Ikonographie/Jizo: Unterschied zwischen den Versionen

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Jizōs Popularität hängt zweifellos mit seiner Rolle als Begleiter der Toten·seele auf dem Weg in die Unter·welt zusammen. Zahl·reiche Legenden erzählen, wie er in die [[Mythen:Höllen | Hölle]] hin·ab·steigt und die Sünder, die dort eigent·lich mehrere Erd·zeit·alter lang schmoren müssen, auf seine Lotosblüte holt und von ihren Qualen errettet. Daher findet man die meisten Jizō Satuen auch auf Friedhöfen.
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Jizōs Popularität hängt zweifellos mit seiner Rolle als Begleiter der Totenseele auf dem Weg in die Unterwelt zusammen. Zahlreiche Legenden erzählen, wie er in die [[Mythen/Hoellen | Hölle]] hinabsteigt und die Sünder, die dort eigentlich mehrere Erdzeitalter lang schmoren müssen, auf seine Lotosblüte holt und von ihren Qualen errettet. Daher findet man die meisten Jizō-Statuen auch auf Friedhöfen.
  
Im Grunde spielt Jizō jedoch eine Doppelrolle im buddhistischen Jenseits·glauben. Bestimmte Über·lieferungen sehen {{glossar:enma}}, den strengen Richter der Unter·welt, als eine seiner Mani·fes·ta·tionen an. Jizō ist dem·nach sowohl für die Ver·ur·tei·lung als auch für die Gnade gegen·über jenen, die gegen die Gebote des Buddhismus verstoßen haben, ver·ant·wort·lich. Eines der zahl·reichen Beispiele dafür, wie nahe mild·tätige Barm·herzig·keit und furcht·ein·flößende Strenge in der buddhistischen Ikonographie bei einander liegen. (Siehe dazu auch das Kapitel „Mythen“, [[Mythen:Jenseits | Jenseitsvorstellungen]].)
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Im Grunde spielt Jizō jedoch eine Doppelrolle im buddhistischen Jenseitsglauben. Bestimmte Überlieferungen sehen {{g|enma}}, den strengen Richter der Unterwelt, als eine seiner Manifestationen an. Jizō ist demnach sowohl für die Verurteilung als auch für die Gnade gegenüber jenen, die gegen die Gebote des Buddhismus verstoßen haben, verantwortlich. Eines der zahlreichen Beispiele dafür, wie nahe mildtätige Barmherzigkeit und furchteinflößende Strenge in der buddhistischen Ikonographie beieinander liegen. (Siehe dazu auch das Kapitel „Mythen“, [[Mythen/Jenseits | Jenseitsvorstellungen]].)
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==Jizō und die Wasserkinder==
 
==Jizō und die Wasserkinder==
  
Als Retter der Seelen nimmt sich Jizō auch all jener an, die kein ordentliches Begräbnis erhalten ({{glossar:muenbotoke}}, wtl. „Buddhas ohne Bindung“), im speziellen ist er aber der Schutz·herr der un·ge·borenen (abgetriebenen) und früh ver·stor·benen Kinder. Man nennt sie {{glossar:mizuko}}, „Wasserkinder“. Zwischen diesen ''mizuko'' und Bodhisattva Jizō gibt es ein be·sonderes Nahe·verhältnis. Ohne Jizō, so eine populäre Er·klä·rung, könnten die Seelen der Kinder den Fluss der Unter·welt nicht über·queren und müssten ewig im Niemands·land zwischen Dies·seits und Jen·seits, dem Steinigen Flussufer ({{glossar:sainokawara|Sai-no-kawara}}), umherirren.
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In Japan war Abtreibung nie mit einem besonderen Tabu belegt, aber man erachtete und erachtet die Un·ge·boren doch als Wesen, für deren Seelen gebetet werden muss. Diesen Glauben und die damit ver·bunden Rituale nennt man {{glossar:mizukokuyou}}, Gedenkriten für die Wasserkinder. Auf vielen Fried·höfen gibt es bestimmte Areale für diesen Kult. Hier können Eltern von ab·ge·trie·benen oder tot·ge·borenen Kindern Jizō Statuen auf·stellen lassen, die dann stell·ver·tretend für die Kinder mit Riten und Opfern bedacht werden. Man nennt solche Statuen·gruppen — oft ohne zu über·treiben — ''sentai jizō'' (tausend Jizō) oder „Jizō Armeen“. Berühmte Fried·höfe für die Wasserkinder mit den entsrechenden Jizō Armeen gibt es bei·spiels·weise im {{glossar:Hasedera}} in {{glossar:kamakura}}<nowiki>; in Ogano-machi, im Norden Tokyos, wo zum </nowiki>[[Alltag:Jahr | Bon Fest]] alle Statuen be·leuchtet werden; oder auf dem großen Friedhof des Tempelbergs [[Bauten:Bekannte_Tempel/Berg_Koya | Kōya]] südlich von {{Glossar:Nara}}.
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Als Retter der Seelen nimmt sich Jizō auch all jener an, die kein ordentliches Begräbnis erhalten ({{g|muenbotoke}}, wtl. „{{s|buddha|Buddhas}} ohne Bindung“), im speziellen ist er aber der Schutzherr der ungeborenen (abgetriebenen) und früh verstorbenen Kinder. Man nennt sie {{g|mizuko}}, „Wasserkinder“. Zwischen diesen ''mizuko'' und Bodhisattva Jizō gibt es ein besonderes Naheverhältnis. Ohne Jizō, so eine populäre Erklärung, könnten die Seelen der Kinder den Fluss der Unterwelt nicht überqueren und müssten ewig im Niemandsland zwischen Diesseits und Jenseits, dem Steinigen Flussufer ({{g|sainokawara|Sai-no-kawara}}), umherirren.
  
Ich persönlich habe immer den Eindruck, dass die Tausend-Jizō Statuen die ''mizuko''-Kinder selbst re·prä·sen·tieren. Proportionen und Aus·sehen der glatz·köpfigen Mönchs·gestalt des Jizō werden auf den ent·sprech·enden Statuen dem Bild eines Säuglings angeglichen. Viele Eltern kleiden einzelne Statuen an, meist mit einem roten Lätzchen und Käppchen, manch·mal auch mit Kinder·gewand. Auch findet man gelegentlich Kinder·spiel·zeug als Opfergabe. Bestimmte Orte, die mit dem Ein·gang ins Jenseits identifiziert werden, wie etwa der {{glossar:osorezan}} („Angst-Berg“) in Nord-Japan, sind u.a. an ihren Jizō-Statuen und ihren Windrädern erkennbar.
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In Japan war Abtreibung nie mit einem besonderen Tabu belegt, aber man erachtete und erachtet die Ungeboren doch als Wesen, für deren Seelen gebetet werden muss. Diesen Glauben und die damit verbunden Rituale nennt man {{g|mizukokuyou}}, Gedenkriten für die Wasserkinder. Auf vielen Friedhöfen gibt es bestimmte Areale für diesen Kult. Hier können Eltern von abgetriebenen oder totgeborenen Kindern Jizō-Statuen aufstellen lassen, die dann stellvertretend für die Kinder mit Riten und Opfern bedacht werden. Man nennt solche Statuengruppen — oft ohne zu übertreiben — {{g|sentaijizou}} (tausend Jizō) oder „Jizō-Armeen“. Berühmte Friedhöfe für die Wasserkinder mit den entsrechenden Jizō-Armeen gibt es beispielsweise im {{g|Hasedera}} in {{g|kamakura}}<nowiki>; in Ogano-machi, im Norden Tōkyōs, wo zum </nowiki>[[Alltag/Jahr | Bon Fest]] alle Statuen beleuchtet werden; oder auf dem großen Friedhof des Tempelbergs [[Bauten/Bekannte_Tempel/Berg_Koya | Kōya]] südlich von {{g|Nara}}.
  
In früherer Zeit wurden mitunter auch Säuglinge (meist Mädchen) gleich nach der Geburt „zurück·geschickt“, also getötet, und mit dem gleichen Kult bedacht. Auf den ersten Blick erscheint es zynisch, Föten oder Säuglinge zuerst zu töten, um sich dann ihrer leid·vollen Existenz im Jenseits an·zu·nehmen. Wenn man sich aber vor Augen hält, dass die Entscheidung zu Abtreibung und Säuglingsmord in einem vormodernen Haushalt eher von der Groß·familie als von der Mutter selbst getroffen wurde, kann man sich vor·stellen, dass der Jizō Kult vor allem den Müttern helfen sollte, über ihren Schmerz hin·weg·zu·kommen. Dies ist bis zu einem gewissen Grad auch heute noch so.
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Ich persönlich habe immer den Eindruck, dass die Tausend-Jizō Statuen die ''mizuko''-Kinder selbst repräsentieren. Proportionen und Aussehen der glatzköpfigen Mönchsgestalt des Jizō werden auf den entsprechenden Statuen dem Bild eines Säuglings angeglichen. Viele Eltern kleiden einzelne Statuen an, meist mit einem roten Lätzchen und Käppchen, manchmal auch mit Kindergewand. Auch findet man gelegentlich Kinderspielzeug als Opfergabe. Bestimmte Orte, die mit dem Eingang ins Jenseits identifiziert werden, wie etwa der {{g|osorezan}} („Angst-Berg“) in Nord-Japan, sind u.a. an ihren Jizō-Statuen und ihren Windrädern erkennbar.
  
Seit dem zweiten Weltkrieg hat der Kult für die Wasserkinder nicht etwa ab·ge·nommen, sondern wurde von vielen Tempeln so weit aus·gebaut, dass manche Autoren ''mizuko kuyō'' als ein Art [[Geschichte:Neue_Religionen | Neuer Religion]] betrachten. Dies hat bis zu einem gewissen Grad damit zu tun, dass Ab·trei·bungen schon seit der Nach·kriegs·zeit relativ einfach und legal durch·geführt werden können, während andere Ver·hütungs·methoden, etwa die Pille lange verboten waren. In den letzten Jahren ist die Ab·treibungs·rate in Japan zwar leicht gesunken, aber immer noch ver·hältnis·mäßig hoch. Der Buddhismus verbietet diese Praxis nicht grund·sätzlich, schürt aber latente Schuld·gefühle und bietet gleich·zeitig ver·hältnis·mäßig aufwendige Riten an, durch die sich Eltern von ihrer Schuld freikaufen können.
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In früherer Zeit wurden mitunter auch Säuglinge (meist Mädchen) gleich nach der Geburt „zurückgeschickt“, also getötet, und mit dem gleichen Kult bedacht. Auf den ersten Blick erscheint es zynisch, Föten oder Säuglinge zuerst zu töten, um sich dann ihrer leidvollen Existenz im Jenseits anzunehmen. Wenn man sich aber vor Augen hält, dass die Entscheidung zu Abtreibung und Säuglingsmord in einem vormodernen Haushalt eher von der Großfamilie als von der Mutter selbst getroffen wurde, kann man sich vorstellen, dass der Jizō-Kult vor allem den Müttern helfen sollte, über ihren Schmerz hinwegzukommen. Dies ist bis zu einem gewissen Grad auch heute noch so.
  
===Anmerkung von Gabriele Greve===
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Seit dem zweiten Weltkrieg hat der Kult für die Wasserkinder nicht etwa abgenommen, sondern wurde von vielen Tempeln so weit ausgebaut, dass manche Autoren ''mizuko kuyō'' als eine Art [[Geschichte/Neue_Religionen | neue Religion]] betrachten. Dies hat bis zu einem gewissen Grad damit zu tun, dass Abtreibungen schon seit der Nachkriegszeit relativ einfach und legal durchgeführt werden können, während andere Verhütungsmethoden, etwa die Pille, lange verboten waren. In den letzten Jahren ist die Abtreibungsrate in Japan zwar leicht gesunken, aber immer noch verhältnismäßig hoch. Der Buddhismus verbietet diese Praxis nicht grundsätzlich, schürt aber latente Schuldgefühle und bietet gleichzeitig verhältnismäßig aufwendige Riten an, durch die sich Eltern von ihrer Schuld freikaufen können.
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Zu den ''mizuko'', bzw. den ''mabiki-ko'', den umgebrachten Säuglingen, und ihren roten Lätz·chen habe ich in einem Tempel folgende Er·klärung gehört: Jizō hat gelobt, alle Kinder aus der Vor·hölle zu retten. Weil Kinder noch keine Sünden be·gangen haben, kommen sie nämlich nicht direkt in die Hölle, das wäre ja un·ge·recht. Aber sie müssen am Grenz·fluss warten und während dieser Zeit Steine auf·einander schichten. Das ist ähnlich wie Sisyphos. Sie warten so lange, bis keiner mehr um sie trauert. Die Mutter bindet also eines der Kinder·lätzchen zu einem Jizō und bittet, durch den Geruch des Lätzchens das Kind in der Vorhölle zu identi·fizieren und zum Paradies zu bringen.
 
  
Wenn die Mutter früher, in der Edo-Zeit zu lange trauerte, konnte sie nicht genug im Haus und am Feld arbeiten. Daher wurde ihr eine Periode von 7 Tagen nach dem Tod eines Kindes (nicht bei Abtreibung, aber bei mabiki, dem Töten eines weib·lichen Säuglings) ge·gönnt. Danach musste sie die Sachen des Kindes, Lätzchen und Spiel·zeug, bei Jizo „abgeben“ und die Trauerzeit war vorüber, Mutter musste wieder arbeiten gehen! Eine recht diesseitliche Religionsbenutzung.
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=== Anmerkung von Gabriele Greve ===
  
Um den Iwaki-san in Nordjapan werden verstorbene Kinder zu ihrem 20. Ge·burts·tag verheiratet. Die Tempel verkaufen ca. 50 cm große Puppen von Bräuten oder Bräutigamen, die dann mit dem toten Kind „verheiratet“ werden. Das macht die Eltern froh und die Tempel reich. Es ist er·staun·lich, dort in so einer Halle mit tausenden von Hoch·zeits-Puppen zu stehen! Die [[Mythen:Geister/Itako |Itako-Shamaninnen]] am Osore-Berg reden den Eltern auch noch manch anderes ein — so werden Tennis·schuhe und Fahr·räder oder Frack und Regen·mantel gespendet, manche Tempel sehen aus wie Altwarenhändler.
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|quelle= Dr. Gabriele Greve, ist Wahljapanerin und Kunsthistorikerin. Sie schickte mir die ergänzenden Hinweise zu dieser Seite per e-mail am 27.3.2002.<br /> S.a. Greve 1994: 60.
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Wenn die Mutter früher, in der {{g|Edo}}-Zeit, zu lange trauerte, konnte sie nicht genug im Haus und am Feld arbeiten. Daher wurde ihr eine Periode von 7 Tagen nach dem Tod eines Kindes (nicht bei Abtreibung, aber bei ''mabiki'', dem Töten eines weiblichen Säuglings) gegönnt. Danach musste sie die Sachen des Kindes, Lätzchen und Spielzeug, bei Jizō „abgeben“ und die Trauerzeit war vorüber, die Mutter musste wieder arbeiten gehen! Eine recht diesseitliche Religionsbenutzung.
  
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Um den Iwaki-san in Nordjapan werden verstorbene Kinder zu ihrem 20. Geburtstag verheiratet. Die Tempel verkaufen ca. 50 cm große Puppen von Bräuten oder Bräutigamen, die dann mit dem toten Kind „verheiratet“ werden. Das macht die Eltern froh und die Tempel reich. Es ist erstaunlich, dort in so einer Halle mit tausenden von Hochzeits-Puppen zu stehen! Die [[Mythen/Geister/Itako |Itako-Shamaninnen]] am Osore-Berg reden den Eltern auch noch manch anderes ein — so werden Tennisschuhe und Fahrräder oder Frack und Regenmantel gespendet, manche Tempel sehen aus wie Altwarenhändler.<!--
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Dr. Gabriele Greve, ist Wahljapanerin und Kunsthistorikerin. Sie schickte mir die ergänzenden Hinweise zu dieser Seite per e-mail am 27.3.2002. S.a. Greve 1994, S. 60.
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* [http://www.kms.ac.jp/~hsc/henro/FJK/jizo/jizo.htm Shikoku Henro Shashinshu]<br/>Jizo-Statuen von der berühmten 88 Tempel Pilgerroute in Shikoku.
 
* [http://www.kms.ac.jp/~hsc/henro/FJK/jizo/jizo.htm Shikoku Henro Shashinshu]<br/>Jizo-Statuen von der berühmten 88 Tempel Pilgerroute in Shikoku.
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* Diskussion zum Thema: [http://groups.google.com/group/pmjs/browse_thread/thread/c0740ebf319081b3/1dddde7ebb4d8d7c Jizo's Lätzchen] auf der Mailing list PMJS (Premodern Japanese Studies, en.), 2008.
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* Diskussion zum Thema: [http://groups.google.com/group/pmjs/browse_thread/thread/c0740ebf319081b3/1dddde7ebb4d8d7c Jizo's Lätzchen] auf der Mailing list PMJS (Premodern Japanese Studies, en.), 2008.
 
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Aktuelle Version vom 9. Januar 2023, 14:32 Uhr

Jizō Bosatsu

Jizō [Jizō Bosatsu (jap.) 地蔵菩薩 Bodhisattva (Bosatsu); skr. Kṣitigarbha, „Speicher oder Mutterleib der Erde“ (vgl. Jizō)] (skt. Kshitigarbha [Kṣitigarbha (skt.) क्षितिगर्भ „Schatzhaus/Mutterleib der Erde“, populärer Bodhisattva (jap. Jizō 地蔵)]) gehört mit Kannon [Kannon (jap.) 観音 auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt] zu den mit Abstand populärsten Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)] Figuren in Japan. Im Vergleich zu Kannon ist er vielleicht nicht ganz so wirkmächtig, dafür aber umso vertrauter, alltäglicher und „einheimischer“. Jizō-Statuen gibt es an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Alle haben das Aussehen eines buddhistischen Mönchs mit kahl geschorenem Schädel (eine große Ausnahme unter Bodhisattva Figuren). In seinen Händen hält Jizō meist einen Pilgerstab und/oder eine Wunscherfüllungsperle (nyoi no tama [nyoi no tama (jap.) 如意の玉 Wunschperle, Wunschjuwel; auch hōju]). Oft erscheint Jizō außerdem jugendlich oder sogar kindlich.

Jizo 14c.jpg
1
Jizō (skt. Kshitigarbha) mit Pilgerstab und Wunscherfüllungsperle (nyoi no tama), auf zwei Lotusblättern stehend, unterwegs auf einer Wolke, um Sünder aus der Hölle zu erretten.
Muromachi-Zeit, 14. Jh. Museum of Fine Arts, Boston.
Jizo zenen1223-26.jpg
2
Jizō (skt. Kshitigarbha) als Knabe in Mönchstracht mit dem Wunscherfüllungsjuwel (nyoi no tama) in seiner linken Hand.
Werk von Zen'en. Kamakura-Zeit, 1223–26. Bildquelle: Asian Art Outlook.
Klassische Jizō-Darstellungen aus der Kamakura-Zeit

Begleiter der Toten

Jizo koyasan.jpg
3
Steinstatue des Jizō (skt. Kshitigarbha) auf dem Friedhof Oku-no-in am Berg Kōya.
Super Ape, flickr, 2007.
Jizo osore.jpg
4
Moderne Statue des Jizō (skt. Kshitigarbha) am Berg Osore.
Bildquelle: Eve Anderson, 2004.
Jizō-Denkmäler auf Friedhöfen

Jizōs Popularität hängt zweifellos mit seiner Rolle als Begleiter der Totenseele auf dem Weg in die Unterwelt zusammen. Zahlreiche Legenden erzählen, wie er in die Hölle hinabsteigt und die Sünder, die dort eigentlich mehrere Erdzeitalter lang schmoren müssen, auf seine Lotosblüte holt und von ihren Qualen errettet. Daher findet man die meisten Jizō-Statuen auch auf Friedhöfen.

Im Grunde spielt Jizō jedoch eine Doppelrolle im buddhistischen Jenseitsglauben. Bestimmte Überlieferungen sehen Enma [Enma (jap.) 閻魔 skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen], den strengen Richter der Unterwelt, als eine seiner Manifestationen an. Jizō ist demnach sowohl für die Verurteilung als auch für die Gnade gegenüber jenen, die gegen die Gebote des Buddhismus verstoßen haben, verantwortlich. Eines der zahlreichen Beispiele dafür, wie nahe mildtätige Barmherzigkeit und furchteinflößende Strenge in der buddhistischen Ikonographie beieinander liegen. (Siehe dazu auch das Kapitel „Mythen“, Jenseitsvorstellungen.)

Jizō und die Wasserkinder

Jizo jigoku.jpg
5 Jizō rettet ein Kind aus der Hölle
Detail aus einer Darstellung der buddhistischen Hölle, in der Jizō (skt. Kshitigarbha) in Kind errettet.
Werk von Kanō Dōhaku. Edo-Zeit, 1819. Online Archive of California.

Als Retter der Seelen nimmt sich Jizō auch all jener an, die kein ordentliches Begräbnis erhalten (muen botoke [muen botoke (jap.) 無縁仏 Verstorbene/ Totenseelen ohne Verwandtschaft], wtl. „Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] ohne Bindung“), im speziellen ist er aber der Schutzherr der ungeborenen (abgetriebenen) und früh verstorbenen Kinder. Man nennt sie mizuko [mizuko (jap.) 水子 wtl. Wasserkinder; abgetriebene Föten oder Totgeburten], „Wasserkinder“. Zwischen diesen mizuko und Bodhisattva Jizō gibt es ein besonderes Naheverhältnis. Ohne Jizō, so eine populäre Erklärung, könnten die Seelen der Kinder den Fluss der Unterwelt nicht überqueren und müssten ewig im Niemandsland zwischen Diesseits und Jenseits, dem Steinigen Flussufer (Sai-no-kawara [Sai no Kawara (jap.) 賽の河原 Ufer des Flusses der Unterwelt]), umherirren.

In Japan war Abtreibung nie mit einem besonderen Tabu belegt, aber man erachtete und erachtet die Ungeboren doch als Wesen, für deren Seelen gebetet werden muss. Diesen Glauben und die damit verbunden Rituale nennt man mizuko kuyō [mizuko kuyō (jap.) 水子供養 Gedenkriten für abgetriebene Föten (Wasserkinder)], Gedenkriten für die Wasserkinder. Auf vielen Friedhöfen gibt es bestimmte Areale für diesen Kult. Hier können Eltern von abgetriebenen oder totgeborenen Kindern Jizō-Statuen aufstellen lassen, die dann stellvertretend für die Kinder mit Riten und Opfern bedacht werden. Man nennt solche Statuengruppen — oft ohne zu übertreiben — sentai Jizō [sentai Jizō (jap.) 千体地蔵 „tausend Jizō[statuen]“; Bezeichnung für Ansammlungen von Miniaturstatuen für Bodhisattva Jizō] (tausend Jizō) oder „Jizō-Armeen“. Berühmte Friedhöfe für die Wasserkinder mit den entsrechenden Jizō-Armeen gibt es beispielsweise im Hase-dera [Hase-dera (jap.) 長谷寺 Kannon-Tempel in Sakurai, Nara-ken; errichtet in der Nara-Zeit. Hauptattraktion ist eine über 10 m hohe Statue des Elfköpfigen Kannon. Ein Zweigtempel mit ebensolcher Statue befindet sich in Kamakura (Kamakura Hase-dera)] in Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]; in Ogano-machi, im Norden Tōkyōs, wo zum Bon Fest alle Statuen beleuchtet werden; oder auf dem großen Friedhof des Tempelbergs Kōya südlich von Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō].

Ich persönlich habe immer den Eindruck, dass die Tausend-Jizō Statuen die mizuko-Kinder selbst repräsentieren. Proportionen und Aussehen der glatzköpfigen Mönchsgestalt des Jizō werden auf den entsprechenden Statuen dem Bild eines Säuglings angeglichen. Viele Eltern kleiden einzelne Statuen an, meist mit einem roten Lätzchen und Käppchen, manchmal auch mit Kindergewand. Auch findet man gelegentlich Kinderspielzeug als Opfergabe. Bestimmte Orte, die mit dem Eingang ins Jenseits identifiziert werden, wie etwa der Osore-zan [Osore-zan (jap.) 恐山 „Angst-Berg“; rel. Zentrum in Aomori-ken (Nordjapan), das als Abbild der Totenwelt gilt] („Angst-Berg“) in Nord-Japan, sind u.a. an ihren Jizō-Statuen und ihren Windrädern erkennbar.

In früherer Zeit wurden mitunter auch Säuglinge (meist Mädchen) gleich nach der Geburt „zurückgeschickt“, also getötet, und mit dem gleichen Kult bedacht. Auf den ersten Blick erscheint es zynisch, Föten oder Säuglinge zuerst zu töten, um sich dann ihrer leidvollen Existenz im Jenseits anzunehmen. Wenn man sich aber vor Augen hält, dass die Entscheidung zu Abtreibung und Säuglingsmord in einem vormodernen Haushalt eher von der Großfamilie als von der Mutter selbst getroffen wurde, kann man sich vorstellen, dass der Jizō-Kult vor allem den Müttern helfen sollte, über ihren Schmerz hinwegzukommen. Dies ist bis zu einem gewissen Grad auch heute noch so.

Seit dem zweiten Weltkrieg hat der Kult für die Wasserkinder nicht etwa abgenommen, sondern wurde von vielen Tempeln so weit ausgebaut, dass manche Autoren mizuko kuyō als eine Art neue Religion betrachten. Dies hat bis zu einem gewissen Grad damit zu tun, dass Abtreibungen schon seit der Nachkriegszeit relativ einfach und legal durchgeführt werden können, während andere Verhütungsmethoden, etwa die Pille, lange verboten waren. In den letzten Jahren ist die Abtreibungsrate in Japan zwar leicht gesunken, aber immer noch verhältnismäßig hoch. Der Buddhismus verbietet diese Praxis nicht grundsätzlich, schürt aber latente Schuldgefühle und bietet gleichzeitig verhältnismäßig aufwendige Riten an, durch die sich Eltern von ihrer Schuld freikaufen können.

Anmerkung von Gabriele Greve

Zu den mizuko, bzw. den mabiki [mabiki (jap.) 間引き wtl. Ausdünnen, Lichten; Töten von Neugeborenen]-ko, den umgebrachten Säuglingen, und ihren roten Lätzchen habe ich in einem Tempel folgende Erklärung gehört: Jizō hat gelobt, alle Kinder aus der Vorhölle zu retten. Weil Kinder noch keine Sünden begangen haben, kommen sie nämlich nicht direkt in die Hölle, das wäre ja ungerecht. Aber sie müssen am Grenzfluss warten und während dieser Zeit Steine aufeinander schichten. Das ist ähnlich wie Sisyphos. Sie warten so lange, bis keiner mehr um sie trauert. Die Mutter bindet also eines der Kinderlätzchen zu Jizō und bittet, durch den Geruch des Lätzchens das Kind in der Vorhölle zu identifizieren und zum Paradies zu bringen.

Wenn die Mutter früher, in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit, zu lange trauerte, konnte sie nicht genug im Haus und am Feld arbeiten. Daher wurde ihr eine Periode von 7 Tagen nach dem Tod eines Kindes (nicht bei Abtreibung, aber bei mabiki, dem Töten eines weiblichen Säuglings) gegönnt. Danach musste sie die Sachen des Kindes, Lätzchen und Spielzeug, bei Jizō „abgeben“ und die Trauerzeit war vorüber, die Mutter musste wieder arbeiten gehen! Eine recht diesseitliche Religionsbenutzung.

Um den Iwaki-san in Nordjapan werden verstorbene Kinder zu ihrem 20. Geburtstag verheiratet. Die Tempel verkaufen ca. 50 cm große Puppen von Bräuten oder Bräutigamen, die dann mit dem toten Kind „verheiratet“ werden. Das macht die Eltern froh und die Tempel reich. Es ist erstaunlich, dort in so einer Halle mit tausenden von Hochzeits-Puppen zu stehen! Die Itako-Shamaninnen am Osore-Berg reden den Eltern auch noch manch anderes ein — so werden Tennisschuhe und Fahrräder oder Frack und Regenmantel gespendet, manche Tempel sehen aus wie Altwarenhändler.1

Verweise

Fußnoten

  1. Dr. Gabriele Greve, ist Wahljapanerin und Kunsthistorikerin. Sie schickte mir die ergänzenden Hinweise zu dieser Seite per e-mail am 27.3.2002. S.a. Greve 1994, S. 60.

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen


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Literatur

Siehe auch Literaturliste

Hank Glassman, The Face of Jizō: Image and Cult in Medieval Japanese Buddhism. Honolulu: University of Hawai'i Press, 2012.
Gabriele Greve, Buddhastatuen, Who is Who: Ein Wegweiser zur Ikonografie von japanischen Buddhastatuen. Kamakura: Paradise Publishers, 1994. [2. Auflage. S.a. online-Fassung.]
Helen Hardacre, Marketing the Menacing Fetus in Japan: Abortion and Buddhism in Japan. Berkely: University of California Press, 1997.
William LaFleur, Liquid Life: Abortion and Buddhism in Japan. Princeton: Princeton University Press, 1994.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Jizo 14c.jpg
    Jizō (skt. Kshitigarbha) mit Pilgerstab und Wunscherfüllungsperle (nyoi no tama), auf zwei Lotusblättern stehend, unterwegs auf einer Wolke, um Sünder aus der Hölle zu erretten.
    Muromachi-Zeit, 14. Jh. Museum of Fine Arts, Boston.
  2. ^ 
    Jizo zenen1223-26.jpg
    Jizō (skt. Kshitigarbha) als Knabe in Mönchstracht mit dem Wunscherfüllungsjuwel (nyoi no tama) in seiner linken Hand.
    Werk von Zen'en. Kamakura-Zeit, 1223–26. Bildquelle: Asian Art Outlook.
  3. ^ 
    Jizo koyasan.jpg
    Steinstatue des Jizō (skt. Kshitigarbha) auf dem Friedhof Oku-no-in am Berg Kōya.
    Super Ape, flickr, 2007.
  1. ^ 
    Jizo osore.jpg
    Moderne Statue des Jizō (skt. Kshitigarbha) am Berg Osore.
    Bildquelle: Eve Anderson, 2004.
  2. ^ 
    Jizo jigoku.jpg
    Detail aus einer Darstellung der buddhistischen Hölle, in der Jizō (skt. Kshitigarbha) in Kind errettet.
    Werk von Kanō Dōhaku. Edo-Zeit, 1819. Online Archive of California.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व ^ „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
  • Buddha (skt.) बुद्ध ^ „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)
  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • Enma 閻魔 ^ skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen
  • Hase-dera 長谷寺 ^ Kannon-Tempel in Sakurai, Nara-ken; errichtet in der Nara-Zeit. Hauptattraktion ist eine über 10 m hohe Statue des Elfköpfigen Kannon. Ein Zweigtempel mit ebensolcher Statue befindet sich in Kamakura (Kamakura Hase-dera)
  • Jizō Bosatsu 地蔵菩薩 ^ Bodhisattva (Bosatsu); skr. Kṣitigarbha, „Speicher oder Mutterleib der Erde“ (vgl. Jizō)
  • Kamakura 鎌倉 ^ Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)
  • Kannon 観音 ^ auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt
  • Kṣitigarbha (skt.) क्षितिगर्भ ^ „Schatzhaus/Mutterleib der Erde“, populärer Bodhisattva (jap. Jizō 地蔵)
  • mabiki 間引き ^ wtl. Ausdünnen, Lichten; Töten von Neugeborenen
  • mizuko 水子 ^ wtl. Wasserkinder; abgetriebene Föten oder Totgeburten
  • mizuko kuyō 水子供養 ^ Gedenkriten für abgetriebene Föten (Wasserkinder)
  • muen botoke 無縁仏 ^ Verstorbene/ Totenseelen ohne Verwandtschaft
  • Nara 奈良 ^ Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō
  • nyoi no tama 如意の玉 ^ Wunschperle, Wunschjuwel; auch hōju
  • Osore-zan 恐山 ^ „Angst-Berg“; rel. Zentrum in Aomori-ken (Nordjapan), das als Abbild der Totenwelt gilt
  • Sai no Kawara 賽の河原 ^ Ufer des Flusses der Unterwelt
  • sentai Jizō 千体地蔵 ^ „tausend Jizō[statuen]“; Bezeichnung für Ansammlungen von Miniaturstatuen für Bodhisattva Jizō