Grundbegriffe/Shinto: Unterschied zwischen den Versionen

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{{fl|D}}as Wort {{g|shintou|''shintō''}} bedeutet wört·lich „Weg der Götter“ und wird land·läufig als Selbst·be·zeich·nung der ein·heimischen Religion Japans angegeben. Auf den ersten Blick scheint diese De·fi·ni·ti·on un·prob·lematisch. Was einen ein wenig stutzig machen könnte, ist lediglich, dass „''shintō''“ offen·bar ein Wort chi·nesi·schen Ur·sprungs ist und dass es sich keines·wegs um ein häufig ge·brauchtes Vokabel handelt. Wer ein modernes ja·pani·sches Text·ver·arbeitungs·programm benützt und die Silben „shin-tou“ eintippt, erhält als Kanji-Schrei·bung meist homophone Begriffe wie „{{g|shintou2}}, Neue Partei“ oder „{{g|shintou3}}, Osmose“ vor·ge·schlagen, bevor die Zeichen 神 (Gott·heit) und 道 (Weg) erscheinen. ''Shintō'' im re·ligiösen Sinn ist tat·sächlich im All·tags·japanisch kaum ge·bräuchlich. Selbst hin·sichtlich der Aus·sprache (''shintō'' oder ''shindō'') sind sich moderne Japaner nicht immer sicher. Woher kommt diese er·staun·liche Zurück·haltung gegenüber einem Wort, das mitunter als In·begriff des Ja·pa·nischen schlecht·hin dar·gestellt wird?
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{{fl|D}}as Wort {{g|shintou|''shintō''}} bedeutet wörtlich „Weg der Götter“ und wird landläufig als Selbstbezeichnung der einheimischen Religion Japans angegeben. Auf den ersten Blick scheint diese Definition unproblematisch. Was einen ein wenig stutzig machen könnte, ist lediglich, dass „''shintō''“ offenbar ein Wort chinesischen Ursprungs ist und dass es sich keineswegs um ein häufig gebrauchtes Vokabel handelt. Wer ein modernes japanisches Textverarbeitungsprogramm benützt und die Silben „shin-tou“ eintippt, erhält als Kanji-Schreibung meist homophone Begriffe wie „{{g|shintou2}}, Neue Partei“ oder „{{g|shintou3}}, Osmose“ vorgeschlagen, bevor die Zeichen 神 (Gottheit) und 道 (Weg) erscheinen. ''Shintō'' im religiösen Sinn ist tatsächlich im Alltagsjapanisch kaum gebräuchlich. Selbst hinsichtlich der Aussprache (''shintō'' oder ''shindō'') sind sich moderne Japaner nicht immer sicher. Woher kommt diese erstaunliche Zurückhaltung gegenüber einem Wort, das mitunter als Inbegriff des Japanischen schlechthin dargestellt wird?
 
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| quelle= Engelbert Kaempfer, 1792<ref>Engelbert Kaempfer, der Japan in den Jahren 1690 bis 92 bereiste, hinterließ eine ausführliche ''Geschichte und Beschreibung von Japan'', die  erstmals 1727 auf Englisch in fünf Bänden erschien. Der vor·liegende Auszug ist — mit gering·fügigen Adap·tionen — einer [http://wolfgangmichel.web.fc2.com/serv/ek/hj/3_text.html Online-Fassung des Originals] (Buch 3, Kap. 2) von Wolfgang Michel entnommen.</ref>
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| quelle= Engelbert Kaempfer, 1792<ref>Engelbert Kaempfer, der Japan in den Jahren 1690 bis 92 bereiste, hinterließ eine ausführliche ''Geschichte und Beschreibung von Japan'', die  erstmals 1727 auf Englisch in fünf Bänden erschien. Der vorliegende Auszug ist — mit geringfügigen Adaptionen — einer [http://wolfgangmichel.web.fc2.com/serv/ek/hj/3_text.html Online-Fassung des Originals] (Buch 3, Kap. 2) von Wolfgang Michel entnommen.</ref>
 
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For the whole Sintos Religion is so mean and simple, that besides a heap of fabulous and romantick stories of their Gods, Demi-gods and Heroes, inconsistent with reason and common sense, their Divines have nothing, neither in their sacred Books, nor by Tradition, wherewithal to satisfy the Inquiries of curious persons, about the nature and essence of their Gods, about their power and government, about the future state of our Soul, and such other essential points.
 
For the whole Sintos Religion is so mean and simple, that besides a heap of fabulous and romantick stories of their Gods, Demi-gods and Heroes, inconsistent with reason and common sense, their Divines have nothing, neither in their sacred Books, nor by Tradition, wherewithal to satisfy the Inquiries of curious persons, about the nature and essence of their Gods, about their power and government, about the future state of our Soul, and such other essential points.
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Das obige Zitat aus einem der frühesten Reiseberichte über Japan  von {{g|Kaempferengelbert}} lässt erkennen, dass Shintō bereits im 17. Jahrhundert die meisten ausländischen Beobachter ratlos zurückließ, da sie sich mit der scheinbaren Einfachheit der Religion nicht zurecht fanden. In der neueren  Ein·füh·rungs·liter·atur wird Shintō daher gerne mit der japanischen Ur·religion gleich·gesetzt. Oft wird zu·gleich der Ein·druck ver·mittelt, es handle sich um einen be·sonders archaischen Glauben, der in Japan — im Gegen·satz zu anderen Urreligionen — auf mirakulöse Weise in die Moderne hinüber ge·rettet worden wäre. Dies verleitet wiederum zu dem Trug·schluss, Shintō habe in vor·bud·dhis·tischer Zeit bereits genau so aus·gesehen wie heute. Bei näherer Be·trachtung stößt man aller·dings rasch auf Wi·der·sprüche in diesem Modell und es stellt sich heraus, dass vieles, was uns heute als typisch shin·tō·is·tisch er·scheint, eigentlich bud·dhis·tische Wurzeln hat oder gerade in den Jahrzehnten vor Kaempfers Besuch bewusst archaisiert wurde.  
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Das obige Zitat aus einem der frühesten Reiseberichte über Japan  von {{g|Kaempferengelbert}} lässt erkennen, dass Shintō bereits im 17. Jahrhundert die meisten ausländischen Beobachter ratlos zurückließ, da sie sich mit der scheinbaren Einfachheit der Religion nicht zurecht fanden. In der neueren  Einführungsliteratur wird Shintō daher gerne mit der japanischen Urreligion gleichgesetzt. Oft wird zugleich der Eindruck vermittelt, es handle sich um einen besonders archaischen Glauben, der in Japan — im Gegensatz zu anderen Urreligionen — auf mirakulöse Weise in die Moderne hinüber gerettet worden wäre. Dies verleitet wiederum zu dem Trugschluss, Shintō habe in vorbuddhistischer Zeit bereits genau so ausgesehen wie heute. Bei näherer Betrachtung stößt man allerdings rasch auf Widersprüche in diesem Modell und es stellt sich heraus, dass vieles, was uns heute als typisch shintōistisch erscheint, eigentlich buddhistische Wurzeln hat oder gerade in den Jahrzehnten vor Kaempfers Besuch bewusst archaisiert wurde. Was sind nun die Elemente, an denen man so etwas wie eine Identität des Shintō festmachen könnte?
  
 
=== Schreine (''jinja'') ===
 
=== Schreine (''jinja'') ===
  
Wenn es auch schwierig ist, den re·ligiösen Inhalt von Shintō näher zu um·reißen, so hat Shintō doch einen ein·deutigen Ort, an dem er prak·ti·ziert wird, nämlich den Shintō-Schrein ({{g|jinja}}). Schreine stellen damit die räum·liche Basis des Shintō dar. Wie im Kapitel [[Bauten|Bau·ten]] genauer erörtert, handelt es sich bei „Schreinen“ um Orte, an denen die dort verehrten Gott·heiten gleichsam wohnen. Wenn man einen Schrein aufsucht, begibt man sich also in die un·mittel·bare Nähe einer Gott·heit. Hier richtet man zumeist Gebete und Opfer·gaben an eine oder mehrere Gott·heiten, um im Aus·tausch dafür bestimmte Vor·teile zu erhalten. Obwohl die genauen Funk·tionen von Schreinen verschieden sein können und auch großen his·to·ri·schen Ver·än·derun·gen unterworfen waren, sind gewissen bau·liche Merkmale von Schreinen über lange Zeit er·staun·lich konstant geblieben. Es ist diese Konstanz in den äußeren Formen, die den Eindruck erweckt, Shintō sei insgesamt ein un·ver·änder·liches, ge·schichts·loses Phänomen.
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Die Shintō-Religion besitzt eine große Zahl klar definierter Orte, an denen sie praktiziert wird, nämlich die Shintō-Schreine ({{g|jinja}}). Schreine stellen quasi die räumliche Basis des Shintō dar. Wie im Kapitel [[Bauten|Bauten]] genauer erörtert, handelt es sich bei „Schreinen“ um Orte, an denen die dort verehrten Gottheiten  „wohnen“. Wenn man einen Schrein aufsucht, begibt man sich also in die unmittelbare Nähe einer Gottheit. Hier richtet man zumeist Gebete und Opfergaben an eine oder mehrere Gottheiten, um im Austausch dafür bestimmte Vorteile zu erhalten. Obwohl die genauen Funktionen von Schreinen verschieden sein können und auch großen historischen Veränderungen unterworfen waren, sind gewissen bauliche Merkmale von Schreinen über lange Zeit erstaunlich konstant geblieben. Es ist diese Konstanz in den äußeren Formen, die den Eindruck erweckt, Shintō sei insgesamt ein unveränderliches, geschichtsloses Phänomen.
  
 
===''Torii''===
 
===''Torii''===
  
Die mar·kan·testen bau·liche Merk·mal eines  Shintō-Schreins sind frei stehende sym·bo·lische Durch·gänge be·stehend aus zwei ein·fachen Pfosten und zwei Quer·balken, die {{g|torii|''torii''}} genannt werden. Sie sind heute vor allen Schreinen zu finden und eignen sich daher auch als Em·blem der Shintō-Religion all·gemein. Ob dies aller·dings schon in vor·bud·dhis·tischer Zeit so war oder ob ''torii'' viel·leicht erst mit dem {{g|bukkyou|Buddhismus}} nach Japan kamen, ist fraglich. In frü·he·ren Zeiten muss es jeden·falls auch bud·dhis·tische Tempel ge·geben haben, die man durch ''torii'' betrat. Einer der ältesten bud·dhis·tischen Tempel Japans, der {{g|Shitennouji|Shitennō-ji}} in Osaka, zählt heute noch dazu. Spätestens ab der {{g|Heian}}-Zeit waren aber Schreine anhand von ''torii'' zu iden·tifi·zieren (mehr dazu im Kapitel Bauten, [[Torii]]).
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Die markantesten bauliche Merkmal eines  Shintō-Schreins sind frei stehende symbolische Durchgänge bestehend aus zwei einfachen Pfosten und zwei Querbalken, die {{g|torii|''torii''}} genannt werden. Sie sind heute vor allen Schreinen zu finden und eignen sich daher auch als Emblem der Shintō-Religion allgemein. Ob dies allerdings schon in vorbuddhistischer Zeit so war oder ob ''torii'' vielleicht erst mit dem {{g|bukkyou|Buddhismus}} nach Japan kamen, ist fraglich. In früheren Zeiten muss es jedenfalls auch buddhistische Tempel gegeben haben, die man durch ''torii'' betrat. Einer der ältesten buddhistischen Tempel Japans, der {{g|Shitennouji|Shitennō-ji}} in Osaka, zählt heute noch dazu. Spätestens ab der {{g|Heian}}-Zeit waren aber Schreine anhand von ''torii'' zu identifizieren (mehr dazu im Kapitel Bauten, [[Torii]]).
  
 
===''Kami''===
 
===''Kami''===
  
Schon vor Über·nahme des Bud·dhis·mus nannten die Japaner ihre Götter und Geister {{g|kami}}. Der Begriff ''kami'' hielt sich durch alle Phasen der ja·pan·ischen Religions·geschichte, auch wenn sich damit die unter·schied·lichsten religiösen Phä·no·mene be·zeich·nen lassen.  
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Schon vor Übernahme des Buddhismus nannten die Japaner ihre Götter und Geister {{g|kami}}. Der Begriff ''kami'' hielt sich durch alle Phasen der japanischen Religionsgeschichte, auch wenn sich damit die unterschiedlichsten religiösen Phänomene bezeichnen lassen.  
Die  Mythen sprechen häufig von {{g|yaoyorozu}} ''no kami'', wtl. acht Millionen Götter, was aber genauso als Aus·druck einer un·vor·stell·bar großen Zahl auf·ge·fasst wird.  
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Die  Mythen sprechen häufig von {{g|yaoyorozu}} ''no kami'', wtl. acht Millionen Götter, was aber genauso als Ausdruck einer unvorstellbar großen Zahl aufgefasst wird.  
  
Japanische Shintō-Schreine sind zumeist namen·tlich bekannten Gott·heiten geweiht, die teils den alten Mythen ent·stammen, oft aber auch durch den Bud·dhis·mus nach Japan kamen oder aus his·to·rischen, später ver·göttlichten Persön·lichkeiten ent·standen sind. Das be·kannteste Beispiel einer my·tho·logischen Gott·heit ist  {{g|Amaterasu}}  mit dem Haupt·schrein in {{g|isejinguu|Ise}}. Die meisten der [[Ikonographie/Gluecksgoetter|Sieben Glücksgötter]] ent·stammen dagegen dem Bud·dhis·mus oder leiten sich von anderen nicht-ja·panischen Vor·bildern her. Ein be·rühmtes Bei·spiel für die Ver·gött·lichung einer his·to·rischen Per·sön·lich·keit ist {{g|Tokugawaieyasu}}, der im bekannten {{g|toushouguu}} Schrein in {{g|Nikkou}} verehrt wird.
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Japanische Shintō-Schreine sind zumeist namentlich bekannten Gottheiten geweiht, die teils den alten Mythen entstammen, oft aber auch durch den Buddhismus nach Japan kamen oder aus historischen, später vergöttlichten Persönlichkeiten entstanden sind. Das bekannteste Beispiel einer mythologischen Gottheit ist  {{g|Amaterasu}}  mit dem Hauptschrein in {{g|isejinguu|Ise}}. Die meisten der [[Ikonographie/Gluecksgoetter|Sieben Glücksgötter]] entstammen dagegen dem Buddhismus oder leiten sich von anderen nicht-japanischen Vorbildern her. Ein berühmtes Beispiel für die Vergöttlichung einer historischen Persönlichkeit ist {{g|Tokugawaieyasu}}, der im bekannten {{g|toushouguu}} Schrein in {{g|Nikkou}} verehrt wird.
  
Laut einer klas·sischen De·finition des Shintō-Gelehrten {{g|Motoorinorinaga}} kann alles, was in ir·gend einer Weise außer·ge·wöhn·lich und ehr·furcht·ge·bietend ist, ''kami'' genannt werden, un·ab·hängig davon, ob es sich um et·was Gutes oder Schlech·tes, Er·habe·nes oder Ab·sto·ßen·des han·delt. Neben ein·drucks·vol·len Na·tur·er·schei·nun·gen wie Ber·gen, Bäu·men oder Flüs·sen können auch Menschen oder Tiere als ''kami'' be·zeich·net werden.
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Laut einer klassischen Definition des Shintō-Gelehrten {{g|Motoorinorinaga}} kann alles, was in irgend einer Weise außergewöhnlich und ehrfurchtgebietend ist, ''kami'' genannt werden, unabhängig davon, ob es sich um etwas Gutes oder Schlechtes, Erhabenes oder Abstoßendes handelt. Neben eindrucksvollen Naturerscheinungen wie Bergen, Bäumen oder Flüssen können auch Menschen oder Tiere als ''kami'' bezeichnet werden.
 
Motooris Zitat lautet in wörtlicher Übersetzung:
 
Motooris Zitat lautet in wörtlicher Übersetzung:
  
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Was man unter ''kami'' versteht, sind zum einen die Gott·heiten von Himmel und Erde, wie wir sie in den alten Klassikern finden, und zum anderen die Seelen·geister (''mitama''), die in den ver·schie·de·nen Schreinen verehrt werden. Ferner können natürlich auch Menschen, ebenso wie Tiere, Pflanzen, das Meer und die Berge als ''kami'' bezeichnet werden, sofern sie eine seltene, un·gewöhn·liche oder überlegene Kraft besitzen, die Ehr·furcht (''kashikoki'') hervorruft. „Überlegen“ (''suguretaru'') bezieht sich dabei nicht nur auf Vornehmes, Gutes und Tugend·haftes, denn auch un·gewöhn·lich Böses und Ab·son·der·liches kann Ehr·furcht her·vor·rufen und ''kami'' genannt werden.<!--  
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Was man unter ''kami'' versteht, sind zum einen die Gottheiten von Himmel und Erde, wie wir sie in den alten Klassikern finden, und zum anderen die Seelengeister (''mitama''), die in den verschiedenen Schreinen verehrt werden. Ferner können natürlich auch Menschen, ebenso wie Tiere, Pflanzen, das Meer und die Berge als ''kami'' bezeichnet werden, sofern sie eine seltene, ungewöhnliche oder überlegene Kraft besitzen, die Ehrfurcht (''kashikoki'') hervorruft. „Überlegen“ (''suguretaru'') bezieht sich dabei nicht nur auf Vornehmes, Gutes und Tugendhaftes, denn auch ungewöhnlich Böses und Absonderliches kann Ehrfurcht hervorrufen und ''kami'' genannt werden.<!--  
 
--><ref>Motoori Norinaga, ''Kojikiden'', Bd. 3. Übersetzt nach  Matsumura Kazuo in ''Shintō jiten'' (1994), S. 37; für eine engl. Übersetzung siehe [http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=1 Concepts of Kami: Definitions and Typology] (''Encyclopedia of Shinto'') [2011/10]).
 
--><ref>Motoori Norinaga, ''Kojikiden'', Bd. 3. Übersetzt nach  Matsumura Kazuo in ''Shintō jiten'' (1994), S. 37; für eine engl. Übersetzung siehe [http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=1 Concepts of Kami: Definitions and Typology] (''Encyclopedia of Shinto'') [2011/10]).
 
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Norinaga schließt daraus, dass na·tür·lich auch der herr·schen·de {{g|tennou|Tennō}} und seine Vor·fahren ''kami'' sind. Im Un·ter·schied zu christ·lichen Gottes·vor·stel·lungen wird diese Gött·lich·keit aber nicht aus einem Prinzip (z.B. All·macht), sondern aus einer Wirkung (ehr·furcht·ge·bie·tend) ab·ge·leitet. ''Kami'' werden also gleich·sam empirisch begründet, nämlich auf·grund von besonderen – ansonsten un·er·klär·lichen Ef·fek·ten auf die konkrete Lebens·welt der Menschen. Norinaga – und mit ihm viele andere Shintōisten – argu·mentiert also nicht, dass man aus diesen oder jenen Gründen an die ''kami'' glauben muss, sondern setzt den Glauben an schicksals·bestim·mende Kräfte als gegeben voraus und nennt diese Kräfte „''kami''“.
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Norinaga schließt daraus, dass natürlich auch der herrschende {{g|tennou|Tennō}} und seine Vorfahren ''kami'' sind. Im Unterschied zu christlichen Gottesvorstellungen wird diese Göttlichkeit aber nicht aus einem Prinzip (z.B. Allmacht), sondern aus einer Wirkung (ehrfurchtgebietend) abgeleitet. ''Kami'' werden also gleichsam empirisch begründet, nämlich aufgrund von besonderen – ansonsten unerklärlichen Effekten auf die konkrete Lebenswelt der Menschen. Norinaga – und mit ihm viele andere Shintōisten – argumentiert also nicht, dass man aus diesen oder jenen Gründen an die ''kami'' glauben muss, sondern setzt den Glauben an schicksalsbestimmende Kräfte als gegeben voraus und nennt diese Kräfte „''kami''“.
  
Als all·ge·meine Cha·rakter·istika des ''kami''-Begriffs können somit ihre zahlen·mäßige Un·begrenzt·heit, ihre  Viel·gestalt·ig·keit sowie ihr un·be·rechen·barer Ein·fluss auf das Leben der Menschen fest·gehalten werden.
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Als allgemeine Charakteristika des ''kami''-Begriffs können somit ihre zahlenmäßige Unbegrenztheit, ihre  Vielgestaltigkeit sowie ihr unberechenbarer Einfluss auf das Leben der Menschen festgehalten werden.
Diese flexible, moralisch un·be·stimmte Auf·fass·ung von Gött·lich·keit hat sich in der ja·pan·ischen Religion bis heute er·halten. So konnten und können selbst Gegen·stände als Gott·heiten an·ge·sehen und verehrt werden (in erster Linie Schwerter und Spiegel, aber auch un·be·deutende und all·tägliche Dinge). Zu·gleich werden auch aus·länd·ische Götter und der christ·liche Gott mit dem Begriff ''kami'' be·zeichnet. Da es im Japanischen keinen Plural gibt, ist es ohne Weiteres möglich mono·theistische und poly·theistische Vor·stellungen in einem Begriff zu vereinen. Der Begriff ''kami'' ist also sehr viel weiter als „Gott“ oder „Gottheit“, schließt diese Vor·stellungen aber mit ein.
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Diese flexible, moralisch unbestimmte Auffassung von Göttlichkeit hat sich in der japanischen Religion bis heute erhalten. So konnten und können selbst Gegenstände als Gottheiten angesehen und verehrt werden (in erster Linie Schwerter und Spiegel, aber auch unbedeutende und alltägliche Dinge). Zugleich werden auch ausländische Götter und der christliche Gott mit dem Begriff ''kami'' bezeichnet. Da es im Japanischen keinen Plural gibt, ist es ohne Weiteres möglich monotheistische und polytheistische Vorstellungen in einem Begriff zu vereinen. Der Begriff ''kami'' ist also sehr viel weiter als „Gott“ oder „Gottheit“, schließt diese Vorstellungen aber mit ein.
  
Dank seiner Viel·gestalt·ig·keit ist es also kaum möglich, den Begriff ''kami'' in das Korsett einer be·stimmten kon·fession·ellen Religion zu pressen. Und dennoch ist der ''kami'' Begiff viel·leicht das einzige in·di·gene re·ligiöse Konzept, das sich einer voll·kommenen Ver·schmelz·ung mit dem Bud·dhis·mus ent·zogen hat. Selbst bud·dhis·tische Mönche akzep·tierten die ''kami'' stets als natur·gegebene Realität und ver·suchten le·dig·lich, sie aus bud·dhis·tischer Sicht zu erklären. In den meisten religi·ösen Zentren, egal ob ur·sprüng·lich bud·dhis·tisch oder nicht, wurden und werden sowohl Buddhas als auch ''kami'' verehrt, es handelt sich also im Grunde um ge·mischt-religiöse „Tempel-Schrein An·lagen“. Trotz dieser räum·lichen Nähe blieb eine gewisse kul·tische Tren·nung aufrecht, d.h. bud·dhis·tische und ein·heim·ische Gott·heiten wurden mit jeweils eigenen Riten bedacht und oft auch von jeweils eigenen Priestern betreut.
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Dank seiner Vielgestaltigkeit ist es also kaum möglich, den Begriff ''kami'' in das Korsett einer bestimmten konfessionellen Religion zu pressen. Und dennoch ist der ''kami'' Begiff vielleicht das einzige indigene religiöse Konzept, das sich einer vollkommenen Verschmelzung mit dem Buddhismus entzogen hat. Selbst buddhistische Mönche akzeptierten die ''kami'' stets als naturgegebene Realität und versuchten lediglich, sie aus buddhistischer Sicht zu erklären. In den meisten religiösen Zentren, egal ob ursprünglich buddhistisch oder nicht, wurden und werden sowohl Buddhas als auch ''kami'' verehrt, es handelt sich also im Grunde um gemischt-religiöse „Tempel-Schrein Anlagen“. Trotz dieser räumlichen Nähe blieb eine gewisse kultische Trennung aufrecht, d.h. buddhistische und einheimische Gottheiten wurden mit jeweils eigenen Riten bedacht und oft auch von jeweils eigenen Priestern betreut.
  
 
=== ''Shen/shin'' ===
 
=== ''Shen/shin'' ===
  
 
In den meisten Komposita, in denen das Zeichen für ''kami'' 神 vorkommt, wird die sino-japanische Lesung ''shin'' (oder ''jin'') verwendet, etwa in {{g|shintou|''shintō''}} oder {{g|jinja}}.
 
In den meisten Komposita, in denen das Zeichen für ''kami'' 神 vorkommt, wird die sino-japanische Lesung ''shin'' (oder ''jin'') verwendet, etwa in {{g|shintou|''shintō''}} oder {{g|jinja}}.
Die chi·ne·si·schen Kon·no·ta·tio·nen des Schrift·zeichens sind jedoch mit den oben be·spro·chene Be·deu·tun·gen von ''kami'' nicht un·bedingt identisch und haben wohl ihrer·seits dazu bei·getragen, den ''kami''-Begriff zu erweitern.  
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Die chinesischen Konnotationen des Schriftzeichens sind jedoch mit den oben besprochene Bedeutungen von ''kami'' nicht unbedingt identisch und haben wohl ihrerseits dazu beigetragen, den ''kami''-Begriff zu erweitern.  
  
Im chinesi·schen Kontext lässt sich das Zeichen 神 — auf Chine·sisch {{g|shen}} gelesen — am besten mit „Geist“ über·setzen und besitzt in der Tat einen ähnlich großen Be·deutungs·um·fang wie der deut·sche Begriff. D.h. ''shen'' kann ebenso ein Gespenst bezeich·nen wie den Geist im Unter·schied zum Körper oder zur Materie. Es ist zunächst einmal eine un·sicht·bare Macht (oder unsichtbare Mächte), die wir sowohl au·ßer·halb von uns als auch in uns selbst am Werke finden. In diesem letztere Sinne lässt sich ''shen'' z.B. heute noch im japanischen Kompositum ''seishin'' 精神 — „Geist“, „Psyche“, wtl. „Fein-Geist“ — wie·der·fin·den. Frühe bud·dhisti·sche Autoren in China verstanden unter dem Begriff ''shen'' hingegen den „reinen Geist“ im Gegen·satz zum Alltags·bewusst·sein ''shi'' 識 (jap. ''shiki'', skt. ''vijñāna'').<!--
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Im chinesischen Kontext lässt sich das Zeichen 神 — auf Chinesisch {{g|shen}} gelesen — am besten mit „Geist“ übersetzen und besitzt in der Tat einen ähnlich großen Bedeutungsumfang wie der deutsche Begriff. D.h. ''shen'' kann ebenso ein Gespenst bezeichnen wie den Geist im Unterschied zum Körper oder zur Materie. Es ist zunächst einmal eine unsichtbare Macht (oder unsichtbare Mächte), die wir sowohl außerhalb von uns als auch in uns selbst am Werke finden. In diesem letztere Sinne lässt sich ''shen'' z.B. heute noch im japanischen Kompositum ''seishin'' 精神 — „Geist“, „Psyche“, wtl. „Fein-Geist“ — wiederfinden. Frühe buddhistische Autoren in China verstanden unter dem Begriff ''shen'' hingegen den „reinen Geist“ im Gegensatz zum Alltagsbewusstsein ''shi'' 識 (jap. ''shiki'', skt. ''vijñāna'').<!--
 
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Beispielsweise beim buddhistischen Philosophen Zong Bing 宗炳, 375–444. Der Bud·dhismus·historiker Michael Radich schreibt dazu:  
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Beispielsweise beim buddhistischen Philosophen Zong Bing 宗炳, 375–444. Der Buddhismushistoriker Michael Radich schreibt dazu:  
 
: Zong Bing further explains the relation between ''vijñāna'' [Alltagsbewusstsein, B.S.] and the approach to awakening by the old analogy of a mirror obscured by dust, where ''vijñāna'' is the dust: just as a mirror can be obscured by a thin or a thick layer of dust, so spirit (''shen'' 神) can be obscured by fine or coarse ''vijñāna'', which “sticks” (''fu'' 附) to spirit and obscures its original nature (like the “original brightness” [''benming'' 本明] of the mirror). However, practicing (contemplation of) emptiness works to reduce the layer of obscuring ''vijñāna'', and when it is eliminated entirely, “original spirit” (''benshen'' 本神) is consummated (''qiong'' 窮). The resulting state is ''nirvāṇa''.  
 
: Zong Bing further explains the relation between ''vijñāna'' [Alltagsbewusstsein, B.S.] and the approach to awakening by the old analogy of a mirror obscured by dust, where ''vijñāna'' is the dust: just as a mirror can be obscured by a thin or a thick layer of dust, so spirit (''shen'' 神) can be obscured by fine or coarse ''vijñāna'', which “sticks” (''fu'' 附) to spirit and obscures its original nature (like the “original brightness” [''benming'' 本明] of the mirror). However, practicing (contemplation of) emptiness works to reduce the layer of obscuring ''vijñāna'', and when it is eliminated entirely, “original spirit” (''benshen'' 本神) is consummated (''qiong'' 窮). The resulting state is ''nirvāṇa''.  
 
: ''Hong ming ji'' 弘明集, nach Radich 2014, S. 476.  
 
: ''Hong ming ji'' 弘明集, nach Radich 2014, S. 476.  
 
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Ähnlich ver·wen·deten auch shintō-bud·dhis·tische Theo·logen des japa·nischen Mittel·alters das Konzept ''shin'' 神 (''kami'') im Sinne von „Geist“, „Bewusst·sein“ und setzten es mit seinem japanischen Homonym ''shin'' 心 („Herz“, „Bewusst·sein“) gleich.  
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Ähnlich verwendeten auch shintō-buddhistische Theologen des japanischen Mittelalters das Konzept ''shin'' 神 (''kami'') im Sinne von „Geist“, „Bewusstsein“ und setzten es mit seinem japanischen Homonym ''shin'' 心 („Herz“, „Bewusstsein“) gleich.  
  
''Shen''/''shin'' kann also auch das Gött·liche bezeichnen, das jedem indivi·duellen Bewusst·sein inne·wohnt, es stellt sozu·sagen einen Ideal·zustand des Geistes dar, den der Mensch erreichen kann, wenn er alle „Trü·bungen“ seines Bewusst·seins be·seitigt. Dieser Ideal·zustand wurde in China auch durch Kompo·sita wie ''shenming'' 神明 (Geist-hell) oder ''mingshen'' 明神 (hell-Geist), also „er·leuch·tetes Bewusst·sein“, ausge·drückt. Interes·santer·weise wurden diese beiden Begriffe in Japan zu ''kami''-Titeln, wobei {{g|myoujin}} 明神 auf ver·schie·dene Schrein·götter an·ge·wen·det werden kann, wäh·rend {{g|shinmei}} 神明 meist spezi·fisch für {{g|Ise}} steht. Die buddhis·tischen Kon·nota·tionen dieser Begriffe sind in Japan weit·gehend in Ver·gessen·heit geraten, haben aber bei der ur·sprüng·lichen Prägung dieser Götter·titel mit Sicher·heit eine Rolle gespielt. ''Kami'' können daher aus buddhis·tischer Sicht auch den Zustand der bud·dhis·tischen Erleuch·tung reprä·sen·tieren.
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''Shen''/''shin'' kann also auch das Göttliche bezeichnen, das jedem individuellen Bewusstsein innewohnt, es stellt sozusagen einen Idealzustand des Geistes dar, den der Mensch erreichen kann, wenn er alle „Trübungen“ seines Bewusstseins beseitigt. Dieser Idealzustand wurde in China auch durch Komposita wie ''shenming'' 神明 (Geist-hell) oder ''mingshen'' 明神 (hell-Geist), also „erleuchtetes Bewusstsein“, ausgedrückt. Interessanterweise wurden diese beiden Begriffe in Japan zu ''kami''-Titeln, wobei {{g|myoujin}} 明神 auf verschiedene Schreingötter angewendet werden kann, während {{g|shinmei}} 神明 meist spezifisch für {{g|Ise}} steht. Die buddhistischen Konnotationen dieser Begriffe sind in Japan weitgehend in Vergessenheit geraten, haben aber bei der ursprünglichen Prägung dieser Göttertitel mit Sicherheit eine Rolle gespielt. ''Kami'' können daher aus buddhistischer Sicht auch den Zustand der buddhistischen Erleuchtung repräsentieren.
  
 
===Kegare===
 
===Kegare===
  
Shintō wird häufig als Religion ohne moralisch ver·bind·liche Vor·schriften charakterisiert. Tat·säch·lich gibt es im Shintō nichts, was etwa den fünf Laien·geboten des [[Grundbegriffe/Buddhismus_Lehre|Buddhismus]], oder den Zehn Geboten der Juden und Christen entspricht. Es gibt jedoch ein Merk·mal, das sich durch alle doku·mentierten Phasen der ''kami''-Religion zieht und das auch heute noch prägend für viele Bereiche der japa·nischen Gesell·schaft ist, nämlich eine sehr ausgeprägte Vor·stellung von ritueller Rein·heit bzw. — negativ ausge·drückt —  die Angst vor ritueller Verun·reini·gung ({{g|kegare}}). Eine solche Verun·reini·gung zieht den Un·willen der ''kami'' nach sich und ist daher die Ur·sache negativer Kon·se·quen·zen nicht nur für den einzel·nen, son·dern für die gesamte Gemein·schaft.
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Shintō wird häufig als Religion ohne moralisch verbindliche Vorschriften charakterisiert. Tatsächlich gibt es im Shintō nichts, was etwa den fünf Laiengeboten des [[Grundbegriffe/Buddhismus_Lehre|Buddhismus]], oder den Zehn Geboten der Juden und Christen entspricht. Es gibt jedoch ein Merkmal, das sich durch alle dokumentierten Phasen der ''kami''-Religion zieht und das auch heute noch prägend für viele Bereiche der japanischen Gesellschaft ist, nämlich eine sehr ausgeprägte Vorstellung von ritueller Reinheit bzw. — negativ ausgedrückt —  die Angst vor ritueller Verunreinigung ({{g|kegare}}). Eine solche Verunreinigung zieht den Unwillen der ''kami'' nach sich und ist daher die Ursache negativer Konsequenzen nicht nur für den einzelnen, sondern für die gesamte Gemeinschaft.
  
Der Tod und alles, was damit zu tun hat, wird als Haupt·quelle der Verun·reini·gung angesehen. Ein·heimi·sche ''kami'' sollen daher mög·lichst nicht mit Zeichen des Todes, ebenso wenig aber auch mit Blut und mit Krank·heiten kon·frontiert werden. Ein heute noch gängiger Nach·hall dieser alten Auf·fassung besteht im all·ge·meinen Brauch, auf den tra·ditio·nellen [[Alltag/Jahr|Neujahr]]sbesuch bei einem Shintō-Schrein zu verzichten, wenn im ver·gange·nen Jahr ein Todes·fall in der Familie eingetreten ist.
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Der Tod und alles, was damit zu tun hat, wird als Hauptquelle der Verunreinigung angesehen. Einheimische ''kami'' sollen daher möglichst nicht mit Zeichen des Todes, ebenso wenig aber auch mit Blut und mit Krankheiten konfrontiert werden. Ein heute noch gängiger Nachhall dieser alten Auffassung besteht im allgemeinen Brauch, auf den traditionellen [[Alltag/Jahr|Neujahr]]sbesuch bei einem Shintō-Schrein zu verzichten, wenn im vergangenen Jahr ein Todesfall in der Familie eingetreten ist.
  
Interessanterweise sind {{g|kannushi|Shintō-Priester}} ganz besonders dazu an·gehalten, Tabu-Regeln zu befolgen und müssen sich daher vor der Ver·un·reinigung durch Krank·heit und Tod besonders in Acht nehmen. Diese Tabu·isierung des Todes kann jedoch meiner Meinung nach nicht von Anfang an Teil des ''kami''-Glaubens gewesen sein. Sie kann erst in Kraft getreten sein, als andere Religionen sich für diesen religiös es·sen·ziel·len Bereich zuständig fühlten. Tat·sächlich nimmt der ja·pan·ische Bud·dhis·mus gerade auf dem Gebiet des [[Mythen/Jenseits|Jenseits]]glaubens und des [[Alltag/Totenriten|Begräbniskult]]s eine be·herr·schende Stellung ein. Das Todes·tabu des Shintō ist daher meiner Meinung nach das Produkt einer his·torischen Arbeits·teilung, nach der Buddhas ten·den·ziell für den Tod und das Jenseits, ''kami'' für das Leben und das Dies·seits zuständig sind.<ref>S. dazu Scheid 2004.</ref>
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Interessanterweise sind {{g|kannushi|Shintō-Priester}} ganz besonders dazu angehalten, Tabu-Regeln zu befolgen und müssen sich daher vor der Verunreinigung durch Krankheit und Tod besonders in Acht nehmen. Diese Tabuisierung des Todes kann jedoch meiner Meinung nach nicht von Anfang an Teil des ''kami''-Glaubens gewesen sein. Sie kann erst in Kraft getreten sein, als andere Religionen sich für diesen religiös essenziellen Bereich zuständig fühlten. Tatsächlich nimmt der japanische Buddhismus gerade auf dem Gebiet des [[Mythen/Jenseits|Jenseits]]glaubens und des [[Alltag/Totenriten|Begräbniskult]]s eine beherrschende Stellung ein. Das Todestabu des Shintō ist daher meiner Meinung nach das Produkt einer historischen Arbeitsteilung, nach der Buddhas tendenziell für den Tod und das Jenseits, ''kami'' für das Leben und das Diesseits zuständig sind.<ref>S. dazu Scheid 2004.</ref>
  
Was die Vorstellung von ''kegare'' von anderen ethischen Ver·haltens·kodices, etwa der {{s|Karma}}-Lehre unter·scheidet, ist die Tat·sache, dass den ''kami'' kein mo·ra·lisches Urteils·vermögen, sondern eher eine spontan-natur·gesetzliche Reaktions·weise, eine Art un·will·kürlicher Unmuts·äußerung unterstellt wird, die nicht lange nach den genauen Um·ständen und Ur·sachen fragt. Dabei spielt es nur eine sekundäre Rolle, ob die Verun·reinigung durch willentliche Über·tretung (Ver·letzung religiöser Tabus) oder unwillkürlich (Krank·heit, Tod, Menstruation, Geburt) herbei·geführt wurde. Üblicher·weise können zwar un·will·kür·liche Ver·letz·ungen des Rein·heits·gebots durch as·ke·tische Praktiken (Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, ...) oder durch bestimmte Reinigungs·zeremonien ({{g|misogi}} oder {{g|harae|''harae''}}) gesühnt werden, um die Gefahr einer gött·lichen Ver·geltung ab·zu·wehren. In Einzel·fällen genügt dies aber nicht  und somit können  auch un·ab·sicht·liche Tabu·über·tre·tungen als Ursache gött·licher Strafen erkannt und ent·spre·chend geahndet werden (z.B. durch Aus·schluss aus der Gemein·schaft).
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Was die Vorstellung von ''kegare'' von anderen ethischen Verhaltenskodices, etwa der {{s|Karma}}-Lehre unterscheidet, ist die Tatsache, dass den ''kami'' kein moralisches Urteilsvermögen, sondern eher eine spontan-naturgesetzliche Reaktionsweise, eine Art unwillkürlicher Unmutsäußerung unterstellt wird, die nicht lange nach den genauen Umständen und Ursachen fragt. Dabei spielt es nur eine sekundäre Rolle, ob die Verunreinigung durch willentliche Übertretung (Verletzung religiöser Tabus) oder unwillkürlich (Krankheit, Tod, Menstruation, Geburt) herbeigeführt wurde. Üblicherweise können zwar unwillkürliche Verletzungen des Reinheitsgebots durch asketische Praktiken (Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, ...) oder durch bestimmte Reinigungszeremonien ({{g|misogi}} oder {{g|harae|''harae''}}) gesühnt werden, um die Gefahr einer göttlichen Vergeltung abzuwehren. In Einzelfällen genügt dies aber nicht  und somit können  auch unabsichtliche Tabuübertretungen als Ursache göttlicher Strafen erkannt und entsprechend geahndet werden (z.B. durch Ausschluss aus der Gemeinschaft).
  
Aus der Sicht einer westlich-auf·kläre·rischen Per·spek·tive wirken viele aus alter Zeit über·lieferten Tabu·regeln ungerecht. Im modernen Japan spielen sie denn auch meist nur noch eine unter·geord·nete Rolle. Wenn es aber um den Tod geht, hat man doch den Ein·druck, dass die gene·relle Scheu vor ''kegare'' nach wie vor einen wich·tigen Platz in der kultu·rellen Befind·lich·keit Japans ein·nimmt.
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Aus der Sicht einer westlich-aufklärerischen Perspektive wirken viele aus alter Zeit überlieferten Taburegeln ungerecht. Im modernen Japan spielen sie denn auch meist nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn es aber um den Tod geht, hat man doch den Eindruck, dass die generelle Scheu vor ''kegare'' nach wie vor einen wichtigen Platz in der kulturellen Befindlichkeit Japans einnimmt.
  
 
== Trennung von Shintō und Buddhismus ==
 
== Trennung von Shintō und Buddhismus ==
  
Shintō und Buddhismus ergänzen sich also, sie stehen in einem arbeit·steiligen Ver·hält·nis zu·einander. Dieses Ver·hält·nis ist aber keines·wegs aus·gewogen. Über weite Strecken der ja·panischen Religions·geschichte scheinen die ''kami'' nicht für viel mehr als für religiöse Hilfs·dienste zuständig gewesen zu sein. Gleich·zeitig waren sie der all·ge·meinen Be·völk·erung näher als die Buddhas, ähnlich wie Polizisten der all·ge·meinen Be·völk·erung näher sind als Richter.
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Shintō und Buddhismus ergänzen sich also, sie stehen in einem arbeitsteiligen Verhältnis zueinander. Dieses Verhältnis ist aber keineswegs ausgewogen. Über weite Strecken der japanischen Religionsgeschichte scheinen die ''kami'' nicht für viel mehr als für religiöse Hilfsdienste zuständig gewesen zu sein. Gleichzeitig waren sie der allgemeinen Bevölkerung näher als die Buddhas, ähnlich wie Polizisten der allgemeinen Bevölkerung näher sind als Richter.
  
Shintō und Bud·dhis·mus lassen sich daher gar nicht so leicht als gleich·wertige Religionen gegen·über stellen. Nachdem sich der Bud·dhis·mus dank der massiven Förderung durch den antiken ja·pani·schen Staat als Quasi-Staats·religion durch·gesetzt hatte, musste der ''kami''-Glauben erst eine Reihe von Trans·formationen durchlaufen, bevor er allgemein als ver·gleich·bar und zugleich als gegen·sätzlich zum Bud·dhis·mus auf·gefasst wurde. Erst in diesem Pro·zess beginnen sich die Um·risse von „Shintō“ als eigen·ständiger Religion langsam ab·zu·zeichnen. (s. Sidepage [[Grundbegriffe/Shinto/Jindo|''Shintō'' und ''jindō'']].)
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Shintō und Buddhismus lassen sich daher gar nicht so leicht als gleichwertige Religionen gegenüber stellen. Nachdem sich der Buddhismus dank der massiven Förderung durch den antiken japanischen Staat als Quasi-Staatsreligion durchgesetzt hatte, musste der ''kami''-Glauben erst eine Reihe von Transformationen durchlaufen, bevor er allgemein als vergleichbar und zugleich als gegensätzlich zum Buddhismus aufgefasst wurde. Erst in diesem Prozess beginnen sich die Umrisse von „Shintō“ als eigenständiger Religion langsam abzuzeichnen. (s. Sidepage [[Grundbegriffe/Shinto/Jindo|''Shintō'' und ''jindō'']].)
  
Die Wurzeln dieser Ent·wick·lung reichen nicht weiter als ins japanische Mittel·alter zurück. Im drei·zehnten Jahr·hundert ent·standen erste theologische Theorien, die die tra·di·tio·nel·le Hierarchie von ''kami'' und Buddhas um·kehrten, im fünfzehnten Jahr·hundert gaben sich solche Theo·lo·gien die Selbst·bezeich·nung „Shintō“ (s. [[Geschichte/Shinto_Mittelalter|Shintō im Mittelalter]]).  
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Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen nicht weiter als ins japanische Mittelalter zurück. Im dreizehnten Jahrhundert entstanden erste theologische Theorien, die die traditionelle Hierarchie von ''kami'' und Buddhas umkehrten, im fünfzehnten Jahrhundert gaben sich solche Theologien die Selbstbezeichnung „Shintō“ (s. [[Geschichte/Shinto_Mittelalter|Shintō im Mittelalter]]).  
  
In der {{g|Edo}}-Zeit (1600–1867) wurde der Bud·dhismus zu einem Werk·zeug der staat·lichen Ver·wal·tung und der ideo·lo·gischen Kontrolle (s. [[geschichte/Terauke|Inquisition unter buddhistischen Vorzeichen]]). Zu·gleich gab es die ersten Be·stre·bun·gen, ''kami''-Schreine gegen·über bud·dhis·tischen Tempeln auf·zu·werten und unter In·tel·lek·tu·ellen wurde es all·mählich üblich, „Shintō“ als generelle Be·zeichnung der ein·heimischen Religion zu verwenden. In den allgemeinen Wort·schatz ging dieser Begriff aber erst nach dem politischen Umbruch von 1868 ein, als man versuchte, Shintō als National·religion zu etablieren. Dieses Vor·haben, das von einer Welle anti-bud·dhis·tischer Aus·schrei·tungen begleitet war, markierte auch in recht·licher Hinsicht einen deut·lichen Ein·schnitt gegenüber den syn·kre·tis·tischen Glaubens·formen der Ver·gangen·heit: Bereits 1868 wurde ein Gesetz erlassen, das die all·gemeine Praxis, Buddhas und ''kami'' am gleichen Ort zu verehren, verbot ({{g|shinbutsubunrirei}}). Viele bud·dhis·tische Tempel, aber auch manche Shintō-Schreine mussten daher abgerissen werden, viele religiöse Tra·ditio·nen wurden voll·kommen ausgelöscht.
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In der {{g|Edo}}-Zeit (1600–1867) wurde der Buddhismus zu einem Werkzeug der staatlichen Verwaltung und der ideologischen Kontrolle (s. [[geschichte/Terauke|Inquisition unter buddhistischen Vorzeichen]]). Zugleich gab es die ersten Bestrebungen, ''kami''-Schreine gegenüber buddhistischen Tempeln aufzuwerten und unter Intellektuellen wurde es allmählich üblich, „Shintō“ als generelle Bezeichnung der einheimischen Religion zu verwenden. In den allgemeinen Wortschatz ging dieser Begriff aber erst nach dem politischen Umbruch von 1868 ein, als man versuchte, Shintō als Nationalreligion zu etablieren. Dieses Vorhaben, das von einer Welle anti-buddhistischer Ausschreitungen begleitet war, markierte auch in rechtlicher Hinsicht einen deutlichen Einschnitt gegenüber den synkretistischen Glaubensformen der Vergangenheit: Bereits 1868 wurde ein Gesetz erlassen, das die allgemeine Praxis, Buddhas und ''kami'' am gleichen Ort zu verehren, verbot ({{g|shinbutsubunrirei}}). Viele buddhistische Tempel, aber auch manche Shintō-Schreine mussten daher abgerissen werden, viele religiöse Traditionen wurden vollkommen ausgelöscht.
  
Diese Politik wurde im Zuge einer all·gemein anti-bud·dhis·tischen Stim·mung zunächst von breiten Teilen der Be·völkerung unterstützt, stieß al·ler·dings in der Praxis auf er·heb·liche Wider·stände. Nach einer kurzen Phase der Be·geist·erung geriet die gewalt·same Tren·nung von Buddhas und ''kami'' daher ins Stocken und ist bis heute nur un·voll·ständig vollzogen: Noch heute gibt es neben jedem großen bud·dhis·tischen Tempel auch einen kleinen Schrein für den shintō·istischen Schutz·gott des Tempels und noch heute werden bud·dhis·tische Gestalten in {{g|jinja|Shintō-Schreinen}} verehrt.
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Diese Politik wurde im Zuge einer allgemein anti-buddhistischen Stimmung zunächst von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt, stieß allerdings in der Praxis auf erhebliche Widerstände. Nach einer kurzen Phase der Begeisterung geriet die gewaltsame Trennung von Buddhas und ''kami'' daher ins Stocken und ist bis heute nur unvollständig vollzogen: Noch heute gibt es neben jedem großen buddhistischen Tempel auch einen kleinen Schrein für den shintōistischen Schutzgott des Tempels und noch heute werden buddhistische Gestalten in {{g|jinja|Shintō-Schreinen}} verehrt.
  
Die Politik der {{g|Meiji}}-Zeit hatte aber dennoch zur Folge, dass Shintō als Iden·ti·täts·merkmal der ja·panischen Kultur anerkannt wurde und in dieser Form in den Brenn·punkt religions·geschichtlicher De·bat·ten rückte. Weite Kreise in·ner·halb der ja·panischen Forschung und der frühen west·lichen Japanologie ten·dierten von nun an dazu, Shintō als japanische Ur·religion anzusehen, die all·er·dings lange Zeit hindurch vom Bud·dhis·mus „überlagert“ gewesen war. Erst in den letzten Jahren hat sich dieses Bild re·la·tiviert und man beginnt, in den Formen der Koexistenz von Buddhismus und ''kami''-Glauben eine eigene Form der japanischen Religion zu erkennen, von der sich „Shintō“ erst nach und nach weg ent·wickelte. Eine eindeutige De·finition von „Shintō“ ist aller·dings auch von der neueren For·schung noch nicht entwickelt worden.
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Die Politik der {{g|Meiji}}-Zeit hatte aber dennoch zur Folge, dass Shintō als Identitätsmerkmal der japanischen Kultur anerkannt wurde und in dieser Form in den Brennpunkt religionsgeschichtlicher Debatten rückte. Weite Kreise innerhalb der japanischen Forschung und der frühen westlichen Japanologie tendierten von nun an dazu, Shintō als japanische Urreligion anzusehen, die allerdings lange Zeit hindurch vom Buddhismus „überlagert“ gewesen war. Erst in den letzten Jahren hat sich dieses Bild relativiert und man beginnt, in den Formen der Koexistenz von Buddhismus und ''kami''-Glauben eine eigene Form der japanischen Religion zu erkennen, von der sich „Shintō“ erst nach und nach weg entwickelte. Eine eindeutige Definition von „Shintō“ ist allerdings auch von der neueren Forschung noch nicht entwickelt worden.
  
 
==Shintō und Nationalismus==
 
==Shintō und Nationalismus==
  
In den ersten Jahrzehnten nach der {{g|meijiishin|Meiji Restauration}} (1868) durchlief die japanische Religions·politik eine Art ''trial-and-error''-Phase, in der der Shintō — oder besser gesagt die japanischen ''kami''-Schreine —  einmal mehr einmal weniger im Zentrum der politischen Auf·merk·samkeit standen. Institutionen, die als ideologisches Zentrum staatlich organisierter Schrein·kulte fungieren sollten, lösten sich in rascher Folge ab. Mit den ersten militärischen Erfolgen des modernen Japan (insbesondere nach dem Russo-Japanischen Krieg 1904–05) wurde Shintō stärker in den Dienst eines aggressiven National·ismus gestellt, der die Annexion und Kolo·niali·sierung umliegender asiatischer Länder recht·fertigen sollte. Der sich so ent·wickelnde Staats·shintō ({{g|kokkashintou}}) kulminierte schließ·lich in der Zeit des sog. Ultra·nationalismus von den dreißiger Jahren bis zum Zweiten Welt·krieg. Mit der Niederlage Japans verlor dieser Staats·shintō sowohl seine rechtliche Basis als auch seine Glaub·würdigkeit, während der Begriff Shintō als Bezeichnung für die ein·heimische Religion nach wie vor in Ver·wendung blieb. Dies mag ein weiterer Grund für die eingangs erwähnte Tatsache sein, dass dem Begriff ein negativer Bei·geschmack anhaftet und viele Japaner ihn vermeiden. Das gilt natürlich nicht für die Ver·treter des Shintō selbst. Sie sind großteils bemüht, „Shintō“ von der Asso·ziation mit dem Staats·shintō rein zu waschen. Andererseits spielt die Ideologie des Staats·shintō in rechts·extremen Kreisen nach wie vor eine wichtige Rolle und auch die konservative Liberal Demo·kratische Partei (LDP), die seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen an der Regierung ist, kann sich nicht zu einer eindeutigen Ablehnung aller Reste des Staats·shintō durchringen. Das Thema Shintō spiegelt daher die Schwierig·keiten wider, die Japan als ganzes mit der Be·wältigung seiner nationalistischen Ver·gang·en·heit hat. (Siehe dazu auch das Beispiel des {{g|yasukunijinja|Yasukuni}} Schreins.)
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In den ersten Jahrzehnten nach der {{g|meijiishin|Meiji Restauration}} (1868) durchlief die japanische Religionspolitik eine Art ''trial-and-error''-Phase, in der der Shintō — oder besser gesagt die japanischen ''kami''-Schreine —  einmal mehr einmal weniger im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit standen. Institutionen, die als ideologisches Zentrum staatlich organisierter Schreinkulte fungieren sollten, lösten sich in rascher Folge ab. Mit den ersten militärischen Erfolgen des modernen Japan (insbesondere nach dem Russo-Japanischen Krieg 1904–05) wurde Shintō stärker in den Dienst eines aggressiven Nationalismus gestellt, der die Annexion und Kolonialisierung umliegender asiatischer Länder rechtfertigen sollte. Der sich so entwickelnde Staatsshintō ({{g|kokkashintou}}) kulminierte schließlich in der Zeit des sog. Ultranationalismus von den dreißiger Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg. Mit der Niederlage Japans verlor dieser Staatsshintō sowohl seine rechtliche Basis als auch seine Glaubwürdigkeit, während der Begriff Shintō als Bezeichnung für die einheimische Religion nach wie vor in Verwendung blieb. Dies mag ein weiterer Grund für die eingangs erwähnte Tatsache sein, dass dem Begriff ein negativer Beigeschmack anhaftet und viele Japaner ihn vermeiden. Das gilt natürlich nicht für die Vertreter des Shintō selbst. Sie sind großteils bemüht, „Shintō“ von der Assoziation mit dem Staatsshintō rein zu waschen. Andererseits spielt die Ideologie des Staatsshintō in rechtsextremen Kreisen nach wie vor eine wichtige Rolle und auch die konservative Liberal Demokratische Partei (LDP), die seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen an der Regierung ist, kann sich nicht zu einer eindeutigen Ablehnung aller Reste des Staatsshintō durchringen. Das Thema Shintō spiegelt daher die Schwierigkeiten wider, die Japan als ganzes mit der Bewältigung seiner nationalistischen Vergangenheit hat. (Siehe dazu auch das Beispiel des {{g|yasukunijinja|Yasukuni}} Schreins.)
  
Im Westen ist der Begriff Shintō selbst zwar im All·gemeinen nicht mit dem Stigma des National·ismus behaftet (dafür ist der Begriff einfach zu fremd und exotisch), aber die wissen·schaft·liche Be·schäft·igung mit dem Thema hat nach dem Zweiten Welt·krieg doch spürbar nachgelassen. Shintō wurde zu einer Art Tabuthema. Erst in jüngerer Zeit gibt es wieder Ansätze, sowohl den Staats·shintō als auch die Ursachen seiner Ent·stehung historisch auf·zu·arbeiten und in Relation zur gesamten Religions·geschichte Japans zu stellen.
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Im Westen ist der Begriff Shintō selbst zwar im Allgemeinen nicht mit dem Stigma des Nationalismus behaftet (dafür ist der Begriff einfach zu fremd und exotisch), aber die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema hat nach dem Zweiten Weltkrieg doch spürbar nachgelassen. Shintō wurde zu einer Art Tabuthema. Erst in jüngerer Zeit gibt es wieder Ansätze, sowohl den Staatsshintō als auch die Ursachen seiner Entstehung historisch aufzuarbeiten und in Relation zur gesamten Religionsgeschichte Japans zu stellen.
  
 
==Kategorien von Shintō==
 
==Kategorien von Shintō==
  
Als sich Anfang der Meiji-Zeit her·aus·stellte, dass sich die Idee von Shintō als Staats·religion nicht ohne weiteres durch·setzen ließ, rückte die Meiji-Regierung von der Vor·stellung ab, eine Staats·religion nach dem Muster europäisch-christlicher National·staaten zu in·stal·lieren. Dennoch sollten die all·gemeinen Bürger·pflichten sowie der Respekt gegenüber Staat und Tennō mithilfe des Shintō ge·fördert werden. Shintō wurde aus diesem Grund of·fi·ziell nicht als „Religion“, sondern als „Zere·monial·system“ definiert. Dieses Zeremonialsystem war in erster Linie die Ver·eh·rung des Tennō ausgerichtet, seine Be·fol·gung galt als pa·trio·tische Pflicht. Alle Shintō-Schreine hatten sich diesem Zweck unter·zu·ordnen. Es wurde jedoch an·erkannt, dass es auch einzelne Shintō-Sekten gab, die „religöse“ An·liegen im Sinne einer trans·zendenten Heils·lehre ähnlich dem Buddhis·mus oder dem Christen·tum propa·gierten. Aus der Unter·scheidung dieser beiden Arten von Shintō ent·wi·ckel·ten sich die Ka·te·gorien Schrein Shintō ({{g|jinjashintou}}) und Sekten-Shintō ({{g|kyouhashintou}}), womit im wesent·lichen Shintō-Richt·ungen ge·meint waren, die zu dieser Zeit (19. Jh.) neu ent·standen waren und heute zu den [[Geschichte/Neue Religionen|Neuen Religionen]] ge·rechnet werden.
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Als sich Anfang der Meiji-Zeit herausstellte, dass sich die Idee von Shintō als Staatsreligion nicht ohne weiteres durchsetzen ließ, rückte die Meiji-Regierung von der Vorstellung ab, eine Staatsreligion nach dem Muster europäisch-christlicher Nationalstaaten zu installieren. Dennoch sollten die allgemeinen Bürgerpflichten sowie der Respekt gegenüber Staat und Tennō mithilfe des Shintō gefördert werden. Shintō wurde aus diesem Grund offiziell nicht als „Religion“, sondern als „Zeremonialsystem“ definiert. Dieses Zeremonialsystem war in erster Linie die Verehrung des Tennō ausgerichtet, seine Befolgung galt als patriotische Pflicht. Alle Shintō-Schreine hatten sich diesem Zweck unterzuordnen. Es wurde jedoch anerkannt, dass es auch einzelne Shintō-Sekten gab, die „religöse“ Anliegen im Sinne einer transzendenten Heilslehre ähnlich dem Buddhismus oder dem Christentum propagierten. Aus der Unterscheidung dieser beiden Arten von Shintō entwickelten sich die Kategorien Schrein Shintō ({{g|jinjashintou}}) und Sekten-Shintō ({{g|kyouhashintou}}), womit im wesentlichen Shintō-Richtungen gemeint waren, die zu dieser Zeit (19. Jh.) neu entstanden waren und heute zu den [[Geschichte/Neue Religionen|Neuen Religionen]] gerechnet werden.
  
Nach dem Zweiten Welt·krieg wurde die Religions·politik, die Shintō zwar nicht als Religion ansah, aber sehr wohl in den Dienst national·istischer Pro·paganda stellte, insgesamt als „Staats-Shintō“ ({{g|kokkashintou}}) bezeichnet. Zugleich wurde „Schrein-Shintō“ als Religion angesehen und aus dem Staats·kult herausgelöst. Diese Tren·nung von Religion und Staat wurde nach einer ent·sprechenden An·weisung seitens der ameri·kanischen Besatzung sogar verfassungs·mäßig besiegelt. Was unklar blieb und bis heute bleibt, ist die Ver·bin·dung des Schrein-Shintō mit dem Tennō. Um hier eine Trenn·linie zu ziehen, wird gelegentlich der sog. „imperiale Shintō“ ({{g|koushitsushintou}}) als eigene Ka·te·go·rie von Shintō definiert, um die tra·di·tionel·len ''kami''-Kulte des kaiser·lichen Hofes von sons·tigen Schrein·riten zu unter·scheiden. Au·ßer·dem ist häufig von „Volks·shintō“ ({{g|minzokushintou}} = lokales religiöses Brauch·tum) als weiterer Ka·te·go·rie die Rede.
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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Religionspolitik, die Shintō zwar nicht als Religion ansah, aber sehr wohl in den Dienst nationalistischer Propaganda stellte, insgesamt als „Staats-Shintō“ ({{g|kokkashintou}}) bezeichnet. Zugleich wurde „Schrein-Shintō“ als Religion angesehen und aus dem Staatskult herausgelöst. Diese Trennung von Religion und Staat wurde nach einer entsprechenden Anweisung seitens der amerikanischen Besatzung sogar verfassungsmäßig besiegelt. Was unklar blieb und bis heute bleibt, ist die Verbindung des Schrein-Shintō mit dem Tennō. Um hier eine Trennlinie zu ziehen, wird gelegentlich der sog. „imperiale Shintō“ ({{g|koushitsushintou}}) als eigene Kategorie von Shintō definiert, um die traditionellen ''kami''-Kulte des kaiserlichen Hofes von sonstigen Schreinriten zu unterscheiden. Außerdem ist häufig von „Volksshintō“ ({{g|minzokushintou}} = lokales religiöses Brauchtum) als weiterer Kategorie die Rede.
  
Versucht man, diese Ka·te·gor·ien klar und his·torisch kon·sis·tent von einander abzu·grenzen, stößt man auf unüber·windliche Schwierig·keiten. So lässt sich der „imperiale Shintō“ nicht klar vom „Schrein-Shintō“ trennen, da er selbst auf den Tradi·tionen einzelner Schreine beruht. Allerdings ordnen sich nicht alle Schreine dem Anspruch des Tennō unter, Ober·haupt der Shintō Religion zu sein. Noch schwie·riger wird die Si·tua·tion beim Begriff „Volks·shintō“: Sucht man in Japan außer·halb der etab·lierten Schrein·tradi·tionen nach volks·religiösem Brauchtum, findet man beispiels·weise Be·sessen·heits·kulte, in denen Heiler mit der Hilfe von Medien Geister aus dem Jen·seits sprechen lassen (Bsp. {{g|Itako}}). Solche Kulte werden heute aber weder von of·fi·ziel·len Shintō-Orga·nisa·tionen, noch vom Bud·dhis·mus anerkannt. Die Heiler selbst bedienen sich im übrigen sowohl bud·dhis·tischer als auch shin·tō·is·tischer Konzepte. Es gibt also tat·säch·lich starke volks·reli·giöse Traditionen in Japan, aber diese ent·ziehen sich der ein·deu·tigen Zu·ordnung zu Shintō oder Buddhismus. Um die Ver·wirrung perfekt zu machen, leben viele dieser Tradi·tionen, bei·spiels·weise Be·sessen·heits·kulte, im so·ge·nannten „Sekten-Shintō“ weiter fort, der seiner·seits zu den [[Geschichte/Neue_Religionen|Neuen Religionen]] gezählt wird.
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Versucht man, diese Kategorien klar und historisch konsistent von einander abzugrenzen, stößt man auf unüberwindliche Schwierigkeiten. So lässt sich der „imperiale Shintō“ nicht klar vom „Schrein-Shintō“ trennen, da er selbst auf den Traditionen einzelner Schreine beruht. Allerdings ordnen sich nicht alle Schreine dem Anspruch des Tennō unter, Oberhaupt der Shintō Religion zu sein. Noch schwieriger wird die Situation beim Begriff „Volksshintō“: Sucht man in Japan außerhalb der etablierten Schreintraditionen nach volksreligiösem Brauchtum, findet man beispielsweise Besessenheitskulte, in denen Heiler mit der Hilfe von Medien Geister aus dem Jenseits sprechen lassen (Bsp. {{g|Itako}}). Solche Kulte werden heute aber weder von offiziellen Shintō-Organisationen, noch vom Buddhismus anerkannt. Die Heiler selbst bedienen sich im übrigen sowohl buddhistischer als auch shintōistischer Konzepte. Es gibt also tatsächlich starke volksreligiöse Traditionen in Japan, aber diese entziehen sich der eindeutigen Zuordnung zu Shintō oder Buddhismus. Um die Verwirrung perfekt zu machen, leben viele dieser Traditionen, beispielsweise Besessenheitskulte, im sogenannten „Sekten-Shintō“ weiter fort, der seinerseits zu den [[Geschichte/Neue_Religionen|Neuen Religionen]] gezählt wird.
  
Die Versuche, Shintō in ver·schie·dene Kategorien zu unterteilen und auf diese Weise schlüs·sig dar·zu·stel·len, haben also bisher zu keinen be·friedigend·en Er·geb·nissen, sondern eher zurück in die ideo·logi·schen Fall·stricke des Staats·shintō geführt. Moderne Religions·historiker ziehen unter·schiedliche Kon·sequen·zen aus diesem konzep·tionellen Wirr·warr. Manche ver·meiden den Begriff „Shintō“ überhaupt, zu·mindest wenn es sich um histo·rische Themen handelt. {{g|naumannnelly|Nelly Naumann}}, die sich als Expertin der ja·panischen Myth·olo·gie einen Namen gemacht hat, spricht bei·spiels·weise in ihrem Haupt·werk lediglich von der „ein·heimischen Religion Japans“. Ich selbst sympa·thisiere mit diesem An·satz und verwende am liebsten den Begriff ''kami''-Glaube. Im Rahmen dieser Web·site wird der Begriff „Shintō“ jedoch der all·gemeinen Ver·ständ·lich·keit halber bisweilen auch dort ver·wendet, wo man ihn besser unter geistige An·führungs·striche setzen sollte.
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Die Versuche, Shintō in verschiedene Kategorien zu unterteilen und auf diese Weise schlüssig darzustellen, haben also bisher zu keinen befriedigenden Ergebnissen, sondern eher zurück in die ideologischen Fallstricke des Staatsshintō geführt. Moderne Religionshistoriker ziehen unterschiedliche Konsequenzen aus diesem konzeptionellen Wirrwarr. Manche vermeiden den Begriff „Shintō“ überhaupt, zumindest wenn es sich um historische Themen handelt. {{g|naumannnelly|Nelly Naumann}}, die sich als Expertin der japanischen Mythologie einen Namen gemacht hat, spricht beispielsweise in ihrem Hauptwerk lediglich von der „einheimischen Religion Japans“. Ich selbst sympathisiere mit diesem Ansatz und verwende am liebsten den Begriff ''kami''-Glaube. Im Rahmen dieser Website wird der Begriff „Shintō“ jedoch der allgemeinen Verständlichkeit halber bisweilen auch dort verwendet, wo man ihn besser unter geistige Anführungsstriche setzen sollte.
 
{{ThisWay|Grundbegriffe/Stereotype}}
 
{{ThisWay|Grundbegriffe/Stereotype}}
 
{{Verweise   
 
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|links=
 
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* [http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/ ''Encyclopedia of Shintō''], Inoue Nobutaka (Hg.)<br/>Englische Online Version des enzyklopädischen Wörterbuchs ''Shintō Jiten ''(1994). Ehr·geizigstes und viel·ver·sprech·endstes Web Projekt der Kokugakuin Daigaku.
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* [http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/ ''Encyclopedia of Shintō''], Inoue Nobutaka (Hg.)<br/>Englische Online Version des enzyklopädischen Wörterbuchs ''Shintō Jiten ''(1994). Ehrgeizigstes und vielversprechendstes Web Projekt der Kokugakuin Daigaku.
 
* [http://www2.kokugakuin.ac.jp/ijcc/wp/ Web Versions of IJCC Publications], Kokugakuin Daigaku<br/>Online Resources der gleichen Universität, vor allem einzelne Fachartikel in Englisch.
 
* [http://www2.kokugakuin.ac.jp/ijcc/wp/ Web Versions of IJCC Publications], Kokugakuin Daigaku<br/>Online Resources der gleichen Universität, vor allem einzelne Fachartikel in Englisch.
 
* [http://www.jinjahoncho.or.jp/en/ Jinja Honchō - The Association of Shintō Shrines] (en., jap.)<br/>Offizielle Website der 1946 gegründeten Dachorganisation japanischer Schreine. Vertritt das oben beschriebene, traditionelle Shintō-Bild.
 
* [http://www.jinjahoncho.or.jp/en/ Jinja Honchō - The Association of Shintō Shrines] (en., jap.)<br/>Offizielle Website der 1946 gegründeten Dachorganisation japanischer Schreine. Vertritt das oben beschriebene, traditionelle Shintō-Bild.
 
|update= Jul. 2020
 
|update= Jul. 2020
 
|literatur=
 
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Viele Einführungswerke des Shintō vertreten einen Ansatz, der mir aus den oben ge·schilderten Gründen problematisch erscheint, und können daher nicht wirklich empfohlen werden.  
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Viele Einführungswerke des Shintō vertreten einen Ansatz, der mir aus den oben geschilderten Gründen problematisch erscheint, und können daher nicht wirklich empfohlen werden.  
 
Es gibt allerdings auch empfehlenswerte neuere Gesamtdarstellungen:  
 
Es gibt allerdings auch empfehlenswerte neuere Gesamtdarstellungen:  
 
{{Literatur:Inoue, Endo, Mori, Ito 2003}}
 
{{Literatur:Inoue, Endo, Mori, Ito 2003}}

Version vom 20. August 2021, 09:28 Uhr

Shintō Versuch einer Begriffsbestimmung

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Das Wort shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] bedeutet wörtlich „Weg der Götter“ und wird landläufig als Selbstbezeichnung der einheimischen Religion Japans angegeben. Auf den ersten Blick scheint diese Definition unproblematisch. Was einen ein wenig stutzig machen könnte, ist lediglich, dass „shintō“ offenbar ein Wort chinesischen Ursprungs ist und dass es sich keineswegs um ein häufig gebrauchtes Vokabel handelt. Wer ein modernes japanisches Textverarbeitungsprogramm benützt und die Silben „shin-tou“ eintippt, erhält als Kanji-Schreibung meist homophone Begriffe wie „shintō [shintō (jap.) 新党 Neue Partei (Homonym von Shinto)], Neue Partei“ oder „shintō [shintō (jap.) 浸透 Osmose (Homonym von Shinto)], Osmose“ vorgeschlagen, bevor die Zeichen 神 (Gottheit) und 道 (Weg) erscheinen. Shintō im religiösen Sinn ist tatsächlich im Alltagsjapanisch kaum gebräuchlich. Selbst hinsichtlich der Aussprache (shintō oder shindō) sind sich moderne Japaner nicht immer sicher. Woher kommt diese erstaunliche Zurückhaltung gegenüber einem Wort, das mitunter als Inbegriff des Japanischen schlechthin dargestellt wird?

Generelle Merkmale

For the whole Sintos Religion is so mean and simple, that besides a heap of fabulous and romantick stories of their Gods, Demi-gods and Heroes, inconsistent with reason and common sense, their Divines have nothing, neither in their sacred Books, nor by Tradition, wherewithal to satisfy the Inquiries of curious persons, about the nature and essence of their Gods, about their power and government, about the future state of our Soul, and such other essential points.

Engelbert Kaempfer, 17921

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Das obige Zitat aus einem der frühesten Reiseberichte über Japan von Engelbert Kaempfer [Kaempfer, Engelbert (west.) 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung] lässt erkennen, dass Shintō bereits im 17. Jahrhundert die meisten ausländischen Beobachter ratlos zurückließ, da sie sich mit der scheinbaren Einfachheit der Religion nicht zurecht fanden. In der neueren Einführungsliteratur wird Shintō daher gerne mit der japanischen Urreligion gleichgesetzt. Oft wird zugleich der Eindruck vermittelt, es handle sich um einen besonders archaischen Glauben, der in Japan — im Gegensatz zu anderen Urreligionen — auf mirakulöse Weise in die Moderne hinüber gerettet worden wäre. Dies verleitet wiederum zu dem Trugschluss, Shintō habe in vorbuddhistischer Zeit bereits genau so ausgesehen wie heute. Bei näherer Betrachtung stößt man allerdings rasch auf Widersprüche in diesem Modell und es stellt sich heraus, dass vieles, was uns heute als typisch shintōistisch erscheint, eigentlich buddhistische Wurzeln hat oder gerade in den Jahrzehnten vor Kaempfers Besuch bewusst archaisiert wurde. Was sind nun die Elemente, an denen man so etwas wie eine Identität des Shintō festmachen könnte?

Schreine (jinja)

Die Shintō-Religion besitzt eine große Zahl klar definierter Orte, an denen sie praktiziert wird, nämlich die Shintō-Schreine (jinja [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)]). Schreine stellen quasi die räumliche Basis des Shintō dar. Wie im Kapitel Bauten genauer erörtert, handelt es sich bei „Schreinen“ um Orte, an denen die dort verehrten Gottheiten „wohnen“. Wenn man einen Schrein aufsucht, begibt man sich also in die unmittelbare Nähe einer Gottheit. Hier richtet man zumeist Gebete und Opfergaben an eine oder mehrere Gottheiten, um im Austausch dafür bestimmte Vorteile zu erhalten. Obwohl die genauen Funktionen von Schreinen verschieden sein können und auch großen historischen Veränderungen unterworfen waren, sind gewissen bauliche Merkmale von Schreinen über lange Zeit erstaunlich konstant geblieben. Es ist diese Konstanz in den äußeren Formen, die den Eindruck erweckt, Shintō sei insgesamt ein unveränderliches, geschichtsloses Phänomen.

Torii

Die markantesten bauliche Merkmal eines Shintō-Schreins sind frei stehende symbolische Durchgänge bestehend aus zwei einfachen Pfosten und zwei Querbalken, die torii [torii (jap.) 鳥居 Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami] genannt werden. Sie sind heute vor allen Schreinen zu finden und eignen sich daher auch als Emblem der Shintō-Religion allgemein. Ob dies allerdings schon in vorbuddhistischer Zeit so war oder ob torii vielleicht erst mit dem Buddhismus [bukkyō (jap.) 仏教 Lehre des Buddha, Buddhismus] nach Japan kamen, ist fraglich. In früheren Zeiten muss es jedenfalls auch buddhistische Tempel gegeben haben, die man durch torii betrat. Einer der ältesten buddhistischen Tempel Japans, der Shitennō-ji [Shitennō-ji (jap.) 四天王寺 buddh. Tempel im heutigen Ōsaka; zählt zusammen mit dem Asuka-dera zu den beiden ältesten Tempeln Japans (Gründung 593)] in Osaka, zählt heute noch dazu. Spätestens ab der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit waren aber Schreine anhand von torii zu identifizieren (mehr dazu im Kapitel Bauten, Torii).

Kami

Schon vor Übernahme des Buddhismus nannten die Japaner ihre Götter und Geister kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]. Der Begriff kami hielt sich durch alle Phasen der japanischen Religionsgeschichte, auch wenn sich damit die unterschiedlichsten religiösen Phänomene bezeichnen lassen. Die Mythen sprechen häufig von yaoyorozu [yaoyorozu (jap.) 八百万 altjap. für „acht Millionen“ bzw. unendlich viele] no kami, wtl. acht Millionen Götter, was aber genauso als Ausdruck einer unvorstellbar großen Zahl aufgefasst wird.

Japanische Shintō-Schreine sind zumeist namentlich bekannten Gottheiten geweiht, die teils den alten Mythen entstammen, oft aber auch durch den Buddhismus nach Japan kamen oder aus historischen, später vergöttlichten Persönlichkeiten entstanden sind. Das bekannteste Beispiel einer mythologischen Gottheit ist Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise] mit dem Hauptschrein in Ise [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū]. Die meisten der Sieben Glücksgötter entstammen dagegen dem Buddhismus oder leiten sich von anderen nicht-japanischen Vorbildern her. Ein berühmtes Beispiel für die Vergöttlichung einer historischen Persönlichkeit ist Tokugawa Ieyasu [Tokugawa Ieyasu (jap.) 徳川家康 1543–1616; Begründer des Tokugawa Shogunats; Reichseiniger], der im bekannten Tōshō-gū [Tōshō-gū (jap.) 東照宮 Tōshō Schrein, Mausoleum des Tokugawa Ieyasu in Nikkō, Präf. Tochigi] Schrein in Nikkō [Nikkō (jap.) 日光 Tempel-Schreinanlage im Norden der Kantō-Ebene, Präf. Tochigi; beherbergt u.a. den Tōshō-gū Schrein] verehrt wird.

Laut einer klassischen Definition des Shintō-Gelehrten Motoori Norinaga [Motoori Norinaga (jap.) 本居宣長 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)] kann alles, was in irgend einer Weise außergewöhnlich und ehrfurchtgebietend ist, kami genannt werden, unabhängig davon, ob es sich um etwas Gutes oder Schlechtes, Erhabenes oder Abstoßendes handelt. Neben eindrucksvollen Naturerscheinungen wie Bergen, Bäumen oder Flüssen können auch Menschen oder Tiere als kami bezeichnet werden. Motooris Zitat lautet in wörtlicher Übersetzung:

Norinaga2.jpg
1 Motoori Norinaga
Portrait des Gelehrten Norinaga im Alter von 61 Jahren.
Werk von Yoshikawa Yoshinobu. Edo-Zeit, 1790. Motoori Norinaga Museum.

Was man unter kami versteht, sind zum einen die Gottheiten von Himmel und Erde, wie wir sie in den alten Klassikern finden, und zum anderen die Seelengeister (mitama), die in den verschiedenen Schreinen verehrt werden. Ferner können natürlich auch Menschen, ebenso wie Tiere, Pflanzen, das Meer und die Berge als kami bezeichnet werden, sofern sie eine seltene, ungewöhnliche oder überlegene Kraft besitzen, die Ehrfurcht (kashikoki) hervorruft. „Überlegen“ (suguretaru) bezieht sich dabei nicht nur auf Vornehmes, Gutes und Tugendhaftes, denn auch ungewöhnlich Böses und Absonderliches kann Ehrfurcht hervorrufen und kami genannt werden.2

Norinaga schließt daraus, dass natürlich auch der herrschende Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] und seine Vorfahren kami sind. Im Unterschied zu christlichen Gottesvorstellungen wird diese Göttlichkeit aber nicht aus einem Prinzip (z.B. Allmacht), sondern aus einer Wirkung (ehrfurchtgebietend) abgeleitet. Kami werden also gleichsam empirisch begründet, nämlich aufgrund von besonderen – ansonsten unerklärlichen – Effekten auf die konkrete Lebenswelt der Menschen. Norinaga – und mit ihm viele andere Shintōisten – argumentiert also nicht, dass man aus diesen oder jenen Gründen an die kami glauben muss, sondern setzt den Glauben an schicksalsbestimmende Kräfte als gegeben voraus und nennt diese Kräfte „kami“.

Als allgemeine Charakteristika des kami-Begriffs können somit ihre zahlenmäßige Unbegrenztheit, ihre Vielgestaltigkeit sowie ihr unberechenbarer Einfluss auf das Leben der Menschen festgehalten werden. Diese flexible, moralisch unbestimmte Auffassung von Göttlichkeit hat sich in der japanischen Religion bis heute erhalten. So konnten und können selbst Gegenstände als Gottheiten angesehen und verehrt werden (in erster Linie Schwerter und Spiegel, aber auch unbedeutende und alltägliche Dinge). Zugleich werden auch ausländische Götter und der christliche Gott mit dem Begriff kami bezeichnet. Da es im Japanischen keinen Plural gibt, ist es ohne Weiteres möglich monotheistische und polytheistische Vorstellungen in einem Begriff zu vereinen. Der Begriff kami ist also sehr viel weiter als „Gott“ oder „Gottheit“, schließt diese Vorstellungen aber mit ein.

Dank seiner Vielgestaltigkeit ist es also kaum möglich, den Begriff kami in das Korsett einer bestimmten konfessionellen Religion zu pressen. Und dennoch ist der kami Begiff vielleicht das einzige indigene religiöse Konzept, das sich einer vollkommenen Verschmelzung mit dem Buddhismus entzogen hat. Selbst buddhistische Mönche akzeptierten die kami stets als naturgegebene Realität und versuchten lediglich, sie aus buddhistischer Sicht zu erklären. In den meisten religiösen Zentren, egal ob ursprünglich buddhistisch oder nicht, wurden und werden sowohl Buddhas als auch kami verehrt, es handelt sich also im Grunde um gemischt-religiöse „Tempel-Schrein Anlagen“. Trotz dieser räumlichen Nähe blieb eine gewisse kultische Trennung aufrecht, d.h. buddhistische und einheimische Gottheiten wurden mit jeweils eigenen Riten bedacht und oft auch von jeweils eigenen Priestern betreut.

Shen/shin

In den meisten Komposita, in denen das Zeichen für kami 神 vorkommt, wird die sino-japanische Lesung shin (oder jin) verwendet, etwa in shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] oder jinja [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)]. Die chinesischen Konnotationen des Schriftzeichens sind jedoch mit den oben besprochene Bedeutungen von kami nicht unbedingt identisch und haben wohl ihrerseits dazu beigetragen, den kami-Begriff zu erweitern.

Im chinesischen Kontext lässt sich das Zeichen 神 — auf Chinesisch shen [shen (chin.) Geist (sowohl im Sinne von „Gespenst” als auch von „geistiger Kraft“); jap. shin oder kami] gelesen — am besten mit „Geist“ übersetzen und besitzt in der Tat einen ähnlich großen Bedeutungsumfang wie der deutsche Begriff. D.h. shen kann ebenso ein Gespenst bezeichnen wie den Geist im Unterschied zum Körper oder zur Materie. Es ist zunächst einmal eine unsichtbare Macht (oder unsichtbare Mächte), die wir sowohl außerhalb von uns als auch in uns selbst am Werke finden. In diesem letztere Sinne lässt sich shen z.B. heute noch im japanischen Kompositum seishin 精神 — „Geist“, „Psyche“, wtl. „Fein-Geist“ — wiederfinden. Frühe buddhistische Autoren in China verstanden unter dem Begriff shen hingegen den „reinen Geist“ im Gegensatz zum Alltagsbewusstsein shi 識 (jap. shiki, skt. vijñāna).3 Ähnlich verwendeten auch shintō-buddhistische Theologen des japanischen Mittelalters das Konzept shin 神 (kami) im Sinne von „Geist“, „Bewusstsein“ und setzten es mit seinem japanischen Homonym shin 心 („Herz“, „Bewusstsein“) gleich.

Shen/shin kann also auch das Göttliche bezeichnen, das jedem individuellen Bewusstsein innewohnt, es stellt sozusagen einen Idealzustand des Geistes dar, den der Mensch erreichen kann, wenn er alle „Trübungen“ seines Bewusstseins beseitigt. Dieser Idealzustand wurde in China auch durch Komposita wie shenming 神明 (Geist-hell) oder mingshen 明神 (hell-Geist), also „erleuchtetes Bewusstsein“, ausgedrückt. Interessanterweise wurden diese beiden Begriffe in Japan zu kami-Titeln, wobei Myōjin [Myōjin (jap.) 明神 Titel für eine Schreingottheit (kami), z.B. Kanda Myōjin] 明神 auf verschiedene Schreingötter angewendet werden kann, während shinmei [shinmei (jap.) 神明 generelle Bezeichnung für Schreingottheiten (kami); als Schreinnamen (Shinmei-sha) allerdings nur für Zweigschreine von Ise verwendet; s.a. shinmei-zukuri] 神明 meist spezifisch für Ise [Ise (jap.) 伊勢 vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū] steht. Die buddhistischen Konnotationen dieser Begriffe sind in Japan weitgehend in Vergessenheit geraten, haben aber bei der ursprünglichen Prägung dieser Göttertitel mit Sicherheit eine Rolle gespielt. Kami können daher aus buddhistischer Sicht auch den Zustand der buddhistischen Erleuchtung repräsentieren.

Kegare

Shintō wird häufig als Religion ohne moralisch verbindliche Vorschriften charakterisiert. Tatsächlich gibt es im Shintō nichts, was etwa den fünf Laiengeboten des Buddhismus, oder den Zehn Geboten der Juden und Christen entspricht. Es gibt jedoch ein Merkmal, das sich durch alle dokumentierten Phasen der kami-Religion zieht und das auch heute noch prägend für viele Bereiche der japanischen Gesellschaft ist, nämlich eine sehr ausgeprägte Vorstellung von ritueller Reinheit bzw. — negativ ausgedrückt — die Angst vor ritueller Verunreinigung (kegare [kegare (jap.) 穢れ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande]). Eine solche Verunreinigung zieht den Unwillen der kami nach sich und ist daher die Ursache negativer Konsequenzen nicht nur für den einzelnen, sondern für die gesamte Gemeinschaft.

Der Tod und alles, was damit zu tun hat, wird als Hauptquelle der Verunreinigung angesehen. Einheimische kami sollen daher möglichst nicht mit Zeichen des Todes, ebenso wenig aber auch mit Blut und mit Krankheiten konfrontiert werden. Ein heute noch gängiger Nachhall dieser alten Auffassung besteht im allgemeinen Brauch, auf den traditionellen Neujahrsbesuch bei einem Shintō-Schrein zu verzichten, wenn im vergangenen Jahr ein Todesfall in der Familie eingetreten ist.

Interessanterweise sind Shintō-Priester [kannushi (jap.) 神主 Shintō-Priester; wtl. „Meister der Götter“] ganz besonders dazu angehalten, Tabu-Regeln zu befolgen und müssen sich daher vor der Verunreinigung durch Krankheit und Tod besonders in Acht nehmen. Diese Tabuisierung des Todes kann jedoch meiner Meinung nach nicht von Anfang an Teil des kami-Glaubens gewesen sein. Sie kann erst in Kraft getreten sein, als andere Religionen sich für diesen religiös essenziellen Bereich zuständig fühlten. Tatsächlich nimmt der japanische Buddhismus gerade auf dem Gebiet des Jenseitsglaubens und des Begräbniskults eine beherrschende Stellung ein. Das Todestabu des Shintō ist daher meiner Meinung nach das Produkt einer historischen Arbeitsteilung, nach der Buddhas tendenziell für den Tod und das Jenseits, kami für das Leben und das Diesseits zuständig sind.4

Was die Vorstellung von kegare von anderen ethischen Verhaltenskodices, etwa der Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)]-Lehre unterscheidet, ist die Tatsache, dass den kami kein moralisches Urteilsvermögen, sondern eher eine spontan-naturgesetzliche Reaktionsweise, eine Art unwillkürlicher Unmutsäußerung unterstellt wird, die nicht lange nach den genauen Umständen und Ursachen fragt. Dabei spielt es nur eine sekundäre Rolle, ob die Verunreinigung durch willentliche Übertretung (Verletzung religiöser Tabus) oder unwillkürlich (Krankheit, Tod, Menstruation, Geburt) herbeigeführt wurde. Üblicherweise können zwar unwillkürliche Verletzungen des Reinheitsgebots durch asketische Praktiken (Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, ...) oder durch bestimmte Reinigungszeremonien (misogi [misogi (jap.) Purifikation, Reinigungsritus, rituelle Waschung] oder harae [harae (jap.) Purifikation, Weihezeremonie, Exorzismus]) gesühnt werden, um die Gefahr einer göttlichen Vergeltung abzuwehren. In Einzelfällen genügt dies aber nicht und somit können auch unabsichtliche Tabuübertretungen als Ursache göttlicher Strafen erkannt und entsprechend geahndet werden (z.B. durch Ausschluss aus der Gemeinschaft).

Aus der Sicht einer westlich-aufklärerischen Perspektive wirken viele aus alter Zeit überlieferten Taburegeln ungerecht. Im modernen Japan spielen sie denn auch meist nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn es aber um den Tod geht, hat man doch den Eindruck, dass die generelle Scheu vor kegare nach wie vor einen wichtigen Platz in der kulturellen Befindlichkeit Japans einnimmt.

Trennung von Shintō und Buddhismus

Shintō und Buddhismus ergänzen sich also, sie stehen in einem arbeitsteiligen Verhältnis zueinander. Dieses Verhältnis ist aber keineswegs ausgewogen. Über weite Strecken der japanischen Religionsgeschichte scheinen die kami nicht für viel mehr als für religiöse Hilfsdienste zuständig gewesen zu sein. Gleichzeitig waren sie der allgemeinen Bevölkerung näher als die Buddhas, ähnlich wie Polizisten der allgemeinen Bevölkerung näher sind als Richter.

Shintō und Buddhismus lassen sich daher gar nicht so leicht als gleichwertige Religionen gegenüber stellen. Nachdem sich der Buddhismus dank der massiven Förderung durch den antiken japanischen Staat als Quasi-Staatsreligion durchgesetzt hatte, musste der kami-Glauben erst eine Reihe von Transformationen durchlaufen, bevor er allgemein als vergleichbar und zugleich als gegensätzlich zum Buddhismus aufgefasst wurde. Erst in diesem Prozess beginnen sich die Umrisse von „Shintō“ als eigenständiger Religion langsam abzuzeichnen. (s. Sidepage Shintō und jindō.)

Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen nicht weiter als ins japanische Mittelalter zurück. Im dreizehnten Jahrhundert entstanden erste theologische Theorien, die die traditionelle Hierarchie von kami und Buddhas umkehrten, im fünfzehnten Jahrhundert gaben sich solche Theologien die Selbstbezeichnung „Shintō“ (s. Shintō im Mittelalter).

In der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit (1600–1867) wurde der Buddhismus zu einem Werkzeug der staatlichen Verwaltung und der ideologischen Kontrolle (s. Inquisition unter buddhistischen Vorzeichen). Zugleich gab es die ersten Bestrebungen, kami-Schreine gegenüber buddhistischen Tempeln aufzuwerten und unter Intellektuellen wurde es allmählich üblich, „Shintō“ als generelle Bezeichnung der einheimischen Religion zu verwenden. In den allgemeinen Wortschatz ging dieser Begriff aber erst nach dem politischen Umbruch von 1868 ein, als man versuchte, Shintō als Nationalreligion zu etablieren. Dieses Vorhaben, das von einer Welle anti-buddhistischer Ausschreitungen begleitet war, markierte auch in rechtlicher Hinsicht einen deutlichen Einschnitt gegenüber den synkretistischen Glaubensformen der Vergangenheit: Bereits 1868 wurde ein Gesetz erlassen, das die allgemeine Praxis, Buddhas und kami am gleichen Ort zu verehren, verbot (shinbutsu bunri no rei [shinbutsu bunri no rei (jap.) 神仏分離令 Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)]). Viele buddhistische Tempel, aber auch manche Shintō-Schreine mussten daher abgerissen werden, viele religiöse Traditionen wurden vollkommen ausgelöscht.

Diese Politik wurde im Zuge einer allgemein anti-buddhistischen Stimmung zunächst von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt, stieß allerdings in der Praxis auf erhebliche Widerstände. Nach einer kurzen Phase der Begeisterung geriet die gewaltsame Trennung von Buddhas und kami daher ins Stocken und ist bis heute nur unvollständig vollzogen: Noch heute gibt es neben jedem großen buddhistischen Tempel auch einen kleinen Schrein für den shintōistischen Schutzgott des Tempels und noch heute werden buddhistische Gestalten in Shintō-Schreinen [jinja (jap.) 神社 Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)] verehrt.

Die Politik der Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit hatte aber dennoch zur Folge, dass Shintō als Identitätsmerkmal der japanischen Kultur anerkannt wurde und in dieser Form in den Brennpunkt religionsgeschichtlicher Debatten rückte. Weite Kreise innerhalb der japanischen Forschung und der frühen westlichen Japanologie tendierten von nun an dazu, Shintō als japanische Urreligion anzusehen, die allerdings lange Zeit hindurch vom Buddhismus „überlagert“ gewesen war. Erst in den letzten Jahren hat sich dieses Bild relativiert und man beginnt, in den Formen der Koexistenz von Buddhismus und kami-Glauben eine eigene Form der japanischen Religion zu erkennen, von der sich „Shintō“ erst nach und nach weg entwickelte. Eine eindeutige Definition von „Shintō“ ist allerdings auch von der neueren Forschung noch nicht entwickelt worden.

Shintō und Nationalismus

In den ersten Jahrzehnten nach der Meiji Restauration [Meiji Ishin (jap.) 明治維新 Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat] (1868) durchlief die japanische Religionspolitik eine Art trial-and-error-Phase, in der der Shintō — oder besser gesagt die japanischen kami-Schreine — einmal mehr einmal weniger im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit standen. Institutionen, die als ideologisches Zentrum staatlich organisierter Schreinkulte fungieren sollten, lösten sich in rascher Folge ab. Mit den ersten militärischen Erfolgen des modernen Japan (insbesondere nach dem Russo-Japanischen Krieg 1904–05) wurde Shintō stärker in den Dienst eines aggressiven Nationalismus gestellt, der die Annexion und Kolonialisierung umliegender asiatischer Länder rechtfertigen sollte. Der sich so entwickelnde Staatsshintō (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) kulminierte schließlich in der Zeit des sog. Ultranationalismus von den dreißiger Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg. Mit der Niederlage Japans verlor dieser Staatsshintō sowohl seine rechtliche Basis als auch seine Glaubwürdigkeit, während der Begriff Shintō als Bezeichnung für die einheimische Religion nach wie vor in Verwendung blieb. Dies mag ein weiterer Grund für die eingangs erwähnte Tatsache sein, dass dem Begriff ein negativer Beigeschmack anhaftet und viele Japaner ihn vermeiden. Das gilt natürlich nicht für die Vertreter des Shintō selbst. Sie sind großteils bemüht, „Shintō“ von der Assoziation mit dem Staatsshintō rein zu waschen. Andererseits spielt die Ideologie des Staatsshintō in rechtsextremen Kreisen nach wie vor eine wichtige Rolle und auch die konservative Liberal Demokratische Partei (LDP), die seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen an der Regierung ist, kann sich nicht zu einer eindeutigen Ablehnung aller Reste des Staatsshintō durchringen. Das Thema Shintō spiegelt daher die Schwierigkeiten wider, die Japan als ganzes mit der Bewältigung seiner nationalistischen Vergangenheit hat. (Siehe dazu auch das Beispiel des Yasukuni [Yasukuni Jinja (jap.) 靖国神社 Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene] Schreins.)

Im Westen ist der Begriff Shintō selbst zwar im Allgemeinen nicht mit dem Stigma des Nationalismus behaftet (dafür ist der Begriff einfach zu fremd und exotisch), aber die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema hat nach dem Zweiten Weltkrieg doch spürbar nachgelassen. Shintō wurde zu einer Art Tabuthema. Erst in jüngerer Zeit gibt es wieder Ansätze, sowohl den Staatsshintō als auch die Ursachen seiner Entstehung historisch aufzuarbeiten und in Relation zur gesamten Religionsgeschichte Japans zu stellen.

Kategorien von Shintō

Als sich Anfang der Meiji-Zeit herausstellte, dass sich die Idee von Shintō als Staatsreligion nicht ohne weiteres durchsetzen ließ, rückte die Meiji-Regierung von der Vorstellung ab, eine Staatsreligion nach dem Muster europäisch-christlicher Nationalstaaten zu installieren. Dennoch sollten die allgemeinen Bürgerpflichten sowie der Respekt gegenüber Staat und Tennō mithilfe des Shintō gefördert werden. Shintō wurde aus diesem Grund offiziell nicht als „Religion“, sondern als „Zeremonialsystem“ definiert. Dieses Zeremonialsystem war in erster Linie die Verehrung des Tennō ausgerichtet, seine Befolgung galt als patriotische Pflicht. Alle Shintō-Schreine hatten sich diesem Zweck unterzuordnen. Es wurde jedoch anerkannt, dass es auch einzelne Shintō-Sekten gab, die „religöse“ Anliegen im Sinne einer transzendenten Heilslehre ähnlich dem Buddhismus oder dem Christentum propagierten. Aus der Unterscheidung dieser beiden Arten von Shintō entwickelten sich die Kategorien Schrein Shintō (jinja shintō [jinja shintō (jap.) 神社神道 Schreinshintō; im Ggs. zu „Sektenshintō“ (kyōha shintō), ...]) und Sekten-Shintō (kyōha shintō [kyōha shintō (jap.) 教派神道 Sektenshintō; im Ggs. zu „Schreinshintō“ (jinja shintō)]), womit im wesentlichen Shintō-Richtungen gemeint waren, die zu dieser Zeit (19. Jh.) neu entstanden waren und heute zu den Neuen Religionen gerechnet werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Religionspolitik, die Shintō zwar nicht als Religion ansah, aber sehr wohl in den Dienst nationalistischer Propaganda stellte, insgesamt als „Staats-Shintō“ (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) bezeichnet. Zugleich wurde „Schrein-Shintō“ als Religion angesehen und aus dem Staatskult herausgelöst. Diese Trennung von Religion und Staat wurde nach einer entsprechenden Anweisung seitens der amerikanischen Besatzung sogar verfassungsmäßig besiegelt. Was unklar blieb und bis heute bleibt, ist die Verbindung des Schrein-Shintō mit dem Tennō. Um hier eine Trennlinie zu ziehen, wird gelegentlich der sog. „imperiale Shintō“ (kōshitsu shintō [kōshitsu shintō (jap.) 皇室神道 Imperialer Shintō, Shintō des kaiserlichen Hofes]) als eigene Kategorie von Shintō definiert, um die traditionellen kami-Kulte des kaiserlichen Hofes von sonstigen Schreinriten zu unterscheiden. Außerdem ist häufig von „Volksshintō“ (minzoku shintō [minzoku shintō (jap.) 民俗神道 Volksshintō, Shintō als Volksreligion] = lokales religiöses Brauchtum) als weiterer Kategorie die Rede.

Versucht man, diese Kategorien klar und historisch konsistent von einander abzugrenzen, stößt man auf unüberwindliche Schwierigkeiten. So lässt sich der „imperiale Shintō“ nicht klar vom „Schrein-Shintō“ trennen, da er selbst auf den Traditionen einzelner Schreine beruht. Allerdings ordnen sich nicht alle Schreine dem Anspruch des Tennō unter, Oberhaupt der Shintō Religion zu sein. Noch schwieriger wird die Situation beim Begriff „Volksshintō“: Sucht man in Japan außerhalb der etablierten Schreintraditionen nach volksreligiösem Brauchtum, findet man beispielsweise Besessenheitskulte, in denen Heiler mit der Hilfe von Medien Geister aus dem Jenseits sprechen lassen (Bsp. itako [itako (jap.) イタコ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子]). Solche Kulte werden heute aber weder von offiziellen Shintō-Organisationen, noch vom Buddhismus anerkannt. Die Heiler selbst bedienen sich im übrigen sowohl buddhistischer als auch shintōistischer Konzepte. Es gibt also tatsächlich starke volksreligiöse Traditionen in Japan, aber diese entziehen sich der eindeutigen Zuordnung zu Shintō oder Buddhismus. Um die Verwirrung perfekt zu machen, leben viele dieser Traditionen, beispielsweise Besessenheitskulte, im sogenannten „Sekten-Shintō“ weiter fort, der seinerseits zu den Neuen Religionen gezählt wird.

Die Versuche, Shintō in verschiedene Kategorien zu unterteilen und auf diese Weise schlüssig darzustellen, haben also bisher zu keinen befriedigenden Ergebnissen, sondern eher zurück in die ideologischen Fallstricke des Staatsshintō geführt. Moderne Religionshistoriker ziehen unterschiedliche Konsequenzen aus diesem konzeptionellen Wirrwarr. Manche vermeiden den Begriff „Shintō“ überhaupt, zumindest wenn es sich um historische Themen handelt. Nelly Naumann [Naumann, Nelly (west.) 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin], die sich als Expertin der japanischen Mythologie einen Namen gemacht hat, spricht beispielsweise in ihrem Hauptwerk lediglich von der „einheimischen Religion Japans“. Ich selbst sympathisiere mit diesem Ansatz und verwende am liebsten den Begriff kami-Glaube. Im Rahmen dieser Website wird der Begriff „Shintō“ jedoch der allgemeinen Verständlichkeit halber bisweilen auch dort verwendet, wo man ihn besser unter geistige Anführungsstriche setzen sollte.

Verweise

Verwandte Themen

Fußnoten

  1. Engelbert Kaempfer, der Japan in den Jahren 1690 bis 92 bereiste, hinterließ eine ausführliche Geschichte und Beschreibung von Japan, die erstmals 1727 auf Englisch in fünf Bänden erschien. Der vorliegende Auszug ist — mit geringfügigen Adaptionen — einer Online-Fassung des Originals (Buch 3, Kap. 2) von Wolfgang Michel entnommen.
  2. Motoori Norinaga, Kojikiden, Bd. 3. Übersetzt nach Matsumura Kazuo in Shintō jiten (1994), S. 37; für eine engl. Übersetzung siehe Concepts of Kami: Definitions and Typology (Encyclopedia of Shinto) [2011/10]).
  3. Beispielsweise beim buddhistischen Philosophen Zong Bing 宗炳, 375–444. Der Buddhismushistoriker Michael Radich schreibt dazu:
    Zong Bing further explains the relation between vijñāna [Alltagsbewusstsein, B.S.] and the approach to awakening by the old analogy of a mirror obscured by dust, where vijñāna is the dust: just as a mirror can be obscured by a thin or a thick layer of dust, so spirit (shen 神) can be obscured by fine or coarse vijñāna, which “sticks” (fu 附) to spirit and obscures its original nature (like the “original brightness” [benming 本明] of the mirror). However, practicing (contemplation of) emptiness works to reduce the layer of obscuring vijñāna, and when it is eliminated entirely, “original spirit” (benshen 本神) is consummated (qiong 窮). The resulting state is nirvāṇa.
    Hong ming ji 弘明集, nach Radich 2014, S. 476.
  4. S. dazu Scheid 2004.

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen

  • Encyclopedia of Shintō, Inoue Nobutaka (Hg.)
    Englische Online Version des enzyklopädischen Wörterbuchs Shintō Jiten (1994). Ehrgeizigstes und vielversprechendstes Web Projekt der Kokugakuin Daigaku.
  • Web Versions of IJCC Publications, Kokugakuin Daigaku
    Online Resources der gleichen Universität, vor allem einzelne Fachartikel in Englisch.
  • Jinja Honchō - The Association of Shintō Shrines (en., jap.)
    Offizielle Website der 1946 gegründeten Dachorganisation japanischer Schreine. Vertritt das oben beschriebene, traditionelle Shintō-Bild.


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Viele Einführungswerke des Shintō vertreten einen Ansatz, der mir aus den oben geschilderten Gründen problematisch erscheint, und können daher nicht wirklich empfohlen werden. Es gibt allerdings auch empfehlenswerte neuere Gesamtdarstellungen:

Inoue Nobutaka, Endo Jun, Mori Mizue, Ito Satoshi, Shinto: A New History. New York: RoutledgeCurzon, 2003. [Originalausgabe 1998; Ü. ins Englische von Mark Teeuwen und John Breen.]
John Breen, Mark Teeuwen, A New History of Shinto. Oxford: Wiley-Blackwell, 2010.

Etwas ausführlicher und aus dem deutschsprachigen Sprachraum, aber nicht ganz so aktuell, ist die dreibändige Serie "Die einheimische Religion Japans" im Brill Verlag:

Nelly Naumann, Die einheimische Religion Japans, Teil 1: Bis zum Ende der Heian Zeit. Leiden: Brill, 1988.
Nelly Naumann, Die einheimische Religion Japans, Teil 2: Synkretistische Lehren und religiöse Entwicklungen von der Kamakura- bis zum Beginn der Edo-Zeit. Leiden: Brill, 1994.
Klaus Antoni, Shintō und die Konzeption des japanischen Staatswesens (kokutai). Leiden: Brill, 1998.

Spezifische Werke zur historischen Problematik des Begriffs „Shintō“ (alle in Engl.):

John Breen, Mark Teeuwen (Hg.), Shinto in History: Ways of the Kami. London: Curzon, 2000.
Kuroda Toshio, „Shinto in the History of Japanese Religion“. Journal of Japanese Studies 7:1 (1981), 1–22. (Online.) [Ü. J. Dobbins und S. Gay.]
Berühmter Artikel eines führenden japanischen Religionshistorikers, der zum Anstoß einer Neuorientierung in der westlichen Shintō-Forschung wurde.
Mark Teeuwen, Bernhard Scheid (Hg.), Tracing Shinto in the History of Kami Worship.
Japanese Journal of Religious Studies 29/3–4, 2002. (Online.) [Sondernummer des JJRS.]
Bernhard Scheid, „Shinto shrines: Traditions and transformations“. In: John Nelson, Inken Prohl (Hg.), Handbook of Contemporary Japanese Religions. Leiden: Brill, 2012. (Online.)

Ausführlich, aber für meinen Geschmack zu „essentialistisch“:

Stuart Picken, Essentials of Shinto: An Analytical Guide to Principal Teachings. Westport, UK: Greenwood, 1994.

Nur für überzeugte Shintō-Anhänger empfehlenswert:

Ono Sokyo, Shinto: The Kami Way. London: Tuttle, 1962.
Yamakage Motohisa, Essence of Shinto: Japans Spiritual Heart. Tokyo: Kodansha International, 2007.

Zitierte Literatur:

Michael Radich, „Ideas about “Consciousness” in Fifth and Sixth Century Chinese Buddhist Debates on the Survival of Death by the Spirit, and the Chinese Background to *Amalavijñāna“. In: Chen-kuo Lin / Michael Radich (Hg.), A Distant Mirror: Articulating Indic Ideas in Sixth and Seventh Century Chinese Buddhism. Hamburg: Hamburg University Press, 2014, 471–512.
Bernhard Scheid, Overcoming Taboos on Death: The Limited Possibilities of Discourse on the Afterlife in Shinto. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2004. (Online.)

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Norinaga2.jpg
    Portrait des Gelehrten Norinaga im Alter von 61 Jahren.
    Werk von Yoshikawa Yoshinobu. Edo-Zeit, 1790. Motoori Norinaga Museum.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Amaterasu 天照 ^ Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise
  • Asakusa Jinja 浅草神社 ^ Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.
  • Benten 弁天 ^ Glücksgöttin; Kurzform von Benzaiten
  • bukkyō 仏教 ^ Lehre des Buddha, Buddhismus
  • Daikoku 大黒 ^ Gott des Reichtums und Stellvertreter der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); skt. Mahakala = „Großer Schwarzer“; auch Daikoku-ten
  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • harae^ Purifikation, Weihezeremonie, Exorzismus
  • Heian 平安 ^ auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
  • Ise 伊勢 ^ vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū
  • Ise Jingū 伊勢神宮 ^ kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū
  • itako イタコ ^ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子
  • jingūji 神宮寺 ^ an einen Schrein angeschlossener Tempel, Tempel-Schrein Komplex
  • jinja 神社 ^ Shintō-Schrein; rel. Gebäude für einheimische Gottheiten (kami)
  • jinja shintō 神社神道 ^ Schreinshintō; im Ggs. zu „Sektenshintō“ (kyōha shintō), ...
  • Jiyū Minshu-tō 自由民主党 ^ japanische Liberal Demokratische Partei (LDP)
  • Kaempfer, Engelbert (west.) ^ 1651–1716; deutscher Arzt und Naturforscher, Japanreisender (1790–1792); Autor einer detaillierten Japanbeschreibung
  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • kannushi 神主 ^ Shintō-Priester; wtl. „Meister der Götter“
  • Karma (skt.) कर्म ^ „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)
  • kegare 穢れ ^ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande
  • kokka shintō 国家神道 ^ Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK
  • kōshitsu shintō 皇室神道 ^ Imperialer Shintō, Shintō des kaiserlichen Hofes
  • kyōha shintō 教派神道 ^ Sektenshintō; im Ggs. zu „Schreinshintō“ (jinja shintō)
  • Meiji 明治 ^ posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt
  • Meiji Ishin 明治維新 ^ Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat
  • Meiji Jingū 明治神宮 ^ Schrein des Meiji Tennō in Tōkyō, err. 1920
  • Meiji Tennō 明治天皇 ^ 1852–1912; 122. japanischer Kaiser (r. 1867–1912); Namensgeber und politische Symbolfigur der Meiji-Zeit; Eigenname: Mutsuhito
  • minzoku shintō 民俗神道 ^ Volksshintō, Shintō als Volksreligion
  • misogi^ Purifikation, Reinigungsritus, rituelle Waschung
  • mitama 御魂/御霊 ^ „Eherenwerter Geist“; Seelengeist der kami; s.a. aramitama, nigimitama
  • Motoori Norinaga 本居宣長 ^ 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)
  • Myōjin 明神 ^ Titel für eine Schreingottheit (kami), z.B. Kanda Myōjin
  • Naumann, Nelly (west.) ^ 1922–2000; deutsche Japanologin und Mythenforscherin
  • Nichiro Sensō 日露戦争 ^ Russo-japanischer Krieg, Feb. 1904 – Sept. 1905, um Einfluss über Korea und die Mandschurei; gilt als erster Sieg einer asiat. Nation über eine europ. Großmacht
  • Nikkō 日光 ^ Tempel-Schreinanlage im Norden der Kantō-Ebene, Präf. Tochigi; beherbergt u.a. den Tōshō-gū Schrein
  • seishin 精神 ^ Geist, Psyche, Mentalität; wtl. „Fein-Geist“
  • Sensō-ji 浅草寺 ^ bekannter Tempel in Tōkyō; auch: Asakusa-dera
  • shen (chin.) 神 ^ Geist (sowohl im Sinne von „Gespenst” als auch von „geistiger Kraft“); jap. shin oder kami
  • shenming (chin.) 神明 ^ „Geist-hell“; s. jap. shinmei
  • shi (chin.) 識 ^ Bewusstsein (im Buddhismus zu alltägliches, getrübtes Bewusstsein abgewertet); jap. shiki, skt. vijñāna
  • shin^ Herz, Seele, Bewusstsein; kokoro
  • shinbutsu bunri no rei 神仏分離令 ^ Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)
  • shinmei 神明 ^ generelle Bezeichnung für Schreingottheiten (kami); als Schreinnamen (Shinmei-sha) allerdings nur für Zweigschreine von Ise verwendet; s.a. shinmei-zukuri
  • Shintō 神道 ^ Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami
  • shintō 新党 ^ Neue Partei (Homonym von Shinto)
  • shintō 浸透 ^ Osmose (Homonym von Shinto)
  • Shitennō-ji 四天王寺 ^ buddh. Tempel im heutigen Ōsaka; zählt zusammen mit dem Asuka-dera zu den beiden ältesten Tempeln Japans (Gründung 593)
  • Tennō 天皇 ^ jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels
  • Tokugawa Ieyasu 徳川家康 ^ 1543–1616; Begründer des Tokugawa Shogunats; Reichseiniger
  • torii 鳥居 ^ Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami
  • Tōshō-gū 東照宮 ^ Tōshō Schrein, Mausoleum des Tokugawa Ieyasu in Nikkō, Präf. Tochigi
  • yaoyorozu 八百万 ^ altjap. für „acht Millionen“ bzw. unendlich viele