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− | Was die Lage | + | Was die Lage religiöser Anlagen betrifft, gibt es einen we·sent·li·chen Un·ter·schied zu den Gottes·häusern mono·theis·tischer Reli·gio·nen: Sie befinden sich nämlich zumeist am Rand kom·munaler Zentren, nicht in der Mitte. Zwar sind alle japani·schen Städte von zahl·reichen kleinen re·ligiösen Gebäuden durch·setzt, doch wirklich große Gebäude und Anlagen finden sich in den urbanen Zentren kaum. Als Faust·regel lässt sich daher fest·halten, dass eine Anlage umso weiter am Rand liegt, je be·deu·ten·der sie ist. Oder anders aus·gedrückt: Ja·panische Dörfer und Städte sind zumeist ring·förmig von religi·ösen Anlagen umgeben, die die Grenze zwischen Wildnis und Zivili·sation oder zwischen dem Innen und dem Außen der Gemeinde mar·kieren. Religiöse Anlagen sind inso·fern nicht der letzte innere Zu·fluchts·ort einer Gemeinde, sondern eher Außen·posten gegen (spirituelle) Bedro·hungen aus der „anderen Welt“, also der [[Geister|Welt der Dämonen und der Toten·geister]], die häufig mit den Bergen asso·ziiert wird. Daher liegen Tempel und Schreine typi·scher·weise am Fuß eines Bergs oder eines Hügels, vor dem sich eine Ebene mit Feldern und Häusern — die Welt des säku·laren Alltags — erstreckt. Während die reli·gi·ösen Anlagen zu dieser Ebene hin durch Mauern oder Zäune klar ab·ge·grenzt sind, gehen sie gegen den Berg hin lang·sam in dichte un·durch·dring·liche Wälder über. Re·ligiöse Anlagen bilden daher so etwas wie eine Membran zwischen Zivili·sation und Wildnis und beziehen einen Teil ihrer Bedeu·tung aus der ihnen zuge·sproche·nen Fähigkeit, die unbe·kann·ten Mächte der anderen Welt zu kontrol·lieren. |
Diese reli·giöse Topo·graphie ist na·tür·lich nicht überall kon·sequent auf·recht zu erhalten, schon gar nicht in Japans moder·nen Megacities. In den alten Haupt·städten Kyōto (früher {{g|heiankyou}}) und {{g|Nara}} lässt sie sich jedoch noch heute klar erkennen. Auch in ent·le·ge·nen Berg·regio·nen sind die Wege, die auf die Gipfel führen, stets von reli·giösen Anlagen behütet. | Diese reli·giöse Topo·graphie ist na·tür·lich nicht überall kon·sequent auf·recht zu erhalten, schon gar nicht in Japans moder·nen Megacities. In den alten Haupt·städten Kyōto (früher {{g|heiankyou}}) und {{g|Nara}} lässt sie sich jedoch noch heute klar erkennen. Auch in ent·le·ge·nen Berg·regio·nen sind die Wege, die auf die Gipfel führen, stets von reli·giösen Anlagen behütet. |
Version vom 29. Juli 2020, 12:42 Uhr
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Japans Tempel und Schreine werden oft mit einzelnen mar·kan·ten Gebäuden as·so·zi·iert. Einige davon werden in diesem Kapitel näher vor·gestellt. Man sollte aber nicht über·sehen, dass die Be·griffe „Tempel“ und „Schrein“ nicht nur einzelne Ge·bäude, sondern oft weit aus·ge·dehn·te Anlagen be·zeichnen.
Nara-Zeit (8. Jh.), zerstört 1667, wiedererrichtet 1669. Ute (Blog), 2005.
In Japan werden kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] und Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] oft inner·halb der·selben Anlage verehrt. In alter Zeit war es mit·unter un·möglich, ein·deutig fest·zulegen, ob eine Anlage nun ei·gent·lich in erster Linie einem Buddha oder einem kami geweiht sei. Obwohl sich dies mit Beginn der Moderne drastisch änderte (s. Staatsshintō), sind die Spuren dieser gemischt-re·ligiö·sen Kultur bis heute deutlich zu er·kennen.
Religiöse Topographie
Werk von Hayashi Yoshinaga. Edo-Zeit. David Rumsey Map Collection.
Die vielen Einzelgebäude einer religiösen Anlage in Japan lassen sich funk·tionell mit den Altären in einer christ·lichen Kirche ver·gleichen: Eine (katholische) Kirche be·her·bergt meist viele verehrung·swürdige Gestalten, Altäre sind hingegen einzelnen Heiligen geweiht. In Japan gilt das·selbe für die einzelnen Hallen. Und so wie der Heilige des Haupt·altars einer (katholischen) Kirche ihre Iden·tität verleiht, wird auch in Japan meist eine Haupt·gott·heit bzw. ein Hauptbuddha in einem zentralen Heilig·tum verehrt, was aber die Ver·ehrung anderer Gott·heiten keines·falls aus·schließt.
Was die Lage religiöser Anlagen betrifft, gibt es einen we·sent·li·chen Un·ter·schied zu den Gottes·häusern mono·theis·tischer Reli·gio·nen: Sie befinden sich nämlich zumeist am Rand kom·munaler Zentren, nicht in der Mitte. Zwar sind alle japani·schen Städte von zahl·reichen kleinen re·ligiösen Gebäuden durch·setzt, doch wirklich große Gebäude und Anlagen finden sich in den urbanen Zentren kaum. Als Faust·regel lässt sich daher fest·halten, dass eine Anlage umso weiter am Rand liegt, je be·deu·ten·der sie ist. Oder anders aus·gedrückt: Ja·panische Dörfer und Städte sind zumeist ring·förmig von religi·ösen Anlagen umgeben, die die Grenze zwischen Wildnis und Zivili·sation oder zwischen dem Innen und dem Außen der Gemeinde mar·kieren. Religiöse Anlagen sind inso·fern nicht der letzte innere Zu·fluchts·ort einer Gemeinde, sondern eher Außen·posten gegen (spirituelle) Bedro·hungen aus der „anderen Welt“, also der Welt der Dämonen und der Toten·geister, die häufig mit den Bergen asso·ziiert wird. Daher liegen Tempel und Schreine typi·scher·weise am Fuß eines Bergs oder eines Hügels, vor dem sich eine Ebene mit Feldern und Häusern — die Welt des säku·laren Alltags — erstreckt. Während die reli·gi·ösen Anlagen zu dieser Ebene hin durch Mauern oder Zäune klar ab·ge·grenzt sind, gehen sie gegen den Berg hin lang·sam in dichte un·durch·dring·liche Wälder über. Re·ligiöse Anlagen bilden daher so etwas wie eine Membran zwischen Zivili·sation und Wildnis und beziehen einen Teil ihrer Bedeu·tung aus der ihnen zuge·sproche·nen Fähigkeit, die unbe·kann·ten Mächte der anderen Welt zu kontrol·lieren.
Diese reli·giöse Topo·graphie ist na·tür·lich nicht überall kon·sequent auf·recht zu erhalten, schon gar nicht in Japans moder·nen Megacities. In den alten Haupt·städten Kyōto (früher Heian-kyō [Heian-kyō (jap.) 平安京 urspr. Name der Stadt Kyōto; wtl. Stadt des Friedens; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]) und Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō] lässt sie sich jedoch noch heute klar erkennen. Auch in ent·le·ge·nen Berg·regio·nen sind die Wege, die auf die Gipfel führen, stets von reli·giösen Anlagen behütet.
Vergängliche Materialien, beständige Struktur
Meiji-Zeit, 1897. Ō-Edo to rakuchū („Groß-Edo und Kyōto“; Ausstellungskatalog). Edo-Tōkyō Hakubutsukan, 2014, S. 142, Abb. 108.
Die tradi·tionelle ja·panische Architektur arbeitet fast aus·schließ·lich mit Holz. Dies liegt nicht zuletzt an der bestän·digen Bedrohung durch Erd·beben in Japan. Gegen·über Stein·bauten haben Holz·häuser den Vorteil, dass sie leichter und bieg·samer sind und im Fall der Zer·störung schnel·ler wieder auf·gebaut werden können. Aller·dings fallen sie umso leichter einem Brand zum Opfer. Diese Grund·vor·aus·set·zungen haben be·stimmte archi·tektoni·sche Muster her·vor·ge·bracht, die sich ganz beson·ders in den religi·ösen Bau·werken Japans erhal·ten haben.
Die tradi·tio·nelle Ar·chi·tek·tur nimmt die Tat·sache bewusst in Kauf, dass sie nicht für die Ewig·keit bestimmt ist. Statt dessen werden Gebäude immer wieder nach einem einmal be·währten Muster neu aufgebaut. Es ist außer·dem ver·hältnis·mäßig einfach, Gebäude aus·einander·zu·nehmen und an anderer Stelle wieder aufzu·bauen. Auch lassen sich einzelne schad·hafte Hölzer ohne große Schwie·rig·keiten durch neue erset·zen, wenn der Schaden nicht allzu groß ist.
In manchen Fällen, etwa im Fall der Schrein·anlage von Ise [Ise (jap.) 伊勢 vormoderne Provinz Ise (heute Präfektur Mie); Stadt Ise; Kurzbezeichnung für die Schreinanlage von Ise Ise Jingū], reißt man dennoch sämt·liche Gebäude alle zwanzig Jahre ab, um sie nach exakt dem gleichen Muster, aber mit neuen Hölzern wieder auf·zu·bauen. Heute geschieht dies vor allem aus rituellen Gründen, in alter Zeit, als Bauholz in un·limi·tierter Menge zur Ver·fü·gung stand, gab es aber auch die durch·aus rationale Erwä·gung, auf diese Weise dem natür·lichen Verfall zuvor·zu·kommen.
In·ter·es·san·te·rwei·se hat diese Be·reit·schaft, die Ver·gäng·lich·keit mit in die Ar·chi·tek·tur einzu·beziehen, dazu geführt, dass sich die Grund·struktur der tradi·tionellen Bau·kunst seit der japani·schen Klassik (Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō]- und Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit) kaum nennes·wert ver·ändert hat. Sobald man durch Versuch und Irrtum die effek·tivste Methode gefunden hatte, um einen be·stimm·ten Ge·bäude·typ herzu·stellen, behielt man ihn bei. Dies ist im Fall bud·dhis·tischer Pagoden (jap. tō [tō (jap.) 塔 Pagode; Turm; abgeleitet von skt. stupa; auch sotoba]) ganz besonders auf·fällig: Sie ent·wickel·ten sich aus einem chinesi·schen Urtyp, der in China schon längst nicht mehr exis·tiert, in Japan aber bis heute fast unver·ändert weiter tradiert wird.
Im übrigen sind einige Bauten aus älterster Zeit vor dem Unbill der Natur ver·schont geblie·ben. In der Gegend um die alte Haupt·stadt Nara stammen einige Holz·bauten aus dem achten Jahr·hundert und zählen damit zu den ältesten Holz·bau·werken der Welt, etwa der buddhis·tische Tempel Hōryū-ji [Hōryū-ji (jap.) 法隆寺 Tempel in Ikaruga bei Nara, gegr. 607; wtl. „Tempel des prosperierenden [Buddha]-Gesetzes“].
Bauliche Charakteristika
Frühe Edo-Zeit, 17. Jh. Ron Reznick, 2004 (mit freundlicher Genehmigung).
Sowohl die Tempel des Bud·dhis·mus als auch die Schreine des Shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] widmen die größ·te archi·tekto·nische Sorgfalt dem Dach. Die Dächer von Tempeln und Schrei·nen ziehen daher mit ihren ele·ganten Schwüngen und raf·finier·ten Kon·struk·tionen sofort alle Blicke auf sich. Was da·runter ist, beschränkt sich zumeist auf eine stabile Kon·struktion von Balken, die oft nur durch ein·fache Bretter·wände oder gar Papier·schiebe·türen ver·bunden sind. Die Wände haben daher so gut wie gar keine tragende Funk·tion. Die meisten traditio·nellen Gebäude sind eben·erdig oder ein·stöckig. Auch die Böden sind aus Holz und lagern nicht direkt auf der Erde, son·dern schwe·ben auf stützen·den Pfählen. Dies schützt die Gebäude vor Feuch·tig·keit und un·er·wünsch·ten Schäd·lingen.
Tempel und Schreine unter·scheiden sich unter·ein·ander oft nur in Details, die dem Laien zunächst nicht ins Auge fallen. Auch funk·tionell ähneln sich die Gebäude des Shintō und des ja·panischen Bud·dhismus: Die Haupt·gebäude dienen im Wesent·lichen der Auf·bewah·rung von Heilig·tümern und nicht der Versamm·lung von Gläubigen. Religiöse Massen·ver·an·stal·tungen im Stil christ·licher Messen finden weder im Shintō noch im Bud·dhis·mus mit ähnlicher Regel·mäßig·keit statt wie in christ·lichen Ländern. Wenn viele Leute an einer reli·giösen Feier beteiligt sind, nimmt das Ganze rasch einen bunten Festcharakter an und wird im Freien abgehalten.
Um Shintō-Schreine und bud·dhistische Tempel aus·einander zu halten, bedarf es der Kennt·nis ganz be·stimmter Merkmale: Schreine sind in der ersten Linie anhand von torii [torii (jap.) 鳥居 Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami] zu identi·fizieren, Pagoden oder Tore mit Wächter·figuren (niō [niō (jap.) 仁王 Wächterfigur, Torwächter]) sind ein Hinweis, dass es sich wahr·schein·lich (wenn auch nicht sicher) um einen bud·dhisti·schen Tempel handelt. Weitere Einzel·heiten dazu werden auf den folgen·den Seiten besprochen. Die Listen berühm·ter Tempel und Schreine in diesem Kapitel bieten weiteres An·schau·ungs·material, erheben aller·dings keinen An·spruch auf Voll·stän·digkeit.
Verweise
Internetquellen
- Asian Historical Architecture, Timothy M. Ciccone (Hg.)
Umfangreiche architekturhistorische Dokumentation, mit relativ vielen Beispielen aus Japan. - JAANUS - Japanese Architecture and Art Net Users System, Mary N. Parent (Hg.)
Ca. 8000 Einträge zur traditionellen japanischen Baukunst. - Tempel und Schreine Kyotos, Google Maps. Zusammengestellt vom Autor dieses Webprojekts zur Verdeutlichung des Stadtpalns von 1710 (s. Abb. oben).
Bilder
- ^ Die Nigatsu-dō (Seitengebäude des Tōdaiji) liegt auf einem Hang oberhalb der Halle des Großen Buddha. Im Zweiten Monat (Nigatsu) fand hier jährlich ein berühmtes Fest statt, daher der Namen (heute wird das Fest im März abgehalten).
Nara-Zeit (8. Jh.), zerstört 1667, wiedererrichtet 1669. Ute (Blog), 2005. - ^ Auf dieser historischen Karte Kyōtos sind die religiösen Anlagen durch rote Unterstreichungen hervorgehoben und teilweise durch kleine Graphiken repräsentiert. Daran erkennt man, dass die Stadt von einem Ring aus Tempeln und Schreinen umgeben ist. Auch verhältnismäßig weit entfernte religiöse Anlagen sind verzeichnet. Die Karte muss wie ein Froschaugenbild gelesen werden, an dessen Rand sich die Abstände extrem verkürzen. Die Proportionen innerhalb des Stadtgebiets sind dagegen realistisch.
Werk von Hayashi Yoshinaga. Edo-Zeit. David Rumsey Map Collection.
- ^ Auf dieser Architekturskizze einer fünfstöckigen Pagode (gojū-tō) erkennt man anhand der beigefügten Säulenschemata sehr schön, wie sich die fünf „Stockwerke“ mit zunehmender Höhe verjüngen. Nur der Mittelpfeiler ist aus einem Stück, er ist allerdings nicht im Boden verankert. Die anderen Stützpfeiler sind immer nur so hoch wie ein Stockwerk. Die Pagode selbst wurde 1631 errichtet und zählt zu den wenigen erhaltenen Gebäuden des einstmals weitläufigen Kan’ei-ji, des Familientempels der Tokugawa im heutigen Ueno-Park .
Meiji-Zeit, 1897. Ō-Edo to rakuchū („Groß-Edo und Kyōto“; Ausstellungskatalog). Edo-Tōkyō Hakubutsukan, 2014, S. 142, Abb. 108. - ^ Detail der Dachkonstruktionen des Tōshō-gū Schreins, Nikkō. Im Vordergrund steht das „chinesische Tor“. Das Dach dahinter gehört zur Haupthalle. In diesem Architekturstil aus der frühen Edo-Zeit gibt es zwischen buddhistischen Tempeln und shintōistischen Schreinen kaum einen erkennbaren Unterschied.
Frühe Edo-Zeit, 17. Jh. Ron Reznick, 2004 (mit freundlicher Genehmigung).
Glossar