Geschichte/Kamakura/Kamikaze
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Götterwinde, Religion und Krieg Japan zur Zeit der mongolischen Eroberungen
Die Herrschaft der Mongolen ist aus der Sicht Japans vor allem mit einem einschneidenden Ereignis verbunden: der erfolgreichen Abwehr eines zweifachen Invasionsversuchs der Mongolen, 1274 und 1281. Japan stellt somit eines der wenigen Länder dar, die dem Eroberungsdrang der Mongolen Einhalt gebieten konnten. Der traditionellen japanischen Geschichtsauffassung zufolge war dies aber nicht der militärischen Überlegenheit Japans zu verdanken, sondern Taifunen, welche die Götter Japans zum richtigen Zeitpunkt entfachten. Diese Winde werden daher „Götterwinde“ genannt, auf Japanisch
Götterwind; urspr. ein poetischer Beinamen der Provinz Ise, wird der Begriff seit den Mongolenangriffen des 13. Jh.s mit göttlichem Schutz im Krieg assoziiert und daher auch mit den Selbstmord-Piloten des 2. Weltkriegs in Verbindung gebracht
Der Begriff „kamikaze“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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. Der Mythos dieser Winde wirkte bis ins zwanzigste Jahrhundert fort, als die Selbstmordpiloten der japanischen Luftwaffe die Rolle der Götterwinde übernehmen sollten, um die „ausländischen Eroberer“ abzuwehren.
Die mongolische Eroberung Ostasiens
Einer der frühesten Erfolge Dschingis Khans nach der Einigung der mongolischen Stämme (1205) war die Eroberung Pekings (1215), das zuvor die Hauptstadt der nordchinesischen Jin Dynastie gewesen war. Die Eroberung Südchinas, das zu dieser Zeit von der südlichen Song-Dynastie (1130-1276) regiert wurde, ging allerdings nur noch schleppend und in kleinen Schritten voran, während sich in Richtung Westen, von Zentralasien bis Osteuropa, ein Reich nach dem anderen der militärischen Macht der Mongolen unterwerfen musste. China stellte also, ebenso wie Korea und Japan, eine wesentlich größere Hürde für die mongolischen Eroberungen dar als die westlich gelegenen Reiche.
Bildquelle: Wikipedia [2010/8]
Die vollständige Eroberung Chinas gelang erst unter Dschingis Khans Enkel Kubilai Khan (1215-94, r. 1260-94), der 1271 offiziell die chinesische Yuan Dynastie begründete und von da an als rechtmäßiger Kaiser Chinas agierte. Unter Kubilai wandelte sich der mongolische Herrschaftsapparat und insbesondere der direkt unter Kubilai Khan stehende Teil der eroberten Gebiete von einem kriegerischen Nomadenreich zu einem Agrarstaat mit komplexen bürokratischen Hierarchien nach chinesischem Muster. Die dünne Herrschaftsschicht der einst zügellosen Eroberer wurde auf diese Weise von der Kultur der Eroberten domestiziert.
Dennoch war die Angriffslust der Mongolen unter Kubilai noch nicht gänzlich erloschen. Laut den Berichten Marco Polos, der China unter Kubilai Khan besuchte und von diesem persönlich empfangen wurde, richteten sich die Begehrlichkeiten des Großkahns vor allem auf Japan, das in Kubilais (und auch in Marco Polos) Augen ein Land von sagenhaftem Reichtum war. Bevor an einen Angriff auf Japan allerdings zu denken war, musste erst die Eroberung Koreas abgeschlossen werden.
Korea wurde bereits 1231 zum Ziel mongolischer Angriffe, setzte sich aber lange Zeit erfolgreich zur Wehr. Erst unter Kubilai kam es zu einer Art Annektion des Landes, allerdings nicht durch einen eindeutigen militärischen Sieg sondern aufgrund von diplomatischen Zugeständnissen. Im Austausch gegen den Abzug der mongolischen Truppen aus der alten Hauptstadt Koreas, erklärte sich der spätere König Weonjong (r. 1259-1274) zum Vasallen der Mongolen. Korea wurde so zu einem wichtigen Verbündeten in der letzten Phase der ostasiatischen Eroberungen.
Angriffe auf Japan
Die Kontaktaufnahme der mongolischen Yuan Dynastie mit Japan begann 1266 und folgte den diplomatischen Spielregeln früherer chinesischer Dynastien: aus dem selbstverständlichen Anspruch, die Mitte und zugleich den Höhepunkt menschlicher Zivilisation darzustellen, gewährte man auch den Herrschern der umliegenden Reiche, je nach Abstand zur chinesischen „Mitte“ ein bestimmtes, genau abgewogenes Maß an Respekt. Entsprechende Botschaften wurden ab 1266 in unregelmäßigen Abständen und meist über Vermittlung Koreas an die japanischen Herrscher entsandt. Nach dem Inhalt der ersten Botschaften zu schließen, handelte es sich weder um offene Kriegserklärungen noch um konkrete Tributforderungen, aber doch um unmissverständliche Aufforderungen, die Überlegenheit der mongolischen Herrscher anzuerkennen (zum Wortlaut des Schreibens vgl. Bockhold 1982, 84-85). Inwieweit dies bereits eine versteckte Kriegsdrohung an Japan war, ist im historischen Rückblick nicht einfach herauszulesen. Faktum ist, dass die Japaner zunächst einmal gar nicht auf Kubilais Botschaften reagierten und damit einen willkommenen Anlass für die zunehmend feindselige Haltung der Mongolen lieferten.
Neben dem von Marco Polo geschilderten Reichtum Japans gab es vielleicht auch komplexere geopolitische Überlegungen, die zu Angriffsplänen auf den Inselstaat führten. Die dafür nötigen logistischen Anstrengungen wurden nämlich zunächst hauptsächlich dem neuen Vasallenstaat Korea aufgebürdet. Die Aussicht auf Beute sollte die Koreaner möglicherweise bei der Stange halten und den Mongolen damit den Rücken für ein weiteres Vordringen nach Süden freihalten. In der Tat war der Auftrag an Korea, 1000 Kriegsschiffe zu bauen und zugleich auch die Versorgung einer entsprechenden Anzahl von Soldaten vorzubereiten, so gewaltig, dass Teile des koreanischen Heeres neuerlich rebellierten (1270-73), was zu einer Verzögerung des Angriffs auf Japan führte.
1274 war es dann schließlich so weit. Die kombinierten Streitkräfte Koreas und Yuan-Chinas (mongolischen Berichten zufolge 900 Schiffe mit insgesamt fast 30.000 Soldaten) setzten zur Überquerung der ca. 150 km breiten Meerenge an, die Korea von der südlichen japanischen Hauptinsel Kyushu trennt. Die Angreifer machten Station auf den zu Japan gehörigen Inseln Tsushima und Iki, wo sie den Widerstand örtlicher Samurai rasch in den Griff bekamen. Es gelang ihnen, verhältnismäßig ungehindert in der Bucht von Hakata (dem heutigen Fukuoka) an Land zu gehen, wo sich ihnen am 20.10.1274 endlich ein größeres Heer von Verteidigern entgegenstellte.
Japanische und mongolische Berichte stimmen weitgehend dahingehend überein, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen zunächst günstig für die Angreifer verliefen. Die Japaner wurden in die Festung von Dazaifu zurückgedrängt, die Hafenstadt Hakata wurde von den Mongolen in Brand gesteckt. Dennoch gab es auch auf mongolischer Seite Verluste, u.a. wurde der mongolische Vizeadmiral schwer verwundet. Dem Historiker Thomas Conlan zufolge waren vor allem die japanischen Bögen – damals die Hauptwaffe der Samurai – aufgrund der größeren Bogenlänge den viel gerühmten mongolischen Reflexbögen an Reichweite überlegen.
Aus nach wie vor unerfindlichen Gründen zog sich das Heer der Angreifer aber nach dem ersten Gefechtstag auf japanischem Boden wieder zurück. Zeitgenössische Quellen bringen hier zum ersten Mal die legendären Götterwinde (kamikaze) ins Spiel, doch eigenartigerweise ist davon nur in mongolischen Berichten zu lesen. In den beiden japanischen Quellen, die die mongolischen Kämpfe am ausführlichsten beschreiben (Mōkō shūrai ekotoba und Hachiman gudōkun), ist von diesen Winden im Jahr 1274 nichts zu finden. Nur im entfernten Kyoto notierte der Höfling Kadenokōji Kanenaga in sein Tagebuch, dass ihm die frohe Nachricht zu Ohren gekommen sei, Winde aus östlicher Richtung hätten die mongolischen Schiffe in ihre Heimat zurückgeblasen (Conlan 2001).
Damit war die mongolische Gefahr fürs erste gebannt, aber beiden Seiten war klar, dass dies noch nicht das Ende der Feindseligkeiten bedeutete. Nach dem endgültigen Sieg über die Song Dynastie (1279) wandte sich Kubilai Khan ein weiteres Mal der japanischen Sache zu und ließ diesmal eine noch mächtigere Flotte errichten, die von zwei Stützpunkten aus starten sollte: Südchina und Korea. Wieder waren es ehemalige Feinde, die die Hauptlast des Militärschlags auf Japan zu leisten hatten.
In Japan war man in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Zwischen den beiden Angriffen (1274 und 81) gelang es, vor Hakata (dem natürlichen Eingang nach Kyushu und in der Folge nach den anderen Hauptinseln Japans) eine 12km lange Befestigungsmauer zum Meer hin zu errichten, die bald gute Dienste leisten sollte. Auch scheint man sich besser um die innere militärische Organisation der Abwehr gekümmert zu haben.
Auf Seiten der Angreifer klappte die Logistik 1281 weniger gut. Es gelang nicht, die beiden Hauptflotten wie geplant zu synchronisieren, sodass sich der Zeitpunkt des Angriffs gefährlich nahe an die Saison der Taifune anzunähern begann. Bis auf den heutigen Tag ist besonders Kyushu aber auch Südkorea jedes Jahr im Spätsommer, bzw. im Frühherbst einer Reihe von Wirbelstürmen (japanisch taifū, wtl. Großer Wind → „Taifun“) ausgesetzt. Das Risiko eines solchen Wirbelsturms muss den Angreifern bewusst gewesen sein. Möglicherweise war dies mit ein Grund, warum der kleinere Teil der Angreifer — die Flotte aus Korea — angriff, ohne das Eintreffen der Flotte aus Südchina abzuwarten. Sie musste eine entsprechende Niederlage hinnehmen und zog unverrichteter Dinge wieder ab (allerdings nicht ohne die Bevölkerung der Japan vorgelagerten kleineren Inseln ein weiteres Mal zu massakrieren).
Als die chinesische Flotte (angeblich 100.000 Mann) schließlich eintraf, war es ihren Soldaten aufgrund der Befestigungsanlagen ebenfalls unmöglich, auf japanischem Boden Fuß zu fassen. Die mongolischen Truppen bezogen daher auf der Insel Takashima Stellung und hielten dort sechs Wochen in einer Art Belagerungszustand aus. Von Japan aus erfolgten in dieser Zeit guerillataktische Angriffe: einerseits versuchte man die Versorgungsschiffe der Angreifer anzugreifen, andererseits gab es von kleinen wendigen Booten aus nächtliche Überfälle auf größere mongolische Schiffe. Schließlich kam dann offenbar tatsächlich ein Taifun, der den Großteil der angreifenden Schiffe zerstörte und die wenigen übrigen zu einem hastigen Rückzug veranlasste. Der zweite Angriff auf Japan endete somit in einer verheerenden Niederlage der Yuan-chinesischen Angreifer.
Japanische Verteidigungsstrategien
und die Frage der Götterwinde
In der späteren japanischen Geschichtsschreibung gewannen die Götterwinde zunehmend an Bedeutung und wurden in beiden Feldzügen als kriegsentscheidend dargestellt. Es existieren jedoch wie bereits erwähnt zwei Quellen, die die mongolischen Angriffe aus verhältnismäßig geringer zeitlicher Distanz schildern und in denen die kamikaze überraschenderweise gar nicht vorkommen: Einer dieser Berichte, das Mōkō shūrai ekotoba ist der Augenzeugenbericht eines verhältnismäßig niedrigen Samurai namens Takezaki Suenaga, der seine Heldentaten nicht nur niederschrieb, sondern auch illustrieren ließ. Dieser Bericht ist deutlich von dem Interesse getragen, den heldenhaften Charakter seines Protagonisten zu schildern. Es nimmt insofern nicht weiter Wunder, dass die göttlichen Winde nicht erwähnt werden, da auch der allgemeine Verlauf der Schlacht kaum berücksichtigt wird. Dennoch enthüllt der Bericht zahlreiche interessante Besonderheiten der japanischen Verteidigung.
In Japan regierte zu dieser Zeit eine Militärregierung (Shogunat), die sich aus Vertretern der Kriegerklasse (Samurai) zusammensetzte. Das ganze Land war verhältnismäßig hoch militarisiert, aber die Regierung verfügte über keine nennenswerte stehende Armee sondern war auf die Loyalität ihrer Vasallen angewiesen. Der offizielle Oberbefehlshaber der Verteidiger in Kyushu hatte daher auch keine absolute Befehlsgewalt über die beteiligten Krieger. Diese wurden vielmehr durch die Aussicht auf Belohnungen, die die Regierung für besonders heldenhafte Einzelleistungen in Aussicht stellte, motiviert. Dieses System der Belohnungen war bereits so weit institutionalisiert, dass sich Krieger, bevor sie in den Kampf zogen, eines „Zeugen“ versicherten, der ihre Ansprüche auf Belohnung im Falle ihres Überlebens per Eid bestätigen sollte. Diese Zeugen sollten mit dem Bittsteller möglichst in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis stehen. Eine weitere Form, seine Verdienste unter Beweis zu stellen, war das Vorzeigen von Köpfen der getöteten Feinde. Ebenso wie bei den Mongolen wurden also auch auf japanischer Seite kaum Gefangene gemacht.
Mōkō shūrai ekotoba, Bildquelle: Scrolls of the Mongol Invasions of Japan [2010/8]
Die „Heldentat“ unseres Chronisten Suenaga bestand im Fall der ersten Mongoleninvasion in nichts anderem als dem tollkühnen Versuch, mit einem kleinen Trupp von Untergebenen gegen die Angreifer anzureiten, bevor der japanische Heerführer das Zeichen zum Angriff gegeben hatte. Es war also in der Tat eine Art „Kamikaze-Aktion“. Obwohl Suenaga mit viel Glück überlebte, konnte er keinen feindlichen Kopf erbeuten. Da er aber durch einen Zeugen seine Verwundungen und den Verlust von Pferden und Dienern beweisen konnte, erhielt er als Belohnung Ersatz für seine Pferde und eine offizielle Bestätigung seines Mutes. Dies war der eigentliche Zweck seines Einsatzes, denn diese Bestätigung konnte er in lokalen Besitz- und Erbstreitigkeiten zu seinen Gunsten einsetzen.
Mōkō shūrai ekotoba, Bildquelle: Scrolls of the Mongol Invasions of Japan [2010/8]
Das Belohnungssystem der Militärregierung stützte sich somit auf eine Art Heldenethos, der in der gesamten Schicht der Samurai anerkannt wurde. Einzelne Individuen wurden unter Berufung auf einen solchen Heldenethos zu ungewöhnlichen Einzelleistungen angereizt. Andererseits war es schwer, derartige „Helden“ einer größeren militärischen Strategie unterzuordnen. Diese grundsätzliche Charakteristik mittelalterlicher japanischer Kriegsführung kommt nicht nur in den Berichten Suenagas sondern auch in den damaligen Heldenepen deutlich zum Ausdruck. Im Unterschied zu den literarischen Heldenepen widmet Suenaga den Kriegsereignissen allerdings nur ein paar Zeilen, während er die bürokratischen Hürden bei der Erlangung seiner Anerkennung mit großer Ausführlichkeit beschreibt. Es scheint, als ob die Verhandlung mit den Behörden den wesentlich schwierigeren Teil seiner kriegerischen Operationen ausgemacht hätten.
Die Rolle der religiösen Institutionen
Obwohl Suenaga die göttlichen Winde nicht erwähnt, sind moderne Historiker überwiegend der Meinung, dass die Windverhältnisse an der japanischen Küste den Kriegsverlauf in der Tat beeinflussten. Dies wird unter anderem durch das erwähnte Hachiman-gudōkun bestätigt, die zweite der zeitlich nächstliegenden japanischen Quellen. Es wurde in der offensichtlichen Absicht verfasst, den Gott
Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen
Der Begriff „Hachiman“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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als den eigentlichen Verantwortlichen für die Winde und damit für den japanischen Sieg darzustellen. Dennoch legen die z.T. recht genauen Beschreibungen des Schlachtenverlaufs in diesem Werk nahe, dass die Winde allein für den Sieg nicht ausreichten. Wieso aber schrieben vormoderne japanische Quellen mit zunehmenden zeitlichen Abständen zu den Ereignissen den Götterwinden eine höhere Bedeutung zu als den Heldentaten japanischer Samurai? Aus Sicht der Mongolen mag es verständlich sein, dass man sich lieber einem Naturereignis als der Kriegskunst eines Gegners geschlagen geben wollte, aber wie erklärt sich die Betonung der Götter und ihrer Winde aus japanischer Sicht? Die Antwort scheint in Tatsache zu liegen, dass neben den Kriegern auch religiöse Institutionen um die Anerkennung ihres Anteils am japanischen Erfolg wetteiferten. Und sie taten dies wahrscheinlich mit noch größerem Erfolg als die Krieger.
Selbst Suenaga verrät, dass die Götter das letzte Wort über den Ausgang einer Schlacht hatten wie immer geschickt er und die anderen Krieger sich auch anstellten. Dass Sieg oder Niederlage letztlich ein Werk der Götter (heute würde man vielleicht sagen: des Zufalls) war, galt also als unbezweifelbare Tatsache. Und so bestand ein beträchtlicher Teil der Kriegsvorbereitungen Japans in aufwendigen Gebeten und Ritualen, die nicht selten vom Tenno selbst abgehalten oder in Auftrag gegeben wurden. Die Hauptrolle spielten aber buddhistische Mönche, die sich interessanterweise weniger an Buddhas und Bodhisattvas, sondern an einheimische Gottheiten (im speziellen an die Gottheit Hachiman) wandten.
Dies mag auf den ersten Blick irrational erscheinen, gehorchte aber sicher einer zweckgerichteten Logik: Eine grundsätzliche Schwierigkeit bei der Mobilisierung der japanischen Verteidigung bestand darin, die mongolische Bedrohung als nationale Katastrophe darzustellen, die jeden einzelnen etwas anging. Die Vorstellung, einem gemeinsamen Reich zu dienen, das man nach außen verteidigen musste, war unter mittelalterlichen Samurai nur äußerst schwach vorhanden. Tatsächlich fand man sich ja angesichts der drohenden Invasion der Mongolen vor eine historisch noch nie dagewesene Situation gestellt.
Es galt also zunächst eine Ideologie zu kreieren, die über die Einzelinteressen der Krieger hinaus ein einigendes Bewusstsein der Verteidiger aus den verschiedenen Teilen Japans schuf. Dazu waren zu dieser Zeit nur die religiösen Institutionen fähig. Sie mussten aus einer speziellen Mischung von Buddhismus und Shinto den ideologischen Kitt erzeugen, der in modernen Nationalstaaten in Form von nationaler Solidarität und Patriotismus mehr oder weniger selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.
In diesem Zusammenhang war der Mythos der Götterwinde schon in der Vorbereitung der Verteidiger ein religiös-ideologischer Topos: Das Hachiman gudōkun, die zweite der bereits genannten japanischen Quellen, zitiert ein Gebet des buddhistischen Abtes Eizon, eines der prominentesten buddhistischen Würdenträger seiner Zeit, an den einheimischen Gott Hachiman: dieser möge Winde aufkommen lassen, die die Feinde ohne ihnen Verletzungen zuzufügen in ihre Heimat zurückschickten. Der Religionshistoriker Fabio Rambelli, der sich mit dem Mythos der Götterwinde ausführlich auseinander gesetzt hat, weist außerdem darauf hin, dass die Liturgie, mit der man den Mongolen begegnete, dem Muster der Abwehr von Naturkatastophen folgte. Während die meisten buddhistischen Mönche vor, während und nach den Mongolenangriffen derartige Riten und Gebete abhielten, um den Sieg Japans sicher zu stellen, gab es auch Eiferer wie den Mönch
1222–1282; Begründer des Nichiren Buddhismus
Der Begriff „Nichiren“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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, der die Mongolen als Werkzeug von Buddhas und Kami ansahen, um Japan für die Verderbtheit seiner Sitten zu strafen.
Nach der erfolgreichen Zurückschlagung der Mongolen waren die religiösen Instutionen wahrscheinlich auch die einzigen wirklichen Gewinner der Situation. Nachdem weiter die Notwendigkeit bestand, Japan gegen mögliche Angriffe der Mongolen zu verteidigen, nahmen auch die rituellen Aktivitäten zur Mobilisierung der Götterwelt nicht ab. Im Mythos der Götterwinde festigte sich die Vorstellung, dass einer Bedrohung durch fremde Mächte letztlich ohne göttlichen Beistand nicht beizukommen sei.
Interessanterweise teilten sogar die Mongolen selbst die Vorstellung, dass ihre Niederlage aus der spirituellen Überlegenheit ihrer Feinde resultierte. In der Geschichte der Yuan-Dynastie wird erwähnt, dass der japanische Herrscher selbst seinen Ahnengöttern in Ise geopfert hätte, worauf sich den Soldaten auf dem Meer bösartige Schlangen gezeigt hätten, die schwefelartige Dämpfe verbreiteten: unheilvolle Vorboten der bevorstehenden Katastrophe.
Angreifer und Verteidiger bewegten sich also trotz aller kulturellen Unterschiede in ähnlichen Vorstellungswelten. Bei zweifellos vorhandener kultureller Arroganz war das Selbstbild der Mongolen keineswegs so von sich eingenommen, dass man die Götter des Gegeners als bloßen Aberglauben abtat. Wahrscheinlich glaubten auch die Mongolen, dass letztlich transzendente Mächte über den erfolglosen Ausgang dieser Eroberung entschieden hatten.
Literatur und Web-Resourcen
- Thomas Conlan, e.a., Scrolls of the Mongol Invasions of Japan (Online reproduction of orginal sources). Bowdion College.
Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, den der Verfasser, Bernhard Scheid, am 9. Juni 2006 im Rahmen des Symposiums 800 Jahre Mongolisches Weltreich an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hielt.
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
- Totengeister
- Dämonen
- Tiere:
- Imaginäre Tiere
- Verwandlungskünstler
- Symboltiere
- 六 Geschichte
- Einleitung
- Altertum:
- Prähistorie
- Frühzeit
- Nara-Zeit
- Frühe kami-Kulte
- Heian-Zeit
- Saichō
- Kūkai
- Honji suijaku
- Mittelalter:
- Kamakura-Zeit
- Amidismus
- Zen Buddhismus
- Nichiren Buddhismus
- Mittelalterl. Shintō
- Frühe Neuzeit:
- Reichseinigung
- Christentum
- Terauke-System
- Neo-Konfuzianismus
- Kokugaku
- Moderne und Gegenwart:
- Bakumatsu-Zeit
- Staatsshintō
- Neue Religionen
- 七 Essays
- Überblick
- Buddhismus, Asien:
- Arhats in China und Japan
- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
- Religion und Politik:
- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
- Herrigels Zen und das Bogenschießen
- Anhang
- Metalog
- Konzept
- Autor
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- Geo-Glossar
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„Götterwinde: Religion und Krieg zur Zeit der mongolischen Eroberungen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001