weichen, doch vermag er mit vielen Tricks, seine Abdankung hinaus zu zögern. Am Ende zieht auch er sich in eine Art Unterwelt zurück (s. Sidepage Ōkuninushi).

Yamato Takeru

Auch Prinz

Yamato Takeru 倭建/日本武 (jap.)

Mythologischer Prinz, Sohn des Keikō Tennō; wtl. der Held/der Tapfere von Yamato

Fiktive Person

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ist eine Gestalt mit trickster·artigen Zügen. Als Sohn des (mytho·logischen) Keikō Tennō fällt er allerdings nicht mehr in das sogenannte Gött·liche Zeitalter. Schon als Kind mit über·mensch·lichen Kräften aus·gestattet, tötet er seinen älteren Bruder aufgrund eines trivialen Miss·ver·ständ·nisses.2 Seinem Vater wird der Sohn unheimlich und er schickt ihn in scheinbar aus·sichts·lose Feldzüge, die Yamato Takeru allerdings mit List, Schläue und der ihm eigenen Brutalität meistert. Damit wird auch Yamato Takeru zu einem Kulturheros des frühen

Yamato 大和/倭 (jap.)

Kernland der Tennō-Dynastie in Zentraljapan (Präfektur Nara); archaischer Name für Japan

Ort, Geschichte

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-Reiches. Die Ambivalenz des Tricksters ist im Fall Yamato Takerus auf einen Vater-Sohn Konflikt herunter gebrochen, der beinahe in ein Happy End zu münden scheint. Letztlich führt jedoch Leichtsinn dazu, dass Takeru in der Begeg·nung mit einer feindlichen Gottheit den Kürzeren zieht. Sein früher Tod wird in gewisser Weise dadurch wett·gemacht, dass er als einer der letzten mytho·logi·schen Gestalten Verehrung als Schrein·gottheit genießt.

Zusammenfassung

Die Gestalt des Tricksters ist den japanischen Mythen also keineswegs fremd. Fast alle von Eliade geschilderten Elemente lassen sich finden, lediglich der im Trickster sichtbare Wider·spruch zwischen göttlicher und menschlicher Ordnung ist kaum zu erkennen. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass die bekannten Mythen·fassungen in erster Linie aus den offiziellen Reichs·chroniken stammen (vgl. Mythentexte) und dort zweifellos im Hinblick auf die Legitimation des Kaiser·hauses hin „geschönt“ wurden. Es mag aber auch sein, dass der ödipale Konflikt zwischen Göttern und Menschen doch nicht so universell ist, wie Eliade annahm.

Anmerkungen

  1. Matsudaira Narimitsu, Matsuri, honshitsu to shosō. Tokyo: Nikkō Shoin, 1946; zitiert nach Ouwehand 1958, S. 151–58.
  2. Nachdem der ältere Bruder nicht bei den gemeinsamen Mahlzeiten erscheint, erhält Yamato Takeru die Anweisung seines Vaters Keikō Tennō, seinen Bruder zu „belehren und warnen.“ Er interpretiert dies jedoch aufgrund einer unübersetzbaren Doppelbedeutung dahingehend, seinem Bruder die Gliedmaßen auszureißen, was er auch in die Tat umsetzt. (Kojiki, Antoni 2012, S. 143–44; s.a. Isomae 1999, S. 363.)


Religion in JapanMythen
Diese Seite:

„Japanische Trickster.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001