Herrigels Zen und das Bogenschießen
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zu den Kampfkünsten im all·gemeinen und zum Bogen·schießen im beson·deren nach·gesagt wird, geht im Wesent·lichen auf den Best·seller von Eugen Herrigel Zen in der Kunst des Bogen·schießens aus dem Jahr 1948 zurück. Das Buch war auf Deutsch und Englisch (Übersetzung 1953) so erfolg·reich, dass es bereits 1956 ins Japanische über·setzt wurde. Obwohl es auch in Japan sehr ein·fluss·reich war und ist, traten in der Zwischen·zeit Historiker auf den Plan, die zumindest die histo·rischen Be·haupt·ungen und Thesen Herrigels in Zweifel ziehen. Die folgende Dar·stellung ist vor allem einem auf·schluss·reichen Artikel von Yamada Shōji ver·pflichtet, der 2001 im Japanese Journal of Religious Studies erschien.
Von der „Fertigkeit des Bogens“
zum „Weg des Bogens“
Wie die meisten Kriegskünste entwickelte sich das japanische Bogen·schießen aus den Kriegs·techniken der mittel·alter·lichen Bürger·kriege. In der
Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
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Geographische Lage
-Zeit, als das Land unter der Herr·schaft der Tokugawa-Shogune geeint war und zwei·ein·halb Jahr·hunderte ohne Krieg durchlebte, wurden diese Techniken zu Künsten weiter·entwickelt, die teils der Erziehung der Samurai-Klasse, teils der öffentlichen Unter·haltung dienten. Ob im Schwert·kampf, im Ringen oder im Bogen·schießen, in jedem Bereich bildeten sich unzählige private Schulen heraus, die jeweils einen eigenen Stil in ihrer Kriegs·kunst kreierten. Manche dieser Schulen wurden von bud·dhis·tischen Tempeln geführt, die meisten aber von Samurai-Familien, die ihre Tradition inner·halb eines erwei·terten Familien·verbands weiter·gaben (
traditionelles System von Handwerkern und Künstlern als hierarchisch organisierte, quasi-familiäre Betriebe
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-System). Gegen·über den kriege·rischen Zeiten des Mittel·alters kam es in dieser Zeit zu einer Äs·the·ti·sie·rung und Mythisierung der Kriegs·künste. Zeremonielle Details wurden dabei wichtiger als kriegerische Effektivität. Zudem bedienten sich die verschiedenen Schulen eklektisch verschiedener bud·dhis·tischer und konfuziani·scher Konzepte, um ihrer jeweiligen Kampf·tradition spirituellen Gehalt zu verleihen. Im Fall des Bogen·schießens ging der Haupt·einfluss aber nicht vom Zen, sondern vom Shingon-Buddhismus aus, was einzelne Anleihen beim Zen-Buddhismus jedoch keinesfalls ausschloss.
Im Zuge der japanischen Moderne schwand in den meisten Fällen der Bedarf für die Viel·falt an Schulen und Traditionen. Es traten neue Rich·tungen auf, die ver·suchten, die alten Familien·traditionen zu syn·the·tisieren und in einen breiteren organi·sato·rischen Rahmen zu stellen. Üblicher·weise ging dies auch mit einer ideo·logischen Ver·ein·heit·lichung einher, indem die Künste jeweils zu einem eigenen „Weg“ (
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) erklärt wurden. Was zunächst kollektiv als jūjutsu (wtl. „weiche Technik“) bezeichnet worden war, wurde nun zum
Judo Kampfkunst, wtl. Weicher Weg
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(wtl. „weicher Weg“) geeint, und ähnlich wurde auch die kyūjutsu (wtl. „Fertigkeit des Bogens“) zum
Kyūdō Bogenschießen, wtl. Weg des Bogens
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(wtl. „Weg des Bogens“). Selbst·ver·ständ·lich standen die alten Schulen diesen Neue·rungen äußerst kritisch gegenüber, mussten ihnen aber über kurz oder lang weichen. Herrigels Auf·enthalt in Japan fiel genau in die Zeit eines der·artigen Umbruchs in der Welt des Bogenschießens.
Herrigel in Japan
Eugen Herrigel (1884–1955) hielt sich von 1924–1929 in Japan auf. Er lebte vor allem in Sendai, wo er eine Gast·professur für deutsche Philosophie inne hielt. In den Jahren davor hatte er sich mit einer Arbeit in der Tradition des Neu·kantianismus Urstoff und Urform in Heidelberg habilitiert und dort Kontakte mit meh·reren japanischen Aus·lands·studenten geknüpft. Einer von ihnen, Kita Reikichi, der Herrigel später auch als Dolmetscher zur Seite stand, berichtet über Herrigels Motivation, nach Japan zu fahren:
Sein Lehrer Lask war im Krieg gefallen, er selbst konnte sich sechs Jahre lang nicht dem Studium widmen, das Leben als Privatdozent war erbärmlich, ande·rer·seits hatte er zahlreich Japaner als Freunde ge·wonnen und Japan war ihm zum Traum·land geworden, weshalb er den Wunsch hatte, unbedingt einmal nach Japan zu kommen, dort in Ruhe sein eigenes System aus·zu·arbeiten und dabei Vor·lesungen zur deutschen Philosophie in Japan zu halten. 1
In Sendai kam Herrigel erst 1926 mit dem Bogen·schießen in Kontakt. Sein Lehrer,
(1880–1939), war einer der Proponenten des „Bogen-Weges“ neuen Stils, der seine Ideen geradezu im Stil einer neuen Religion ver·breitete. Herrigel, der sich auch als Philosoph von der Mystik angezogen fühlte und diese im Zen Bud·dhis·mus zu finden hoffte, war für solche Lehren äußerst empfänglich, allerdings deutete er sie wesent·lich stärker als Ausdruck des
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, als dies von Awa selbst intendiert war. Zusätz·liche Ver·ständ·nis·schwierig·keiten (Herrigel kommunizierte mit Awa fast immer über einen japanischen Kollegen, Komachiya Sōzō) schufen weiteren Spielraum für Eigen·inter·pre·ta·tionen und Mystifi·kationen. Yamada analysiert die diversen Miss·verständ·nisse Herrigels in seinem Aufsatz sehr genau und beruft sich dabei auf Berichte über Awa Kenzō, sowie Auf·zeich·nungen von Herrigels Dolmetscher Komachiya. Besonders interessant sind Yamadas Aus·führungen zu Herrigels Schlag·wort „es schießt“, angeblich ein Aus·druck Awas, der aber bei der Rücküber·setzung ins Japanische große Schwierig·keiten ver·ur·sachte, da es im Japanischen für das Deutsche „es“ kaum eine adäquate Ent·sprechung gibt.
Zen und Krieger-Ethos
Herrigel wurde nach seiner Rückkehr nach Deutschland Professor für Philosophie in Erlangen. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP, im Jahr darauf Prorektor und 1945 schließlich Rektor der Universität Erlangen. Seine Nahe·beziehung zum National·sozialismus äußert sich auch in einem der wenigen schriftlichen Zeugnisse, die von ihm aus der Nazi-Zeit bekannt sind. Es handelt sich um eine Ver·herrlichung des deutschen Bündnis·partners Japan („Ethos des Samurai,“ 1944), die mit den Worten schließt:
Denn wo in aller Welt ist die Unbedingtheit des Opfermutes und des Treuseins, durch welche sich der Samurai von gestern und der Soldat von heute aus·zeichnet noch an·zu·treffen — wenn nicht gerade im deutschen Volke? Haben dies nicht die letzten fünf Kriegs·jahre in geradezu erschüt·tern·dem Aus·maße bewiesen? Mögen die Unter·schiede im einzelnen noch so groß sein, so ver·stehen wir unseren tapferen Bundes·genos·sen im fernen Osten doch in allem Wesent·lichen, wie es für uns wie für ihn heiligste Über·zeugung ist, daß, nach einem tiefen Wort Hölderlins, für das Vater·land noch keiner zu viel gefallen ist.2
Auch sonst publizierte Herrigel in der Nazi-Zeit, von einer Vor·studie zum „Bogen·schießen“ (1938) einmal abgesehen, haupt·sächlich Pro·paganda-Schriften für das NS-Regime. Sein Interesse an der deutschen Philosophie hatte er in dieser Zeit offenbar weit·gehend verloren. Er plante allerdings, wie einem Brief zu ent·nehmen ist, eine Studie über Meister Eckart, in dem er einen Mystiker in der Art eines Zen-Bud·dhis·ten zu erkennen meinte. Wie u.a. Karl Baier ausführlich darlegt3 war genau diese Verbindung von christlichem Mystizismus und Zen auch für andere nationalsozialistische Denker charakteristisch, etwa dem Psychologen Karlfried Graf Dürckheim (1896–1988). Es scheint also, dass Herrigel sich zu·nehmend einem irrationalen Mysti·zismus ver·schrieb, der letzt·lich von dem Ziel bestimmt war, im Zen Gemein·sam·keiten mit deutschen Rassen·ideo·logien zu finden.
Ob Herrigels Bild des Zen aber nun direkt vom National·sozial·ismus geprägt war oder nicht, es entsprach zweifel·los dem Geist der Zwischen·kriegs·zeit. So schrieb Karl Heim (1874–1958) ein anderer deutscher „Entdecker“ des Zen, bereits 1925:
Das ist der Zenismus mit seinem ritterlichen Ideal, seinen vornehmen Klöstern, seiner Kunst, seiner mystischen Natur·philosophie und seinen Medi·tations·übungen, die den durchaus positiven Zweck der Willens·zucht und Welt·beherr·schung haben. 4
Zweifellos würden es heutige Zen-Begeisterte im Westen etwas anders aus·drücken, aber viele der von Heim genannten Stereo·type schwingen im westlichen Zen-Bild nach wie vor mit. Am Beispiel Herrigels, und an seinen Irr·wegen, die Yamadas Aufsatz nach·zeichnet, lässt sich er·kennen, dass dieses Zen-Bild von Autoren geschaffen wurde, die von west·lich-ideal·istischen philo·sophischen Konzepten geprägt waren und vom japanischen Zen lediglich einige Stichworte übernahmen, die sie nach eigenem Gut·dünken inter·pretierten. In der Zwischen·kriegs·zeit wurde diese Geistes·haltung durch die Suche nach hehren, helden·haften Idealen unter·stützt, die den Egoismus des einzelnen durch ihre Größe und Erhaben·heit zum Ein·sturz bringen und ihn zum Werk·zeug des „Volksganzen“ um·funktio·nieren sollten. Als solche Ideologien aufs Schrecklich·ste gescheitert waren, blieb die Sehn·sucht nach „Opfer·mut“, „Willens·zucht“ und dem großen Ganzen dennoch bestehen. Zen bot sich hier als eine un·verdäch·tige Möglich·keit des Eskapismus in eine meta·physische, trans·historische Dimension an, die gerade von Sympa·thisan·ten des National·sozialismus gerne genützt wurde. Insofern ist es kein Zufall, dass die Nieder·schrift von Zen in der Kunst des Bogen·schießens unmit·telbar nach dem Ende des Zweiten Welt·kriegs stattfand. Freilich erklärt das allein noch nicht, warum Herrigels Werk auch inter·national ein so großer Erfolg beschieden war. Zen als Projektions·fläche von heldischen Phantasien ist keines·falls auf den deutschen Raum allein beschränkt, aber es stimmt doch nach·denklich, dass es gerade die Mitläufer des National·sozialismus waren, die diese Phantasien am nach·haltig·sten ausgestalteten.
Epilog
Es gibt ein Gedicht von Christian Morgenstern (1871-1914), das sich als hintersinniger Kommentar zu Herrigels „es schießt“ lesen lässt:
Der Purzelbaum
- Ein Purzelbaum trat vor mich hin
- und sagte: „Du nur siehst mich
- und weißt, was für ein Baum ich bin:
- Ich schieße nicht, man schießt mich.
- Und trag ich Frucht? Ich glaube kaum;
- auch bin ich nicht verwurzelt.
- Ich bin nur noch ein Purzeltraum,
- sobald ich hingepurzelt.“
- „Je nun“, so sprach ich, „bester Schatz,
- du bist doch klug und siehst uns;
- nun, auch für uns besteht der Satz:
- wir schießen nicht, es schießt uns.
- Auch Wurzeln treibt man nicht so bald,
- und Früchte nun erst recht nicht.
- Geh heim in deinen Purzelwald,
- und lästre dein Geschlecht nicht.“
Galgenlieder, Teil 2
Wer weiß, vielleicht kannte Herrigel das Gedicht sogar, und es war gar nicht Awa sondern Morgenstern, der ihn zu seinem „es schießt“ inspirierte.
Anmerkungen
Literatur und Links
- Sōzō Komachiya 2009
„Herrigel and Master Awa“ (engl. Ü. Lutgard Cunningham und Charles Harper, 2003). - Matthias Obereisenbuchner 2006
„Eugen Herrigel und der westliche Blick auf die fernöstliche Kultur.“ Vortrag bei der Tagung DIE KUNST DES LOSLASSENS, 22./23. April 2005, Garmisch-Patenkrichen. Online-Version: Kyudo.de - Alois Payer 2006
Materialien zum Neobuddhismus 3.5.
Religion in Japan, Inhalt
- 一 Grundbegriffe
- 二 Bauten
- 五 Mythen
- Einleitung
- Mythologie:
- Götter des Himmels
- Götter der Erde
- Jenseits:
- Jenseits
- Geister:
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- Tiere:
- Imaginäre Tiere
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- 六 Geschichte
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- Vajrapani: Der Feldherr des esoterischen Buddhismus
- Bishamon-ten: Wächter und Glücksgott
- Riesen-Buddhas: Im Kampf gegen die Unbeständigkeit des irdischen Daseins
- Lokale Vorstellungen, Japan:
- Jindō und shintō: Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami‘
- Ōkuninushi als heimlicher Gegenspieler der Himmlischen Götter
- Religiöse Gewalt in Japan: Blutopfer, Selbstopfer, Menschenopfer
- Unterhändler des Imaginären: Regenmachen im vormodernen Japan
- Lieber das Herz in der Hand als die Taube über dem Heer
- Feuer mit Feuer bekämpfen: Der Gehörnte Meister und sein Kult
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
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- Die Tenshō-Mission: Beginn einer schwierigen transnationalen Beziehung
- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
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„Herrigels Zen und das Bogenschießen.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001