Alltag/Ahnenkult: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Toten- und Ahnenkult in Japan ist für Nicht-Japaner besonders verwirrend, da die Toten an mindestens zwei Orten verehrt werden. Üblicherweise natürlich am [[Alltag/Friedhof | Friedhof]], darüber hinaus aber auch am buddhistischen Hausaltar ({{g|butsudan}}). Auf dem Hausaltar sind die in den letzten Jahren oder Jahrzehnten verstorbenen Verwandten durch sogenannte {{g|ihai}} präsent. ''Ihai'' sind schwarzlackierte aufrecht stehende Holztäfelchen, auf denen (zumeist in Gold) ein posthumer Name ({{g|kaimyou}}) aufgeschrieben steht. Dieser Name wird dem Verstorbenen nach seinem Tod in einer buddhistischen Zeremonie verliehen.
  
{{fl|D}}er Toten- und Ah·nen·kult in Japan ist für Nicht-Japaner besonders ver·wir·rend, da die Toten an min·des·tens zwei Orten ver·ehrt werden. Üb·licher·weise natürlich am [[Alltag/Friedhof | Fried·hof]], darüber hinaus aber auch am bud·dhis·tischen Haus·altar ({{glossar:butsudan}}). Auf dem Haus·altar sind die in den letzten Jahren oder Jahr·zehnten verstorbenen Ver·wandten durch so·ge·nannte {{glossar:ihai}} präsent. ''Ihai'' sind schwarz·lackierte aufrecht stehende Holz·täfelchen, auf denen (zumeist in Gold) ein post·humer Name ({{glossar:kaimyou}}) auf·ge·schrieben steht. Dieser Name wird dem Ver·storbenen nach seinem Tod in einer bud·dhis·tischen Zeremonie ver·liehen.
 
 
==Die Identität des Verstorbenen==
 
==Die Identität des Verstorbenen==
Allgemein bezeichnet man einen Verstorbenen als {{glossar:hotoke}}, eigentlich eine japanische Be·zeich·nung für {{skt:Buddha}}. Wörtlich genommen bedeutet dies, dass ein Mensch nach seinem Ab·leben Buddha wird. Dies ist jedoch nicht im Ein·klang mit der eigent·lichen [[Grundbegriffe/Buddhismus_Lehre | bud·dhis·tischen Lehre]]. Obwohl es innerhalb der bud·dhis·tischen Richtungen Japans dazu verschiedene Auf·fassungen gibt, vertritt keine die Ansicht, dass man nach dem Tod au·to·matisch zu Buddha wird. Die Be·zeich·nung ist demnach als frommer Wunsch zu verstehen, in etwa: der Ver·storbene möge ein Buddha geworden sein. Natürlich wird dieser Wunsch nicht jedesmal bewusst geäußert, wenn von ''hotoke'' die Rede ist. ''Hotoke'' oder ''hotoke-sama'' ist schlicht der geläufige Aus·druck für „Ver·stor·bener“. Daneben existieren die Begriffe {{glossar:reikon}} (Seele, Geist), {{glossar:tamashii|''tama''/''tamashii''}} (Seele, Geist) und andere mehr, die im Alltags·gebrauch fast unter·schieds·los verwendet werden. Mitunter kann ein Ver·storbener auch als {{glossar:kami|''kami''}} auf·gefasst werden.
 
  
Die mehrdeutigen Ben·en·nungen eines Verstorbenen enthalten bereits einen Hinweis darauf, dass es in Bezug auf Jen·seits- und Seelen·vor·stellungen selbst unter religiösen Menschen eine große Band·breite an Inter·pre·ta·tionen gibt. Ein verbindliches, ein·heitliches Er·klä·rungs·muster ist dahinter kaum zu erkennen. Vor allem hin·sichtlich des In·einander·greifens von bud·dhis·tischem und shin·tō·is·tischem Jen·seits gibt es heute keine kanonische, d.h. offiziell von religiösen Ins·ti·tu·tionen vertretene Lehr·meinung mehr. Wer sich mit dem Thema näher befasst, muss sich daher darauf gefasst machen, immer wieder mit höchst wider·sprüch·lichen Dar·stel·lungs·weisen konfrontiert zu werden. (s. dazu auch Kap. Mythen, [[Mythen/Jenseits |Jenseits]].)
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Allgemein bezeichnet man einen Verstorbenen als {{g|hotoke}}, eigentlich eine japanische Bezeichnung für {{s|Buddha}}. Wörtlich genommen bedeutet dies, dass ein Mensch nach seinem Ableben zu einem Buddha wird. Dies ist jedoch nicht im Einklang mit der eigentlichen [[Grundbegriffe/Buddhismus_Lehre | buddhistischen Lehre]], welche keineswegs behauptet, dass jeder Verstorbene  automatisch zu Buddha wird. Die Bezeichnung ist demnach als frommer Wunsch zu verstehen, in etwa: der Verstorbene möge ein Buddha geworden sein. Natürlich wird dieser Wunsch nicht jedesmal bewusst geäußert, wenn von ''hotoke'' die Rede ist. ''Hotoke'' oder ''hotoke-sama'' ist schlicht der geläufige Ausdruck für „Verstorbener“. Daneben existieren auch nüchtern-objektive Begriffe wie {{g|shisha}} (Toter) oder an bestimmte Jenseitsvorstellungen geknüpfte Bezeichnungen wie {{g|reikon}} (Seele, Geist), {{g|tamashii|''tama''/''tamashii''}} (Seele, Geist) und andere mehr. Mitunter kann ein Verstorbener auch als {{g|kami|''kami''}} aufgefasst werden.  
  
Eine bestimmte Vorstellung findet sich allerdings sehr häufig in Verbindung mit japa·nischen Jen·seits·vor·stellungen. Man muss nach dem Tod aktiv dafür sorgen, dass die Toten den Weg ins Jen·seits finden und dort „befriedet“ werden. Geschieht dies nicht, kann es leicht sein, dass die Toten·seele ziellos im Dies·seits umher irrt und als Gespenst ({{glossar:obake}} bzw. {{glossar:yuurei}}) allerlei Unfrieden stiftet (s. Kap. Mythen, [[Mythen/Geister |Geister]]). Die weite Ver·brei·tung dieser Vor·stellung auch unter ansonsten vollkommen rationell orientierten Menschen mag mit ein Grund dafür sein, dass den Verstorbenen im Alltag ver·hält·nismäßig viel Auf·merk·sam·keit zu teil wird. Darüber hinaus kann die Sorge um die Toten·seele eines nahen Verwandten aber natürlich auch Aus·druck echter Trauerarbeit sein, die einem Menschen hilft, über den Ver·lust des Ehe·partners oder Eltern·teils hinweg·zukommen. Besonders ältere Menschen widmen sich aus diesen Gründen täglich der Pflege des bud·dhis·tischen Hausaltars.
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Die mehrdeutigen Benennungen eines Verstorbenen enthalten bereits einen Hinweis darauf, dass es in Bezug auf Jenseits- und Seelenvorstellungen selbst unter religiösen Menschen eine große Bandbreite an Interpretationen gibt. Ein verbindliches, einheitliches Erklärungsmuster ist dahinter kaum zu erkennen. Vor allem hinsichtlich des Ineinandergreifens von buddhistischem und shintōistischem Jenseits gibt es heute keine kanonische, d.h. offiziell von religiösen Institutionen vertretene Lehrmeinung mehr. Wer sich mit dem Thema näher befasst, muss sich daher darauf gefasst machen, immer wieder mit höchst widersprüchlichen Darstellungsweisen konfrontiert zu werden. (S. dazu auch Kap. Mythen, {{showTitel|Mythen/Jenseits}}.)
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Eine bestimmte Vorstellung findet sich allerdings sehr häufig in Verbindung mit japanischen Jenseitsvorstellungen. Man muss nach dem Tod aktiv dafür sorgen, dass die Toten den Weg ins Jenseits finden und dort „befriedet“ werden. Geschieht dies nicht, kann es leicht sein, dass die Totenseele ziellos im Diesseits umher irrt und als Gespenst ({{g|obake}} bzw. {{g|yuurei}}) allerlei Unfrieden stiftet (s. Kap. Mythen, {{showTitel|Mythen/Geister}}). Die weite Verbreitung dieser Vorstellung auch unter ansonsten vollkommen rational orientierten Menschen mag mit ein Grund dafür sein, dass den Verstorbenen im Alltag verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Darüber hinaus kann die Sorge um die Totenseele eines nahen Verwandten aber natürlich auch Ausdruck echter Trauerarbeit sein, die einem Menschen hilft, über den Verlust des Ehepartners oder Elternteils hinwegzukommen. Besonders ältere Menschen widmen sich aus diesen Gründen täglich der Pflege des buddhistischen Hausaltars.
  
 
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Laut Ian Reader ist die Zahl der Hausaltäre im Sinken begriffen. 1981 besaßen 63% aller Haushalte einen ''butsudan'', 1995 59% und 2004 56%. Ähnliche Ab·wärts·trends gibt es auch bei shintōistischen {{glossar:kamidana}}, deren Verbreitung gleich·blei·bend leicht unter der des ''butsudan'' liegt (Reader 2012, S. 21–22).
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Laut Ian Reader ist die Zahl der Hausaltäre im Sinken begriffen. 1981 besaßen 63% aller Haushalte einen ''butsudan'', 1995 59% und 2004 56%. Ähnliche Abwärtstrends gibt es auch bei shintōistischen {{gb|kamidana}}, deren Verbreitung gleichbleibend leicht unter der des ''butsudan'' liegt (Reader 2012, S. 21–22).
 
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-->Im Hausaltar stehen mehrere ''ihai''-Täfelchen, welche die Ver·storbenen, meist un·mittel·bare Vorfahren, re·prä·sen·tieren. Darüber hinaus können im oder neben dem Altar auch Fotos an die Ver·storbenen erinnern. Ihnen wird bei·spiels·weise bei jeder Mahl·zeit ein kleines Speise·opfer dargebracht, d.h. dass ein kleiner Teil der Mahl·zeit in eigenen Gefäßen vor den Altar gestellt wird. Auch werden mehrmals am Tag Räucher·stäbchen zu Ehren der Ahnen entzündet. Dabei voll·führt man ganz ähnliche Gesten wie beim [[Alltag/Omairi|Aufsuchen eines religiösen Gebäudes]] ({{glossar:omairi|''o-mairi''}}): Glocke läuten, Hände falten, verneigen, kurz innehalten. Die Speise·opfer werden meist nach einer gewissen Zeit selbst gegessen.
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-->Im Hausaltar stehen mehrere ''ihai''-Täfelchen, welche die Verstorbenen, meist unmittelbare Vorfahren, repräsentieren. Darüber hinaus können im oder neben dem Altar auch Fotos an die Verstorbenen erinnern. Ihnen wird beispielsweise bei jeder Mahlzeit ein kleines Speiseopfer dargebracht, d.h. dass ein kleiner Teil der Mahlzeit in eigenen Gefäßen vor den Altar gestellt wird. Auch werden mehrmals am Tag Räucherstäbchen zu Ehren der Ahnen entzündet. Dabei vollführt man ganz ähnliche Gesten wie beim [[Alltag/Omairi|Aufsuchen eines religiösen Gebäudes]] ({{g|omairi|''o-mairi''}}): Glocke läuten, Hände falten, verneigen, kurz innehalten. Die Speiseopfer werden meist nach einer gewissen Zeit selbst gegessen.
  
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Jede buddhistische Richtung hat eigene Vor·schriften für die Aus·stattung und die Be·handlung des Haus·altars entwickelt. Während {{glossar:shingonshuu}} etwa vorsieht, die ''ihai'' eine Stufe tiefer als die wichtigsten Buddhas und Heiligen zu positionieren, ordnet die größte bud·dhis·tische Glaubens·gemeinde in Japan, die {{glossar:joudoshinshuu}} an, dass im Haus·altar ausschließlich Buddha·statuen stehen, während die Ahnen·täfelchen daneben aufgestellt werden sollen.
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Jede buddhistische Richtung hat eigene Vorschriften für die Ausstattung und die Behandlung des Hausaltars entwickelt. Während {{g|shingonshuu}} etwa vorsieht, die ''ihai'' eine Stufe tiefer als die wichtigsten Buddhas und Heiligen zu positionieren, ordnet die größte buddhistische Glaubensgemeinde in Japan, die {{g|joudoshinshuu}} an, dass im Hausaltar ausschließlich Buddhastatuen stehen, während die Ahnentäfelchen daneben aufgestellt werden sollen.
 
 
Alles in allem ist der ''butsudan'' jedoch Bühne einer sehr privaten Religiosität. Die persönlichen und familiären Auf·fassungen, wie er auszusehen hat und wie man die Ahnen pflegt, sind daher oft stärker als die konfessionelle Bindung. Auch die meisten Jōdo Shinshū Anhänger stellen, glaube ich, ihre ''ihai'' '''in''' den Haus·altar. Auf·grund meiner persönlichen Erfahrung würde ich außerdem behaupten, dass viele JapanerInnen erst durch die Sorge um die Ver·stor·benen im Haus·altar zur Religion hingeführt werden.
 
  
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Alles in allem ist der ''butsudan'' jedoch Bühne einer sehr privaten Religiosität. Die persönlichen und familiären Auffassungen, wie er auszusehen hat und wie man die Ahnen pflegt, sind daher oft stärker als die konfessionelle Bindung. Auch die meisten Jōdo Shinshū Anhänger stellen, glaube ich, ihre ''ihai'' '''in''' den Hausaltar. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung würde ich außerdem behaupten, dass viele JapanerInnen erst durch die Sorge um die Verstorbenen im Hausaltar zur Religion hingeführt werden.
 
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* [http://www.aisf.or.jp/%7Ejaanus/deta/b/butsudan.htm Butsudan] (en.), Artikel zu Geschichte und Stilformen auf der architekturhistorischen Website ''JANUUS''.
 
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Aktuelle Version vom 5. Juni 2023, 14:14 Uhr

Ahnenkult und Sorge für die Toten
Ihai.gif

Der Toten- und Ahnenkult in Japan ist für Nicht-Japaner besonders verwirrend, da die Toten an mindestens zwei Orten verehrt werden. Üblicherweise natürlich am Friedhof, darüber hinaus aber auch am buddhistischen Hausaltar (butsudan [butsudan (jap.) 仏壇 buddh. Hausaltar]). Auf dem Hausaltar sind die in den letzten Jahren oder Jahrzehnten verstorbenen Verwandten durch sogenannte ihai [ihai (jap.) 位牌 Ahnentäfelchen] präsent. Ihai sind schwarzlackierte aufrecht stehende Holztäfelchen, auf denen (zumeist in Gold) ein posthumer Name (kaimyō [kaimyō (jap.) 戒名 buddhistischer Totenname, posthumer Name eines Verstorbenen]) aufgeschrieben steht. Dieser Name wird dem Verstorbenen nach seinem Tod in einer buddhistischen Zeremonie verliehen.

Die Identität des Verstorbenen

Allgemein bezeichnet man einen Verstorbenen als hotoke [hotoke (jap.) Buddha; umgangsspr. auch: Totenseele; andere Lesung: butsu; alte Schreibung: 佛], eigentlich eine japanische Bezeichnung für Buddha [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)]. Wörtlich genommen bedeutet dies, dass ein Mensch nach seinem Ableben zu einem Buddha wird. Dies ist jedoch nicht im Einklang mit der eigentlichen buddhistischen Lehre, welche keineswegs behauptet, dass jeder Verstorbene automatisch zu Buddha wird. Die Bezeichnung ist demnach als frommer Wunsch zu verstehen, in etwa: der Verstorbene möge ein Buddha geworden sein. Natürlich wird dieser Wunsch nicht jedesmal bewusst geäußert, wenn von hotoke die Rede ist. Hotoke oder hotoke-sama ist schlicht der geläufige Ausdruck für „Verstorbener“. Daneben existieren auch nüchtern-objektive Begriffe wie shisha [[[glossar:shisha|]] () ] (Toter) oder an bestimmte Jenseitsvorstellungen geknüpfte Bezeichnungen wie reikon [reikon (jap.) 霊魂 Geist, Seele] (Seele, Geist), tama/tamashii [tamashii (jap.) Geist, Seele] (Seele, Geist) und andere mehr. Mitunter kann ein Verstorbener auch als kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] aufgefasst werden.

Die mehrdeutigen Benennungen eines Verstorbenen enthalten bereits einen Hinweis darauf, dass es in Bezug auf Jenseits- und Seelenvorstellungen selbst unter religiösen Menschen eine große Bandbreite an Interpretationen gibt. Ein verbindliches, einheitliches Erklärungsmuster ist dahinter kaum zu erkennen. Vor allem hinsichtlich des Ineinandergreifens von buddhistischem und shintōistischem Jenseits gibt es heute keine kanonische, d.h. offiziell von religiösen Institutionen vertretene Lehrmeinung mehr. Wer sich mit dem Thema näher befasst, muss sich daher darauf gefasst machen, immer wieder mit höchst widersprüchlichen Darstellungsweisen konfrontiert zu werden. (S. dazu auch Kap. Mythen, Jenseitsvorstellungen.)

Eine bestimmte Vorstellung findet sich allerdings sehr häufig in Verbindung mit japanischen Jenseitsvorstellungen. Man muss nach dem Tod aktiv dafür sorgen, dass die Toten den Weg ins Jenseits finden und dort „befriedet“ werden. Geschieht dies nicht, kann es leicht sein, dass die Totenseele ziellos im Diesseits umher irrt und als Gespenst (o-bake [o-bake (jap.) お化け Gespenst, Geist; wtl. „Verwandeltes“] bzw. yūrei [yūrei (jap.) 幽霊 Totengeist]) allerlei Unfrieden stiftet (s. Kap. Mythen, Gespenster und Totengeister). Die weite Verbreitung dieser Vorstellung auch unter ansonsten vollkommen rational orientierten Menschen mag mit ein Grund dafür sein, dass den Verstorbenen im Alltag verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Darüber hinaus kann die Sorge um die Totenseele eines nahen Verwandten aber natürlich auch Ausdruck echter Trauerarbeit sein, die einem Menschen hilft, über den Verlust des Ehepartners oder Elternteils hinwegzukommen. Besonders ältere Menschen widmen sich aus diesen Gründen täglich der Pflege des buddhistischen Hausaltars.

Butsudan — der Hausaltar

Butsudan1.jpg
1
Ein relativ kleiner buddhistischer Hausaltar (butsudan) in einem städtischen Haushalt.
Bernhard Scheid, 2004.
Butsudan2.jpg
2
Ein relativ kleiner buddhistischer Hausaltar (butsudan) in einem städtischen Haushalt.
Bernhard Scheid, 2004.
Kleiner butsudan

Über fünfzig Prozent aller Haushalte in Japan besitzen einen buddhistischen Hausaltar (butsudan [butsudan (jap.) 仏壇 buddh. Hausaltar]).1 Im Hausaltar stehen mehrere ihai-Täfelchen, welche die Verstorbenen, meist unmittelbare Vorfahren, repräsentieren. Darüber hinaus können im oder neben dem Altar auch Fotos an die Verstorbenen erinnern. Ihnen wird beispielsweise bei jeder Mahlzeit ein kleines Speiseopfer dargebracht, d.h. dass ein kleiner Teil der Mahlzeit in eigenen Gefäßen vor den Altar gestellt wird. Auch werden mehrmals am Tag Räucherstäbchen zu Ehren der Ahnen entzündet. Dabei vollführt man ganz ähnliche Gesten wie beim Aufsuchen eines religiösen Gebäudes (o-mairi [o-mairi (jap.) お参り/お詣り Schrein- oder Tempelbesuch; auch Grabbesuch; auch sankei, sanpai]): Glocke läuten, Hände falten, verneigen, kurz innehalten. Die Speiseopfer werden meist nach einer gewissen Zeit selbst gegessen.

Speiseopfer
Mini-butsudan mit Kunstblumen und Speiseopfer

Jede buddhistische Richtung hat eigene Vorschriften für die Ausstattung und die Behandlung des Hausaltars entwickelt. Während Shingon-shū [Shingon-shū (jap.) 真言宗 Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan] etwa vorsieht, die ihai eine Stufe tiefer als die wichtigsten Buddhas und Heiligen zu positionieren, ordnet die größte buddhistische Glaubensgemeinde in Japan, die Jōdo Shinshū [Jōdo Shinshū (jap.) 浄土真宗 Shin-Buddhismus, bzw. Jōdo Shin-Buddhismus; wtl. „Wahre Schule des Reinen Landes“] an, dass im Hausaltar ausschließlich Buddhastatuen stehen, während die Ahnentäfelchen daneben aufgestellt werden sollen.

Alles in allem ist der butsudan jedoch Bühne einer sehr privaten Religiosität. Die persönlichen und familiären Auffassungen, wie er auszusehen hat und wie man die Ahnen pflegt, sind daher oft stärker als die konfessionelle Bindung. Auch die meisten Jōdo Shinshū Anhänger stellen, glaube ich, ihre ihai in den Hausaltar. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung würde ich außerdem behaupten, dass viele JapanerInnen erst durch die Sorge um die Verstorbenen im Hausaltar zur Religion hingeführt werden.

Verweise

Verwandte Themen

Fußnoten

  1. Laut Ian Reader ist die Zahl der Hausaltäre im Sinken begriffen. 1981 besaßen 63% aller Haushalte einen butsudan, 1995 59% und 2004 56%. Ähnliche Abwärtstrends gibt es auch bei shintōistischen kamidana, deren Verbreitung gleichbleibend leicht unter der des butsudan liegt (Reader 2012, S. 21–22).

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen

  • Butsudan (en.), Artikel zu Geschichte und Stilformen auf der architekturhistorischen Website JANUUS.


Letzte Überprüfung der Linkadressen: 2022/11/12

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Ian Reader, „Secularisation, R.I.P.? Nonsense!: The ‘Rush Hour Away from the Gods’ and the Decline of Religion in Contemporary Japan“. Journal of Religion in Japan 1 (2012), 7–36.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Butsudan1.jpg
    Ein relativ kleiner buddhistischer Hausaltar (butsudan) in einem städtischen Haushalt.
    Bernhard Scheid, 2004.
  2. ^ 
    Butsudan2.jpg
    Ein relativ kleiner buddhistischer Hausaltar (butsudan) in einem städtischen Haushalt.
    Bernhard Scheid, 2004.
  1. ^ 
    Butsudan.gif
    Laut shingon.org sind folgende Gegenstände im Hausaltar (butsudan) aufzustellen:

    1.  Bild/Statue des Dainichi Nyorai; 2.  Bild/Statue des Fudō Myōō; 3.  Bild/Statue des Kōbō Daishi; 4. Opferschalen für Wasser (l.) und Reis (r.); 5. Totentäfelchen (ihai); 6. Frucht- oder Speiseopfer; 7. Verstorbenenregister; 8. Blumenopfergabe; 9.  Kerze; 10.  Rauchopferschale.
    Shingon Buddhist International Institute, 1999.


Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Buddha (skt.) बुद्ध ^ „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)
  • butsudan 仏壇 ^ buddh. Hausaltar
  • hotoke^ Buddha; umgangsspr. auch: Totenseele; andere Lesung: butsu; alte Schreibung: 佛
  • ihai 位牌 ^ Ahnentäfelchen
  • Jōdo Shinshū 浄土真宗 ^ Shin-Buddhismus, bzw. Jōdo Shin-Buddhismus; wtl. „Wahre Schule des Reinen Landes“
  • kaimyō 戒名 ^ buddhistischer Totenname, posthumer Name eines Verstorbenen
  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • o-bake お化け ^ Gespenst, Geist; wtl. „Verwandeltes“
  • o-mairi お参り/お詣り ^ Schrein- oder Tempelbesuch; auch Grabbesuch; auch sankei, sanpai
  • reikon 霊魂 ^ Geist, Seele
  • Shingon-shū 真言宗 ^ Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan
  • [[Glossar:Shisha|]] () ^
  • tamashii^ Geist, Seele
  • yūrei 幽霊 ^ Totengeist