Mythen/Geister: Unterschied zwischen den Versionen
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Bereits im frühen Buddhis·mus finden wir Zere·monien, die bei·spiels·wei·se nach krie·ge·ri·schen Schlach·ten durch·ge·führt wurden, um die Geister der Ge·fal·le·nen (vor allem die der Gegner!) von Rache·akten abzu·halten. Auch im [[Geschichte/Kami_Kulte| höfischen Shintō]] gibt es seit dem Alter·tum eine Zere·mo·nie zur Be·sänf·tigung der Geister ({{g|chinkonsai}}), die aller·dings nicht ex·plizit an To·ten·geis·ter gerich·tet ist. Wenn sich Un·glücks·fälle trotz solcher Zere·mo·nien häuften, so suchte und fand man die Ursache in den Rache·geis·tern von be·son·ders ein·fluss·rei·chen Per·sonen, die in diesem Fall als „erha·bene Geister“ ({{g|goryou}}) bezei·chnet wurden. Erha·bene Geister unter·schei·den sich laut Kuroda Toshio (1996) insofern von ge·wöhn·lichen Rache·geistern ({{g|onryou}}), als es möglich ist, sie zu besänftigen, indem man sie in den Status einer Gottheit ({{g|kami}}) versetzt und ihnen einen eige·nen Schrein errichtet. Genau dieses Phänomen ist vor allem in der {{g|Heian}}-Zeit häufig zu beobachten. | Bereits im frühen Buddhis·mus finden wir Zere·monien, die bei·spiels·wei·se nach krie·ge·ri·schen Schlach·ten durch·ge·führt wurden, um die Geister der Ge·fal·le·nen (vor allem die der Gegner!) von Rache·akten abzu·halten. Auch im [[Geschichte/Kami_Kulte| höfischen Shintō]] gibt es seit dem Alter·tum eine Zere·mo·nie zur Be·sänf·tigung der Geister ({{g|chinkonsai}}), die aller·dings nicht ex·plizit an To·ten·geis·ter gerich·tet ist. Wenn sich Un·glücks·fälle trotz solcher Zere·mo·nien häuften, so suchte und fand man die Ursache in den Rache·geis·tern von be·son·ders ein·fluss·rei·chen Per·sonen, die in diesem Fall als „erha·bene Geister“ ({{g|goryou}}) bezei·chnet wurden. Erha·bene Geister unter·schei·den sich laut Kuroda Toshio (1996) insofern von ge·wöhn·lichen Rache·geistern ({{g|onryou}}), als es möglich ist, sie zu besänftigen, indem man sie in den Status einer Gottheit ({{g|kami}}) versetzt und ihnen einen eige·nen Schrein errichtet. Genau dieses Phänomen ist vor allem in der {{g|Heian}}-Zeit häufig zu beobachten. | ||
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Abgesehen von Michizane wurden auch zahlreiche Tennō, denen übel mit·gespielt worden war, als ''goryō'' ange·sehen. Für sie gibt es in Kyōto seit dem Alter·tum einen Goryō Schrein, in dem sie kollek·tiv ver·ehrt werden. | Abgesehen von Michizane wurden auch zahlreiche Tennō, denen übel mit·gespielt worden war, als ''goryō'' ange·sehen. Für sie gibt es in Kyōto seit dem Alter·tum einen Goryō Schrein, in dem sie kollek·tiv ver·ehrt werden. | ||
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Version vom 1. August 2020, 12:37 Uhr
Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Mythen/Geister.
An der Schnitt·stelle von volks·tümlicher Religion und Erzähl·kunst begeg·nen wir in Japan einer gestal·ten·rei·chen Welt von Fabel·wesen und Gespens·tern. Da ihre Handlungen zumeist unbe·rechen·bar sind, gelten sie grund·sätzlich als unheimlich, obwohl manche bei genauer Betrachtung auch in freund·licher Absicht mit den Menschen kommu·nizieren können. Im Unterschied zu den etab·lier·ten Ver·ehrungs·wesen der japani·schen Religion (kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]-Gott·heiten oder bud·dhis·tische Manifes·tatio·nen) werden diese Geister für gewöhn·lich nicht als über·geord·nete Auto·ritäten ima·giniert, sondern befin·den sich gegen·über der mensch·lichen Ge·sell·schaft sozu·sagen „auf Augen·höhe“. Geister besitzen zwar Fähig·keiten, die Men·schen nicht haben, treten aber nicht als Herr·scher über die Men·schen, son·dern eher als Kon·kur·ren·ten auf: Sie begeh·ren men·schliche Güter und hegen oft Neid, Hass oder Groll gegen die Menschen, füh·len sich aber auch von mensch·licher Schön·heit kör·per·lich ange·zogen und sind in manchen Fällen sogar bereit, be·stim·mten Men·schen zu dienen.
Aller·dings sind die Gren·zen zur Welt der Götter fließend. Beson·ders mäch·tige Fabel·wesen und Gespens·ter können gott·ähn·liche Ver·ehrung genießen oder, wie die unten erwähnten goryō [goryō (jap.) 御霊 „erhabener“ [Rache]Geist], zu Göttern aufsteigen; andere, etwa die mit magischen Fähig·keiten begabten Füchse, können auch als Boten zwischen Göttern und Men·schen fun·gieren.
Vorlage:Sidebox3 Beson·ders in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit (1600–1867) erfuhren Geschich·ten aus dieser Geister·welt (kaidan [kaidan (jap.) 怪談 Gespenstergeschichte]), etwa die „Geschich·ten unter dem Regen·mond“ (Ugetsu monogatari [Ugetsu monogatari (jap.) 雨月物語 „Geschichten unter dem Regenmond“ (1776); Sammlung neun übernatürlicher Erzählungen von Ueda Akinari]) von Ueda Akinari [Ueda Akinari (jap.) 上田秋成 1734–1809; Schriftsteller und Gelehrter], einen regel·rechten Boom. Aber auch zahl·reiche ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit]-Holz·schnitte von über·natürl·ichen Wesen legen Zeugnis von der Faszi·nation dieser Welt des Überna·türlichen ab (mehr dazu...). In dieser Zeit ent·wickelten Gelehrte wie Toriyama Sekien [Toriyama Sekien (jap.) 鳥山石燕 1712–1788; Künstler und Gelehrter; vor allem bekannt für seine illustrierten Gespenster-Enzyklopädien], die auch als Künstler tätig waren, eine Ge·spens·ter·typo·logie, die noch heute bekannt ist und in modernen Filmen oder Manga immer wieder auf·ge·grif·fen wird. Dabei lassen sich im Wesent·lichen zwei Arten von über·natür·lichen Wesen unter·scheiden:
- die Fabel·wesen (yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster]), die perma·nente Gemein·schaften am Rande der mensch·lichen Gesell·schaft bilden. Zu ihnen zählen z.B. die tengu [tengu (jap.) 天狗 wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen], die oni [oni (jap.) 鬼 Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister] und andere geister·hafte Wesen, aber auch Tiere mit magischer Begabung wie Füchse, Schlangen und andere.
- die Seelen der Ver·stor·benen (yūrei [yūrei (jap.) 幽霊 Totengeist]), die noch nicht vollständig ins Jenseits (bzw. in eine neue Wieder·geburts·form) hinüber·ge·wechselt sind. (Natürlich gibt es auch einige Grenz·fälle zwischen den beiden Gruppen.)
Während auf den folgenden Seiten von yōkai die Rede ist, befasst sich diese Seite mit dem Glauben an die Toten·geister.
Vokabel
- bakemono [bakemono (jap.) Gespenst, Geist; wtl. verwandeltes Wesen] oder o-bake [o-bake (jap.) お化け Gespenst, Geist; wtl. „Verwandeltes“]: wtl. „verwandelte Wesen“; geläufigste Ausdrücke für Gespenster und andere übernatürliche Erscheinungen.
- yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster]: Fabelwesen, auch magisch begabte Tiere.
- yūrei [yūrei (jap.) 幽霊 Totengeist]: wtl. „dunkle Geister“; Totengeister.
- onryō [onryō (jap.) 怨霊 Rachegeist]: Rachegeister.
- goryō [goryō (jap.) 御霊 „erhabener“ [Rache]Geist]: Hochgestellte Rachegeister.
- goryō shinkō [goryō shinkō (jap.) 御霊信仰 Glaube an Totengeister]: Glaube an, bzw. Kult für goryō.
- sorei [sorei (jap.) 祖霊 Ahnenseele]: Ahnengeist, Ahnenseele.
- reikon [reikon (jap.) 霊魂 Geist, Seele] oder tamashii [tamashii (jap.) 魂 Geist, Seele]: Seele, Totenseele. Neutraler Ausdruck.
- oni [oni (jap.) 鬼 Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister]: Dämon, Teufel.
Totengeister (yūrei)
Meiji-Zeit. Kinsei fūzoku zue database, Nichibunken.
In der Edo-Zeit etablierte sich die heute noch geläufige Form der Toten·geister (yūrei), welche bemer·kens·werte Ähn·lich·kei·ten mit euro·päi·schen Ge·spens·tern auf·weisen: Mit weißem Toten·gewand (shini shōzoku [shini shōzoku (jap.) 死に装束 Totengewand], zu dem auch eine drei·eckige Stirn·kappe — hitaikakushi [hitaikakushi (jap.) 額隠 weißes, dreieckiges Stück Papier oder Stoff, welches von Totengeistern auf der Stirn getragen wird] — ge·hört) und lan·gen auf·ge·lösten Haa·ren schwe·ben die yūrei nebel·haft über dem Boden. Ihre Arme sind meist zur Brust hoch·ge·zo·gen, wäh·rend die Hände häufig schlapp herun··ter·hängen.
Die Vorstellungen, die dieser Ge·spen·ster·ikono·graphie zu·grun·de liegen, reichen weit in die ja·pani·sche Ge·schich·te zu·rück. Schon in der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit war man der Auf·fas·sung, dass jeder Mensch nach seinem Tod zum Ge·spenst wer·den kann, wenn er nicht or·dent·lich be·stat·tet wird, oder anders aus·ge·drückt, wenn ihm der Weg ins Jenseits ver·sperrt ist, weil sich nie·mand seines Leich·nams annimmt. Dieser Weg ist in jedem Fall eine be·schwer·liche Reise, die rituell be·gleitet werden muss. Und immer, wenn bei diesen Riten etwas schief geht, kann es sein, dass der Geist des Ver·stor·benen seine Hinter·blie·benen in Träumen oder in realen Erschei·nungen heim·sucht. Solche Toten·geister sind a priori un·heim·lich, doch werden sie erst dann wirklich gefährlich, wenn es sich um Rache·geister (onryō [onryō (jap.) 怨霊 Rachegeist]) handelt. Zu solchen Rache·geistern werden jene Ver·stor·benen, die im Leben beson·deres Unrecht erlitten haben und/oder unter großen Qualen gestorben sind. Hier helfen selbst ord·nungs·gemäß durch·ge·führte Be·gräb·nisse nicht immer, ihren Groll zu be·sänftigen.
Der Kult um „erhabene Geister“
Die etablierten religiösen Institu·tionen haben den Glauben an rächen·de Toten·geis·ter nicht etwa als Aber·glaube ab·ge·tan, son·dern ihn im Gegen·teil immer schon ge·för·dert. Dem Reli·gions·histo·riker Bernard Faure zufolge hat sich der Bud·dhis·mus unter ande·rem des·halb in Ost·asien eta·blieren kön·nen, weil er die vorbud·dhis·tische Vor·stellung der grol·lenden Toten·geister absor·bierte und beson·ders erfolg·ver·spre·chende Rituale für die Re·inte·gration dieser Seelen ent·wickelte (Faure, The red thread, ch. 1).
Bereits im frühen Buddhis·mus finden wir Zere·monien, die bei·spiels·wei·se nach krie·ge·ri·schen Schlach·ten durch·ge·führt wurden, um die Geister der Ge·fal·le·nen (vor allem die der Gegner!) von Rache·akten abzu·halten. Auch im höfischen Shintō gibt es seit dem Alter·tum eine Zere·mo·nie zur Be·sänf·tigung der Geister (chinkonsai [chinkonsai (jap.) 鎮魂祭 Zeremonie zur Beruhigung der Totengeister]), die aller·dings nicht ex·plizit an To·ten·geis·ter gerich·tet ist. Wenn sich Un·glücks·fälle trotz solcher Zere·mo·nien häuften, so suchte und fand man die Ursache in den Rache·geis·tern von be·son·ders ein·fluss·rei·chen Per·sonen, die in diesem Fall als „erha·bene Geister“ (goryō [goryō (jap.) 御霊 „erhabener“ [Rache]Geist]) bezei·chnet wurden. Erha·bene Geister unter·schei·den sich laut Kuroda Toshio (1996) insofern von ge·wöhn·lichen Rache·geistern (onryō [onryō (jap.) 怨霊 Rachegeist]), als es möglich ist, sie zu besänftigen, indem man sie in den Status einer Gottheit (kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]) versetzt und ihnen einen eige·nen Schrein errichtet. Genau dieses Phänomen ist vor allem in der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit häufig zu beobachten. Der älteste literarisch dokumentierte Fall stammt allerdings bereits aus der Nara-Zeit. Fujiwara no Hirotsugu [Fujiwara no Hirotsugu (jap.) 藤原広嗣 ?–740; Adeliger aus dem Haus der Fujiwara, der 740 die größte Rebellion des 8. Jahrhunderts anführte] wurde damals als Anführer einer großen Rebellion in Kyūshū besiegt und enthauptet, soll aber dem Shoku Nihongi [Shoku Nihongi (jap.) 続日本紀 2. offizielle Reichschronik (797), Nachfolger des Nihon shoki (Nihongi), daher der Name „Fortsetzung des Nihongi“] zufolge aus dem Jenseits den Tod eines seiner größten Gegner, des bud·dhis·tischen Mönchs Genbō [Genbō (jap.) 玄昉 ?–746; führender Mönch der Hossō-shū; Diplomat und religiöser Berater des Shōmu Tennō], bewirkt haben.
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit. The British Museum.
Das berühm·teste Bei·spiel eines solchen Schreins stellt der Kitano Tenman-gū [Kitano Tenman-gū (jap.) 北野天満宮 Kitano Tenman Schrein (Kyōto); einer der beiden Hauptschreine des Sugawara no Michizane, gegr. 947] in Kyōto dar. Er wurde im Jahr 959 zu Ehren des Hof·ade·ligen Sugawara no Michizane [Sugawara no Michizane (jap.) 菅原道真 845–903, Heian-zeitl. Staatsmann und Gelehrter; posthum als Tenman Tenjin vergöttlicht, heute Gott der Gelehrsamkeit] (845–903) errichtet. Michizane, ein über·ragen·der Staats·mann und Gelehr·ter, war einer Hofin·trige wegen in die Ver·bannung ge·schickt worden und verstarb, bevor das Fehl·urteil rück·gängig gemacht werden konnte. In den folgen·den Jahr·zehn·ten kam es zu aller·lei Natur·katas·tro·phen und un·ge·wöhn·lichen Todes·fällen bei Hof und in der Fami·lie des Tennō, welche die Hof·astro·logen schließ·lich Michi·zanes Wirken zuschrie·ben. Auf mittel·alter·lichen Quer·bild·rollen, die diese Gescheh·nisse anschau·lich darstellen, erkennt man, dass Michi·zanes Rache·geist als gehörnter Donnergott (Raijin [Raijin (jap.) 雷神 Donnergott; auch Rai-ten]), der Blitze in den kaiser·lichen Palast schleudert, ima·giniert wurde. Um diesen gefähr·lichen goryō zu besänf·tigen, wurde er zum kami erklärt und in einem Schrein „verortet“. Zusätz·lich erhielt er alle Ehrun·gen inklu·sive der höchs·ten Hof·ränge, die ihm zu Leb·zeiten versagt blieben.
Kamakura-Zeit, 13. Jh. Metropolitan Museum of Art, New York.
Heute ist Michizane vor allem unter dem Bei·namen Tenjin [Tenjin (jap.) 天神 wtl. „Himmelsgott“, s.a. Tenman Tenjin] bekannt. Er gilt als Gott der Gelehr·sam·keit und der Dich·tung und verfügt neben seinen zwei Haupt·schrei·nen in Kyōto und Kyūshū über ein aus·ge·dehn·tes Netz von Tenjin-Zweig·schrei·nen in ganz Japan. (Mehr dazu auf der Sidepage Gott·heit und Schreine des Tenjin-Glaubens.) Abgesehen von Michizane wurden auch zahlreiche Tennō, denen übel mit·gespielt worden war, als goryō ange·sehen. Für sie gibt es in Kyōto seit dem Alter·tum einen Goryō Schrein, in dem sie kollek·tiv ver·ehrt werden.
Das Motiv ist als Funa Benkei (Benkei auf dem Schiff) auch als Nō-Drama bekannt.
Das Frühwerk Kuniyoshis ist eigentlich ein Triptychon, auf dem rechts auch Yoshitsune selbst dargestellt ist.Werk von Utagawa Kuniyoshi. Edo-Zeit, 1818. Museaum of Fine Arts, Boston.
Mit·glieder des Schwert·adels (Samurai) wurden seltener Gegen·stand eines goryō-Kultes, kommen aber vor allem in Erzählungen und Bildern immer wieder als Rachegeister vor. Ein häufig illustriertes Beispiel ist Taira no Tomomori (1152–1185), dessen Attacke auf den Helden Minamoto no Yoshitsune (1159–1189) im Heike monogatari [Heike monogatari (jap.) 平家物語 „Geschichte der Heike [= Taira]“; mittelalterliches Kriegerepos] geschildert wird. Auch ein weitläufiger Vorfahre des Tomomori, Taira no Masakado [Taira no Masakado (jap.) 平将門 Heian-zeitlicher Rebel, ?–940] (?–940), wurde als rächender Geist imaginiert und sogar religiös verehrt. Masakado war ein Krieger·ade·liger der Heian-Zeit, der versuchte, das politische Ruder zugunsten seiner Zunft zu wenden und zu diesem Zweck eine Rebellion anzettelte, die jedoch scheiterte. Er blieb jedoch in den Augen späterer Samurai ein Vor·bild und wurde auch als Schrein·gott·heit verehrt, z.B. im heutigen Kanda Schrein in Tōkyō. Die Ent·stehung dieses Kultes trägt ähn·liche Züge wie der Goryō-Kult, mischte sich doch Furcht vor dem rächen·den Geist mit Be·wun·de·rung für kriege·rische Helden·taten.1
Totengeister in Literatur und Kunst
Neben monster·artigen Fabelwesen (yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster]) und Dämonen (oni [oni (jap.) 鬼 Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister]) tauchen Toten·geister schon in der bud·dhisti·schen Erzähl·literatur der Heian Zeit auf (v.a. im Konjaku monogatari [Konjaku monogatari (jap.) 今昔物語 „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext]). Im Mittel·alter stießen Geister·geschich·ten vor allem im Nō [Nō (jap.) 能 traditionelles jap. Theater mit charakterstischem Tanz, Gesang und Masken; entwickelte sich im 14. Jh. aus dem volkstümlichen dengaku (Feld- oder Bauern-Theater) und avancierte zur repräsentativen Theaterform der Kriegerelite (bushi)]-Theater auf großes Inter·esse. Zwei von fünf Haupt·genres des Nō sind ruhe·losen Geistern gewidmet, nämlich die Krieger- und die Wahn·sinns·stücke. Erstere behan·deln meist tragische Helden aus den klas·sischen Krieger·epen wie Heike monogatari [Heike monogatari (jap.) 平家物語 „Geschichte der Heike [= Taira]“; mittelalterliches Kriegerepos] oder Taiheiki [Taiheiki (jap.) 太平記 Historisches Epos aus dem späten 14. Jh., behandelt den Konflikt zwischen Nördlichem und Südlichem Kaiserhof], die auf der Nō-Bühne als Geister wieder·kehren. Letztere widmen sich vor allem Frauen, die aufgrund eines schweren Schick·sals·schlages oder aus ent·täusch·ter Liebe auch nach dem Tod nicht zur Ruhe kommen. Nachdem die Geister die Schlüs·sel·szenen ihres Lebens in Tanz und Gesang vorge·tragen haben, enden die Stücke zumeist mit ihrer erfolg·reichen Befrie·dung durch einen bud·dhis·tischen Mönch.
Edo-Zeit, 18. Jh. Tokyo National Museum.
Auch im Edo-zeitlichen Bunraku [Bunraku (jap.) 文楽 Traditionelle, japanische Form des Puppentheaters, 1684 in Ōsaka entstanden; viele Stücke des Kabuki wurden ursprünglich für Bunraku geschrieben]- und Kabuki [Kabuki (jap.) 歌舞伎 „Gesang- und Tanzkunst“; Anfang des 17. Jh. aus Musik, Schauspiel und Tanz entwickeltes Theater-Genre]-Theater treten zahlreiche Toten·geister auf, allerdings geht es hier wesent·lich action·reicher zu als im Nō. Im Vorder·grund stehen die schauer·lichen Aspek·te der Geschich·ten, welche mit Hilfe von aus·ge·tüftel·ten Bühnen·tricks in Szene gesetzt wurden. Yūrei und yōkai wurden aber auch in illus·trier·ten Büchern und Einzel·drucken bildlich darge·stellt (s. dazu die Sidepage „Horror Klassiker“) und sogar in eigenen Enzyklo·pädien erfasst. Beson·ders gegen Ende der Edo-Zeit, im neun·zehnten Jahr·hun·dert scheinen die grol·lenden Rache·geister (onryō [onryō (jap.) 怨霊 Rachegeist]) eine enorme Anzie·hungs·kraft auf das Publikum aus·geübt zu haben.
Heutige Praktiken
Beim japani·schen Bon-Fest, das jähr·lich im August abgehalten wird, ist der Glaube an die Rückkehr der Toten nach wie vor präsent. Aller·dings handelt es sich hier um Ahnen·seelen (sorei [sorei (jap.) 祖霊 Ahnenseele]), die bereits fest im Jen·seits ver·ankert sind und zur Bon-Zeit wohl·wollend im Dies·seits nach dem Rechten sehen. Vor diesen Geistern braucht man sich also nicht zu fürchten. Den·noch ist zu beachten, dass auch das Bonfest ur·sprüng·lich ein Ritus war, durch den ver·stor·bene Ver·wandte, die als Hungergeister wieder·geboren wurden, aus diesem Zustand befreit werden sollten. Man sieht also, dass positiv und angstvoll besetzte Vor·stel·lungen von Toten·geistern recht eng bei einander liegen.
Bildquelle: H. Johnson, 2005, über Internet Archive.
Der Glaube an real existie·rende und in diese Welt zurück·kehrende Toten·seelen spielt außer·dem in Riten der Geister·beschwö·rung eine Rolle. In manchen länd·lichen Gebieten, insbe·son·dere in Nord-Japan, gibt es nach wie vor religi·öse Spezia·listen, die bei Bedarf eine Kom·muni·kation mit den Seelen der Toten her·stel·len. Es handelt sich um die sog. itako [itako (jap.) イタコ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子], meist blinde Frauen, die davon leben, dass sie in privaten, häus·lichen Ritualen die Seelen der Ver·stor·benen einer Familie durch sich sprechen lassen. Mit Hilfe der itako kann man Fragen an die Toten stellen und Ant·worten bekom·men. Solche Riten nennt man kuchiyose [kuchiyose (jap.) 口寄せ Geisterbeschwörung, wtl. „Herbeirufung des Mundes“]. Es handelt sich dabei wohl·gemerkt um alt·ein·geses·sene Praktiken, nicht um modernen Spiritismus. (Mehr dazu...)
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Masakados Schicksal und Nachleben werden im Heldenepos Shōmonki (Bericht über Masakado, 11. Jh.?) beschrieben. Hier wird ange·deutet, dass der goryō des Sugawara no Michizane (s.o.) gemeinsame Sache mit Masakado machte. (Kuroda 1996, S. 329–330)
Internetquellen
- Japanese Ghosts, Tim Screech (en.)
Ein informativer und schön illustrierter Aufsatz des Mangajin Magazine#40. - The Floating World of Ukiyoe
Sehr schöne und informative Website, die auch das Thema Geister in den Ukiyo-e Bildern behandelt. - Ghosts, Demons and Spirits in Japanese Lore, Norman A. Rubin (en.)
Artikel über Geister, Dämonen und andere Wesen auf Asian Art. - Kaii-yōkai denshō Database, Komatsu Kazuhiko (Nichibunken) (jap.)
Datenbank der japanischen Geistersagen und Gespenstermotive. Kurze Erklärungen und ausführliche bibliografische Informationen zu etwa 20.000 Schlagworten. Hervorragendes Tool für wissenschaftliche Forschungen zu dem Thema. - Emakimono database, International Research Center for Japanese Studies (Nichibunken) - Kyoto (jap.)
Sehr attraktiv gestaltete Website, auf der mehrere Edo-zeitliche Bildrollen (emaki) zu Themen wie Jenseits oder Gespenster vollständig zu betrachten sind. Leider keine genauen bibliographischen Angaben.
Literatur
Bilder
- ^ Totengeist (yūrei) auf einem nächtlichen Friedhof. Die Darstellung stammt aus der Meiji-Zeit, es handelt sich allerdings um die Kopie einer Abbildung des Gelehrten und Malers Toriyama Sekien (1712–1788) aus dem Jahr 1776.
Meiji-Zeit. Kinsei fūzoku zue database, Nichibunken. - ^ Der Totengeist des Fujiwara no Hirotsugu nimmt Rache am Mönch (Genbō). Fujiwara no Hirotsugu wurde bekannt durch eine missglückte Rebellion, die er 740 von Kyūshū aus gegen Shōmu Tennō richtete. Zu seinen Gegenern zählte auch einer der bedeutensten buddhistischen Mönche der Zeit, Genbō. Dass Genbō relativ bald nach dem Tod Hirotsugus selbst starb, wird bereits im Shoku Nihongi, der zweitältsten offiziellen Reichschronik, auf Machenschaften aus der Welt des Jenseits durch Hirotsugu zurückgeführt. Damit gilt Hirotsugui als der älteste literarisch belegte Fall des Glaubens an rächende Totengeister (goryō bzw. onryō). Hokusai imaginiert Hirotsugu als einen typischen dreiäugigen oni, der allerdings mit Resten eines höfischen Gewandes bekleidet ist.
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit. The British Museum. - ^ Sugawara no Michizanes Geist in Gestalt eines zürnenden Donnergottes (Raijin) in einer der schönsten Ausführungen des Kitano tenjin engi.
Kamakura-Zeit, 13. Jh. Metropolitan Museum of Art, New York. - ^ Die grollenden Totengeister (onryō) der Taira, angeführt von Taira no Tomomori (4. Sohn von Taira no Kiyomori) attackieren das Schiff von Minamoto no Yoshitsune. Seinem treuen Gefolgsmann Benkei, einem Kriegermönch, gelingt es mithilfe einer buddhistischen Gebetskette (juzu) den Spuk zu beenden. Kuniyoshi zeigt allerdings, wie Benkei (oben rechts) und ein anderer Krieger erfolglos versuchen, die Geister mit konventionellen Waffen abzuwehren.
Das Motiv ist als Funa Benkei (Benkei auf dem Schiff) auch als Nō-Drama bekannt.
Das Frühwerk Kuniyoshis ist eigentlich ein Triptychon, auf dem rechts auch Yoshitsune selbst dargestellt ist.
Werk von Utagawa Kuniyoshi. Edo-Zeit, 1818. Museaum of Fine Arts, Boston.
- ^ Hannya Maske: Darstellung einer zum Dämon (oni) gewordenen Frau.
Edo-Zeit, 18. Jh. Tokyo National Museum. - ^ Angeblich schuf Ōkyo mit diesem posthumen Portrait seiner früh verstorbenen Geliebten aus dem Freudenviertel Edos den Prototyp aller späteren Darstellungen der yūrei.
Werk von Maruyama Ōkyo (1733–1795). Edo-Zeit, 1750. J-Blog. - ^ Ein blinde Geisterbeschwörerin itako lässt die Geister der Verstorbenen durch sich sprechen. In der Hand hält sie eine buddhistische Gebetskette (juzu), hinter ihr steht eine Trommel.
Bildquelle: H. Johnson, 2005, über Internet Archive.
Glossar
- chinkonsai 鎮魂祭 ^ Zeremonie zur Beruhigung der Totengeister
- Dan-no-ura 壇ノ浦 ^ Ort in der Meerenge von Shimonoseki (West-Japan), der vor allem für eine Seeschlacht im Jahr 1185 bekannt ist, welche die Niederlage der Taira im Genpei-Krieg besiegelte
- Faure, Bernard (west.) ^ 1948–; französisch-amerikanischer Religionshistoriker an der Columbia University
- Fujiwara no Hirotsugu 藤原広嗣 ^ ?–740; Adeliger aus dem Haus der Fujiwara, der 740 die größte Rebellion des 8. Jahrhunderts anführte
- Goryō Jinja 御霊神社 ^ Schrein in Kyōto, der sich auf eine Seuche unter Kanmu Tennō (737–806) zurückführt, die wiederum dem „Erhabenen [Rache-] Geist“ (goryō) eines im Exil verstorbenen Konkurrenten des Tennō zugeschrieben wurde. Besteht aus zwei räumlich getrennten Anlagen, dem Oberen (Kami-) und dem Unteren (Shimo-) Goryō Schrein. Zahlreiche Zweigschreine sind in ganz Japan zu finden.
- hitaikakushi 額隠 ^ weißes, dreieckiges Stück Papier oder Stoff, welches von Totengeistern auf der Stirn getragen wird
- Kanda Jinja 神田神社 ^ Kanda Schrein, einer der bekanntesten Schreine in Tōkyō
- Katsushika Hokusai 葛飾北斎 ^ 1760–1849; Maler und Zeichner. Bekanntester Verteter des ukiyo-e-Farbholzschnitts
- Kitano tenjin engi 北野天神縁起 ^ Schreinchronik des Kitano Tenman-gū, in dem der Hofadelige Sugawara no Michizane (845–903) verehrt wird; besonders ab dem 13. Jahrhundert in illustrierten Querbildrollen (emaki) abgefasst
- Kitano Tenman-gū 北野天満宮 ^ Kitano Tenman Schrein (Kyōto); einer der beiden Hauptschreine des Sugawara no Michizane, gegr. 947
- Konjaku monogatari 今昔物語 ^ „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext
- Kuroda Toshio 黒田俊雄 ^ 1923–1993; Historiker und Religionswissenschaftler
- Minamoto no Yoshitsune 源義経 ^ 1159–1189; japanischer Feldherr und Halbbruder von Minamoto no Yoritomo
- Nihon ryōiki 日本霊異記 ^ „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)
- shini shōzoku 死に装束 ^ Totengewand
- Shoku Nihongi 続日本紀 ^ 2. offizielle Reichschronik (797), Nachfolger des Nihon shoki (Nihongi), daher der Name „Fortsetzung des Nihongi“
- Sugawara no Michizane 菅原道真 ^ 845–903, Heian-zeitl. Staatsmann und Gelehrter; posthum als Tenman Tenjin vergöttlicht, heute Gott der Gelehrsamkeit
- Taira no Masakado 平将門 ^ Heian-zeitlicher Rebel, ?–940
- Taira no Tomomori 平知盛 ^ 1152–1185; Heerführer des Taira-Klans, Sohn des Taira no Kiyomori; starb in der Seeschlacht von Dan-no-ura
- Toriyama Sekien 鳥山石燕 ^ 1712–1788; Künstler und Gelehrter; vor allem bekannt für seine illustrierten Gespenster-Enzyklopädien
- Ueda Akinari 上田秋成 ^ 1734–1809; Schriftsteller und Gelehrter
- Ugetsu monogatari 雨月物語 ^ „Geschichten unter dem Regenmond“ (1776); Sammlung neun übernatürlicher Erzählungen von Ueda Akinari