Alltag/Totenriten: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 26. Januar 2022, 13:32 Uhr
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Was passiert konkret, wenn ein Mensch in Japan stirbt? Wie verabschiedet man einen Verstorbenen, wie trauert man um ihn? Welche religiösen Spezialisten sind hierbei gefragt? Die folgende Seite enthält einen Überblick der wichtigsten Elemente des Totengedenkens sowie der Tabus, die im Zusammenhang mit dem Tod zu beachten sind.
Grundschema
Die große Mehrheit aller Verstorbenen wird nach buddhistischen Bestattungsriten (sōshiki [sōshiki (jap.) 葬式 Begräbnis, Bestattung, Totenritus]) eingeäschert und in einer Urne beigesetzt. Die Einäscherung erfolgt meist sehr rasch, d.h. innerhalb von ein bis zwei Tagen nach dem Tod. Dies ist allein schon wegen des feucht-heißen Klimas notwendig, doch tragen auch alteingesessene Tabuvorstellungen dazu bei, dass man die Toten möglichst rasch aus der Welt schaffen möchte. Der Tod ist nämlich stark mit der Vorstellung ritueller Verunreinigung (kegare [kegare (jap.) 穢れ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande]) verbunden. Ein Großteil der Totenriten dient daher der rituellen Reinigung des Ortes, an dem der Verstorbene gelebt hat. Dieses Tabu-Denken geht so weit, dass jede Erinnerung an Riten, die im Zusammenhang mit der Bestattung stehen, im normalen Alltag vermieden werden muss (s.u.). Insgesamt scheint der gesamte Zyklus der Totenriten von dem Grundgedanken bestimmt zu sein, den Verstorbenen so schnell, als es die Pietät zulässt, aus dem Bereich der Lebenden zu entfernen und in den Status eines hotoke [hotoke (jap.) 仏 Buddha; umgangsspr. auch: Totenseele; andere Lesung: butsu; alte Schreibung: 佛] (wtl. eines Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)]) zu versetzen. In dieser Form gilt er dann weder als bedrohlich noch als unrein und kann damit zum Gegenstand der alltäglichen Ahnenverehrung werden.
Die Zeremonien, die den Übergang vom Diesseits zum Jenseits begleiten, werden heute zum Großteil im Haus des Verstorbenen vollzogen und betreffen seine ganze Familie, eventuell auch seine Freunde und Nachbarn. Der entscheidende Moment der rituellen Verabschiedung liegt in der Verbrennung des Leichnams. Danach werden die Aschenreste (bzw. um genau zu sein: die unverbrannten Knochen) des Verstorbenen in einer Urne nach Hause genommen und bleiben dort noch einige Zeit, bevor sie schließlich auf dem Friedhof beigesetzt werden.
Die Leitung einer familiären Bestattungszeremonie ist ein verantwortungsvolles und kompliziertes Amt, das traditionellerweise dem ältesten Sohn einer Familie zukommt. Zusätzlich werden Gebete und Riten, die dem karmischen Schicksal des Verstorbenen nach seinem Ableben dienen, durch buddhistischer Mönche vorgenommen, die zu diesem Zweck das Haus des Verstorbenen aufsuchen. Alles in allem ist der vollständige Zyklus eines Bestattungsrituals eine zeitaufwendige, kostspielige Angelegenheit, die durch die Tatsache, dass immer mehr Menschen im Spital und nicht in den eigenen vier Wänden sterben, weiter verkompliziert wird. Aus diesem Grunde werden Bestattungen heute oft mit Hilfe von professionellen Bestattungsunternehmen (sōgiya [sōgiya (jap.) 葬儀屋 Bestatter, Bestattungsfirma]) ausgeführt, deren Aufgabe nicht nur im Verwahren des Leichnams, sondern auch im event management der Bestattung besteht. Dabei richtet man sich im allgemeinen nach einem gewissen rituellen Fahrplan, der im Folgenden einzeln aufgelistet ist.
Die einzelnen Totenriten
Taburegel kamidana fūji: Verhängen des shintōistischen Hausschreins
Sobald sich ein Todesfall ereignet, verhängt man den shintōistischen Hausschrein (so man überhaupt einen besitzt) mit weißen Tüchern oder Papier (kamidana fūji [kamidana fūji (jap.) 神棚封じ Verdecken des Shintō-Altars (kamidana) während häuslicher Totenriten]) und ignoriert ihn während der folgenden Trauerzeit. Die kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] sollen nämlich mit den Verunreinigungen (kegare [kegare (jap.) 穢れ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande]) des Todes möglichst nicht in Berührung kammen, da sie die Hinterbliebenen sonst mit Unglück strafen könnten. In diesem Brauch spiegelt sich die rituelle Rollenverteilung „Buddhismus: Tod, Shintō: Leben“ anschaulich wider.
Totengewand und Aufbahrung
Vor der Aufbahrung wird der Tote gewaschen und mit einem weißen Totengewand (shini shōzoku [shini shōzoku (jap.) 死に装束 Totengewand]) bekleidet. Es erinnert an ein Pilgergewand bzw. an das Gewand eines Wanderers und symbolisiert somit die bevorstehende Reise in die Unterwelt. Das Totengewand unterscheidet sich vom Pilgergewand jedoch durch die dreieckige Stirnbinde, die auch für die Darstellung von Totengeistern typisch ist (s.u.). Außerdem wird das Obergewand, im Unterschied zum Alltagsgebrauch, so um den Körper gebunden, dass die linke Brustseite unter der rechten liegt (s. Taburegel hidarimae). Auch auf die Richtung, nach der der Tote bei der Aufbahrung ausgerichtet ist, unterliegt einer vom Alltag verschiedenen Taburegel (s. kitamakura). Schließlich gehören auch sechs Münzen zur Ausstattung des Verstorbenen, die dieser für die Fähre über den Fluss der Unterwelt zu zahlen hat. In seinem Totengewand wird der Verstorbene im eigenen Haushalt feierlich und von vielen Blumen umgeben aufgebahrt, um rund um ihn weitere Riten vorzunehmen.
Bildquelle: Soshiki no gimon, kommerzielle Ratgeberseite, 2022.
Taburegel hidarimae: den Kimono (nicht) linksseitig binden
Osōshiki no gimon, Kommerzielle Ratgeberseite, 2022.
Beim Totengewand wird die linke Brustseite des Oberkleides vor der rechten eingeschlagen (hidarimae [hidarimae (jap.) 左前 wtl. links vorne; Bezeichnung für die besondere Bindung von Totenkleidern (shini shōzoku)]), während traditionelles japanisches Alltagsgewand genau umgekehrt gebunden wird. Daher werden auch Gespenster mit hidarimae-Gewand dargestellt. Im Alltag dagegen gilt auch hier, die Assoziation mit dem Tod zu vermeiden.1
Taburegel kitamakura: (Nicht) mit dem Kopf nach Norden schlafen
Bei der Aufbahrung ist zu beachten, dass der Kopf des Toten nach Norden weist (kitamakura [kitamakura (jap.) 北枕 wtl. „das Kopfkissen nach Norden drehen“; Brauch, einen Verstorbenen mit dem Kopf nach Norden aufzubahren], wtl. „Nordpolster“). Dies geht auf den historischen Buddha zurück, der mit nordwärts gewandtem Haupt und dem Blick nach Westen ins Nirvana [Nirvāṇa (skt.) निर्वाण „Erloschen, ausgelöscht“, Ort der Erlösung von allem Leid, absolutes Jenseits (jap. Nehan 涅槃)] eingegangen sein. Daher soll der Tote seinem Beispiel folgen. Da diese Haltung aber den Tod symbolisiert, achtet man in Japan im Alltag genau darauf, nicht mit dem Kopf nach Norden zu schlafen.
Symbolische Mönchsschaft: Tonsur und Mönchsnamen
Aus Sicht der buddhistischen Ritualisten ist das Totenritual eine symbolische Mönchsweihe. D.h. dass der Verstorbene posthum in den Status eines buddhistischen Mönchs versetzt wird. Zu diesem Zweck wird u.a. eine symbolische Tonsur vorgenommen: Der Tote wird mit einem Rasiermesser berührt, was das Scheren des Haupthaars ausdrückt. Vor allem aber erhält er eine Art Mönchsnamen (kaimyō [kaimyō (jap.) 戒名 buddhistischer Totenname, posthumer Name eines Verstorbenen], wtl. „Namen nach den buddhistischen Geboten“). Der Name wird auf ein ihai [ihai (jap.) 位牌 Ahnentäfelchen]-Täfelchen geschrieben, das später einen Platz im Hausaltar (butsudan [butsudan (jap.) 仏壇 buddh. Hausaltar]) erhält (siehe Ahnenkult). Neben dem Altar ist während der Trauerzeit auch ein Foto des Verstorbenen platziert.
Bildquelle: Open Library.
Wie der Abbildung aus der späten Edo-Zeit zu entnehmen, wurde die Mönchs-Tonsur der Verstorbenen in vornehmen Haushalten offenbar tatsächlich vollzogen.
Riten vor der Einäscherung
Sutrenlesung: Die Rezitation buddhistischer Sutren sollte möglichst durch einen buddhistischen Mönch erfolgen. Sie wird von Rauchopfern (Abbrennen von Räucherstäbchen) begleitet.
Totenwache: Die Totenwache (tsuya [tsuya (jap.) 通夜 nächtliche Totenwache]) dauerte traditionellerweise die ganze erste Nacht. Früher wachten die engsten Familienmitglieder beim Verstorbenen, heute wird die Wache aber zumeist abgekürzt. Gebete werden durch den Leiter der Trauerzeremonien (im Idealfall der älteste Sohn, heute oft ein professioneller Bestattungsunternehmer) durchgeführt. Früher war es Brauch, dass der Leiter der familiären Trauerzeremonie als Zeichen, dass er nun den Verstorbenen verkörpert, ein dem Totengewand ähnliches, weißes Gewand trug. Auch das findet sich nur noch selten.
Geldspenden: Am Tag nach dem Ableben, noch bevor der Leichnam zum Krematorium gebracht wird, versammeln sich Verwandte und Bekannte zu einer Trauerfeier im Haus des Verstorbenen. Dabei werden Räucherstäbchen und andere kleine Opfergaben für den Verstorbenen am Hausaltar niedergelegt. Vor allem aber haben die Trauergäste Geld (o-kōden [kōden (jap.) 香典 Grab-Spende; s. o-kōden], wtl. „Beitrag für Räucherstäbchen“) mitzubringen, das in einem entsprechenden Kuvert dargebracht wird. Okōden ist üblicherweise eine hohe Summe, die als finanzielle Unterstützung der beträchtlichen Kosten eines Begräbnisses zu verstehen ist. Allerdings verlangt es der Anstand, dass man am Ende der Trauerperiode allen Spendern ein Gegengeschenk etwa im halben Wert der Spende macht (okōden gaeshi).
Einsargung: Der Tote wird in einen Sarg gelegt, um ihn darin zum Krematorium zu bringen. Die Trauernden beteiligen sich gemeinsam an der Einsargung, dabei helfen alle beim Zunageln des Sargdeckels mit, indem sie symbolisch (mit Hilfe eines einfachen Steins) auf einen der Sargnägel klopfen. Der Sarg wird schließlich mit dem Leichnam zusammen verbrannt.
Einäscherung und Kotsuage
Die engste Familie begleitet den Sarg ins Krematorium. Die Verbrennung darf nicht zu heiß sein und nicht zu lange dauern, damit noch einige Knochenstückchen des Leichnams übrig bleiben. Es sind diese Knochenreste, nicht die Asche, die in der Folge in einer Urne (kotsutsubo [kotsutsubo (jap.) 骨壷 Grab-Urne]) beigesetzt werden.
Das Verwahren der unverbrannten Knochenreste in der Urne geschieht in Form eines speziellen Ritus, den man kotsuage [kotsuage (jap.) 骨上げ wtl. Knochenheben (Bestattungsbrauch)], wtl. „Aufheben der Knochen“, nennt. Die Knochenstückchen werden dabei von den anwesenden Familienmitgliedern mit besonders langen Bambusstäbchen aus den Ascheresten geholt, von einem zum anderen weiter gegeben und schließlich in die Urne gelegt. Die Urne wird dann nach Hause mitgenommen und später im Familiengrab beigesetzt. Dies geschieht meist mit vergleichsweise geringem zeremoniellem Aufwand.
Bildquelle: Open Library.
Bei ihrer Rückkehr ins Haus werden die Familienmitglieder, die am kotsuage teilgenommen haben, rituell gereinigt, indem sie von den daheim Gebliebenen mit ein wenig Salz beworfen werden.
Taburegel futaribashi: Essstäbchen berühren sich (nicht)
Ebenso wie das Nordpolster ist das kotsuage so stark mit dem Tod assoziiert, dass jede Erinnerung daran im normalen Alltag strengstens tabuisiert ist. Daher dürfen Speisen niemals direkt von Essstäbchen zu Essstäbchen weiter gereicht werden. Überhaupt dürfen die eigenen Essstäbchen während einer Mahlzeit niemals die Essstäbchen anderer berühren. Dieses Tabu namens futaribashi („Zwei-Leute-Stäbchen“) oder hashiwatashi („Stäbchen-Weitergeben“) wird von allen Japanern ungeachtet der religiösen Zugehörigkeit strengstens befolgt.
Trauerzeit
Die engere Trauerzeit beträgt nach buddhistischem Brauch sieben Wochen, also 49 Tage. Dies ist die Zeit, die Buddha in Meditation verharrte, bevor er die Erleuchtung und damit die eigentliche Buddhaschaft erfuhr. Die Totenseele eines gewöhnlichen Sterblichen absolviert während der 49 Tage ihre Reise ins Jenseits absolviert und benötigt dabei weitere spirituelle Unterstützung. Nach traditionellen Vorstellungen muss sie sich nämlich in der Totenwelt vor zehn Richtern (Jūō [Jūō (jap.) 十王 Die Zehn Könige oder Richter der Totenwelt]) rechtfertigen. Während der ersten 49 Tage gibt es jede Woche eine Verhandlung, die man aus dem Diesseits durch Riten und Opfergaben beeinflussen kann. Daher sollte es am Ende jeder Woche es eine buddhistische Zeremonie geben. Nach Abschluss dieser Zeit findet eine größere Totenfeier für den weiteren Bekannten- und Verwandtenkreis in einem buddhistischen Tempel statt.
Spätere Gedenkfeiern für den Verstorbenen fallen im Grunde bereits in den Bereich der Ahnenverehrung. Den Ahnen wird kollektiv im Rahmen des jährlichen Bon-Festes [O-bon (jap.) お盆 Fest der Ahnen; Bon-Fest] gedacht. Für individuelle Verstorbene gibt es darüber hinaus in bestimmten Abständen (1, 3, 7, 13, und 33 Jahre) weitere buddhistische Seelenmessen. Danach wird angenommen, dass die Seele endgültig ins Jenseits eingegangen ist. Damit sind keine Totenfeiern mehr nötig, auch das Ahnentäfelchen sollte nach 33 Jahren aus dem Hausaltar entfernt werden.
Taburegel hatsumōde: (Kein) Schreinbesuch zu Neujahr
Für das gesamte Jahr, in dem sich ein familiärer Todesfall ereignete, gelten darüber hinaus weitere Tabuvorschriften, die neuerlich mit dem problematischen Verhältnis zwischen Shintō und Todestabu zu tun haben. So sollten die Hinterbliebenen im folgenden Neujahr auf den traditionellen Neujahrsschreinbesuch (hatsumōde [hatsumōde (jap.) 初詣 Schrein-Neujahrsbesuch]) verzichten. Ebenso hat der Austausch von traditionellen Neujahrskarten und -glückwünschen zu unterbleiben.
Tradition und Veränderung der Totenriten
Die oben beschriebenen Zeremonien beruhen z.T. auf sehr alten Vorstellungen, sind aber erst im zwanzigsten Jahrhundert standardisiert worden. Beispielsweise war die Verbrennung der Leiche zwar stets ein buddhistisches Ideal, aber in vormoderner Zeit aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nur für eine privilegierte Minderheit realisierbar. In der Edo-Zeit etablierte sich in konfuzianischen und shintōistischen Kreisen eine Kritik an der Brandbestattung, was in den frühen Tagen der Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit, als Shintō-Begräbnisse gefördert werden sollten, sogar zu einem kurzfristigen Verbot von Leichenverbrennungen führte (1873–75). Im Zuge der Urbanisierung wurde die Brandbestattung aber bald als hygienisches und platzsparendes Mittel der Totenentsorgung erkannt und flächendeckend gefördert, was zu einer Kehrtwendung in der Rechtssprechung führte: Ab 1897 mussten alle Toten, die an ansteckenden Krankheiten verstorben waren, von Gesetzes wegen verbrannt werden.
Auch die Konzentration der Riten auf den häuslichen Bereich ist ein relativ junges Phänomen. Die tatsächliche Abhaltung der Feiern unterliegt natürlich zahlreichen Variationen, die vom individuellen Brauch der Familie, von ihren ökonomischen Verhältnissen, von ihrem Wohnort, von ihrer religiösen Zugehörigkeit, u.a.m. abhängig sind.
Ein kleiner Prozentsatz aller Begräbnisse wird nach shintōistischem Muster durchführt. Shintō-Begräbnisse waren vor der Meiji-Restauration allerdings nur in einigen Priesterfamilien üblich und sind auch heute in der allgemeinen Bevölkerung kaum bekannt. Im allgemeinen weichen daher nur japanische Christen stark von den hier beschriebenen zeremoniellen Grundregeln einer Bestattung ab.
Ein gewisser Druck zur Uniformität entsteht übrigens auch dadurch, dass Bekannte, Verwandte und Nachbarn nicht nur als Trauergäste zu erwarten sind, sondern auch bei der Organisation des Begräbnisses helfen. Vor allem in ländlichen Gebieten, wo nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Hilfe noch selbstverständlicher funktioniert, unterliegen Begräbnisse daher dem lokalen Brauchtum. In den Städten dagegen sind die Einzelheiten von Begräbnisriten vielen nicht mehr geläufig. Hier bieten zahlreiche professionelle Bestattungsfirmen ein entsprechendes Service als Ersatz für die von traditionellen Gemeinschaften übernommenen Aufgaben an. Diese Firmen vermitteln zwischen Familie und Tempel, organisieren die Trauerfeiern und bieten im übrigen alle möglichen Extras (besonders attraktive Gräber und Friedhöfe, professionelle Begräbnismusiker, etc.) an. Auch dem technischen Fortschritt wird Rechnung getragen. Eine Firma schlägt z.B. Methoden zur Erhaltung und Aufbewahrung der DNA der Verstorbenen vor (siehe Sidepage).
Wer sich für Bestattung in Japan näher interessiert, sollte unbedingt Itami Jūzō [Itami Jūzō (jap.) 伊丹十三 1933–1997; japanischer Filmregisseur; bekannt für Komödien wie Osōshiki (1984), Tampopo (1985) oder die Steuerfahnderin (1987)]s Film Osōshiki (Das Begräbnis) ansehen. Hier werden die oben besprochenen Einzelheiten in teils satirischen, teils sehr berührenden Episoden dargestellt, wobei der Zwiespalt zwischen traditionellem Brauchtum und moderner Lebenswelt deutlich zum Ausdruck kommt.
Trauerfarbe: Schwarz? Weiß?
Meiji-Zeit. Kinsei fūzoku zue database, Nichibunken.
Eine gewisse Verwirrung besteht hinsichtlich der Trauerfarbe in Japan, heißt es doch häufig, in Japan sei weiß die Farbe des Todes. Seit Japans Öffnung zum Westen hat sich jedenfalls schwarz als Farbe der feierlichen Zurückhaltung bzw. Trauer auch in Japan allgemein durchgesetzt. Daher tragen die Teilnehmer einer Totenfeier heute grundsätzlich schwarz, wie es z.B. auch auf dem obigen Bild aus einem Film der 1950er Jahre zu erkennen ist. Weiß wird hingegen bei Hochzeiten — auch bei Heiraten im japanischen Stil — als Farbe des Brautkleids bevorzugt. Im heutigen Japan sind schwarz und weiß daher symbolisch ähnlich besetzt wie im Westen.
Für das vormoderne Japan gilt „weiß als Farbe des Todes“ mit Einschränkungen. Wie oben erwähnt, ist das Gewand, in das der Tote gekleidet wird, dem Pilgergewand nachempfunden und daher weiß. Auch die Geister der Toten werden gern in weißem Gewand dargestellt. Nach traditionellem Brauchtum muss sich auch der Leiter einer Totenfeier wie ein Pilger kleiden, da er dem Toten gleichsam vormachen muss, was er im Jenseits zu tun habe. Doch leitet sich die grundlegende Symbolik des Totengewandes von weiß als Farbe der Reinheit ab. Nicht nur bei Totenriten oder bei der Pilgerschaft, sondern bei allen Riten, die Askese und Enthaltsamkeit fordern, kleidet man sich in weiß oder trägt zu mindest ein weißes Untergewand.
Verweise
Verwandte Themen
Literatur
Bilder
- ^ Weißes Papier schützt den Schrein (kamidana) während der Trauerzeit vor den Verunreinigungen (kegare) des Todes. Unter dem Schrein sieht man eine Art Kalender, auf dem die Totengedenktage verzeichnet sind.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Das weiße Totengewand (shini shōzoku) ähnelt einem Pilgergewand und symbolisiert damit die bevorstehende Reise in die Unterwelt. Auf diesem Bild sind sämtliche Utensilien dargestellt, die traditionellerweise zur Ausstattung des Toten zählen, einschließlich der sechs Münzen (heute zumeist aus Papier), die der Tote dem Fährmann der Unterwelt schuldet.
Bildquelle: Soshiki no gimon, kommerzielle Ratgeberseite, 2022. - ^ Der Unterschied in der Bindung zwischen Totengewand (shini shōzoku) und traditioneller Alltagskleidung (kimono, yūkata): Linksbindung (hidarimae) ist im Alltag tabu.
Osōshiki no gimon, Kommerzielle Ratgeberseite, 2022. - ^ Tonsur eines Verstorbenen als Vorbereitung für die symbolische Mönchsschaft vor dem Weg ins Jenseits. In der Edo-Zeit wurde diese Rasur offenbar noch wirklich durchgeführt, während sie heute nur noch symbolisch vollzogen wird. Die Bildunterschrift „Sudangee“ ist möglicherweise als zudangi („Kopf-Schneiden-Ritus“) zu lesen und deutet ebenso wie die dem Bild beigefügten Erklärungen aus dem Jahr 1867 auf Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem englischen Autor und seinen japanischen Informanten hin, die Illustrationen wurden hingegen von „native artists“ angefertigt.
Bildquelle: Open Library.
- ^ Familie beim Einsammeln der Knochenreste (kotsuage) nach der Kremation. Das Bild ist Teil einer Reihe von Illustrationen, die vom englischen Marineoffizier Jacob Silver in den Jahren 1864 und 65 in Japan gesammelt, in eine Buchillustration umgewandelt und mit einem kurzen erklärenden Text versehen wurden.
Bildquelle: Open Library. - ^ Ososhiki itami.jpg
- ^ Totengeist (yūrei) auf einem nächtlichen Friedhof. Die Darstellung stammt aus der Meiji-Zeit, es handelt sich allerdings um die Kopie einer Abbildung des Gelehrten und Malers Toriyama Sekien (1712–1788) aus dem Jahr 1776.
Meiji-Zeit. Kinsei fūzoku zue database, Nichibunken.
Glossar
- futaribashi 二人箸 ^ wtl. Zwei-Personen-Stäbchen; gemeinsames Benutzen von Essstäbchen (im Alltag tabu)
- hidarimae 左前 ^ wtl. links vorne; Bezeichnung für die besondere Bindung von Totenkleidern (shini shōzoku)
- Itami Jūzō 伊丹十三 ^ 1933–1997; japanischer Filmregisseur; bekannt für Komödien wie Osōshiki (1984), Tampopo (1985) oder die Steuerfahnderin (1987)
- kitamakura 北枕 ^ wtl. „das Kopfkissen nach Norden drehen“; Brauch, einen Verstorbenen mit dem Kopf nach Norden aufzubahren
- kotsutsubo 骨壷 ^ Grab-Urne
- shini shōzoku 死に装束 ^ Totengewand
- ↑ Die Regel gilt nicht für westliche Mode, wo sich die Knopfleisten von Frauen- und Männerkleidern traditionellerweise ebenso nach links und rechts unterscheiden.