Mythen/Jenseits: Unterschied zwischen den Versionen
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− | In der unteren | + | In der unteren Bildhälfte mischen sich die Welt der Kriegergeister (''ashura''), der Gerichtshof Enmas (s.u.), die Welt der Tiere und der Hungergeister. Die Bereiche der Hölle (''jigoku'') nehmen einen besonders prominenten Platz ein. Als kleinen Hoffnungsschimmer erkennt man unter allen grauenvollen Monstern aber auch den Bodhisattva {{g|jizou}} in der Vorhölle der Kinder ({{g|sainokawara}}), denn zu Kindern hat dieser Bodhisattva ein besonderes Naheverhältnis (s. [[Ikonographie/Jizo| Jizō]] im Kapitel „Ikonographie“). Links unten kann man ihn ein zweites Mal erkennen, wie er zwei Verstorbene aus der Hölle hinaus geleitet. |
− | Ein | + | Ein interessantes Detail am Rande: Die einzelnen Welten in der obigen Abbildung sind mit {{g|torii}} markiert, wie sie heute nur vor Shintō-Schreinen zu finden sind. Die ''torii'' stellen gleichsam die Eingänge zu den jeweiligen Welten dar. |
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− | Die ersten sechs | + | Die ersten sechs sind die genannten Bereiche der Wiedergeburt, die weiteren vier sind die erstrebenswerten Bereiche, außerhalb des Kreislaufs der Wiedergeburten. Bereiche 7 und 8 entsprechen den in China und Japan marginalisierten Vorstellungen des „Kleinen Fahrzeugs“ ({{s|hinayana}}), Bereiche 9 und 10 denen des „Großen Fahrzeugs“ ({{s|mahayana}}). |
Die Zehn Welten sind kreisförmig um ein Zentrum mit dem Schriftzeichen für „Herz“ (auch „Seele“ oder „Bewusstsein“) angeordnet, aus dem sie, wie der Bildtitel besagt, „entstehen“. | Die Zehn Welten sind kreisförmig um ein Zentrum mit dem Schriftzeichen für „Herz“ (auch „Seele“ oder „Bewusstsein“) angeordnet, aus dem sie, wie der Bildtitel besagt, „entstehen“. | ||
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− | Die | + | Die Mehrheit der Verstorbenen wird jedoch „wiedergeboren“, d.h. sie muss sich erneut den Leiden der irdischen Existenz aussetzen. Zunächst muss aber geprüft werden in welchen Bereich der Wiedergeburt der Verstorbene nun kommen soll. Dies wird von einem eigenen Gerichtshof entschieden, der sich in einer Art Zwischenwelt innerhalb der Sechs Wege der Wiedergeburt befindet. Oberster Richter bzw. König dieser Unterwelt ist {{g|enma}} (skt. {{s|Yama}}). |
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− | Die Vorstellung der Datsueba dürfte in Japan entstanden sein. Sie findet sich | + | Die Vorstellung der Datsueba dürfte in Japan entstanden sein. Sie findet sich jedenfalls nicht in chinesischen Unterweltdarstellungen, während sie in Japan ab der {{g|Kamakura}}-Zeit ein gängiges Motiv des Jenseitsglaubens darstellt. |
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{{ThisWay|Mythen/Paradiese}} | {{ThisWay|Mythen/Paradiese}} |
Version vom 25. Oktober 2021, 15:07 Uhr
Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Mythen/Jenseits.
Was die gegenwärtige japanische Gesellschaft betrifft, ist es kaum möglich, verbindliche, von der gesamten Bevölkerung geteilte Auffassungen über das Jenseits in Kürze zusammenzufassen: Neben buddhistischen und volksreligiösen Vorstellungen mischen sich sowohl christliche Ideen als auch science fiction-Motive in die Jenseitsbilder der modernen Japaner. So wie die Religion als Ganzes haben sich auch die Bilder des Jenseits privatisiert: Jeder hat seine eigene Vorstellung vom Leben nach dem Tod.
Edo-Zeit. Emakimono database, Nichibunken.
Es gibt jedoch alteingesessene traditionelle Vorstellungen, die noch heute wirksam sind. Sie stellen ein unerschöpfliches Reservoir für die sogenannten Neuen Religionen dar und erhalten darüber hinaus in der Welt der Manga und Anime immer wieder neue Aktualität. Diese traditionellen Jenseitsbilder sind überwiegend vom Buddhismus geprägt. Das hängt u.a. mit dem bereits erwähnten „arbeitsteiligen“ Verhältnis von Buddhismus [bukkyō (jap.) 仏教 Lehre des Buddha, Buddhismus] und Shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] zusammen, nach dem die Götter des Shintō vorrangig für den Bereich des Diesseits und das unmittelbare Wohlergehen, die buddhistischen Heilsgestalten dagegen eher für den Tod und das Jenseits zuständig sind (s. Grundbegriffe, Shintō).
Topographie des Jenseits
Philosophisch gesehen gibt es im Buddhismus nur ein absolutes Jenseits — das Nirvana [Nirvāṇa (skt.) निर्वाण „Erloschen, ausgelöscht“, Ort der Erlösung von allem Leid, absolutes Jenseits (jap. Nehan 涅槃)], das in der vollständigen Auslöschung alles Diesseitigen besteht. Alles andere, auch die Wege der Totenseelen von einer Wiedergeburt zur nächsten, gehört zum Diesseits (Samsara [Saṃsāra (skt.) संसार „Beständiger Fluss“, Kreislauf der Wiedergeburten, Diesseits (jap. Rinne 輪廻)] = Kreislauf der Wiedergeburten) und führt letztlich zu neuen, leidvollen Existenzen (s. Grundbegriffe, Buddhismus). In der Praxis kennt jedoch auch der Buddhismus ein sichtbares, unmittelbar erfahrbares Diesseits und ein unsichtbares Jenseits, in dem sich Geister und Totenseelen aufhalten. Es gibt darüber hinaus ein Paradies (gokuraku [gokuraku (jap.) 極楽 wtl. höchstes Glück; Paradies; identisch mit dem Reinen Land (jōdo)]), das die Vorstufe zum Nirvana darstellt, und es gibt eine Hölle (jigoku [jigoku (jap.) 地獄 wtl. „[unter]irdischer Kerker“, buddhistische Hölle]).
Die Bereiche der Wiedergeburt
Das Gesetz des Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. gō 業)] regelt genau genommen nur jenen Bereich des Samsara, den man die Welt der Begierden (Kamadhatu [Kāmadhātu (skt.) कामधातु „Welt der Begierden“, Bereich der Wiedergeburten (Samsara) im buddhistischen Modell des Universums]) nennt. Dieser Bereich unterteilt sich in die Sechs Wege (rokudō [rokudō (jap.) 六道 wtl. die Sechs Wege = Bereiche der Wiedergeburt]). Das sind Existenzformen, in die man hineingeboren werden kann, je nachdem, ob man in vergangenen Leben gutes oder schlechtes Karma angehäuft hat. Diese Existenzformen sind:
- Götter (devas [deva (skt.) देव „Gottheit“, oberste Klasse indischer Götter (jap. -ten 天 oder tenbu 天部)]), die im Buddhismus sterblich sind
- Kriegergeister (jap. (a)shura [ashura (jap.) 阿修羅 kämpfende Geister, eine von sechs Formen der Wiedergeburt; skt. asura; auch shura] von skt. asura)
- Menschen
- Tiere
- Hungergeister (jap. gaki [gaki (jap.) 餓鬼 Hungergeist; skt. preta], skt. preta)
- Hölle, die sich wiederum in acht Einzelhöllen unterteilt
Vorlage:Sidebox3 Wie anhand der Sanskrittermini zu erkennen, stammen die Bereiche der Wiedergeburt aus dem indischen Buddhismus und reflektieren dort gängige religiöse Vorstellungen. Diese haben sich in China und Japan unterschiedlich stark eingeheimatet. Von den Kriegergeistern ist relativ wenig zu hören und zu sehen. Auch die Möglichkeit, als (hinduistischer) Gott wiedergeboren zu werden, existiert in erster Linie in der Theorie. Die Menschen erleben das Leid, das im Grunde alle sechs Existenzformen prägt, zwar intensiver als Götter und Kriegergeister, doch ist das Potential, aus dem Geburtenkreislauf auszutreten, in der Welt der Menschen höher. Insofern ist die Hierarchie zwischen den oberen drei Bereichen der Wiedergeburt auch nicht eindeutig zu bestimmen.
Tiere, Hungergeister und Höllenwesen sind hingegen als direkte Konsequenz der karmischen Bestrafung anzusehen und zwar in zunehmend negativer Form. (Imaginäre Tiere, die den Menschen ja grundsätzlich überlegen sind, scheinen im übrigen eher dem Weg der Gottheiten anzugehören.) Obwohl Hungergeister und Höllenwesen den Menschen nicht sichtbar sind, machte man sich in China und Japan sehr konkrete Vorstellungen von ihnen und widmete ihnen sowohl rituell als auch ikonographisch große Aufmerksamkeit. Ähnlich wie in den christlichen Höllendarstellungen galt dabei den Schrecken der Hölle das Hauptaugenmerk.
Die Zehn Welten
Über den Sechs Wegen gibt es noch Vier Stufen der Buddhaschaft, sodass man das buddhistische Universum auch in Zehn Welten (jap. jukkai [jukkai (jap.) 十界 Zehn Welten des buddhistischen Jenseits; auch jikkai ausgesprochen]) unterteilt findet. Das folgende Bild, das dieses Universum zur Gänze repräsentiert, nennt sich daher auch Mandala der Zehn Welten (jukkai mandara).
Hängerollbild, Edo-Zeit, 17. Jh.
Auf diesem Bild sind die positiveren Bereiche der Wiedergeburt, einschließlich Amidas [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)] Paradies, in der oberen Bildhälfte zu sehen, während die negativen Bereiche im unteren Teil zu finden sind. Die Welt der Menschen ist durch eine Lebenstreppe versinnbildlicht, die von der Geburt bis zum Tod reicht. In der Mitte des Bildes ist ein Totenritual dargestellt. Das Bild verdeutlicht somit den Einfluss, den buddhistische Rituale auf das Schicksal der Verstorbenen im Jenseits haben können.
In der unteren Bildhälfte mischen sich die Welt der Kriegergeister (ashura), der Gerichtshof Enmas (s.u.), die Welt der Tiere und der Hungergeister. Die Bereiche der Hölle (jigoku) nehmen einen besonders prominenten Platz ein. Als kleinen Hoffnungsschimmer erkennt man unter allen grauenvollen Monstern aber auch den Bodhisattva Jizō [Jizō (jap.) 地蔵 wtl. Schatzhaus/Mutterleib der Erde; skr. Kṣitigarbha; populäre Bodhisattva Figur] in der Vorhölle der Kinder (Sai no Kawara [Sai no Kawara (jap.) 賽の河原 Ufer des Flusses der Unterwelt]), denn zu Kindern hat dieser Bodhisattva ein besonderes Naheverhältnis (s. Jizō im Kapitel „Ikonographie“). Links unten kann man ihn ein zweites Mal erkennen, wie er zwei Verstorbene aus der Hölle hinaus geleitet. Ein interessantes Detail am Rande: Die einzelnen Welten in der obigen Abbildung sind mit torii [torii (jap.) 鳥居 Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami] markiert, wie sie heute nur vor Shintō-Schreinen zu finden sind. Die torii stellen gleichsam die Eingänge zu den jeweiligen Welten dar.
Auf dem Bild unten sind die gleichen Zehn Welten etwas schematischer dargestellt. Einzelne ikonographische Details, wie etwa der Mönch Mokuren [Mokuren (jap.) 目連 Schüler des Buddha; skt. Maudgalyayana; errettet seine Mutter aus der Hölle] bei seinem Besuch der Totenwelt, sind aber hier wie dort zu finden. Auch hier steht im Zentrum das Schriftzeichen für „Herz“ 心 (auch „Seele“ oder „Bewusstsein“), von dem die Zehn Welten auszugehen scheinen.
Schema der Zehn Welten
Die Zehn Welten repräsentieren die Hierarchie aller fühlenden Wesen auf dem Weg zur vollkommenen Buddhaschaft. Gemäß der Abbildung, die die Terminologie des Tendai-Buddhismus wiedergibt, sind dies von unten nach oben:
- Hölle (jigoku [jigoku (jap.) 地獄 wtl. „[unter]irdischer Kerker“, buddhistische Hölle])
- Hungergeister (gaki [gaki (jap.) 餓鬼 Hungergeist; skt. preta])
- Tiere (chikushō)
- Kriegergeister (shūra)
- Menschen (ninkai)
- [Deva]-Götter (tenkai; hier: tenjo, „Himmelsfrauen“)
- [Buddha]-Schüler (shōmon, skt. shravaka)
- Pratyeka-Buddhas (enkaku)
- Bodhisattvas
- Buddhas
Die ersten sechs sind die genannten Bereiche der Wiedergeburt, die weiteren vier sind die erstrebenswerten Bereiche, außerhalb des Kreislaufs der Wiedergeburten. Bereiche 7 und 8 entsprechen den in China und Japan marginalisierten Vorstellungen des „Kleinen Fahrzeugs“ (Hinayana [Hīnayāna (skt.) हीनयान „Kleines Fahrzeug“, buddhistische Richtung (jap. Shōjō 小乗)]), Bereiche 9 und 10 denen des „Großen Fahrzeugs“ (Mahayana [Mahāyāna (skt.) महायान „Großes Fahrzeug“, buddhistische Richtung (jap. daijō bukkyō 大乗)]).
Die Zehn Welten sind kreisförmig um ein Zentrum mit dem Schriftzeichen für „Herz“ (auch „Seele“ oder „Bewusstsein“) angeordnet, aus dem sie, wie der Bildtitel besagt, „entstehen“.
Die buddhistische Totenwelt
Im Augenblick des Todes gibt es nach gängigen buddhistischen Vorstellungen zunächst zwei Möglichkeiten: Die erste besteht darin, direkt ins Nirvana oder in eine seiner Vorstufen, etwa das sogenannte Reine Land einzugehen und damit aus dem Zyklus der Wiedergeburten auszutreten. Dieser Fall ist zwar eher unwahrscheinlich, die meisten Richtungen des japanischen Buddhismus erachten ihn aber prinzipiell für jeden, Mönch oder Laien, als möglich. (s. dazu Paradiese.)
Die Mehrheit der Verstorbenen wird jedoch „wiedergeboren“, d.h. sie muss sich erneut den Leiden der irdischen Existenz aussetzen. Zunächst muss aber geprüft werden in welchen Bereich der Wiedergeburt der Verstorbene nun kommen soll. Dies wird von einem eigenen Gerichtshof entschieden, der sich in einer Art Zwischenwelt innerhalb der Sechs Wege der Wiedergeburt befindet. Oberster Richter bzw. König dieser Unterwelt ist Enma [Enma (jap.) 閻魔 skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen] (skt. Yama [Yama (skt.) यमराज Gottheit der Unterwelt und des Todes (jap. Enma 閻魔)]).
Enma, Richter der Unterwelt
Vorlage:Sidebox3 Enma, der zumeist von diversen furchteinflößenden Schergen assistiert wird, repräsentiert, wenn man so will, den Gesetzes- und Polizeiapparat im buddhistischen Universum. Er besitzt einen Spiegel, der ihm über die Taten des „Angeklagten“ Auskunft gibt, oder er befragt zwei Geister, die jeden Sterblichen auf seinem Lebensweg begleiten und Protokolle seiner guten und schlechten Taten anlegen. Enma ist nicht böse, aber er ist streng. Versucht man, ihn mit den buddhistischen Grund-Dogmen zu erklären, so könnte man in ihm die unerbittliche Konsequenz des Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. gō 業)] erblicken.
13. Jh. Kyōto National Museum.
Enmas Ikonographie stammt aus China, obwohl die Figur selbst indische Wurzeln hat. In Japan lässt sich über die Jahrhunderte eine gewisse Tendenz erkennen, Enma immer stärker zu dämonisieren. Sein strafender Aspekt wird dadurch verstärkt, dass er die Gesichtszüge indischer Wächtergötter bekommt, doch richtet sich sein Zorn nicht gegen äußere Feinde des Buddhismus, sondern gegen gewöhnliche Sterbliche, die vom Pfad buddhistischer Tugenden abgewichen sind.
Die Zehn Könige
China, 10. Jh. Intenational Dunhuang Project, (British Library).
Einer etwas anderen Vorstellung zufolge ist Enma lediglich einer von Zehn Königen bzw. Richtern, die jeweils über einen eigenen Gerichtshof des Totenreichs herrschen und vor denen die Verstorbenen der Reihe nach Rede und Antwort stehen müssen. Die Einzelheiten der Zehn Richterkönige sind in China entwickelt worden und auch auf japanischen Abbildungen tragen die Richter meist ein chinesisches Gewand und eine charakteristische Kappe mit zwei seitwärts abstehenden „Ohren“, die sie als Angehörige des chinesischen Beamtenapparates charakterisiert. Die Abbildung links zeigt ein Detail aus dem chinesischen Sutra der Zehn Könige (jap. Jūō-kyō [Jūō-kyō (jap.) 十王経 „Sutra der Zehn Könige“; apokryphe chinesische Schrift aus China, 8. oder 9.Jh.]), in dem der Gerichtshof im buddhistischen Jenseits in vielen Einzelheiten gemäß der Tang [Tang (chin.) 唐 chin. Herrschaftsdynastie, 618–907]-zeitlichen chinesischen Rechtspraxis dargestellt wird. Das Bild entstammt einer Schriftrolle aus dem zehnten Jahrhundert, die in den Höhlentempeln von Dunhuang [Dunhuang (chin.) 敦煌 Oasenstadt an der Seidenstraße zwischen dem Tarim-Becken und China; zumeist von China, aber zeitweise auch von Tibet beherrschtes Handelszentrum; buddhistisches Zentrum mit ausgedehnten Höhlentempeln] gefunden wurde.
Datsueba
Eine weitere Gestalt, die über das Schicksal der Totenseele entscheidet, ist die Datsueba [Datsueba (jap.) 奪衣婆 wtl. die Alte, die die Kleider wegnimmt; Dämonin des Totenreichs], die „Alte, die den Toten das Gewand auszieht“. Sie sitzt am Ufer der „Drei Furten“ (Sanzu), die auf dem Weg zur Totenwelt überschritten werden müssen. Wenn die Toten diese Furten durchschritten haben, zieht sie ihnen ihre nassen Kleider aus und hängt sie neben sich an einen Baum, der als eine Art Waage fungiert. Je tiefer die Äste durch das Gewand der Toten herabgebogen werden, umso schwerer die Sünden und umso schrecklicher die Foltern, die den Verstorbenen erwarten.
Die Vorstellung der Datsueba dürfte in Japan entstanden sein. Sie findet sich jedenfalls nicht in chinesischen Unterweltdarstellungen, während sie in Japan ab der Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]-Zeit ein gängiges Motiv des Jenseitsglaubens darstellt.
Außerbuddhistische Vorstellungen
Neben buddhistischen Vorstellungen findet sich in japanischen Geschichten und Legenden auch die daoistische Insel der Unsterblichkeit, die irgendwo weit draußen auf dem Meer zu finden sein soll. Dieser Glaube hat in vielen volksreligiösen Bräuchen Eingang gefunden. Auch das Schatzschiff der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin [Shichi Fukujin (jap.) 七福神 Sieben Glücksgötter; populäres Ensemble von Glücksgöttern verschiedener Herkunft]) und der Palast des Drachenkönigs stehen wohl irgendwie mit diesem überseeischen Paradies in Verbindung.
In den alten Mythen begegnen wir vor allem dem Schattenreich Yomi [Yomi (jap.) 黄泉 mytholog. Unterwelt; geschrieben mit den Zeichen „Gelbe Quellen“, eine chinesische Bezeichnung für die Unterwelt], das Izanami [Izanami (jap.) 伊耶那美/伊奘冉 Göttermutter, Göttin der Unterwelt (mi hier weibliche Endung); Schwester und Frau des Izanagi] nach ihrem Tod beherrscht. Ähnlich wie bei den Griechen und Römern gibt es im japanischen Mythos zwar die strahlende Welt der Götter, doch ist diese den gewöhnlichen Sterblichen unzugänglich. Inwieweit im vorbuddhistischen Japan auch positive Jenseitsvorstellungen vorhanden waren, wurde schon innerhalb der Kokugaku-Schule im achzehnten und neunzehnten Jahrhundert heftig diskutiert. Motoori Norinaga [Motoori Norinaga (jap.) 本居宣長 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)] (1730–1801) wies daraufhin, dass die Mythen nur ein pessimistisches Jenseits kennen. Demgegenüber suchte Hirata Atsutane [Hirata Atsutane (jap.) 平田篤胤 1776–1843; kokugaku-Gelehrter] (1776–1843) nach positiven Jenseitsbildern im Volksglauben und vertrat die Ansicht, dass diese den ursprünglichen Shintō widerspiegeln würden. Heute neigen viele Gelehrte eher zu Norinagas Auffassung und sehen in Atsutanes Position einen propagandistischen Versuch, den Shinto gegenüber dem Buddhismus aufzuwerten. Wahrscheinlich gab es aber auch hier, ebenso wie in anderen Bereichen, starke regionale Unterschiede innerhalb der vorbuddhistischen Religion.
Verweise
Verwandte Themen
- Hundert Geschichten: Horrorklassiker aus der Edo-Zeit
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- König Enma und sein Totengericht
Internetquellen
- Emakimono database, International Research Center for Japanese Studies (Nichibunken) - Kyoto (jap.)
Sehr attraktiv gestaltete Website, auf der mehrere Edo-zeitliche Bildrollen (emaki) zu Themen wie Jenseits oder Gespenster vollständig zu betrachten sind. Leider keine genauen bibliographischen Angaben.
Literatur
Siehe insbesondere die ikonographischen Beschreibungen der Hölle.
Bilder
- ^ Zwei Totenseelen auf dem Weg in Jenseits, am Kreuzungspunkt der Sechs Wege (rokudō).
Edo-Zeit. Emakimono database, Nichibunken. - ^ Im oberen Teil eine Lebenstreppe, die das menschliche Leben von der Geburt bis zum Tod darstellt. Darunter Amidas Reines Land (jōdo), der Gerichtshof Enmas, und schließlich, in der unteren Bildhälfte, die Hölle (jigoku).
Edo-Zeit, 17. Jh. Bildquelle: unbekannt. - ^ Gerichtshof des Königs der Totenwelt, Enma (chin. Yanlou).
Im Hintergrund Enma und zwei weitere Richter, im Vordergrund der Urteilsverkünder und der Schreiber.
13. Jh. Kyōto National Museum.
- ^ Hier wird der Gerichtshof im buddhistischen Jenseits in vielen Einzelheiten gemäß dem Tang-zeitlichen Sutra der Zehn Könige (Jūō-kyō) dargestellt. Hier die Szene vor dem Zweiten König. Die Totenseelen werden durch einen Fluss getrieben. Sie tragen hölzerne Joche, werden also als Delinquenten gemäß der vormodernen chinesischen Rechtspraxis dargestellt.
China, 10. Jh. Intenational Dunhuang Project, (British Library). - ^ Darstellung der „Alten, die die Kleider auszieht“ Datsueba.
Muromachi-Zeit. Gofuku-ji, via Web Archive.
Glossar
- Nihon ryōiki 日本霊異記 ^ „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)
- pratyeka buddha (skt.) प्रत्येकबुद्ध ^ „Einzel-Buddha“, Buddha, der für sich selbst zur Erleuchtung gelangt, ohne zu lehren (jap. enkaku 縁覚)
- Sanzu no Kawa 三途の川 ^ wtl. Fluss der Drei Furten; Fluss zwischen den Welten der Lebenden und der Toten
- Shichi Fukujin 七福神 ^ Sieben Glücksgötter; populäres Ensemble von Glücksgöttern verschiedener Herkunft
- Taishaku-ten 帝釈天 ^ Skt. Indra, eine der wichtigsten Gottheiten (deva) der indischen Mythologie. In Japan meist mit Brahma (jap. Bonten) in einem Atemzug genannt