Mythen/Jenseits/Hungergeister: Unterschied zwischen den Versionen

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| ''Gaki zōshi'': Bildrollen der Hungergeister
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{{fl|D}}er {{s|Karma}}-Theorie zufolge ist das Dasein als Hungergeist (skt. {{s|preta}}, jap. {{g|Gaki}}) die Folge übermäßiger Gier in einer früheren Existenz. Unter den Sechs Bereichen der Wiedergeburt ({{g|rokudou}}) erfreuen sich die Hungergeister verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit in Japan. Besonders gegen Ende der {{g|Heian}}-Zeit (11.–12. Jh.) scheint das Interesse am Jenseits und an den Hungergeistern — zumindest in der höfischen Gesellschaft — groß gewesen zu sein. Davon zeugen illustrierte Bildrollen ({{g|Gakizoushi}}), die von Tennō {{g|Goshirakawatennou | Go-Shirakawa}} persönlich in Auftrag gegeben worden sein sollen. Sie offenbaren nicht nur eine fast liebevolle Detailtreue bei der Darstellung der Hungergeister, sondern gewähren auch einen ungewöhnlich lebendigen Einblick in das damalige Leben. Darüber hinaus sind die Geister mit physiologischen Merkmalen — einem aufgeblähten Bauch —  ausgestattet, die tatsächlich bei Hungernden auftreten.<!--
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Hungergeister (skt. {{s|preta}}, jap. {{g|Gaki}}) sind spindeldürre Wesen mit aufgequollenen Bäuchen, die  der {{s|Karma}}-Theorie zufolge in früheren Leben zu gierig waren. Zur Strafe sind sie beständig hungrig und durstig, doch ihr dünner Hals gestattet keine ausreichende Nahrungsaufnahme. Sie ernähren sich von Kot, Urin und Leichenteilen, kurz, von allem, was Ekel erregt. Außerdem werden sie beständig von anderen Geistern drangsaliert. Dass man gerade diesen Geistern im ostasiatischen Buddhismus besondere Aufmerksamkeit schenkte, hängt vielleicht damit zusammen, dass Gier eine so universelle menschliche Eigenschaft ist. Demnach kann es leicht sein, dass man selbst einmal als Hungergeist wiedergeboren wird.  
--><ref>Auch die auffallend roten Haare der Hungergeister könnten der Realität von Hungernden abgeschaut worden sein, da chronischer Hunger Melanin-Mangel und bei natürlich schwarzem Haar eine Rotfärbung hervorrufen kann (LaFleur 1989, S. 295).</ref><!--
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--> Die Darstellungen, und die Bedeutung der Hungergeister insgesamt, scheinen somit auch eine Reaktion auf die Ende der Heian-Zeit besonders häufigen Hungersnöte gewesen zu sein.
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== Rituelle Betreuung ==
  
== Trank- und Speiseopfer ==
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Die folgenden Abbildungen entstammen einer Bildrolle aus der späten {{g|Heian}}-Zeit, die heute dem Nationalmuseum Kyōto gehört. Sie illustriert anhand von Legenden den Ursprung und die Bedeutung der rituelle Ausspeisung von Hungergeistern, die zu dieser Zeit in einem Ritus namens {{g|Urabon}} vollzogen wurde. Dieser Ritus folgt dem Beispiel des Buddha-Schülers {{s|Ananda}}, der Hungergeister aus ihrer leidvollen Existenzform erlöst haben soll, indem er ihnen geweihte Speisen und Getränke vorsetzte.
  
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Ausspeisung der Hungergeister durch buddhistische Mönche. Die Mönche folgen dabei dem Beispiel des {{s|Buddha}}-Schülers {{s|Ananda}}, der die Hungergeister auf diese Weise von ihrer leidvollen Existenzform erlöste. Durch die Erlösung eines Hungergeists, kann man auch für sich selbst gutes {{s|karma}} erwirken.
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Das folgende Bild zeigt, wie sich die Ausspeisung der Hungergeister in der Heian-Zeit vollzog: Einige Menschen beten an einem  [[Alltag/Friedhof/Gorinto | Grab-Stupa]] und opfern den ''gaki'' Wasser, das diese gierig auflecken. Die Szene spielt sich vor den Toren eines Tempels ab, wo lebhaftes festliches Treiben herrscht. Einfache Mönche und Nonnen bieten religiöse Bilder und Gesänge dar.<ref>Siehe dazu {{zitiert|Wakabayashi 2020}}, S. 212–217.</ref> 
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Das {{g|Urabon}}-Fest in der späten Heian-Zeit: Einige Menschen beten am Friedhof (zu sehen ist links ein [[Alltag/Friedhof/Gorinto | Grab-Stupa]]) und opfern den ''gaki'' Wasser, das diese gierig auflecken. Währenddessen halten andere eine fröhliche Feier ab.
 
  
Die obigen Abbildungen entstammen einer ''Gaki zōshi''-Bildrolle, die heute dem Nationalmuseum Kyōto gehört. Sie befand sich möglicherweise ursprünglich im Besitz von Kaiser Go-Shirakawa (1127–92; r.1155–58). Andere Bilder dieser Bildrolle illustrieren buddhistische Legenden wie etwa die Geschichte {{g|Mokuren | Mokurens}}, die sich auf die Hungergeister beziehen. Es handelt sich also um Material, das die Relevanz des Urabon-Festes in leicht fasslicher Form illustrieren sollte.
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Das hier dargestellte ''urabon''-Ritual ist eine frühe Form des Bon-Fests ({{g|obon}}), das heute zu Ehren der Ahnen Mitte August gefeiert wird (s. dazu {{showTitel|Alltag/Jahr}}). Seinem ursprünglichen Sinn nach ist O-bon also eine religiöse Zeremonie, um die Ahnen, die zu Hungergeistern wurden, aus diesem niederen Bereich der Wiedergeburt zu befreien. Durch die Erlösung eines Hungergeistes kann man auch für sich selbst gutes {{s|karma}} erwirken.
  
 
==Verbindung mit dem Unreinen==
 
==Verbindung mit dem Unreinen==
  
Eine andere Bildrolle, die heute im Tōkyō National Museum aufbewahrt wird, hebt mehr die unheimlichen und unappetitlichen Aspekte der Hungergeister hervor. Zugleich spricht aus der Art der Darstellung auch so etwas wie Sympathie für die Geister. In der Tat könnte es sich ja ohne weiteres um verstorbene Anverwandte der damaligen Zeitgenossen handeln, wenn diese sich im irdischen Leben durch besondere Gier ausgezeichnet hatten.
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Eine andere Bildrolle aus der gleichen Zeit, die heute im Tōkyō National Museum aufbewahrt wird, hebt mehr die unheimlichen und unappetitlichen Aspekte der Hungergeister hervor. Die ''gaki'' scheinen hier die Unreinheit ({{g|kegare}}) selbst zu personifizieren und werden in Szenen gezeigt, in denen Menschen mit Unreinem in Berührung kommen. Dadurch verkörpern die ''gaki'' die Gefahr, selbst als Hungergeist wiedergeboren zu werden, wenn man sich nicht ausreichend vor Unreinheit schützt. Zugleich spricht aus der Art der Darstellung auch so etwas wie Sympathie für die Geister.
 
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Das im ersten Bild erkennbare „Gemeinschaftsklo“, das die Menschen ohne große Hemmungen kollektiv nutzen, wirft einen interessanten Aspekt auf die Geschichte der Schamhaftigkeit in Japan. Die bildliche Darstellung einer Geburt ist, nicht nur in Japan, ähnlich selten und ungewöhnlich. Gebären an sich galt damals als etwas Unreines (und lockt daher den Hungergeist an). Schließlich offenbart die Friedhofszene die damalige Praxis, Leichen einfach den Tieren zum Fraß zu überlassen. In den Gräbern befanden sich wahrscheinlich nur höher gestellte Persönlichkeiten und buddhistische Mönche.
 
Das im ersten Bild erkennbare „Gemeinschaftsklo“, das die Menschen ohne große Hemmungen kollektiv nutzen, wirft einen interessanten Aspekt auf die Geschichte der Schamhaftigkeit in Japan. Die bildliche Darstellung einer Geburt ist, nicht nur in Japan, ähnlich selten und ungewöhnlich. Gebären an sich galt damals als etwas Unreines (und lockt daher den Hungergeist an). Schließlich offenbart die Friedhofszene die damalige Praxis, Leichen einfach den Tieren zum Fraß zu überlassen. In den Gräbern befanden sich wahrscheinlich nur höher gestellte Persönlichkeiten und buddhistische Mönche.
  
Die Bildrolle, aus der diese Beispiele stammen, zählte einst zum Besitz von Kaiser Go-Shirakawa und wurde zusammen mit ähnlichen illustrierten Werken im {{g|Kannonbosatsu | Kannon}} Tempel Rengeō-in (besser bekannt als {{g|Sanjuusangendou}}) aufbewahrt. Der Glaube an die Hungergeister war also keineswegs ein obskurer Aberglaube, sondern wurde in der späten Heian-Zeit von der Elite der Hofkultur hochgehalten. Heute werden die Bildrollen in Japan zu den offiziellen „Nationalen Kulturschätzen“ gezählt.
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== ''Gaki zōshi'' ==
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Die hier vorgestellten Bildrollen der Hungergeister ({{g|Gakizoushi}}) stammen aus der späten {{g|Heian}}-Zeit (11.–12. Jh.) und werden heute zu den offiziellen „Nationalen Kulturschätzen“ Japans gezählt. Sie wurden von Tennō {{g|Goshirakawatennou | Go-Shirakawa}} (1127–92; r.1155–58) persönlich in Auftrag gegeben und zusammen mit ähnlichen illustrierten Werken im {{g|Kannonbosatsu | Kannon}} Tempel Rengeō-in besser bekannt als {{g|Sanjuusangendou}} — aufbewahrt (s. dazu auch {{showTitel|Höllenbilder}}). Der Glaube an die Hungergeister war also keineswegs ein obskurer Aberglaube, sondern wurde in der späten Heian-Zeit von der Elite der Hofkultur hochgehalten.  
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Die Darstellungen gewähren nicht nur einen ungewöhnlich lebendigen Einblick in das damalige Leben, sie portraitieren auch die Geister selbst mit fast liebevoller Detailversessenheit. Die ''gaki'' sind mit physiologischen Merkmalen — einem aufgeblähten Bauch und schütteren rötlichen Haaren —  ausgestattet, die tatsächlich bei Hungernden auftreten.<!--
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--><ref>Chronischer Hunger erzeugt Melanin-Mangel, was bei natürlich schwarzem Haar eine Rotfärbung hervorrufen kann (LaFleur 1989, S. 295).</ref><!--
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--> Die Darstellungen, und die Bedeutung der Hungergeister insgesamt, scheinen somit auch eine Reaktion auf die am Ende der Heian-Zeit besonders häufigen Hungersnöte gewesen zu sein.
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Obwohl in Indien entstanden und auf indische Verhältnisse zugeschnitten, erschien ihre Existenz auch in Japan plausibel. {{g|Lafleurwilliam}} argumentiert in einem 1989 erschienenen Aufsatz, dass die Hungergeister eine quasi-naturwissenschaftliche Erklärung für das natürliche Verschwinden jeglicher Art von Abfall oder Unrat boten. Dank ihrer Genauigkeit machten die ''Gaki zōshi'' das Wirken der Hungergeister in natürlichen Verfallsprozessen für die Zeitgenossen sichtbar und geben uns heute einen Einblick in deren damalige Weltsicht.
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{{g|Wakabayashiharuko}} wiederum betont, dass die Szenen der ''Gaki zōshi'' nicht einfach zufällig aus dem Alltag gegriffen sind, sondern sich auf konkrete Textstellen in kanonischen Sutren beziehen, die spezifische Typen von Hungergeistern mit spezifischen Vergehen und daraus resultierenden Bestrafungen in Verbindung bringen. Für Wakabayashi sind die Bilder daher „Übersetzungen“ buddhistischer Texte in den konkreten Alltag der Heian-Zeit.
  
== Buddhistischer Hintergrund ==
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== Dämonologie der Hungergeister==
  
Wie man anhand der obigen Bilder erkennen kann, sind die Hungergeister keine einheitliche Spezies, sondern gliedern sich in verschiedene Unterarten. Dies wird bereits in einem kanonischen Sūtra spezifiziert, dem {{g|shoubounenshokyou}} (Übersetzung ins Chinesische 538–541), das ausführlich auf die Sechs Bereiche der Wiedergeburt eingeht. Dieser Text erklärt, dass Geiz und Eifersucht zur Wiedergeburt als Hungergeist führen. Dann werden 36 verschiedene Arten von ''gaki'' aufgezählt:
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Die von Wakabayashi angesprochenen Typen von Hungergeistern suggerieren, dass Hungergeister keine einheitliche Spezies sind, sondern sich in verschiedene Unterarten gliedern. Dies wird bereits in einem kanonischen {{s|Sutra}} spezifiziert, dem {{g|shoubounenshokyou}} (Übersetzung ins Chinesische 538–541), das ausführlich auf die Sechs Bereiche der Wiedergeburt eingeht. Dieser Text erklärt, dass Geiz und Eifersucht zur Wiedergeburt als Hungergeist führen. Dann werden 36 verschiedene Arten von ''gaki'' aufgezählt:
  
 
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Das für die japanischen Jenseitsvorstellungen grundlegende {{g|oujouyoushuu}} (985) orientiert sich  an dieser Liste, greift jedoch nur einige Beispiele heraus, die dafür etwas ausführlicher behandelt werden. So heißt es etwa, dass jene, die sich von Erbrochenem ernähren müssen, in einem früheren Leben ihr Essen nicht mit Frau und Kind bzw. Mann und Kind teilten. Andere wie die „''dharma''-Esser“ sind auf Riten angewiesen, um sich zu ernähren. Es handelt sich zumeist um ehemalige Mönche, die nur auf den eigenen Ruhm bedacht waren. Ehemalige Sake-Verkäufer werden zu „Wasser-Essern“, die von speziellen Dämonen daran gehindert werden, an einen Fluss zu gelangen. Die ''gaki'' rund um Gräber sind ehemalige Gefängniswärter, die den Häftlingen nichts zu essen gaben. Wieder andere gebären ständig Kinder, die sie dann selbst aufessen. Eine weitere Spezies ernährt sich vom eigenen Gehirn. Schließlich paraphrasiert der Text die Aussage des ''Shōbō nensho kyō'', dass die Hungergeister Münder so klein wie ein Nadelöhr und Bäuche so groß wie ein Berg hätten, sodass sie selbst dann, wenn sie Essbares fänden, nie satt werden würden.<ref>Zitiert nach der Ausgabe in ''Nihon shisō taikei'' (Hg. Ishida Mizumao, Iwanami 1970), S. 30–32.</ref>  
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Das für die japanischen Jenseitsvorstellungen grundlegende {{g|oujouyoushuu}} (985) orientiert sich  an dieser Liste, greift jedoch nur einige Beispiele heraus, die dafür etwas ausführlicher behandelt werden. So heißt es etwa, dass jene, die sich von Erbrochenem ernähren müssen, in einem früheren Leben ihr Essen nicht mit Frau und Kind bzw. Mann und Kind teilten. Andere wie die „{{s|dharma}}-Esser“ sind auf Riten angewiesen, um sich zu ernähren. Es handelt sich zumeist um ehemalige Mönche, die nur auf den eigenen Ruhm bedacht waren. Ehemalige Sake-Verkäufer werden zu „Wasser-Essern“, die von speziellen Dämonen daran gehindert werden, an einen Fluss zu gelangen. Die ''gaki'' rund um Gräber sind ehemalige Gefängniswärter, die den Häftlingen nichts zu essen gaben. Wieder andere gebären ständig Kinder, die sie dann selbst aufessen. Eine weitere Spezies ernährt sich vom eigenen Gehirn. Schließlich paraphrasiert der Text die Aussage des ''Shōbō nensho kyō'', dass die Hungergeister Münder so klein wie ein Nadelöhr und Bäuche so groß wie ein Berg hätten, sodass sie selbst dann, wenn sie Essbares fänden, nie satt werden würden.<ref>Zitiert nach der Ausgabe in ''Nihon shisō taikei'' (Hg. Ishida Mizumao, Iwanami 1970), S. 30–32.</ref>
  
Obwohl in Indien entstanden und auf indische Verhältnisse zugeschnitten, bot die Darstellung der Hungergeister auch in Japan Möglichkeiten, Phänomene des täglichen Lebens mit ihnen zu verbinden und ihre Existenz plausibel erscheinen zu lassen. {{g|Lafleurwilliam}} argumentiert in einem 1989 erschienenen Aufsatz, dass die Hungergeister eine quasi-naturwissenschaftliche Erklärung für das natürliche Verschwinden jeglicher Art von Abfall oder Unrat boten. Zugleich verbanden sie sich mit den allgegenwärtigen Hungerphänomenen. Dieser praktische Zugang führte laut LaFleur zu einer Art vormodernem Röntgen-Blick, durch den die ''gaki'' auf den Bildrollen der späten Heian-Zeit sichtbar gemacht wurden.  
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Die Wasser-Esser sind jene ''gaki'', die durch Trankopfer ernährt werden. Wenn sie sich einem Fluss nähern, werden sie von Flussgeistern fortgescheucht, und sollten Sie doch Flüssigkeit zu sich nehmen, verbrennen sie sich daran. Nur durch Trankopfer mit begleitenden religiösen Sprüchen, können sie flüssige Nahrung schmerzfrei zu sich nehmen.<ref>Wakabayashi 2020, S. 212.</ref> Auch die ''gaki'' auf Friedhöfen finden sich bereits in der klassischen Liste.
  
{{ThisWay}}
 
 
{{Verweise
 
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* [[Höllen und Hungergeister]] (Hauptseite)
 
* [[Alltag/Jahr | Bon-Fest]], heute eines der wichtigsten Jahresfeste in Japan
 
* [[Höllenbilder]]
 
 
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{{Literatur:LaFleur 1989}}
 
{{Literatur:LaFleur 1989}}
 
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* Die ''Gaki zōshi'' sind ausführlich auf der sehr empfehlenswerten Website [http://www.emuseum.jp/ e-kokuhō] dokumentiert.  
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* Die ''Gaki zōshi'' sind ausführlich auf der sehr empfehlenswerten Website [https://emuseum.nich.go.jp/ e-Museum] dokumentiert.  
 
* [https://21dzk.l.u-tokyo.ac.jp/SAT SAT Daizōkyō Text Database]
 
* [https://21dzk.l.u-tokyo.ac.jp/SAT SAT Daizōkyō Text Database]
 
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Aktuelle Version vom 22. August 2024, 14:39 Uhr

Hungergeister
Gaki.gif

Hungergeister (skt. preta [preta (skt.) प्रेत „Hungergeist“ (jap. gaki 餓鬼)], jap. gaki [gaki (jap.) 餓鬼 Hungergeist; skt. preta]) sind spindeldürre Wesen mit aufgequollenen Bäuchen, die der Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)]-Theorie zufolge in früheren Leben zu gierig waren. Zur Strafe sind sie beständig hungrig und durstig, doch ihr dünner Hals gestattet keine ausreichende Nahrungsaufnahme. Sie ernähren sich von Kot, Urin und Leichenteilen, kurz, von allem, was Ekel erregt. Außerdem werden sie beständig von anderen Geistern drangsaliert. Dass man gerade diesen Geistern im ostasiatischen Buddhismus besondere Aufmerksamkeit schenkte, hängt vielleicht damit zusammen, dass Gier eine so universelle menschliche Eigenschaft ist. Demnach kann es leicht sein, dass man selbst einmal als Hungergeist wiedergeboren wird.

Rituelle Betreuung

Die folgenden Abbildungen entstammen einer Bildrolle aus der späten Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit, die heute dem Nationalmuseum Kyōto gehört. Sie illustriert anhand von Legenden den Ursprung und die Bedeutung der rituelle Ausspeisung von Hungergeistern, die zu dieser Zeit in einem Ritus namens urabon [urabon (jap.) 盂蘭盆 Ursprünglicher (buddhistischer) Name des Bon-Fests, abgeleitet von ullambana] vollzogen wurde. Dieser Ritus folgt dem Beispiel des Buddha-Schülers Ananda [Ānanda (skt.) आनन्द „Freude“, Schüler des Buddha (jap. Anan 阿難)], der Hungergeister aus ihrer leidvollen Existenzform erlöst haben soll, indem er ihnen geweihte Speisen und Getränke vorsetzte.

Gakizoshi ausspeisung.jpg
1 Ausspeisung der Hungergeister durch den Buddha-Schüler Ananda und seine Mitbrüder
Ausspeisung der Hungergeister (gaki) durch buddhistische Mönche.
Kamakura-Zeit, 12. Jh. e-kokuhō.

Die Vorstellung der Hungergeister ist aber auch mit Mokuren [Mokuren (jap.) 目連 Schüler des Buddha; skt. Maudgalyayana; errettet seine Mutter aus der Hölle] (skt. Maudgalyayana [Maudgalyāyana (skt.) मौद्गल्यायन Schüler des Buddha; mit übersinnlichen Fähigkeiten begabt, war es ihm möglich, die Unterwelt zu besuchen; in ostasiatischen Versionen seiner Legende errettet er dort seine Mutter (jap. Mokuren 目連)]), einem weiteren Schüler des Buddha [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)], verknüpft. Dank seiner übernatürlichen Fähigkeiten war er in der Lage, die Totenwelt zu durchwandern, wo er seine Mutter in Gestalt eines Hungergeistes traf. Als er ihr Speisen vorsetzte, verwandelten sich diese in glühende Kohlen. Als er Rat bei Buddha suchte, erklärte dieser, dass er seine Mutter durch eine rituelle Ausspeisung erlösen könne.1

Gakizoshi mokuren.jpg
2 Mokuren trifft seine Mutter als Hungergeist
Der Mönch Mokuren begegnet seiner Mutter als Hungergeist (gaki) und erwirkt bei Buddha ihre Befreiung aus dieser leidvollen Existenz.
12. Jh. e-kokuhō.

Das folgende Bild zeigt, wie sich die Ausspeisung der Hungergeister in der Heian-Zeit vollzog: Einige Menschen beten an einem Grab-Stupa und opfern den gaki Wasser, das diese gierig auflecken. Die Szene spielt sich vor den Toren eines Tempels ab, wo lebhaftes festliches Treiben herrscht. Einfache Mönche und Nonnen bieten religiöse Bilder und Gesänge dar.2

Gakizoshi urabon.jpg
3 Gaki zōshi
Das Bild zeigt einen Stupa (sotoba), der von verschiedenen Leuten, wohl während des O-bon-Festes, mit Opfergaben bedacht wird, sowie geschäftiges Treiben vor den Toren eines Tempels. Ein begleitender Text erklärt, dass sich gewisse Hungergeister von dem Opferwasser ernähren, das Hinterbliebene ihren verstorbenen Angehörigen darbringen. Dieser Text ist ein Zitat aus einem chinesischen Sutra. Das Bild zeigt, dass sich davon ausgehend bereits ein Kult etabliert hat, um Hungergeister (möglicherweise die verstorbenen Eltern in ihrer folgenden Existenzform) mit Wasser zu laben. Der Ort dafür ist eine Art kollektiver Grab-Stupa, dessen Existenz auch in anderen Quellen der späten Heian-Zeit belegt ist (Wakabayashi 2020, S. 215).
Heian-Zeit, 12. Jh. e-kokuhō.
Das urabon [urabon (jap.) 盂蘭盆 Ursprünglicher (buddhistischer) Name des Bon-Fests, abgeleitet von ullambana]-Fest in der späten Heian-Zeit:

Das hier dargestellte urabon-Ritual ist eine frühe Form des Bon-Fests (O-bon [O-bon (jap.) お盆 Fest der Ahnen; Bon-Fest]), das heute zu Ehren der Ahnen Mitte August gefeiert wird (s. dazu Religion und Brauchtum im Jahreszyklus). Seinem ursprünglichen Sinn nach ist O-bon also eine religiöse Zeremonie, um die Ahnen, die zu Hungergeistern wurden, aus diesem niederen Bereich der Wiedergeburt zu befreien. Durch die Erlösung eines Hungergeistes kann man auch für sich selbst gutes Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)] erwirken.

Verbindung mit dem Unreinen

Eine andere Bildrolle aus der gleichen Zeit, die heute im Tōkyō National Museum aufbewahrt wird, hebt mehr die unheimlichen und unappetitlichen Aspekte der Hungergeister hervor. Die gaki scheinen hier die Unreinheit (kegare [kegare (jap.) 穢れ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande]) selbst zu personifizieren und werden in Szenen gezeigt, in denen Menschen mit Unreinem in Berührung kommen. Dadurch verkörpern die gaki die Gefahr, selbst als Hungergeist wiedergeboren zu werden, wenn man sich nicht ausreichend vor Unreinheit schützt. Zugleich spricht aus der Art der Darstellung auch so etwas wie Sympathie für die Geister.

Gakizoshi notdurft.jpg
4 Gaki zōshi
Die Hungergeister (gaki) warten geduldig, bis die Menschen ihre Notdurft verrichtet haben, um sich selbst daran zu laben. Das Bild ist auch für die Alltagsgeschichte der Heian-Zeit interessant, da es einerseits den Abort als öffentliche Fläche (wahrscheinlich in einer Hintergasse) darstellt und zugleich die Verwendung von sogenannten shit sticks (jap. chūgi 籌木) dokumentiert, also kleine Hölzchen, die ähnlich wie das heutige Klopapier verwendet wurden. Auch Stoff oder Papier ist im übrigen zu sehen.
Kamakura-Zeit, 12.–13. Jh. Tōkyō National Museum.
Hungergeister warten geduldig, bis die Menschen ihre Notdurft verrichtet haben, um sich selbst daran zu laben
Gakizoshi geburt.jpg
5 Gaki zōshi
Ein Hungergeist (gaki) beobachtet eine Geburt — zweifellos in der Hoffnung auf Nahrung.
Kamakura-Zeit, 12.–13. Jh. Tōkyō National Museum.
Ein Hungergeist beobachtet eine Geburt — zweifellos in der Hoffnung auf Nahrung
Gakizoshi friedhof.jpg
6 Gaki zōshi
Hungergeister (gaki) streunen um die Gräber und teilen sich das Aas mit den Hunden.
Kamakura-Zeit, 12.–13. Jh. e-Museum, National Treasures & Important Cultural Propertiesof National Institutes for Cultural Heritage, Japan.
Gaki streunen um die Gräber und teilen sich das Aas mit den Hunden

Das im ersten Bild erkennbare „Gemeinschaftsklo“, das die Menschen ohne große Hemmungen kollektiv nutzen, wirft einen interessanten Aspekt auf die Geschichte der Schamhaftigkeit in Japan. Die bildliche Darstellung einer Geburt ist, nicht nur in Japan, ähnlich selten und ungewöhnlich. Gebären an sich galt damals als etwas Unreines (und lockt daher den Hungergeist an). Schließlich offenbart die Friedhofszene die damalige Praxis, Leichen einfach den Tieren zum Fraß zu überlassen. In den Gräbern befanden sich wahrscheinlich nur höher gestellte Persönlichkeiten und buddhistische Mönche.

Gaki zōshi

Die hier vorgestellten Bildrollen der Hungergeister (Gaki zōshi [Gaki zōshi (jap.) 餓鬼草紙 Illustrierte Querbildrollen der Hungergeister]) stammen aus der späten Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit (11.–12. Jh.) und werden heute zu den offiziellen „Nationalen Kulturschätzen“ Japans gezählt. Sie wurden von Tennō Go-Shirakawa [Go-Shirakawa Tennō (jap.) 後白河天皇 1127–1192; 77. Kaiser von Japan (r. 1155–1158); stellte vor allem als Exkaiser im Mönchsstand ein wichtiges politisches Gegengewicht zu den Diktatoren Taira no Kiyomori und Minamoto no Yoritomo dar] (1127–92; r.1155–58) persönlich in Auftrag gegeben und zusammen mit ähnlichen illustrierten Werken im Kannon [Kannon Bosatsu (jap.) 観音菩薩 Bodhisattva Avalokiteshvara, wtl. „der den Klang der Welt erhört“; „Bodhisattva des Mitleids“; s.a. Kannon, Guanyin;] Tempel Rengeō-in — besser bekannt als Sanjūsangen-dō [Sanjūsangen-dō (jap.) 三十三間堂 33 Klafter Halle; Kannon-Tempelhalle in Kyōto; offizieller buddhistischer Tempelname: Rengeō-in] — aufbewahrt (s. dazu auch Höllen und Höllenbilder). Der Glaube an die Hungergeister war also keineswegs ein obskurer Aberglaube, sondern wurde in der späten Heian-Zeit von der Elite der Hofkultur hochgehalten.

Die Darstellungen gewähren nicht nur einen ungewöhnlich lebendigen Einblick in das damalige Leben, sie portraitieren auch die Geister selbst mit fast liebevoller Detailversessenheit. Die gaki sind mit physiologischen Merkmalen — einem aufgeblähten Bauch und schütteren rötlichen Haaren — ausgestattet, die tatsächlich bei Hungernden auftreten.3 Die Darstellungen, und die Bedeutung der Hungergeister insgesamt, scheinen somit auch eine Reaktion auf die am Ende der Heian-Zeit besonders häufigen Hungersnöte gewesen zu sein.

Obwohl in Indien entstanden und auf indische Verhältnisse zugeschnitten, erschien ihre Existenz auch in Japan plausibel. William LaFleur [LaFleur, William (west.) 1936–2010; amerikanischer Japanologe und Buddhismusforscher; lehrte u.a. in Princeton] argumentiert in einem 1989 erschienenen Aufsatz, dass die Hungergeister eine quasi-naturwissenschaftliche Erklärung für das natürliche Verschwinden jeglicher Art von Abfall oder Unrat boten. Dank ihrer Genauigkeit machten die Gaki zōshi das Wirken der Hungergeister in natürlichen Verfallsprozessen für die Zeitgenossen sichtbar und geben uns heute einen Einblick in deren damalige Weltsicht.

Haruko Wakabayashi [Wakabayashi, Haruko (west.) Japanisch-amerikanische Japanologin mit Schwerpunkt auf dem japanischen Mittelalter] wiederum betont, dass die Szenen der Gaki zōshi nicht einfach zufällig aus dem Alltag gegriffen sind, sondern sich auf konkrete Textstellen in kanonischen Sutren beziehen, die spezifische Typen von Hungergeistern mit spezifischen Vergehen und daraus resultierenden Bestrafungen in Verbindung bringen. Für Wakabayashi sind die Bilder daher „Übersetzungen“ buddhistischer Texte in den konkreten Alltag der Heian-Zeit.

Dämonologie der Hungergeister

Die von Wakabayashi angesprochenen Typen von Hungergeistern suggerieren, dass Hungergeister keine einheitliche Spezies sind, sondern sich in verschiedene Unterarten gliedern. Dies wird bereits in einem kanonischen sutra [sūtra (skt.) सूत्र „Faden“, Lehrrede des Buddha, kanonische Schrift (jap. kyō 経 oder kyōten 経典)] spezifiziert, dem Shōbō nensho kyō [Shōbō nensho kyō (jap.) 正法念處経 kanonischer Text in 70 Kapiteln, der die Wiedergeburtslehre zum Thema hat; skt. Saddharma-smṛty-upasthāna sūtra, chin. Zhengfa nianchu jing; 538–541 von Gautama Prajñāruci ins Chinesische übertragen] (Übersetzung ins Chinesische 538–541), das ausführlich auf die Sechs Bereiche der Wiedergeburt eingeht. Dieser Text erklärt, dass Geiz und Eifersucht zur Wiedergeburt als Hungergeist führen. Dann werden 36 verschiedene Arten von gaki aufgezählt:

  1. die mit kesselartigen Körpern;
  2. die mit nadel[dünnen] Mündern;
  3. die Erbrochenes essen;
  4. die Exkremente essen;
  5. die garnichts essen;
  6. die Gas-Esser;
  7. die dharmas essen;
  8. die Wasser-Esser;
  9. die Sehnsuchtsvollen;
  10. die Speichel-Esser;
  11. die Ranken-Esser;
  12. die Blut-Esser;
  13. die Fleisch-Esser;
  14. die Duft-Esser;
  15. die Krankheitsbringer;
  16. die Exkremente inspizieren;
  17. die Unterirdischen;
  18. die mit magischen Kräften;
  19. die Brennenden;
  20. die die Exkremente von Kindern inspizieren;
  21. die Lüsternen;
  22. die auf Meeresinseln leben;
  23. Diener des Enma [Enma (jap.) 閻魔 skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen], die Stöcke tragen;
  24. die kleine Kinder essen;
  25. die die Kraft der Menschen rauben;
  26. die indischen rasetsu [rasetsu (jap.) 羅刹 von skt. rakshasa; menschenfressende Dämonenrasse des indischen Pantheons];
  27. die Feuer-Esser;
  28. die auf schmutzigen Pfaden;
  29. die Wind-Esser;
  30. die Kohle-Esser;
  31. die Gift-Esser;
  32. die in der Wildnis;
  33. die bei den Gräbern wohnen und Asche essen;
  34. die auf Bäumen wohnen;
  35. die an Wegkreuzungen;
  36. die den Körper töten.4

Das für die japanischen Jenseitsvorstellungen grundlegende Ōjō yōshū [Ōjō yōshū (jap.) 往生要集 „Essentielle [Lehren] der Wiederbgeburt“, 985 von Genshin verfasst] (985) orientiert sich an dieser Liste, greift jedoch nur einige Beispiele heraus, die dafür etwas ausführlicher behandelt werden. So heißt es etwa, dass jene, die sich von Erbrochenem ernähren müssen, in einem früheren Leben ihr Essen nicht mit Frau und Kind bzw. Mann und Kind teilten. Andere wie die „Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. 法)]-Esser“ sind auf Riten angewiesen, um sich zu ernähren. Es handelt sich zumeist um ehemalige Mönche, die nur auf den eigenen Ruhm bedacht waren. Ehemalige Sake-Verkäufer werden zu „Wasser-Essern“, die von speziellen Dämonen daran gehindert werden, an einen Fluss zu gelangen. Die gaki rund um Gräber sind ehemalige Gefängniswärter, die den Häftlingen nichts zu essen gaben. Wieder andere gebären ständig Kinder, die sie dann selbst aufessen. Eine weitere Spezies ernährt sich vom eigenen Gehirn. Schließlich paraphrasiert der Text die Aussage des Shōbō nensho kyō, dass die Hungergeister Münder so klein wie ein Nadelöhr und Bäuche so groß wie ein Berg hätten, sodass sie selbst dann, wenn sie Essbares fänden, nie satt werden würden.5

Die Wasser-Esser sind jene gaki, die durch Trankopfer ernährt werden. Wenn sie sich einem Fluss nähern, werden sie von Flussgeistern fortgescheucht, und sollten Sie doch Flüssigkeit zu sich nehmen, verbrennen sie sich daran. Nur durch Trankopfer mit begleitenden religiösen Sprüchen, können sie flüssige Nahrung schmerzfrei zu sich nehmen.6 Auch die gaki auf Friedhöfen finden sich bereits in der klassischen Liste.

Verweise

Verwandte Themen

Fußnoten

  1. Diese Darstellung entspricht dem Urabon-kyō (Ullambana Sutra), jenem Sutra, von dem sich das Bon-Fest herleitet.
  2. Siehe dazu Wakabayashi 2020, S. 212–217.
  3. Chronischer Hunger erzeugt Melanin-Mangel, was bei natürlich schwarzem Haar eine Rotfärbung hervorrufen kann (LaFleur 1989, S. 295).
  4. Shōbō nensho kyō, SAT Daizōkyō Text Database, T.721(17)92; s.a. LaFleur 1989, S. 284–286.
  5. Zitiert nach der Ausgabe in Nihon shisō taikei (Hg. Ishida Mizumao, Iwanami 1970), S. 30–32.
  6. Wakabayashi 2020, S. 212.

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Haruko Wakabayashi, „Visualizing Hungry Ghosts in Heian Japan: Gakizōshi Scrolls as ‘Translation’“. Monumenta Nipponica 75/2 (2020), 205–239.
William LaFleur, „Hungry Ghosts and Hungry People: Somaticity and Rationality in Medieval Japan“. In: Michel Feher, Ramona Naddaff, Nadia Tazi (Hg.), Fragments for a History of the Human Body, part 1. New York: Zone, 1989, 271–303.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Gakizoshi ausspeisung.jpg
    Ausspeisung der Hungergeister (gaki) durch buddhistische Mönche.
    Kamakura-Zeit, 12. Jh. e-kokuhō.
  2. ^ 
    Gakizoshi mokuren.jpg
    Der Mönch Mokuren begegnet seiner Mutter als Hungergeist (gaki) und erwirkt bei Buddha ihre Befreiung aus dieser leidvollen Existenz.
    12. Jh. e-kokuhō.
  3. ^ 
    Gakizoshi urabon.jpg
    Das Bild zeigt einen Stupa (sotoba), der von verschiedenen Leuten, wohl während des O-bon-Festes, mit Opfergaben bedacht wird, sowie geschäftiges Treiben vor den Toren eines Tempels. Ein begleitender Text erklärt, dass sich gewisse Hungergeister von dem Opferwasser ernähren, das Hinterbliebene ihren verstorbenen Angehörigen darbringen. Dieser Text ist ein Zitat aus einem chinesischen Sutra. Das Bild zeigt, dass sich davon ausgehend bereits ein Kult etabliert hat, um Hungergeister (möglicherweise die verstorbenen Eltern in ihrer folgenden Existenzform) mit Wasser zu laben. Der Ort dafür ist eine Art kollektiver Grab-Stupa, dessen Existenz auch in anderen Quellen der späten Heian-Zeit belegt ist (Wakabayashi 2020, S. 215).
    Heian-Zeit, 12. Jh. e-kokuhō.
  1. ^ 
    Gakizoshi notdurft.jpg
    Die Hungergeister (gaki) warten geduldig, bis die Menschen ihre Notdurft verrichtet haben, um sich selbst daran zu laben. Das Bild ist auch für die Alltagsgeschichte der Heian-Zeit interessant, da es einerseits den Abort als öffentliche Fläche (wahrscheinlich in einer Hintergasse) darstellt und zugleich die Verwendung von sogenannten shit sticks (jap. chūgi 籌木) dokumentiert, also kleine Hölzchen, die ähnlich wie das heutige Klopapier verwendet wurden. Auch Stoff oder Papier ist im übrigen zu sehen.
    Kamakura-Zeit, 12.–13. Jh. Tōkyō National Museum.
  2. ^ 
    Gakizoshi geburt.jpg
    Ein Hungergeist (gaki) beobachtet eine Geburt — zweifellos in der Hoffnung auf Nahrung.
    Kamakura-Zeit, 12.–13. Jh. Tōkyō National Museum.
  3. ^ 
    Gakizoshi friedhof.jpg
    Hungergeister (gaki) streunen um die Gräber und teilen sich das Aas mit den Hunden.
    Kamakura-Zeit, 12.–13. Jh. e-Museum, National Treasures & Important Cultural Propertiesof National Institutes for Cultural Heritage, Japan.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Ānanda (skt.) आनन्द ^ „Freude“, Schüler des Buddha (jap. Anan 阿難)
  • Buddha (skt.) बुद्ध ^ „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)
  • Dharma (skt.) धर्म ^ Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. 法)
  • Enma 閻魔 ^ skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen
  • gaki 餓鬼 ^ Hungergeist; skt. preta
  • Gaki zōshi 餓鬼草紙 ^ Illustrierte Querbildrollen der Hungergeister
  • Go-Shirakawa Tennō 後白河天皇 ^ 1127–1192; 77. Kaiser von Japan (r. 1155–1158); stellte vor allem als Exkaiser im Mönchsstand ein wichtiges politisches Gegengewicht zu den Diktatoren Taira no Kiyomori und Minamoto no Yoritomo dar
  • Heian 平安 ^ auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
  • Kannon Bosatsu 観音菩薩 ^ Bodhisattva Avalokiteshvara, wtl. „der den Klang der Welt erhört“; „Bodhisattva des Mitleids“; s.a. Kannon, Guanyin;
  • Karma (skt.) कर्म ^ „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)
  • kegare 穢れ ^ rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande
  • LaFleur, William (west.) ^ 1936–2010; amerikanischer Japanologe und Buddhismusforscher; lehrte u.a. in Princeton
  • Maudgalyāyana (skt.) मौद्गल्यायन ^ Schüler des Buddha; mit übersinnlichen Fähigkeiten begabt, war es ihm möglich, die Unterwelt zu besuchen; in ostasiatischen Versionen seiner Legende errettet er dort seine Mutter (jap. Mokuren 目連)
  • Mokuren 目連 ^ Schüler des Buddha; skt. Maudgalyayana; errettet seine Mutter aus der Hölle
  • O-bon お盆 ^ Fest der Ahnen; Bon-Fest
  • Ōjō yōshū 往生要集 ^ „Essentielle [Lehren] der Wiederbgeburt“, 985 von Genshin verfasst
  • preta (skt.) प्रेत ^ „Hungergeist“ (jap. gaki 餓鬼)
  • rasetsu 羅刹 ^ von skt. rakshasa; menschenfressende Dämonenrasse des indischen Pantheons
  • Sanjūsangen-dō 三十三間堂 ^ 33 Klafter Halle; Kannon-Tempelhalle in Kyōto; offizieller buddhistischer Tempelname: Rengeō-in
  • Shōbō nensho kyō 正法念處経 ^ kanonischer Text in 70 Kapiteln, der die Wiedergeburtslehre zum Thema hat; skt. Saddharma-smṛty-upasthāna sūtra, chin. Zhengfa nianchu jing; 538–541 von Gautama Prajñāruci ins Chinesische übertragen
  • sūtra (skt.) सूत्र ^ „Faden“, Lehrrede des Buddha, kanonische Schrift (jap. kyō 経 oder kyōten 経典)
  • urabon 盂蘭盆 ^ Ursprünglicher (buddhistischer) Name des Bon-Fests, abgeleitet von ullambana
  • Wakabayashi, Haruko (west.) ^ Japanisch-amerikanische Japanologin mit Schwerpunkt auf dem japanischen Mittelalter