Grundbegriffe/Shinto: Unterschied zwischen den Versionen

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{{fl|D}}as Wort {{g|shintou|''shintō''}} bedeutet wört·lich „Weg der Götter“ und wird land·läufig als Selbst·be·zeich·nung der ein·heimischen Religion Japans angegeben. Auf den ersten Blick scheint diese De·fi·ni·ti·on un·prob·lematisch. Was einen ein wenig stutzig machen könnte, ist lediglich, dass „''shintō''“ offen·bar ein Wort chi·nesi·schen Ur·sprungs ist und dass es sich keines·wegs um ein häufig ge·brauchtes Vokabel handelt. Wer ein modernes ja·pani·sches Text·ver·arbeitungs·programm benützt und die Silben „shin-tou“ eintippt, erhält als Kanji-Schrei·bung meist homophone Begriffe wie „{{g|shintou2}}, Neue Partei“ oder „{{g|shintou3}}, Osmose“ vor·ge·schlagen, bevor die Zeichen 神 (Gott·heit) und 道 (Weg) erscheinen. ''Shintō'' im re·ligiösen Sinn ist tat·sächlich im All·tags·japanisch kaum ge·bräuchlich. Selbst hin·sichtlich der Aus·sprache (''shintō'' oder ''shindō'') sind sich moderne Japaner nicht immer sicher. Woher kommt diese er·staun·liche Zurück·haltung gegenüber einem Wort, das mitunter als In·begriff des Ja·pa·nischen schlecht·hin dar·gestellt wird?
 
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Version vom 20. August 2021, 09:16 Uhr

Shintō Versuch einer Begriffsbestimmung

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Das Wort shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] bedeutet wört·lich „Weg der Götter“ und wird land·läufig als Selbst·be·zeich·nung der ein·heimischen Religion Japans angegeben. Auf den ersten Blick scheint diese De·fi·ni·ti·on un·prob·lematisch. Was einen ein wenig stutzig machen könnte, ist lediglich, dass „shintō“ offen·bar ein Wort chi·nesi·schen Ur·sprungs ist und dass es sich keines·wegs um ein häufig ge·brauchtes Vokabel handelt. Wer ein modernes ja·pani·sches Text·ver·arbeitungs·programm benützt und die Silben „shin-tou“ eintippt, erhält als Kanji-Schrei·bung meist homophone Begriffe wie „shintō [shintō (jap.) 新党 Neue Partei (Homonym von Shinto)], Neue Partei“ oder „shintō [shintō (jap.) 浸透 Osmose (Homonym von Shinto)], Osmose“ vor·ge·schlagen, bevor die Zeichen 神 (Gott·heit) und 道 (Weg) erscheinen. Shintō im re·ligiösen Sinn ist tat·sächlich im All·tags·japanisch kaum ge·bräuchlich. Selbst hin·sichtlich der Aus·sprache (shintō oder shindō) sind sich moderne Japaner nicht immer sicher. Woher kommt diese er·staun·liche Zurück·haltung gegenüber einem Wort, das mitunter als In·begriff des Ja·pa·nischen schlecht·hin dar·gestellt wird?

Generelle Merkmale

For the whole Sintos Religion is so mean and simple, that besides a heap of fabulous and romantick stories of their Gods, Demi-gods and Heroes, inconsistent with reason and common sense, their Divines have nothing, neither in their sacred Books, nor by Tradition, wherewithal to satisfy the Inquiries of curious persons, about the nature and essence of their Gods, about their power and government, about the future state of our Soul, and such other essential points.

Engelbert Kaempfer, 17921

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Das obige Zitat aus einem der frühesten Reiseberichte über Japan von Engelbert Kaempfer [Kaempfer, Engelbert (west.) 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung] lässt erkennen, dass Shintō bereits im 17. Jahrhundert die meisten ausländischen Beobachter ratlos zurückließ, da sie sich mit der scheinbaren Einfachheit der Religion nicht zurecht fanden. In der neueren Ein·füh·rungs·liter·atur wird Shintō daher gerne mit der japanischen Ur·religion gleich·gesetzt. Oft wird zu·gleich der Ein·druck ver·mittelt, es handle sich um einen be·sonders archaischen Glauben, der in Japan — im Gegen·satz zu anderen Urreligionen — auf mirakulöse Weise in die Moderne hinüber ge·rettet worden wäre. Dies verleitet wiederum zu dem Trug·schluss, Shintō habe in vor·bud·dhis·tischer Zeit bereits genau so aus·gesehen wie heute. Bei näherer Be·trachtung stößt man aller·dings rasch auf Wi·der·sprüche in diesem Modell und es stellt sich heraus, dass vieles, was uns heute als typisch shin·tō·is·tisch er·scheint, eigentlich bud·dhis·tische Wurzeln hat oder gerade in den Jahrzehnten vor Kaempfers Besuch bewusst archaisiert wurde.

Schreine (jinja)

Wenn es auch schwierig ist, den re·ligiösen Inhalt von Shintō näher zu um·reißen, so hat Shintō doch einen ein·deutigen Ort, an dem er prak·ti·ziert wird, nämlich den Shintō-Schrein (jinja [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)]). Schreine stellen damit die räum·liche Basis des Shintō dar. Wie im Kapitel Bau·ten genauer erörtert, handelt es sich bei „Schreinen“ um Orte, an denen die dort verehrten Gott·heiten gleichsam wohnen. Wenn man einen Schrein aufsucht, begibt man sich also in die un·mittel·bare Nähe einer Gott·heit. Hier richtet man zumeist Gebete und Opfer·gaben an eine oder mehrere Gott·heiten, um im Aus·tausch dafür bestimmte Vor·teile zu erhalten. Obwohl die genauen Funk·tionen von Schreinen verschieden sein können und auch großen his·to·ri·schen Ver·än·derun·gen unterworfen waren, sind gewissen bau·liche Merkmale von Schreinen über lange Zeit er·staun·lich konstant geblieben. Es ist diese Konstanz in den äußeren Formen, die den Eindruck erweckt, Shintō sei insgesamt ein un·ver·änder·liches, ge·schichts·loses Phänomen.

Torii

Die mar·kan·testen bau·liche Merk·mal eines Shintō-Schreins sind frei stehende sym·bo·lische Durch·gänge be·stehend aus zwei ein·fachen Pfosten und zwei Quer·balken, die torii [torii (jap.) 鳥居 Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami] genannt werden. Sie sind heute vor allen Schreinen zu finden und eignen sich daher auch als Em·blem der Shintō-Religion all·gemein. Ob dies aller·dings schon in vor·bud·dhis·tischer Zeit so war oder ob torii viel·leicht erst mit dem Buddhismus [bukkyō (jap.) 仏教 Lehre des Buddha, Buddhismus] nach Japan kamen, ist fraglich. In frü·he·ren Zeiten muss es jeden·falls auch bud·dhis·tische Tempel ge·geben haben, die man durch torii betrat. Einer der ältesten bud·dhis·tischen Tempel Japans, der Shitennō-ji [Shitennō-ji (jap.) 四天王寺 buddh. Tempel im heutigen Ōsaka; zählt zusammen mit dem Asuka-dera zu den beiden ältesten Tempeln Japans (Gründung 593)] in Osaka, zählt heute noch dazu. Spätestens ab der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit waren aber Schreine anhand von torii zu iden·tifi·zieren (mehr dazu im Kapitel Bauten, Torii).

Kami

Schon vor Über·nahme des Bud·dhis·mus nannten die Japaner ihre Götter und Geister kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]. Der Begriff kami hielt sich durch alle Phasen der ja·pan·ischen Religions·geschichte, auch wenn sich damit die unter·schied·lichsten religiösen Phä·no·mene be·zeich·nen lassen. Die Mythen sprechen häufig von yaoyorozu [yaoyorozu (jap.) 八百万 altjap. für „acht Millionen“ bzw. unendlich viele] no kami, wtl. acht Millionen Götter, was aber genauso als Aus·druck einer un·vor·stell·bar großen Zahl auf·ge·fasst wird.

Japanische Shintō-Schreine sind zumeist namen·tlich bekannten Gott·heiten geweiht, die teils den alten Mythen ent·stammen, oft aber auch durch den Bud·dhis·mus nach Japan kamen oder aus his·to·rischen, später ver·göttlichten Persön·lichkeiten ent·standen sind. Das be·kannteste Beispiel einer my·tho·logischen Gott·heit ist Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise] mit dem Haupt·schrein in Ise [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū]. Die meisten der Sieben Glücksgötter ent·stammen dagegen dem Bud·dhis·mus oder leiten sich von anderen nicht-ja·panischen Vor·bildern her. Ein be·rühmtes Bei·spiel für die Ver·gött·lichung einer his·to·rischen Per·sön·lich·keit ist Tokugawa Ieyasu [Tokugawa Ieyasu (jap.) 徳川家康 1543–1616; Begründer des Tokugawa Shogunats; Reichseiniger], der im bekannten Tōshō-gū [Tōshō-gū (jap.) 東照宮 Tōshō Schrein, Mausoleum des Tokugawa Ieyasu in Nikkō, Präf. Tochigi] Schrein in Nikkō [Nikkō (jap.) 日光 Tempel-Schreinanlage im Norden der Kantō-Ebene, Präf. Tochigi; beherbergt u.a. den Tōshō-gū Schrein] verehrt wird.

Laut einer klas·sischen De·finition des Shintō-Gelehrten Motoori Norinaga [Motoori Norinaga (jap.) 本居宣長 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)] kann alles, was in ir·gend einer Weise außer·ge·wöhn·lich und ehr·furcht·ge·bietend ist, kami genannt werden, un·ab·hängig davon, ob es sich um et·was Gutes oder Schlech·tes, Er·habe·nes oder Ab·sto·ßen·des han·delt. Neben ein·drucks·vol·len Na·tur·er·schei·nun·gen wie Ber·gen, Bäu·men oder Flüs·sen können auch Menschen oder Tiere als kami be·zeich·net werden. Motooris Zitat lautet in wörtlicher Übersetzung:

Norinaga2.jpg
1 Motoori Norinaga
Portrait des Gelehrten Norinaga im Alter von 61 Jahren.
Werk von Yoshikawa Yoshinobu. Edo-Zeit, 1790. Motoori Norinaga Museum.

Was man unter kami versteht, sind zum einen die Gott·heiten von Himmel und Erde, wie wir sie in den alten Klassikern finden, und zum anderen die Seelen·geister (mitama), die in den ver·schie·de·nen Schreinen verehrt werden. Ferner können natürlich auch Menschen, ebenso wie Tiere, Pflanzen, das Meer und die Berge als kami bezeichnet werden, sofern sie eine seltene, un·gewöhn·liche oder überlegene Kraft besitzen, die Ehr·furcht (kashikoki) hervorruft. „Überlegen“ (suguretaru) bezieht sich dabei nicht nur auf Vornehmes, Gutes und Tugend·haftes, denn auch un·gewöhn·lich Böses und Ab·son·der·liches kann Ehr·furcht her·vor·rufen und kami genannt werden.2

Norinaga schließt daraus, dass na·tür·lich auch der herr·schen·de Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] und seine Vor·fahren kami sind. Im Un·ter·schied zu christ·lichen Gottes·vor·stel·lungen wird diese Gött·lich·keit aber nicht aus einem Prinzip (z.B. All·macht), sondern aus einer Wirkung (ehr·furcht·ge·bie·tend) ab·ge·leitet. Kami werden also gleich·sam empirisch begründet, nämlich auf·grund von besonderen – ansonsten un·er·klär·lichen – Ef·fek·ten auf die konkrete Lebens·welt der Menschen. Norinaga – und mit ihm viele andere Shintōisten – argu·mentiert also nicht, dass man aus diesen oder jenen Gründen an die kami glauben muss, sondern setzt den Glauben an schicksals·bestim·mende Kräfte als gegeben voraus und nennt diese Kräfte „kami“.

Als all·ge·meine Cha·rakter·istika des kami-Begriffs können somit ihre zahlen·mäßige Un·begrenzt·heit, ihre Viel·gestalt·ig·keit sowie ihr un·be·rechen·barer Ein·fluss auf das Leben der Menschen fest·gehalten werden. Diese flexible, moralisch un·be·stimmte Auf·fass·ung von Gött·lich·keit hat sich in der ja·pan·ischen Religion bis heute er·halten. So konnten und können selbst Gegen·stände als Gott·heiten an·ge·sehen und verehrt werden (in erster Linie Schwerter und Spiegel, aber auch un·be·deutende und all·tägliche Dinge). Zu·gleich werden auch aus·länd·ische Götter und der christ·liche Gott mit dem Begriff kami be·zeichnet. Da es im Japanischen keinen Plural gibt, ist es ohne Weiteres möglich mono·theistische und poly·theistische Vor·stellungen in einem Begriff zu vereinen. Der Begriff kami ist also sehr viel weiter als „Gott“ oder „Gottheit“, schließt diese Vor·stellungen aber mit ein.

Dank seiner Viel·gestalt·ig·keit ist es also kaum möglich, den Begriff kami in das Korsett einer be·stimmten kon·fession·ellen Religion zu pressen. Und dennoch ist der kami Begiff viel·leicht das einzige in·di·gene re·ligiöse Konzept, das sich einer voll·kommenen Ver·schmelz·ung mit dem Bud·dhis·mus ent·zogen hat. Selbst bud·dhis·tische Mönche akzep·tierten die kami stets als natur·gegebene Realität und ver·suchten le·dig·lich, sie aus bud·dhis·tischer Sicht zu erklären. In den meisten religi·ösen Zentren, egal ob ur·sprüng·lich bud·dhis·tisch oder nicht, wurden und werden sowohl Buddhas als auch kami verehrt, es handelt sich also im Grunde um ge·mischt-religiöse „Tempel-Schrein An·lagen“. Trotz dieser räum·lichen Nähe blieb eine gewisse kul·tische Tren·nung aufrecht, d.h. bud·dhis·tische und ein·heim·ische Gott·heiten wurden mit jeweils eigenen Riten bedacht und oft auch von jeweils eigenen Priestern betreut.

Shen/shin

In den meisten Komposita, in denen das Zeichen für kami 神 vorkommt, wird die sino-japanische Lesung shin (oder jin) verwendet, etwa in shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] oder jinja [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)]. Die chi·ne·si·schen Kon·no·ta·tio·nen des Schrift·zeichens sind jedoch mit den oben be·spro·chene Be·deu·tun·gen von kami nicht un·bedingt identisch und haben wohl ihrer·seits dazu bei·getragen, den kami-Begriff zu erweitern.

Im chinesi·schen Kontext lässt sich das Zeichen 神 — auf Chine·sisch shen [shen (chin.) Geist (sowohl im Sinne von „Gespenst” als auch von „geistiger Kraft“); jap. shin oder kami] gelesen — am besten mit „Geist“ über·setzen und besitzt in der Tat einen ähnlich großen Be·deutungs·um·fang wie der deut·sche Begriff. D.h. shen kann ebenso ein Gespenst bezeich·nen wie den Geist im Unter·schied zum Körper oder zur Materie. Es ist zunächst einmal eine un·sicht·bare Macht (oder unsichtbare Mächte), die wir sowohl au·ßer·halb von uns als auch in uns selbst am Werke finden. In diesem letztere Sinne lässt sich shen z.B. heute noch im japanischen Kompositum seishin 精神 — „Geist“, „Psyche“, wtl. „Fein-Geist“ — wie·der·fin·den. Frühe bud·dhisti·sche Autoren in China verstanden unter dem Begriff shen hingegen den „reinen Geist“ im Gegen·satz zum Alltags·bewusst·sein shi 識 (jap. shiki, skt. vijñāna).3 Ähnlich ver·wen·deten auch shintō-bud·dhis·tische Theo·logen des japa·nischen Mittel·alters das Konzept shin 神 (kami) im Sinne von „Geist“, „Bewusst·sein“ und setzten es mit seinem japanischen Homonym shin 心 („Herz“, „Bewusst·sein“) gleich.

Shen/shin kann also auch das Gött·liche bezeichnen, das jedem indivi·duellen Bewusst·sein inne·wohnt, es stellt sozu·sagen einen Ideal·zustand des Geistes dar, den der Mensch erreichen kann, wenn er alle „Trü·bungen“ seines Bewusst·seins be·seitigt. Dieser Ideal·zustand wurde in China auch durch Kompo·sita wie shenming 神明 (Geist-hell) oder mingshen 明神 (hell-Geist), also „er·leuch·tetes Bewusst·sein“, ausge·drückt. Interes·santer·weise wurden diese beiden Begriffe in Japan zu kami-Titeln, wobei Myōjin [Myōjin (jap.) 明神 Titel für eine Schreingottheit (kami), z.B. Kanda Myōjin] 明神 auf ver·schie·dene Schrein·götter an·ge·wen·det werden kann, wäh·rend shinmei [shinmei (jap.) 神明 generelle Bezeichnung für Schreingottheiten (kami); als Schreinnamen (Shinmei-sha) allerdings nur für Zweigschreine von Ise verwendet; s.a. shinmei-zukuri] 神明 meist spezi·fisch für Ise [Ise (jap.) 伊勢 vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū] steht. Die buddhis·tischen Kon·nota·tionen dieser Begriffe sind in Japan weit·gehend in Ver·gessen·heit geraten, haben aber bei der ur·sprüng·lichen Prägung dieser Götter·titel mit Sicher·heit eine Rolle gespielt. Kami können daher aus buddhis·tischer Sicht auch den Zustand der bud·dhis·tischen Erleuch·tung reprä·sen·tieren.

Kegare

Shintō wird häufig als Religion ohne moralisch ver·bind·liche Vor·schriften charakterisiert. Tat·säch·lich gibt es im Shintō nichts, was etwa den fünf Laien·geboten des Buddhismus, oder den Zehn Geboten der Juden und Christen entspricht. Es gibt jedoch ein Merk·mal, das sich durch alle doku·mentierten Phasen der kami-Religion zieht und das auch heute noch prägend für viele Bereiche der japa·nischen Gesell·schaft ist, nämlich eine sehr ausgeprägte Vor·stellung von ritueller Rein·heit bzw. — negativ ausge·drückt — die Angst vor ritueller Verun·reini·gung (kegare [kegare (jap.) 穢れ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande]). Eine solche Verun·reini·gung zieht den Un·willen der kami nach sich und ist daher die Ur·sache negativer Kon·se·quen·zen nicht nur für den einzel·nen, son·dern für die gesamte Gemein·schaft.

Der Tod und alles, was damit zu tun hat, wird als Haupt·quelle der Verun·reini·gung angesehen. Ein·heimi·sche kami sollen daher mög·lichst nicht mit Zeichen des Todes, ebenso wenig aber auch mit Blut und mit Krank·heiten kon·frontiert werden. Ein heute noch gängiger Nach·hall dieser alten Auf·fassung besteht im all·ge·meinen Brauch, auf den tra·ditio·nellen Neujahrsbesuch bei einem Shintō-Schrein zu verzichten, wenn im ver·gange·nen Jahr ein Todes·fall in der Familie eingetreten ist.

Interessanterweise sind Shintō-Priester [kannushi (jap.) 神主 Shintō-Priester; wtl. „Meister der Götter“] ganz besonders dazu an·gehalten, Tabu-Regeln zu befolgen und müssen sich daher vor der Ver·un·reinigung durch Krank·heit und Tod besonders in Acht nehmen. Diese Tabu·isierung des Todes kann jedoch meiner Meinung nach nicht von Anfang an Teil des kami-Glaubens gewesen sein. Sie kann erst in Kraft getreten sein, als andere Religionen sich für diesen religiös es·sen·ziel·len Bereich zuständig fühlten. Tat·sächlich nimmt der ja·pan·ische Bud·dhis·mus gerade auf dem Gebiet des Jenseitsglaubens und des Begräbniskults eine be·herr·schende Stellung ein. Das Todes·tabu des Shintō ist daher meiner Meinung nach das Produkt einer his·torischen Arbeits·teilung, nach der Buddhas ten·den·ziell für den Tod und das Jenseits, kami für das Leben und das Dies·seits zuständig sind.4

Was die Vorstellung von kegare von anderen ethischen Ver·haltens·kodices, etwa der Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)]-Lehre unter·scheidet, ist die Tat·sache, dass den kami kein mo·ra·lisches Urteils·vermögen, sondern eher eine spontan-natur·gesetzliche Reaktions·weise, eine Art un·will·kürlicher Unmuts·äußerung unterstellt wird, die nicht lange nach den genauen Um·ständen und Ur·sachen fragt. Dabei spielt es nur eine sekundäre Rolle, ob die Verun·reinigung durch willentliche Über·tretung (Ver·letzung religiöser Tabus) oder unwillkürlich (Krank·heit, Tod, Menstruation, Geburt) herbei·geführt wurde. Üblicher·weise können zwar un·will·kür·liche Ver·letz·ungen des Rein·heits·gebots durch as·ke·tische Praktiken (Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, ...) oder durch bestimmte Reinigungs·zeremonien (misogi [misogi (jap.) Purifikation, Reinigungsritus, rituelle Waschung] oder harae [harae (jap.) Purifikation, Weihezeremonie, Exorzismus]) gesühnt werden, um die Gefahr einer gött·lichen Ver·geltung ab·zu·wehren. In Einzel·fällen genügt dies aber nicht und somit können auch un·ab·sicht·liche Tabu·über·tre·tungen als Ursache gött·licher Strafen erkannt und ent·spre·chend geahndet werden (z.B. durch Aus·schluss aus der Gemein·schaft).

Aus der Sicht einer westlich-auf·kläre·rischen Per·spek·tive wirken viele aus alter Zeit über·lieferten Tabu·regeln ungerecht. Im modernen Japan spielen sie denn auch meist nur noch eine unter·geord·nete Rolle. Wenn es aber um den Tod geht, hat man doch den Ein·druck, dass die gene·relle Scheu vor kegare nach wie vor einen wich·tigen Platz in der kultu·rellen Befind·lich·keit Japans ein·nimmt.

Trennung von Shintō und Buddhismus

Shintō und Buddhismus ergänzen sich also, sie stehen in einem arbeit·steiligen Ver·hält·nis zu·einander. Dieses Ver·hält·nis ist aber keines·wegs aus·gewogen. Über weite Strecken der ja·panischen Religions·geschichte scheinen die kami nicht für viel mehr als für religiöse Hilfs·dienste zuständig gewesen zu sein. Gleich·zeitig waren sie der all·ge·meinen Be·völk·erung näher als die Buddhas, ähnlich wie Polizisten der all·ge·meinen Be·völk·erung näher sind als Richter.

Shintō und Bud·dhis·mus lassen sich daher gar nicht so leicht als gleich·wertige Religionen gegen·über stellen. Nachdem sich der Bud·dhis·mus dank der massiven Förderung durch den antiken ja·pani·schen Staat als Quasi-Staats·religion durch·gesetzt hatte, musste der kami-Glauben erst eine Reihe von Trans·formationen durchlaufen, bevor er allgemein als ver·gleich·bar und zugleich als gegen·sätzlich zum Bud·dhis·mus auf·gefasst wurde. Erst in diesem Pro·zess beginnen sich die Um·risse von „Shintō“ als eigen·ständiger Religion langsam ab·zu·zeichnen. (s. Sidepage Shintō und jindō.)

Die Wurzeln dieser Ent·wick·lung reichen nicht weiter als ins japanische Mittel·alter zurück. Im drei·zehnten Jahr·hundert ent·standen erste theologische Theorien, die die tra·di·tio·nel·le Hierarchie von kami und Buddhas um·kehrten, im fünfzehnten Jahr·hundert gaben sich solche Theo·lo·gien die Selbst·bezeich·nung „Shintō“ (s. Shintō im Mittelalter).

In der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit (1600–1867) wurde der Bud·dhismus zu einem Werk·zeug der staat·lichen Ver·wal·tung und der ideo·lo·gischen Kontrolle (s. Inquisition unter buddhistischen Vorzeichen). Zu·gleich gab es die ersten Be·stre·bun·gen, kami-Schreine gegen·über bud·dhis·tischen Tempeln auf·zu·werten und unter In·tel·lek·tu·ellen wurde es all·mählich üblich, „Shintō“ als generelle Be·zeichnung der ein·heimischen Religion zu verwenden. In den allgemeinen Wort·schatz ging dieser Begriff aber erst nach dem politischen Umbruch von 1868 ein, als man versuchte, Shintō als National·religion zu etablieren. Dieses Vor·haben, das von einer Welle anti-bud·dhis·tischer Aus·schrei·tungen begleitet war, markierte auch in recht·licher Hinsicht einen deut·lichen Ein·schnitt gegenüber den syn·kre·tis·tischen Glaubens·formen der Ver·gangen·heit: Bereits 1868 wurde ein Gesetz erlassen, das die all·gemeine Praxis, Buddhas und kami am gleichen Ort zu verehren, verbot (shinbutsu bunri no rei [shinbutsu bunri no rei (jap.) 神仏分離令 Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)]). Viele bud·dhis·tische Tempel, aber auch manche Shintō-Schreine mussten daher abgerissen werden, viele religiöse Tra·ditio·nen wurden voll·kommen ausgelöscht.

Diese Politik wurde im Zuge einer all·gemein anti-bud·dhis·tischen Stim·mung zunächst von breiten Teilen der Be·völkerung unterstützt, stieß al·ler·dings in der Praxis auf er·heb·liche Wider·stände. Nach einer kurzen Phase der Be·geist·erung geriet die gewalt·same Tren·nung von Buddhas und kami daher ins Stocken und ist bis heute nur un·voll·ständig vollzogen: Noch heute gibt es neben jedem großen bud·dhis·tischen Tempel auch einen kleinen Schrein für den shintō·istischen Schutz·gott des Tempels und noch heute werden bud·dhis·tische Gestalten in Shintō-Schreinen [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)] verehrt.

Die Politik der Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit hatte aber dennoch zur Folge, dass Shintō als Iden·ti·täts·merkmal der ja·panischen Kultur anerkannt wurde und in dieser Form in den Brenn·punkt religions·geschichtlicher De·bat·ten rückte. Weite Kreise in·ner·halb der ja·panischen Forschung und der frühen west·lichen Japanologie ten·dierten von nun an dazu, Shintō als japanische Ur·religion anzusehen, die all·er·dings lange Zeit hindurch vom Bud·dhis·mus „überlagert“ gewesen war. Erst in den letzten Jahren hat sich dieses Bild re·la·tiviert und man beginnt, in den Formen der Koexistenz von Buddhismus und kami-Glauben eine eigene Form der japanischen Religion zu erkennen, von der sich „Shintō“ erst nach und nach weg ent·wickelte. Eine eindeutige De·finition von „Shintō“ ist aller·dings auch von der neueren For·schung noch nicht entwickelt worden.

Shintō und Nationalismus

In den ersten Jahrzehnten nach der Meiji Restauration [Meiji Ishin (jap.) 明治維新 Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat] (1868) durchlief die japanische Religions·politik eine Art trial-and-error-Phase, in der der Shintō — oder besser gesagt die japanischen kami-Schreine — einmal mehr einmal weniger im Zentrum der politischen Auf·merk·samkeit standen. Institutionen, die als ideologisches Zentrum staatlich organisierter Schrein·kulte fungieren sollten, lösten sich in rascher Folge ab. Mit den ersten militärischen Erfolgen des modernen Japan (insbesondere nach dem Russo-Japanischen Krieg 1904–05) wurde Shintō stärker in den Dienst eines aggressiven National·ismus gestellt, der die Annexion und Kolo·niali·sierung umliegender asiatischer Länder recht·fertigen sollte. Der sich so ent·wickelnde Staats·shintō (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) kulminierte schließ·lich in der Zeit des sog. Ultra·nationalismus von den dreißiger Jahren bis zum Zweiten Welt·krieg. Mit der Niederlage Japans verlor dieser Staats·shintō sowohl seine rechtliche Basis als auch seine Glaub·würdigkeit, während der Begriff Shintō als Bezeichnung für die ein·heimische Religion nach wie vor in Ver·wendung blieb. Dies mag ein weiterer Grund für die eingangs erwähnte Tatsache sein, dass dem Begriff ein negativer Bei·geschmack anhaftet und viele Japaner ihn vermeiden. Das gilt natürlich nicht für die Ver·treter des Shintō selbst. Sie sind großteils bemüht, „Shintō“ von der Asso·ziation mit dem Staats·shintō rein zu waschen. Andererseits spielt die Ideologie des Staats·shintō in rechts·extremen Kreisen nach wie vor eine wichtige Rolle und auch die konservative Liberal Demo·kratische Partei (LDP), die seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen an der Regierung ist, kann sich nicht zu einer eindeutigen Ablehnung aller Reste des Staats·shintō durchringen. Das Thema Shintō spiegelt daher die Schwierig·keiten wider, die Japan als ganzes mit der Be·wältigung seiner nationalistischen Ver·gang·en·heit hat. (Siehe dazu auch das Beispiel des Yasukuni [Yasukuni Jinja (jap.) 靖国神社 Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene] Schreins.)

Im Westen ist der Begriff Shintō selbst zwar im All·gemeinen nicht mit dem Stigma des National·ismus behaftet (dafür ist der Begriff einfach zu fremd und exotisch), aber die wissen·schaft·liche Be·schäft·igung mit dem Thema hat nach dem Zweiten Welt·krieg doch spürbar nachgelassen. Shintō wurde zu einer Art Tabuthema. Erst in jüngerer Zeit gibt es wieder Ansätze, sowohl den Staats·shintō als auch die Ursachen seiner Ent·stehung historisch auf·zu·arbeiten und in Relation zur gesamten Religions·geschichte Japans zu stellen.

Kategorien von Shintō

Als sich Anfang der Meiji-Zeit her·aus·stellte, dass sich die Idee von Shintō als Staats·religion nicht ohne weiteres durch·setzen ließ, rückte die Meiji-Regierung von der Vor·stellung ab, eine Staats·religion nach dem Muster europäisch-christlicher National·staaten zu in·stal·lieren. Dennoch sollten die all·gemeinen Bürger·pflichten sowie der Respekt gegenüber Staat und Tennō mithilfe des Shintō ge·fördert werden. Shintō wurde aus diesem Grund of·fi·ziell nicht als „Religion“, sondern als „Zere·monial·system“ definiert. Dieses Zeremonialsystem war in erster Linie die Ver·eh·rung des Tennō ausgerichtet, seine Be·fol·gung galt als pa·trio·tische Pflicht. Alle Shintō-Schreine hatten sich diesem Zweck unter·zu·ordnen. Es wurde jedoch an·erkannt, dass es auch einzelne Shintō-Sekten gab, die „religöse“ An·liegen im Sinne einer trans·zendenten Heils·lehre ähnlich dem Buddhis·mus oder dem Christen·tum propa·gierten. Aus der Unter·scheidung dieser beiden Arten von Shintō ent·wi·ckel·ten sich die Ka·te·gorien Schrein Shintō (jinja shintō [jinja shintō (jap.) 神社神道 Schreinshintō; im Ggs. zu „Sektenshintō“ (kyōha shintō), ...]) und Sekten-Shintō (kyōha shintō [kyōha shintō (jap.) 教派神道 Sektenshintō; im Ggs. zu „Schreinshintō“ (jinja shintō)]), womit im wesent·lichen Shintō-Richt·ungen ge·meint waren, die zu dieser Zeit (19. Jh.) neu ent·standen waren und heute zu den Neuen Religionen ge·rechnet werden.

Nach dem Zweiten Welt·krieg wurde die Religions·politik, die Shintō zwar nicht als Religion ansah, aber sehr wohl in den Dienst national·istischer Pro·paganda stellte, insgesamt als „Staats-Shintō“ (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) bezeichnet. Zugleich wurde „Schrein-Shintō“ als Religion angesehen und aus dem Staats·kult herausgelöst. Diese Tren·nung von Religion und Staat wurde nach einer ent·sprechenden An·weisung seitens der ameri·kanischen Besatzung sogar verfassungs·mäßig besiegelt. Was unklar blieb und bis heute bleibt, ist die Ver·bin·dung des Schrein-Shintō mit dem Tennō. Um hier eine Trenn·linie zu ziehen, wird gelegentlich der sog. „imperiale Shintō“ (kōshitsu shintō [kōshitsu shintō (jap.) 皇室神道 Imperialer Shintō, Shintō des kaiserlichen Hofes]) als eigene Ka·te·go·rie von Shintō definiert, um die tra·di·tionel·len kami-Kulte des kaiser·lichen Hofes von sons·tigen Schrein·riten zu unter·scheiden. Au·ßer·dem ist häufig von „Volks·shintō“ (minzoku shintō [minzoku shintō (jap.) 民俗神道 Volksshintō, Shintō als Volksreligion] = lokales religiöses Brauch·tum) als weiterer Ka·te·go·rie die Rede.

Versucht man, diese Ka·te·gor·ien klar und his·torisch kon·sis·tent von einander abzu·grenzen, stößt man auf unüber·windliche Schwierig·keiten. So lässt sich der „imperiale Shintō“ nicht klar vom „Schrein-Shintō“ trennen, da er selbst auf den Tradi·tionen einzelner Schreine beruht. Allerdings ordnen sich nicht alle Schreine dem Anspruch des Tennō unter, Ober·haupt der Shintō Religion zu sein. Noch schwie·riger wird die Si·tua·tion beim Begriff „Volks·shintō“: Sucht man in Japan außer·halb der etab·lierten Schrein·tradi·tionen nach volks·religiösem Brauchtum, findet man beispiels·weise Be·sessen·heits·kulte, in denen Heiler mit der Hilfe von Medien Geister aus dem Jen·seits sprechen lassen (Bsp. itako [itako (jap.) イタコ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子]). Solche Kulte werden heute aber weder von of·fi·ziel·len Shintō-Orga·nisa·tionen, noch vom Bud·dhis·mus anerkannt. Die Heiler selbst bedienen sich im übrigen sowohl bud·dhis·tischer als auch shin·tō·is·tischer Konzepte. Es gibt also tat·säch·lich starke volks·reli·giöse Traditionen in Japan, aber diese ent·ziehen sich der ein·deu·tigen Zu·ordnung zu Shintō oder Buddhismus. Um die Ver·wirrung perfekt zu machen, leben viele dieser Tradi·tionen, bei·spiels·weise Be·sessen·heits·kulte, im so·ge·nannten „Sekten-Shintō“ weiter fort, der seiner·seits zu den Neuen Religionen gezählt wird.

Die Versuche, Shintō in ver·schie·dene Kategorien zu unterteilen und auf diese Weise schlüs·sig dar·zu·stel·len, haben also bisher zu keinen be·friedigend·en Er·geb·nissen, sondern eher zurück in die ideo·logi·schen Fall·stricke des Staats·shintō geführt. Moderne Religions·historiker ziehen unter·schiedliche Kon·sequen·zen aus diesem konzep·tionellen Wirr·warr. Manche ver·meiden den Begriff „Shintō“ überhaupt, zu·mindest wenn es sich um histo·rische Themen handelt. Nelly Naumann [Naumann, Nelly (west.) 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin], die sich als Expertin der ja·panischen Myth·olo·gie einen Namen gemacht hat, spricht bei·spiels·weise in ihrem Haupt·werk lediglich von der „ein·heimischen Religion Japans“. Ich selbst sympa·thisiere mit diesem An·satz und verwende am liebsten den Begriff kami-Glaube. Im Rahmen dieser Web·site wird der Begriff „Shintō“ jedoch der all·gemeinen Ver·ständ·lich·keit halber bisweilen auch dort ver·wendet, wo man ihn besser unter geistige An·führungs·striche setzen sollte.

Verweise

Verwandte Themen

Fußnoten

  1. Engelbert Kaempfer, der Japan in den Jahren 1690 bis 92 bereiste, hinterließ eine ausführliche Geschichte und Beschreibung von Japan, die erstmals 1727 auf Englisch in fünf Bänden erschien. Der vor·liegende Auszug ist — mit gering·fügigen Adap·tionen — einer Online-Fassung des Originals (Buch 3, Kap. 2) von Wolfgang Michel entnommen.
  2. Motoori Norinaga, Kojikiden, Bd. 3. Übersetzt nach Matsumura Kazuo in Shintō jiten (1994), S. 37; für eine engl. Übersetzung siehe Concepts of Kami: Definitions and Typology (Encyclopedia of Shinto) [2011/10]).
  3. Beispielsweise beim buddhistischen Philosophen Zong Bing 宗炳, 375–444. Der Bud·dhismus·historiker Michael Radich schreibt dazu:
    Zong Bing further explains the relation between vijñāna [Alltagsbewusstsein, B.S.] and the approach to awakening by the old analogy of a mirror obscured by dust, where vijñāna is the dust: just as a mirror can be obscured by a thin or a thick layer of dust, so spirit (shen 神) can be obscured by fine or coarse vijñāna, which “sticks” (fu 附) to spirit and obscures its original nature (like the “original brightness” [benming 本明] of the mirror). However, practicing (contemplation of) emptiness works to reduce the layer of obscuring vijñāna, and when it is eliminated entirely, “original spirit” (benshen 本神) is consummated (qiong 窮). The resulting state is nirvāṇa.
    Hong ming ji 弘明集, nach Radich 2014, S. 476.
  4. S. dazu Scheid 2004.

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen

  • Encyclopedia of Shintō, Inoue Nobutaka (Hg.)
    Englische Online Version des enzyklopädischen Wörterbuchs Shintō Jiten (1994). Ehr·geizigstes und viel·ver·sprech·endstes Web Projekt der Kokugakuin Daigaku.
  • Web Versions of IJCC Publications, Kokugakuin Daigaku
    Online Resources der gleichen Universität, vor allem einzelne Fachartikel in Englisch.
  • Jinja Honchō - The Association of Shintō Shrines (en., jap.)
    Offizielle Website der 1946 gegründeten Dachorganisation japanischer Schreine. Vertritt das oben beschriebene, traditionelle Shintō-Bild.


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Viele Einführungswerke des Shintō vertreten einen Ansatz, der mir aus den oben ge·schilderten Gründen problematisch erscheint, und können daher nicht wirklich empfohlen werden. Es gibt allerdings auch empfehlenswerte neuere Gesamtdarstellungen:

Inoue Nobutaka, Endo Jun, Mori Mizue, Ito Satoshi, Shinto: A New History. New York: RoutledgeCurzon, 2003. [Originalausgabe 1998; Ü. ins Englische von Mark Teeuwen und John Breen.]
John Breen, Mark Teeuwen, A New History of Shinto. Oxford: Wiley-Blackwell, 2010.

Etwas ausführlicher und aus dem deutschsprachigen Sprachraum, aber nicht ganz so aktuell, ist die dreibändige Serie "Die einheimische Religion Japans" im Brill Verlag:

Nelly Naumann, Die einheimische Religion Japans, Teil 1: Bis zum Ende der Heian Zeit. Leiden: Brill, 1988.
Nelly Naumann, Die einheimische Religion Japans, Teil 2: Synkretistische Lehren und religiöse Entwicklungen von der Kamakura- bis zum Beginn der Edo-Zeit. Leiden: Brill, 1994.
Klaus Antoni, Shintō und die Konzeption des japanischen Staatswesens (kokutai). Leiden: Brill, 1998.

Spezifische Werke zur historischen Problematik des Begriffs „Shintō“ (alle in Engl.):

John Breen, Mark Teeuwen (Hg.), Shinto in History: Ways of the Kami. London: Curzon, 2000.
Kuroda Toshio, „Shinto in the History of Japanese Religion“. Journal of Japanese Studies 7:1 (1981), 1–22. (Online.) [Ü. J. Dobbins und S. Gay.]
Berühmter Artikel eines führenden japanischen Religionshistorikers, der zum Anstoß einer Neuorientierung in der westlichen Shintō-Forschung wurde.
Mark Teeuwen, Bernhard Scheid (Hg.), Tracing Shinto in the History of Kami Worship.
Japanese Journal of Religious Studies 29/3–4, 2002. (Online.) [Sondernummer des JJRS.]
Bernhard Scheid, „Shinto shrines: Traditions and transformations“. In: John Nelson, Inken Prohl (Hg.), Handbook of Contemporary Japanese Religions. Leiden: Brill, 2012. (Online.)

Ausführlich, aber für meinen Geschmack zu „essentialistisch“:

Stuart Picken, Essentials of Shinto: An Analytical Guide to Principal Teachings. Westport, UK: Greenwood, 1994.

Nur für überzeugte Shintō-Anhänger empfehlenswert:

Ono Sokyo, Shinto: The Kami Way. London: Tuttle, 1962.
Yamakage Motohisa, Essence of Shinto: Japans Spiritual Heart. Tokyo: Kodansha International, 2007.

Zitierte Literatur:

Michael Radich, „Ideas about “Consciousness” in Fifth and Sixth Century Chinese Buddhist Debates on the Survival of Death by the Spirit, and the Chinese Background to *Amalavijñāna“. In: Chen-kuo Lin / Michael Radich (Hg.), A Distant Mirror: Articulating Indic Ideas in Sixth and Seventh Century Chinese Buddhism. Hamburg: Hamburg University Press, 2014, 471–512.
Bernhard Scheid, Overcoming Taboos on Death: The Limited Possibilities of Discourse on the Afterlife in Shinto. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2004. (Online.)

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Norinaga2.jpg
    Portrait des Gelehrten Norinaga im Alter von 61 Jahren.
    Werk von Yoshikawa Yoshinobu. Edo-Zeit, 1790. Motoori Norinaga Museum.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Amaterasu 天照 ^ Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise
  • Asakusa Jinja 浅草神社 ^ Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.
  • Benten 弁天 ^ Glücksgöttin; Kurzform von Benzaiten
  • bukkyō 仏教 ^ Lehre des Buddha, Buddhismus
  • Daikoku 大黒 ^ Gott des Reichtums und Stellvertreter der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); skt. Mahakala = „Großer Schwarzer“; auch Daikoku-ten
  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • harae^ Purifikation, Weihezeremonie, Exorzismus
  • Heian 平安 ^ auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
  • Ise 伊勢 ^ vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū
  • Ise Jingū 伊勢神宮 ^ kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū
  • itako イタコ ^ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子
  • jingūji 神宮寺 ^ an einen Schrein angeschlossener Tempel, Tempel-Schrein Komplex
  • jinja 神社 ^ Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)
  • jinja shintō 神社神道 ^ Schreinshintō; im Ggs. zu „Sektenshintō“ (kyōha shintō), ...
  • Jiyū Minshu-tō 自由民主党 ^ japanische Liberal Demokratische Partei (LDP)
  • Kaempfer, Engelbert (west.) ^ 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung
  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • kannushi 神主 ^ Shintō-Priester; wtl. „Meister der Götter“
  • Karma (skt.) कर्म ^ „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)
  • kegare 穢れ ^ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande
  • kokka shintō 国家神道 ^ Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK
  • kōshitsu shintō 皇室神道 ^ Imperialer Shintō, Shintō des kaiserlichen Hofes
  • kyōha shintō 教派神道 ^ Sektenshintō; im Ggs. zu „Schreinshintō“ (jinja shintō)
  • Meiji 明治 ^ posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt
  • Meiji Ishin 明治維新 ^ Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat
  • Meiji Jingū 明治神宮 ^ Schrein des Meiji Tennō in Tōkyō, err. 1920
  • Meiji Tennō 明治天皇 ^ 1852–1912; 122. japanischer Kaiser (r. 1867–1912); Namensgeber und politische Symbolfigur der Meiji-Zeit; Eigenname: Mutsuhito
  • minzoku shintō 民俗神道 ^ Volksshintō, Shintō als Volksreligion
  • misogi^ Purifikation, Reinigungsritus, rituelle Waschung
  • mitama 御魂/御霊 ^ „Eherenwerter Geist“; Seelengeist der kami; s.a. aramitama, nigimitama
  • Motoori Norinaga 本居宣長 ^ 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)
  • Myōjin 明神 ^ Titel für eine Schreingottheit (kami), z.B. Kanda Myōjin
  • Naumann, Nelly (west.) ^ 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin
  • Nichiro Sensō 日露戦争 ^ Russo-japanischer Krieg, Feb. 1904 – Sept. 1905, um Einfluss über Korea und die Mandschurei; gilt als erster Sieg einer asiat. Nation über eine europ. Großmacht
  • Nikkō 日光 ^ Tempel-Schreinanlage im Norden der Kantō-Ebene, Präf. Tochigi; beherbergt u.a. den Tōshō-gū Schrein
  • seishin 精神 ^ Geist, Psyche, Mentalität; wtl. „Fein-Geist“
  • Sensō-ji 浅草寺 ^ bekannter Tempel in Tōkyō; auch: Asakusa-dera
  • shen (chin.) 神 ^ Geist (sowohl im Sinne von „Gespenst” als auch von „geistiger Kraft“); jap. shin oder kami
  • shenming (chin.) 神明 ^ „Geist-hell“; s. jap. shinmei
  • shi (chin.) 識 ^ Bewusstsein (im Buddhismus zu alltägliches, getrübtes Bewusstsein abgewertet); jap. shiki, skt. vijñāna
  • shin^ Herz, Seele, Bewusstsein; kokoro
  • shinbutsu bunri no rei 神仏分離令 ^ Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)
  • shinmei 神明 ^ generelle Bezeichnung für Schreingottheiten (kami); als Schreinnamen (Shinmei-sha) allerdings nur für Zweigschreine von Ise verwendet; s.a. shinmei-zukuri
  • Shintō 神道 ^ Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami
  • shintō 新党 ^ Neue Partei (Homonym von Shinto)
  • shintō 浸透 ^ Osmose (Homonym von Shinto)
  • Shitennō-ji 四天王寺 ^ buddh. Tempel im heutigen Ōsaka; zählt zusammen mit dem Asuka-dera zu den beiden ältesten Tempeln Japans (Gründung 593)
  • Tennō 天皇 ^ jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels
  • Tokugawa Ieyasu 徳川家康 ^ 1543–1616; Begründer des Tokugawa Shogunats; Reichseiniger
  • torii 鳥居 ^ Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami
  • Tōshō-gū 東照宮 ^ Tōshō Schrein, Mausoleum des Tokugawa Ieyasu in Nikkō, Präf. Tochigi
  • yaoyorozu 八百万 ^ altjap. für „acht Millionen“ bzw. unendlich viele